42) Unter vier Augen
***Celien***
„Komm Quenny!" Ich führte das Mädchen in den Garten. Es war an der Zeit, das Versprechen, welches ich Parrik gegeben hatte, einzulösen. Ich hatte es lange genug hinausgezögert.
Ich nahm auf der niedrigen Holzbank Platz und bedeutete ihr, sich neben mich zu setzen. „Ich würde gerne über etwas mit dir reden", eröffnete ich das Gespräch. Quenny schaute mich besorgt an und wartete darauf, dass ich weitersprach.
„Keine Sorge", beruhigte ich sie, „es ist nichts Schlimmes." Zuhause hatte ich mir die passenden Worte bereits zurecht gelegt. „Es geht um Korvin und dich und das, was ihr miteinander tut."
Quenny schaute mich immer noch an, aber ich konnte sehen wie sie allmählich verstand, worauf ich hinauswollte. „Wir tun nichts miteinander!", warf sie ein, ehe ich weitersprechen konnte.
Ich versuchte, sie zu beschwichtigen. „Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich wollte nur mit dir darüber sprechen, bevor etwas passiert, was ihr beide hinterher bereut", erklärte ich ihr, während meine Hände eine vage Geste in der Luft vollführten.
„Du denkst also ich schlafe mit ihm", erwiderte Quenny aufgebracht. „Falls es dich beruhigt, tun wir nicht!" Erleichtert nahm ich ihre Antwort zur Kenntnis. Es beruhigte mich tatsächlich dies aus ihrem Mund zu hören. Nachdem die beiden bei unserem letzten Ausflug alleine im Wald verschwunden waren, hatte ich mir schon Gedanken gemacht, auch wenn ich Parrik gegenüber kein Wort darüber verloren hatte. Er machte sich ohnehin schon genug Sorgen um seine Schwester.
„Sei mir bitte nicht böse. Ich meine es nur gut, Quenny", erklärte ich ruhig und sachlich, „ich will nur nicht, dass du schwanger wirst. Du bist noch viel zu jung dazu. Ihr beide", fügte ich hinzu.
„Ich weiß. Korvin und ich haben beschlossen, dass wir damit warten. Du musst dir also keine Sorgen machen." Ihre Stimme klang fest und völlig normal. Sie hatte sich wieder beruhigt. „Wir sind vernünftig, wirklich und zum Heiraten ist es noch zu früh." Sie schaute mir fest in die Augen.
Ich atmete erleichtert aus. „Dann ist es ja gut."
Ihre hellen, blauen Augen musterten mich aufmerksam. „Wollte mein Bruder, dass du mit mir darüber sprichst?", fragte sie schließlich und hatte damit, wie schon so oft, genau ins Schwarze getroffen.
„Ja", gestand ich ihr. „Ich habe es ihm versprochen. Er ist wirklich besorgt deswegen."
„Ich weiß. Du kannst ihm sagen, dass er sich darüber keine Sorgen machen muss. Vielleicht entspannt er sich dann endlich mal und freut sich für mich", erwiderte sie.
„Du hast mit Korvin über diese Sache gesprochen? Und dir fällt es kein bisschen schwer, darüber zu reden, oder?", wollte ich wissen. Auf meinen Wangen spürte ich bereits das vertraute Wärmegefühl. Ich bewunderte Quenny heimlich für ihren Mumm. Sie war überhaupt nicht schüchtern ihrem Freund gegenüber oder schien Hemmungen zu haben, mit ihm offen über alles zu reden.
„Warum sollte ich?", entgegnete sie. „Was denkt ihr eigentlich alle von uns? Ich liebe ihn, zugegeben, aber wir machen nichts miteinander, außer küssen und kuscheln, wenn wir alleine sind. Und davon kann man nicht schwanger werden, oder?", fragte sie mich herausfordernd.
Ich nickte. „Ich war mir nicht sicher, ob du Bescheid weißt", gestand ich Quenny. Sie lachte.
„Oh Celien, das ist wirklich lieb von dir. Aber ich weiß Bescheid. Stell dir vor, ich habe Ally dazu bekommen, mir alles genau zu erklären." Sie kicherte. „Warum stellen sich Erwachsene deswegen so an?", wollte sie wissen. „Das ist doch schließlich etwas ganz Normales, oder nicht? Und du kannst sicher sein, wenn sie es mir nicht erzählt hätte, hätte ich dich als nächstes gefragt." Sie grinste und ich fühlte mich geehrt. Nicht, dass ich wirklich Ahnung auf diesem Gebiet hätte, aber wenigstens wusste ich theoretisch Bescheid.
„Das war bestimmt eine interessante Unterhaltung mit Ally." Ich grinste nun ebenfalls. „Also falls du noch irgendetwas wissen willst, kannst du mich gerne fragen", bot ich ihr an.
„Danke Celien." Sie drückte mich. „Aber ich glaube, ich weiß alles, was es zu wissen gibt. Und nach dem Gespräch mit Ally viel mehr, als ich wissen wollte." Wir lachten beide über ihr Geständnis. Dann wurde Quenny plötzlich still und räusperte sich. Sie schaute mich neugierig an und es dauerte einen Augenblick, bis sie sprach. "Obwohl, darf ich dich doch etwas fragen?"
Ich nickte. „Ja, selbstverständlich", ermutigte ich sie.
„Nun, du bist alt genug, um zu heiraten. Sei mir nicht böse, aber hast du dich schon mal gefragt, wie es wäre? Hast du schon mal daran gedacht, mit jemandem zu schlafen? Oder hast du schon?", sprudelte es aus ihr heraus. Ich schluckte. Diese persönliche Frage hätte ich nicht erwartet. Aber es war typisch für Quenny, sie fragte einfach darauf los, wenn sie etwas interessierte. Ein Grund, weshalb ich sie so mochte und mir manchmal wünschte mehr wie sie zu sein.
„Nein", gestand ich ihr ehrlich, „habe ich noch nicht. Mit wem auch? Aber ja, ich habe schon daran gedacht und mir vorgestellt, wie es wäre." Ich seufzte. Ich könnte ihr jetzt erzählen, dass ich dabei an ihren Bruder gedacht hatte und ihr gestehen, dass ich wirklich in ihn verliebt war, aber so wie ich Quenny kannte, würde sie mich drängen, es ihm zu erzählen oder mich erpressen, es ihm selbst zu sagen. Ich konnte es ihr nicht verraten. Nicht, wenn ich meine Freundschaft zu Parrik nicht gefährden wollte. Es ging einfach nicht. Ich musste an unser Gespräch am Lagerfeuer im Wald denken und wie ich es erneut nicht geschafft hatte, ihm endlich meine Gefühle zu gestehen. Er zog es überhaupt nicht in Betracht, dass ich oder irgendjemand sonst, etwas für ihn empfinden könnte. Im Gegenteil, es erschien ihm geradezu unmöglich zu sein, dass ihn jemand sogar mögen konnte. Mein Herz krampfte sich erneut zusammen, bei dem Gedanken daran, wie wenig Gutes Parrik in sich selbst sah.
„Naja, ich dachte, vielleicht mit Parrik. Schließlich versteht ihr euch ziemlich gut und verbringt viel Zeit miteinander", unterbrach Quenny meine trüben Gedanken, „Tut mir leid, sei mir bitte nicht böse", fügte sie hastig hinzu.
Sie musste gesehen haben, wie meine Gesichtszüge entgleisten. Und wie so oft hatte sie genau erfasst, was ich dachte. Ich bemühte mich, meine Miene wieder unter Kontrolle zu bekommen. „Schon gut", stammelte ich verlegen und setzte zu einer weiteren Antwort an. Aber das Läuten der Ladenglocke unterbrach unser missglücktes Gespräch. „Ich schau mal schnell, wer gekommen ist", murmelte ich und stand auf, um nachzusehen.
Ein Dienstbote erschien in Begleitung eines blonden, blauäugigen, mir wohlbekannten Mädchens. Sie eilte zu mir nach hinten, als sie mich erblickte und ich fiel ihr zur Begrüßung um den Hals. „Schön, dass du da bist", flüsterte ich ihr ins Ohr. Jetzt, da ich von Quenny wusste, was ich wissen wollte, war es gut Mara dazuhaben. Sie würde das Gespräch in entspanntere Bahnen lenken. Hoffentlich.
Mara begrüßte das andere Mädchen ebenfalls mit einer kurzen Umarmung und entließ anschließend den Dienstboten. Rasten oder Korvin, einer der beiden, würde später mit Sicherheit auftauchen und sie nach Hause bringen.
Wir plauderten eine Weile ausgelassen über alles Mögliche. Mara schwärmte wie immer davon wie schön es war, mit meinem Bruder verheiratet zu sein und wie glücklich sie war. Quenny schwärmte von Korvin und ich hörte zu. Oder tat zumindest so. Das meiste davon hatte ich schließlich schon gehört und einiges davon wollte ich gar nicht so genau wissen.
„Dir entgeht wirklich etwas", neckte mich Mara, „du solltest es dir ernsthaft überlegen und heiraten." Ich verdrehte die Augen. „Aber andererseits, jemanden, der so toll ist wie Rasten wirst du schwer finden. Vielleicht hast du doch recht damit alleine zu bleiben."
Wenn sie bloß wüsste, dass ich ihn eigentlich längst gefunden hatte, aber ich ließ mir nichts von meinen wahren Gefühlen anmerken. „Naja, danke jedenfalls, dass du dich meines Bruders annimmst. Seit ich ihn los bin, ist mein Leben auf jeden Fall viel entspannter geworden. Wenn du ihm jetzt noch abgewöhnen könntest, sich wegen allem und jedem Sorgen um mich zu machen", erwiderte ich lachend.
„Hoffnungslos", sie fiel in mein Lachen mit ein.
„Aber Rasten ist nichts im Vergleich zu meinem Bruder", entgegnete Quenny und ich musste ihr Recht geben.
„Was hat er denn jetzt schon wieder angestellt?", erkundigte sich Mara bei Quenny.
„Er hat Celien dazu angestiftet mir eine Moralpredigt zu halten", erklärte Quenny und fuhr mit ihrer Erklärung fort, „aus Angst davor, dass ich mit Korvin schlafen und schwanger werden könnte." Sie verdrehte theatralisch die Augen.
Maras Miene veränderte sich plötzlich. Sie wurde ernst. „Ich muss euch etwas sagen, da wir gerade beim Thema sind. Ich glaube, ich bin schwanger", gestand sie uns.
„Wirklich?", fragte ich sie mit offenem Mund. Was hatte ich erwartet? Sie war seit einer Weile verheiratet und obwohl ich mit dieser Nachricht hätte rechnen müssen, traf es mich jetzt völlig unvorbereitet. „Weiß Rasten schon davon?", erkundigte sich Quenny.
Mara schüttelte den Kopf, bevor sie antwortete. „Nein, ich wollte mir erst sicher sein. Aber mir ist jeden Morgen so schlecht und ich habe seit zwei Monaten nicht geblutet." Ihre Wangen verfärbten sich leicht rot.
„Na, das sind doch zwei sichere Anzeichen." Ich fiel ihr vor Freude erneut um den Hals. Natürlich freute ich mich, Tante zu werden. „Rasten wird völlig aus dem Häuschen sein vor Freude", bemerkte ich. „Ich kann ihn mir zwar beim besten Willen nicht als Vater vorstellen, aber ihm bleibt ja noch eine Weile Zeit, um in seine neue Rolle hineinzuwachsen." Mara lachte. „Ich meine, immerhin habe ich bis vor ein paar Monaten auch nicht daran geglaubt, dass er jemals heiraten würde. Und jetzt -" Und jetzt hatte er eine schöne, liebreizende Frau und sie erwarteten ein Kind. Ich seufzte.
„Ich hoffe, er freut sich genauso", murmelte Mara. „Wir haben uns nie darüber unterhalten. Ich hatte gehofft, du könntest mir sagen, wie er über Kinder denkt."
„Tut mir leid." Ich zuckte die Schultern. „Darüber haben wir nie gesprochen. Aber er wird sich schon freuen", versicherte ich ihr. „Sonst bekommt er von mir etwas zu hören. Wie geht es dir?", lenkte ich sie ab, in dem Versuch, das Gespräch in andere Bahnen zu bringen. „Ist die Übelkeit arg schlimm?"
„Kaum auszuhalten", erklärte sie, „ein Wunder, dass mein Vater noch nichts mitbekommen hat. Aber meistens steht er erst später auf und Rasten ist schon fort, wenn ich mich übergebe."
„Du Ärmste", tröstete ich einfühlend, „warum bist du nicht früher zu mir gekommen? Ich kann dir etwas geben, das dir hilft."
„Du bist die beste, Celien", lachte Mara.
„Gleich morgen, bringe ich dir etwas vorbei", versprach ich und ehe sich Mara bedanken konnte, klingelte erneut die Glocke im Laden. Einen Augenblick später erschien der blonde Lockenkopf meines Bruders.
Mara erhob sich von der kleinen Bank und eilte freudestrahlend auf ihren Gatten zu. „Da bist du ja endlich!" Alle Sorgen schienen mit einem Mal wie weggeblasen. Rasten nahm sie in den Arm und küsste sie zur Begrüßung. Ungewöhnlich kurz für ihre Verhältnisse, denn einen Moment später fand ich mich in seinen Armen wieder und wurde ebenfalls gedrückt. Quenny, der Glücklichen, winkte er lediglich kurz zu.
„Wie geht es dir?", erkundigte er sich bei mir. „Gut, danke. Und dir?", fragte ich zurück.
„Bestens", erwiderte er knapp und ich ließ ihn mit seiner nichtssagenden Antwort durchkommen. Wenn er wüsste, was ihm bevorstand. Ich grinste.
„Können wir gehen?", wollte mein Bruder von meiner Frau wissen. Immerhin bekam ich ihn hin und wieder kurz zu Gesicht. Aber das war im Grunde völlig ausreichend für mich. Ich wusste ja, dass es ihm gut ging, obwohl er viel Arbeit hatte und ich kam auch bestens ohne ihn zurecht.
Mara nickte und verabschiedete sich von uns. Wir warfen ihr vielsagende Blicke zu, die ihr mitteilen sollten, uns auf dem Laufenden zu halten und ihr viel Glück wünschten. Ich war wirklich gespannt zu erfahren, wie Rasten auf diese großartigen Neuigkeiten reagieren würde. Und wehe ihm, er würde es vermasseln. Ein wenig besorgt, ballte ich die Hände zusammen.
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