33) Auf zum Tanz

***Celien***


„Nein, bitte nicht!" Abwehrend hielt ich die Hand über meinen Teller. Wenn ich jetzt noch einen Bissen essen musste, würde ich platzen.

Arnoldo hatte sich selbst übertroffen. Wenn das erst das Verlobungsessen war, dann wollte ich nicht wissen, wie die Hochzeit ausfallen würde. Für seine einzige Tochter war ihm keine Mühe zu viel und kein Wunsch zu teuer und Mara wusste genau, wie sie die Gutmütigkeit und Großzügigkeit ihres Vaters ausnutzen konnte.

Die meisten Speisen des erlesenen fünf Gänge-Menüs hatte ich noch nie gekostet, geschweige denn, dass ich zuvor überhaupt von ihrer Existenz gewusst hatte. Um mir nichts davon entgehen zu lassen, hatte ich ordentlich zugelangt. Mit dem Resultat, dass ich kurz davor stand mich zu übergeben. Ich stöhnte leise und hielt mir den Bauch. Auch Parrik zu meiner Linken hatte sich ordentlich an Allem bedient, aber wie es aussah, konnte er noch nachlegen. Im Gegensatz zu mir wehrte er einen Nachschlag nicht ab.

Auch über die Menge, welche Quenny, die rechts von mir saß, sich auf ihren Teller häufen ließ, musste ich staunen. Wohin wollte dieses zierliche, kleine Mädchen das alles essen? Aber jedes Mal, wenn ich von meinem Teller aufblickte, war ihrer schon leer geputzt. Ich gestand mir ein, dass sie wohl noch im Wachstum war und die Kalorien brauchte. Außerdem dachte ich an die Mengen von Essen, welches Ally für gewöhnlich kochte. Wahrscheinlich waren es die beiden gewohnt, gut und viel zu essen. Schließlich blieb oft genug auch noch etwas für uns übrig, wenn Ally kochte. Und es kam nicht selten vor, dass Quenny abends noch eine Schüssel köstlich duftendes Essen zu uns herüberbrachte.

Aber ich konnte heute beim besten Willen nicht mehr über Essen nachdenken.

„Du bist schon satt?", fragte mich Parrik und schaute lachend auf die Hand, die ich auf meinen Bauch gelegt hatte. „So satt, ich glaube ich brauche das restliche Jahr über nichts mehr essen", stöhnte ich und rieb mir den vollen Bauch.

Er lud sich noch eine Portion auf und schaufelte sie in seinen Mund. „Es schmeckt aber auch zu köstlich", bemerkte er, nachdem er den Bissen hinuntergeschluckt hatte.

Gute Tischmanieren hatte er auch noch, stellte ich zufrieden fest. Und ein weiteres Mal bewunderte ich Parrik, ohne dass dieser auch nur das winzigste Bisschen von meiner Schwärmerei ahnte.

Ich nahm mein Wasserglas und trank einen großen Schluck. Den von Rasten spendierten Wein hatte ich dankend abgelehnt. Auf Kopfschmerzen konnte ich zusätzlich zu all dem Gefühlswirrwarr in meinem Herzen gut und gerne verzichten.

Endlich wurde der Nachtisch serviert. Die Törtchen in allen erdenklichen Variationen aus Honig, erlesenen Gewürzen und Früchten sahen einfach köstlich aus. Selbst einem König und seinem Gefolge wären sie würdig gewesen, aber ich konnte wirklich keinen Bissen mehr zu mir nehmen und passte erneut.

„Bist du sicher?" Parrik musterte mich ungläubig. „Das sind die besten Törtchen, die ich jemals gegessen habe." Selbst ohne zu kosten, glaubte ich ihm aufs Wort.

Ich schüttelte den Kopf. Quenny hatte ihr erstes bereits gegessen und lud sich ein weiteres auf. Wie konnte man so schnell essen und das vor allem nach den vorangegangenen vier Gängen? Ich schaute sie voller Staunen an und schüttelte nur weiter den Kopf. Sie war schon den ganzen Abend ungewöhnlich still, was aber kaum verwunderlich war, denn bei den Mengen, die sie verdrückt hatte, blieb wenig Zeit übrig für Unterhaltungen.

„Hier, du musst einfach probieren." Parrik hielt mir ein Gäbelchen direkt vor den Mund und vor lauter Überraschung öffnete ich den Mund und er schob den süßen Bissen hinein. Er hatte nicht übertrieben. Bessere Törtchen hatte ich noch nie gegessen.

„Lecker!" Ich leckte mir über die Lippen. „Mehr?", fragte er, aber ich lehnte dankend ab.

„Du lässt dir wirklich was entgehen!", erwiderte er.

„Ich weiß, aber ich kann einfach nicht mehr", stöhnte ich erneut und hielt mir den Bauch. „Ich packe mir eines für morgen ein", erklärte ich und schnappte mir ein Honigtörtchen. Schnell wickelte ich es in ein Stück Stoff und ließ es in meine Tasche gleiten. Ich grinste. „Morgen ist schließlich auch noch ein Tag."

„Braves Mädchen." Parrik grinste mich an und stopfte den Rest seines letzten Törtchens auf einen Schlag in den Mund. Mir wurde schon vom Zuschauen beinahe schlecht und ich wünschte mir sehnlichst einen Schluck meines Tranks gegen Magenschmerzen und Völlegefühl.

Stattdessen schenkte ich mir von dem süßen Holundermet ein und nippte daran.

Er schmeckte zwar gut, hatte aber leider nicht die gewünschte Wirkung.

Unzählige Bedienstete wuselten wie Ameisen um die Tische und luden sich Unmengen an Tellern, Besteck und Schüsseln auf. Mit einem Schlag waren die Spuren der Essensschlacht beseitigt und Arnoldo erhob sich und klopfte mit einem Löffel gegen sein Weinglas. Das Stimmengewirr im Saal verstummte und der Brautvater setzte zu einer ausschweifenden Rede an. Er dankte diesem und jenem für irgendetwas, seiner Tochter für dieses und jenes und so ging es eine gefühlte Endlosigkeit weiter. Ich hatte schon nach wenigen Minuten aufgehört richtig zuzuhören und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Unzählige Wachsoldaten saßen an einem der Tische, wohlhabende Bürger und Kaufleute an den Tischen daneben und so war der große Saal gefüllt mit Leuten, die ich nicht kannte und auch nicht kennenlernen wollte.

Arnoldo hatte darauf bestanden mich mit einem seiner Geschäftspartner bekannt zu machen. Einem windigen, kleinen Mann mit beginnender Stirnglatze. Nach ein paar höflichen Worten, hatte ich mich verabschiedet und war in der Menge untergetaucht. Mara hatte mich dabei beobachtet und abgefangen. „Sei froh, dass ich die Tischpläne gemacht habe. Wenn es nach meinem Vater gegangen wäre, würdest du neben ihm sitzen." Sie grinste zufrieden. Mara sah bezaubernd aus in ihrem goldbestickten, gelben Kleid mit weit ausladenden Röcken. Quenny und ich hatten am Morgen frische Blumen gepflückt, um damit den Saal zu schmücken und ihr anschließend welche ins Haar geflochten.

Quenny hatte ich ebenfalls ein paar Blüten in ihr langes Haar gesteckt und sie hatte darauf bestanden, dasselbe für mich zu tun. Etwas widerwillig hatte ich sie meine Haare flechten lassen. Es konnte schließlich nicht schaden und ich hatte ihr damit einen Gefallen getan. Sie wollte, dass ich hübsch aussah für die Verlobungsfeier meines Bruders.

Mein Blick blieb an dem kleinen, verschlagen dreinschauenden Händler hängen. Er hatte seine Finger nicht von den Blumen in meinen Haaren lassen können. "Welch zauberhafter Schmuck für eine holde Blume wie dich. Gold hätte dir aber auch gestanden. Schau nur zu, dass du einen Mann findest, der dich damit verwöhnen kann." Jetzt zwinkerte er mir grinsend zu und ich schaute schnell in eine andere Ecke des Raumes, fest entschlossen, ihm für den Rest des Abends aus dem Weg zu gehen. Fing Arnoldo jetzt auch noch damit an, mich verkuppeln zu wollen oder steckte etwa mein Bruder dahinter? Allerdings würde Rasten diesen Kandidaten für mich mit Sicherheit ablehnen. Das hoffte ich jedenfalls für meinen Bruder. Und für mich.

Rasten sah adrett aus in seiner neuen, frisch gestärkten, dunkelblauen Paradeuniform und er wirkte so glücklich neben Mara. Alle beide lächelten selig bei Arnoldos Worten, die jetzt davon handelten, was für eine prächtige und rosige Zukunft er den beiden wünschte.

Erneut ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen und meinen Gedanken freien Lauf.

Ich musste abgeschweift sein, denn plötzlich spürte ich wie mich jemand in die Seite pikste.

Parrik schaute mich belustigt an. „Muss ich mir Sorgen machen, dass du gleich vom Stuhl fällst? Das wäre sehr unhöflich von dir." Ich musste wohl ziemlich irritiert dreinschauen, denn er kicherte. „Wenn du jetzt kurz vor dem Eröffnungstanz der beiden vom Stuhl kippst, stiehlst du ihnen die Aufmerksamkeit und das wäre nun wirklich ziemlich respektlos von dir." Ich richtete mich auf und suchte mit den Augen nach dem Tisch, an dem Rasten und Mara gesessen hatten. Sie waren inzwischen aufgestanden und neben Arnoldo getreten, der jedem der beiden an einer seiner verschwitzten Hände hielt. Mein Bruder tat mir in diesem Augenblick ein wenig leid, aber er hatte gewusst, worauf er sich einließ. Vielleicht hätte ich ihm zuliebe doch etwas Salbeitee gegen dieses übermäßige Schwitzen für Arnoldo zubereiten sollen.

Mit überschwänglichen Worten kündigte dieser nun die Musiker an und führte seine Tochter auf die Tanzfläche, wo er sie ihrem Verlobten übergab. Alle klatschten, erleichtert darüber wie ich vermutete, dass Arnoldos Rede endlich zu Ende war und die ersten Takte der Musik ertönten. Andererseits galt der Applaus doch wohl eher dem wirklich hinreißenden Paar auf der Tanzfläche.

Ich bewunderte Maras Tanzkünste ein wenig neidvoll. Elegant ließ sie sich von Rasten herumwirbeln. Noch mehr staunte ich allerdings über meinen Bruder. Wo und wann hatte er gelernt so zu tanzen? War das Teil der Ausbildung in der Kaserne? Aber wozu sollten Wachsoldaten tanzen können? Etwas ratlos und noch immer verwundert wandte ich mich an meinen Sitznachbarn.

„Wieso kann mein Bruder so gut tanzen?", fragte ich ihn. Wenn es einer wissen konnte, dann er. Parrik lachte. „Weil wir es geübt haben." Ich löste meinen Blick von dem tanzenden Paar und schaute ihn mit aufgerissenen Augen an. „Ihr habt tanzen geübt? Wann und wo und mit wem?"

„Als Mara darauf bestanden hat, dass an ihrer Verlobungsfeier getanzt wird, hat Rasten Arnoldo nach einem Tanzlehrer gefragt." Aus irgendeinem mir unklaren Grund kicherte Parrik bei der Erinnerung daran.

„Leider hat Rasten darauf bestanden, dass ich dabei bin. Ich stelle mich bescheuert an, wenn ich tanze. Willst du es sehen?" Parrik hielt mir die Hand hin.

„Dein Ernst? Du willst mit mir tanzen?" Ich blinzelte irritiert über die unerwartete Frage.

Der Eröffnungstanz war vorüber. Weitere Paare hatten sich inzwischen auf die Tanzfläche zu Mara und Rasten gesellt. Parrik wartete auf meine Antwort.

„Wenn du möchtest?", versicherte ich mich vorsichtig bei ihm. Ich nahm seine Hand. „Du musst dich nicht verpflichtet fühlen." Zwei Tische weiter hatte sich der schmierige Händler erhoben und blickte abwartend in meine Richtung. Zu meiner endlosen Erleichterung nickte Parrik. „Ich habe dich aufgefordert und ich stehe zu meinem Angebot."

"Na dann, sehr gerne. Lass uns tanzen." Wenn er nur wüsste, wie gerne ich mit ihm tanzen wollte.

Quenny starrte ihren Bruder mit großen Augen an und blickte uns hinterher, als wir aufstanden und er mich zur Tanzfläche führte. Auch der Blick des Händlers folgte uns.

Parrik fasste schüchtern meine Hände und nahm sie ganz leicht, ohne Druck auszuüben, in seine. Wir drehten uns zu der langsamen Melodie der Musik. Er tanzte nicht halb so anmutig wie Rasten. Und da er mich kaum führte, schaukelten wir dabei einfach nur ein wenig im Kreis. Jedes Mal wenn er mit dem linken Bein auftrat, war seine Bewegung ein wenig holprig, aber es störte kaum. Immerhin hatte er mich ja gewarnt. Und um ganz ehrlich zu sein, ich genoss es von ihm im Kreis herum geführt zu werden und ich hätte nie gedacht, dass ich einmal mit Parrik tanzen würde. Mein Herz pochte so schnell und laut, dass ich befürchtete, Parrik könnte es hören, aber ich war glücklich.

Nach ein paar Tänzen hielt er inne und ließ meine Hände los. „Ich bin schlecht darin, ich weiß. Oder hab ich zu viel versprochen?" Er grinste mich an und mir wurde mit einem Mal ganz warm ums Herz. „Du kannst es ja noch ein wenig üben", entgegnete ich und wartete darauf, dass er erneut meine Hände fasste, aber er tat nichts dergleichen.

„Gar keine schlechte Idee", antwortete er stattdessen. „Ich sollte mal meine Schwester auffordern, mit mir zu tanzen." Als ich seinem Blick folgte, saß Quenny immer noch ruhig auf ihrem Platz am Tisch. Dafür war der windige Handelspartner von Arnoldo verschwunden.

Doch dann stand Quenny auf, schaute verstohlen zur Tür und ging eilig darauf zu.

„Wo will sie hin?", fragte Parrik. Im gleichen Moment erkannte ich die kleine Gestalt des Händlers hinter ihm, der gerade dabei war, seine Tanzpartnerin stehen zu lassen und auf mich zueilte.

„Ich vermute, sie muss mal. Oder sie muss sich übergeben, nach all dem was sie gegessen hat", mutmaßte ich. „Besser ich gehe und sehe mal nach ihr." Ich bedankte mich überstürzt für den Tanz, ließ Parrik und den verdutzten Händler auf der Tanzfläche stehen und lief Quenny hinterher. Ging es ihr nicht gut? Sie war schon den ganzen Abend über so ungewöhnlich still gewesen. Nicht, dass sie wieder etwas ausbrütete.



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