19) Konkurrenz
+++Rasten+++
Es hatte sich noch nichts getan. Vielleicht hatte Quenny den Dieb doch zu sehr verschreckt und die ganze Mission war völlig nutzlos. Reine Zeitverschwendung. Aber so sah ich es nicht. Immerhin gab mir die Bewachung die Möglichkeit, mich mit Mara zu unterhalten.
Während ihr Vater vorne im Laden war, leistete sie mir im Hinterzimmer Gesellschaft.
Ich erzählte ihr von meiner Arbeit und sie hörte aufmerksam zu. Hin und wieder schenkte sie mir etwas von ihrem selbstgemachten Johannisbeersaft aus der Glaskaraffe nach, die auf einem niedrigen Tischchen vor ihr stand.
„Und was war das Gefährlichste, das du jemals erlebt hast?", fragte sie mich neugierig.
Mara war völlig versessen auf Geschichten über Abenteuer und Gefahren, wie ich schnell herausgefunden hatte.
„Einmal musste ich einen Taschendieb verfolgen." Sie starrte gebannt auf meine Lippen und ich fuhr fort. „Ich jagte ihm durch das ganze Hafenviertel nach, aber er konnte mich nicht abschütteln. Schließlich flüchtete er auf eines der Schiffe im Hafen."
„Und dann?" Ihre wundervollen, großen, blauen Augen waren ganz und gar auf mich gerichtet.
„Dann saß er uns in der Falle und wir konnten ihn festnehmen und abführen." Viele solche Geschichten hatte ich nicht auf Lager und auch bei dieser hatte ich ein wenig übertrieben. Ein klitzekleines Bisschen. In Waldhafen passierte nicht viel Aufregendes, obwohl die Schiffe den einen oder anderen Taschendieb und Tunichtgut an Land brachten - oder zur Flucht verhalfen, bevor wir ihm habhaft werden konnten.
Aber trotzdem war die Arbeit der Stadtwache von großer Bedeutung. Wenn es uns nicht geben würde, würde Waldhafen innerhalb kürzester Zeit Dieben und Verbrechern Tür und Tor öffnen.
Die meiste Zeit verbrachten wir allerdings damit, die verschiedenen Tore zur Stadt oder den einzelnen Vierteln zu kontrollieren, Zölle einzutreiben und durch die Stadt zu patrouillieren, um nach dem Rechten zu sehen. Ich für meinen Teil verbrachte auch viel Zeit hinter dem Schreibpult, seit der Kommandeur erfahren hatte, dass ich des Schreibens und Lesens mächtig war. Jemand musste Wachpläne erstellen, Posten zuteilen, Berichte schreiben oder Beschwerden und Anzeigen aufnehmen. Alles Aufgaben, die mir zugefallen waren. Aber dank meiner Lese- und Schreibkompetenz war ich schnell zum Hauptmann aufgestiegen und man hatte mir eine eigene Schreibstube mit Bett zugeteilt. Definitiv ein Vorteil und ein Fortschritt auf meiner Karriereleiter.
Darüber zu berichten war allerdings eher langweilig und langweilen wollte ich Mara auf keinen Fall.
Fieberhaft überlegte ich, wovon ich ihr noch erzählen konnte. Meine Schwester schien sie zu interessieren, aber über Celien hatten wir bereits ausgiebig gesprochen und ich wollte nicht schon wieder über meine kleine Schwester und ihre Arbeit reden. Aber Mara nahm mir die Entscheidung über das nächste Gesprächsthema schließlich ab.
„Wer ist eigentlich der Junge, der deine Schwester begleitet hat? Dieser Parrik?", fragte sie mich unvermittelt.
„Wir sind Nachbarn. Er ist ein Freund", entgegnete ich knapp. Vielleicht war Celien doch kein so schlechtes Gesprächsthema gewesen. Über Parrik wollte ich noch weniger gern sprechen.
„Was ist mit seinem Gesicht passiert?" Maras Neugier war nicht zu stillen. Ich unterdrückte ein Seufzen, bevor ich ihr antwortete. „Ein Feuer. Seine Eltern sind dabei gestorben."
„Oh, wie schlimm für ihn!" Ich war mir sicher, dass wir das Thema so schnell nicht wechseln würden. Parriks Geschichte war ganz nach ihrem Geschmack. „Und sein Bein? Hat er schon immer gehinkt?"
„Nein, bei dem Brand hat er sich schwer verletzt und seitdem kann er nicht mehr richtig laufen."
„Das ist wirklich schade. Er wäre so ein hübscher Junge." Die übliche Reaktion, die Parrik bei Fremden weckte, vor allem bei denen des weiblichen Geschlechts. „Wäre?", fragte ich und schaute sie eindringlich an. Wie gewöhnlich verteidigte ich meinen besten Freund in solchen Situationen oder stand ihm zur Seite. Es war schwer genug für ihn, so wie es war.
„Naja, er würde so gut aussehen, wenn er nicht diese grässlichen, roten Narben hätte. Aber da kann er wohl nichts dazu und nichts daran ändern. Mutig von ihm, es so offen zu zeigen. Er könnte ja immerhin versuchen, sie zu verstecken." Ich verstand nicht genau, wovon sie sprach.
„Er versucht, seine Narben zu verstecken. Normalerweise." Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er irgendetwas mit seinen Haaren gemacht. Es sah anders aus als sonst, aber ich hatte nicht weiter darauf geachtet. „Aber lass ihn das nicht hören", ergänzte ich.
„Oh, dann ist es ja gut, dass ich nichts gesagt habe." Ich schaute sie verständnislos an. Sie hatte ihn doch erst einmal kurz gesehen.
„Wie gesagt? Wann?", stammelte ich verwirrt.
„Er war gestern Nachmittag noch einmal hier und hat ein paar Gewürze gekauft", erklärte sie mir.
„Alleine?" Ich war verwundert. Warum sollte Parrik Gewürze einkaufen?
„Er war so schüchtern und ich musste ihm drei Mal die Ware zeigen, bevor er sich für etwas entschied. Er spricht nicht viel, oder?" Mara hingegen sprach genug für zwei Personen.
„Er ist eher ruhig. Das hast du ja gemerkt." Ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte. Parrik war eben Parrik - ein stiller, aber lieber Kerl. Vermutlich hatte ihn Ally ausgeschickt, Besorgungen zu erledigen.
„Aber er ist nett." Mara schaute verträumt. Das war ihr also nicht entgangen. „Und sein Körperbau ist auch nicht schlecht. Wirklich schade, dass er solch ein Schicksal erleiden musste." Sie seufzte.
So schlecht war meine Figur auch nicht. Ich richtete mich auf und machte mich groß. Sie würde bestimmt merken, dass ich Parrik um einige Zentimeter überragte. Zugegeben, mit Parriks Oberarmen und Schultern konnte ich nicht mithalten, durch das ständige Schmieden war er kräftig geworden und nicht mehr der schmächtige, schlaksige Junge, den ich vor drei Jahren kennengelernt hatte.
Mara schaute mich an und lachte. Ihr Gesicht glich dabei dem eines Engels. Sie war so wunderschön mit ihren blauen Augen und den langen blonden Haaren, die sie heute zu einer komplizierten Frisur geflochten hatte.
„Worüber lachst du?", fragte ich sie.
„Über dich!" Sie kicherte jetzt. „Du hast gerade ausgesehen wie eine dieser Statuen, die am Marktplatz stehen." Sie richtete sich nun ebenfalls auf und zugegeben, es sah wirklich lächerlich aus, wie sie so aufgeplustert dasaß. Sicher hatte ich nicht so dämlich dabei ausgesehen? Ich konnte ein Lachen nun auch nicht mehr unterdrücken.
„Siehst du", kiekste sie hervor. Zeit sich wieder zusammenzureißen.
„Worüber habt ihr denn gesprochen?" Meine Neugier war geweckt.
„Über nicht viel. Er hat kaum ein Wort herausgebracht." Ihre Antwort erleichterte mich. „Er ist ständig rot geworden. Irgendwie süß." Auch wenn mir der letzte Teil davon nicht gefiel.
Zum Glück fiel es mir nicht schwer, ein Gespräch mit Mara in Gang zu halten. Es war einfach, sich mit ihr zu unterhalten. Sie konnte sogar ausgesprochen witzig sein, wenn sie wollte, oder kokett. Jedenfalls war ich rettungslos ihn sie verliebt und ich wusste es.
Aber mit Parrik würde ich ein Wörtchen reden müssen. Was dachte er sich dabei, Mara zu besuchen? Hatte ich nicht klar gemacht, dass sie mein Mädchen war? Ich hatte sie zuerst getroffen und mich verliebt. Er sollte sie in Ruhe lassen, sie nicht weiter durcheinander bringen und sich gefälligst eine andere suchen.
„Wenn du meinst, -" meine Laune war schlagartig um Meilen gesunken, „- dass rot werden süß ist, findest du rote Brandnarben bestimmt auch schön." Ich wusste, dass ich gemein war, aber es war mir egal, mit einem Mal verspürte ich eine unerklärliche Wut auf ihn. Er hatte noch nie Interesse an einem Mädchen gezeigt, warum tat er dies jetzt ausgerechnet bei meiner Mara?
„Nicht wirklich, aber er kann ja nichts dafür." Sie schien meine schlechte Laune nicht bemerkt zu haben.
„Stimmt." Ich bereute meine voreiligen Worte bereits wieder. Schließlich litt Parrik genug darunter, wie ich nur allzu gut wusste. Ich wechselte das Thema. „Wirst du mir morgen wieder Gesellschaft leisten?", wollte ich wissen. Es war spät und meine Wache vorüber. Zeit sich zu verabschieden und ein Wiedersehen zu arrangieren, wenn möglich.
„Wenn du willst." Sie lächelte mir verführerisch zu. Und wie ich wollte.
„Dann bis morgen, schönes Fräulein." Ich verabschiedete mich mit einer galanten Verbeugung und einem Lachen auf den Lippen. Was dachte sich Parrik eigentlich? Er mochte lieb und nett sein, aber ich war gewieft und gerissen. Sie würde sich schon für den Richtigen entscheiden. Er war der verunstaltete Ziehsohn eines Schmieds, ich war Hauptmann der Stadtwache. Aber er war auch mein bester Freund - und er tat mir leid. Er konnte schließlich nichts dafür.
Arnoldo stand hinter der Theke und füllte Gewürze in eine Schale. Als er mich sah, runzelte er die Stirn und ich fragte mich, wie viel von unserem Gespräch er gehört hatte. So wie ich ihn inzwischen kannte, wahrscheinlich alles. Ich verabschiedete mich hastig und trat hinaus auf die Straße.
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