32) Nägel mit Köpfen


~~~Quenny~~~

Es war leichter als gedacht, mich unter einem Vorwand davonzuschleichen, um Korvin Essen vorbeizubringen. Der Junge war unersättlich und egal was ich anschleppte, es war ihm nicht genug.

Es machte sogar regelrecht Spaß, mir jedes Mal aufs Neue etwas einfallen zu lassen, um ihn zu besuchen. Bei Ally war es am leichtesten. Ihr sagte ich, dass ich Celien aushalf. Bei Celien genügte es meistens, eine Arbeit für Ally als Vorwand anzubringen. Ollf und Parrik waren zu sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt, um großartig Notiz von mir zu nehmen und daher musste ich ihnen gar nichts sagen.

Es war ebenfalls leichter als gedacht ihn durchzufüttern. Das einzige, was ich nicht bedacht hatte, war wie sehr er es hasste, untätig im Stroh zu liegen und eingesperrt zu sein.

„Kannst du mich nicht irgendwo anders unterbringen?", nörgelte er oder „Mehr Essen konntest du nicht auftreiben?", als ich ein ganzes Brot samt Käse und Schinken vor ihm auf die Decke fallen ließ.

„Bestimmt übertreibst du, und kein Mensch würde mich in der Stadt bemerken", hatte er gestern gefleht. Aber ich war stur geblieben. „Ein fremder Junge mit auffälligen, schwarzen Haaren und noch auffälligeren grauen Augen taucht plötzlich in Waldhafen auf, gerade dann, wenn überall nach einem schwarzhaarigen, grauäugigen Jungen gesucht wird. Du hast recht, überhaupt nicht verdächtig", hatte ich entgegnet und zu meiner Überraschung hatte er eingesehen, dass es eine dumme Idee wäre.

„Bin da", rief ich in den mit Heu, Stroh und Sattelzeug gefüllten Raum und führte meinen braunen Hengst in den Stall. Flüchtig rieb ich ihn trocken und warf ihm eine Decke über. Dann gab ich ihm noch etwas Heu und fütterte ihn mit einem Apfel. „Hey, das sind meine Äpfel", protestierte Korvin. „Na toll, wieder eine Nacht hungern." Er verdrehte seine grauen Augen.

„Hier, für dich!" Ich warf ihm nacheinander drei weitere Äpfel zu, die ich unterwegs gepflückt hatte und er fing sie der Reihe nach geschickt auf. „Und noch etwas Pastete und ein paar Beeren. Die Beeren sind leider matschig", entschuldigte ich mich und wickelte sie aus einem Tuch. „Schon in Ordnung. Danke", erwiderte der dunkelhaarige Junge ohne die üblichen Proteste und machte sich gierig über das mitgebrachte Essen her.

„Wir haben nicht viel Zeit. Parrik und Celien kommen gleich zurück. Ich bin nur schnell vorausgeritten", warnte ich ihn.

Er nickte. „Und wie war euer Ausritt?", fragte er mit vollem Mund.

„Gut", antwortete ich. „Celien hat körbeweise Blüten geerntet. Wir können eine ganze Hochzeitsgesellschaft darunter verstecken", scherzte ich.

„Das wäre doch die Idee! Statt hier im Stroh zu sitzen, könntest du mich einfach unter einem Blütenmeer verschwinden lassen. Würde jedenfalls besser riechen." Er rümpfte die Nase.

„Jetzt hab dich nicht so, es gibt schließlich schlechtere Verstecke." Ich war immer noch ziemlich stolz auf meinen Einfall ihn hier unterzubringen. „Du hast ein Dach über dem Kopf. Einen warmen Schlafplatz. Essen bekommst du geliefert", zählte ich die Vorzüge an den Fingern ab.

„Und ein ganz hübsches Zimmermädchen noch dazu." Er grinste mich schelmisch an. „Nur die Auswahl an Speisen, die sie serviert und die Ablenkungsmöglichkeiten in dieser Absteige lassen zu wünschen übrig."

„Hast du einen besseren Vorschlag, außer dich in Waldhafen herumzutreiben und dich festnehmen zu lassen? Ich habe gehört, das Essen und die Freizeitbeschäftigungen in den Verliesen sollen noch schlechter sein als hier." Ich deutete auf das Strohlager um uns herum.

Er seufzte. „Nein, nicht wirklich. Aber wenn ich noch länger hier versauern muss, drehe ich durch. Ich habe schon alle dreihundertzwölfzehn Holzbretter an der Wand persönlich begrüßt."

„Dreihundertzwölfzehn?" Ich war mir nicht sicher, ob diese Zahl überhaupt existierte. „Du übertreibst!"

„Tu ich nicht!" Er mimte den Beleidigten und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du kannst ja nachzählen!" Ich musste lachen. So gut konnte ich nun auch wieder nicht zählen, also ließ ich es sein. Was sollte dabei auch schon herumkommen?

Ehe ich mich versah, hatten wir uns verquatsch. Korvins Gesellschaft war angenehm und er war ausgesprochen witzig. Ich mochte ihn mit jedem Besuch mehr und außerdem wollte ich so lange es ging bei ihm bleiben. Ich wusste, wie sehr er sich in seinem Versteck langweilte und wie schwer es ihm fiel auszuharren. Ich mochte mir nicht ausmalen, wie es war in der Nacht hier festzusitzen, wenn es völlig finster um einen war und man keine Kerze anzünden konnte und man nur sich und die Geräusche der Nacht um sich hatte. „Macht mir nichts aus", hatte er gelassen erwidert, als ich ihn danach gefragt hatte. „Die Nächte im Wald zu verbringen, ist auch nicht anders." Korvin war mutig, aber stillsitzen konnte er einfach nicht.

„Ich muss los", sagte ich zum wiederholten Male und erhob mich. „Celien und Parrik müssten längst hier sein. Wo stecken die beiden bloß? Meinst du es ist etwas passiert?", fragte ich leicht besorgt.

„Ich kann mir schon denken, was los ist", grinste Korvin. Ich schaute ihn verständnislos an. Was meinte er? „Da hat dieser Kerl das hübsche Mädel endlich mal für sich und ist alleine mit ihr. Ich wüsste, was ich an seiner Stelle mit ihr machen würde!"

Einen kurzen Moment war ich sprachlos und dann entgegnete ich: „Also erstens, dieser Kerl", ich wiederholte seine Wortwahl, „ist mein Bruder und zweitens ist Parrik viel zu schüchtern um so etwas zu machen. Und Celien erst recht." Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die beiden etwas anderes tun würden als miteinander zu reden. „Und drittens", mir war noch etwas Wichtiges eingefallen, „woher willst du eigentlich wissen, dass sie hübsch ist?" Celien war hübsch, da hatte er nicht Unrecht, aber wann bitteschön hatte er sie gesehen?

„Es könnte sein, dass ich euch gesehen habe, als ihr die Pferde geholt habt." Er zeigte auf einen schmalen Spalt zwischen zwei Brettern an der Wand, der kaum auffiel, wenn man nicht wusste, dass man nach ihm suchte. Gerade groß genug um hindurchzusehen. „Braune Haare, hübsche Figur, ein bisschen wie du nur in älter." Jetzt neckte er mich schon wieder. „Und die Schüchternen sind sowieso meistens die Besseren. Weniger Konkurrenz mit der man sich herumschlagen muss." Er zeigte sein verschmitztes Grinsen.

„Bist du sicher, dass du nicht vielleicht meinen Bruder gesehen hast?", gab ich zurück. „Würde zumindest eine gewisse Ähnlichkeit erklären und älter als ich ist er auch."

„Wieso?", feixte er. „Bist du etwa auch schüchtern? Wusste ich es doch!", versuchte er mich zu ärgern. Na warte, Junge, das ließ ich nicht auf mir sitzen.

„Ich und schüchtern!?" Jetzt war ich in Fahrt. „Lass mich mal aufzählen. Ich bin bloß ohne Fackel durch den unterirdischen Gang gekrochen, alleine durch den Wald spaziert, und kam ich dir etwa schüchtern vor, als wir uns zum ersten Mal im Wald begegnet sind?", zählte ich meine Argumente an den Fingern auf.

„Schon gut, du verwegenes Mädel, du bist das genaue Gegenteil von schüchtern", entgegnete er beschwichtigend. Aber mir war noch ein sehr überzeugendes Argument eingefallen, auf das er mich eigentlich erst gebracht hatte.

Ich trat einen Schritt auf ihn zu und schaute ihm ernst in seine ungewöhnlichen, ziemlich hübschen grauen Augen. „Und überhaupt", sprach ich und kam seinem Gesicht dabei sehr nahe, „tut jemand, der schüchtern ist, so etwas?" Ich presste meine Lippen für einen kurzen Moment auf seinen Mund. Lachend über seinen verdutzten Blick zog ich mich zurück, drehte mich um und ließ ihn einfach stehen. Es war so oder so schon höchste Zeit zu gehen.

Gerade noch rechtzeitig bog ich um die nächste Ecke, denn Celien und mein Bruder tauchten gerade in der entgegengesetzten Richtung auf und hätten mich um ein Haar gesehen, wenn ich auch nur eine Sekunde später dran gewesen wäre.

Noch immer lachend über meine Verwegenheit, mir war einfach danach gewesen ihn zu küssen, und ich war verdammt noch mal nicht schüchtern, lief ich nach Hause.

Ich glaubte, Korvin verstand es nun auch. Überzeugender konnten meine Argumente ja schließlich nicht sein. Sein Pech, wenn er lieber auf schüchterne Mädchen stand.

Ich freute mich schon auf den nächsten Besuch bei ihm.

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