15) Eine nicht ganz uneigennützige Bitte
+++Rasten+++
Dank Quennys Beobachtung waren wir ein großes Stück weitergekommen. Wie gut, dass sie sich Celien anvertraut hatte.
Leider waren die Kundschafter von ihrem Ausritt in den Wald zurückgekommen, ohne den Hauch einer Spur gefunden zu haben. Der Dieb war längst über alle Berge. Ich hatte nichts anderes erwartet.
Zwei Wachposten waren unauffällig auf der Mauer platziert worden, so dass sie von der einen Seite draußen die Umgebung im Auge behalten konnten und von der anderen Seite einen guten Blick auf den Garten und Hühnerstall hatten. Ihnen war streng befohlen worden, sich nicht zu zeigen, sondern versteckt zu halten. Sollten sie etwas Verdächtiges sehen, würden sie mit einem Horn drei kurze Warnlaute ausgeben. Wenn der Dieb jetzt noch einmal zurückkäme, würden wir ihn schnappen.
Wir hatten einen Ruf zu wahren und eine wichtige Einnahmequelle zu verlieren, wenn uns die reichen Bürger nichts mehr für den Erhalt ihrer Sicherheit zahlten, weil sie sich und ihren Besitz nicht mehr ausreichend geschützt fühlten. Schließlich war es der Stadtwache zu verdanken, dass es in Waldhafen sicher und die Verbrechensrate so gering war - wenigstens im oberen Viertel.
Der Stadtwache beizutreten, war die beste Entscheidung meines bisherigen Lebens gewesen. Ein Leben als Jäger und Sammler, der von den kargen Erträgen kaum über die Runden kam und von den Einnahmen seiner Frau, in meinem Fall meiner Schwester, abhängig war, kam für mich nicht in Frage. Die Fehler meines Vaters wollte ich nicht wiederholen.
Mit festen Schritten betrat ich den Laden von Arnoldo, dem Gewürzhändler. Die Türglocke bimmelte und kündigte meinen Besuch an. Kurz darauf trat der dicke Besitzer hinter einem Vorhang, der den Zugang in einen der hinteren Räume verdeckte, hervor. Schweiß stand ihm auf der Stirn und er zog ein samtrotes Taschentuch hervor und tupfte sich die Stirn, ehe er mich begrüßte.
„Sieh an, der Wachmann gibt uns die Ehre. Was führt sie zu mir? Restan, richtig?" Seine Stimme klang so arrogant, wie sein Erscheinungsbild es glauben ließ. Eine Kette hing um seinen Hals und vermochte nicht von seinem Doppelkinn abzulenken, auch der Stoff seines Gewandes glänzte in höchster Qualität, spannte sich aber bedenklich in seiner Körpermitte.
„Hauptmann Rasten", verbesserte ich ihn, „ich komme mit einer Bitte."
„Wie kann ich behilflich sein?" Er klang jetzt wie der geschickte Verkäufer, der er zweifelsohne war.
„Wäre es möglich, dort hinten", ich zeigte in den Raum hinter dem Vorhang, aus dem er gekommen war, „für die nächsten paar Tage einen Wachposten zu stationieren?"
Er sah mich stirnrunzelnd an und ich sah die Fragezeichen in seinen Augen. Mit der Bitte alleine würde er sich nicht zufrieden geben. Er brauchte eine Erklärung, obwohl ich eigentlich nicht gewillt war, sie ihm zu geben.
„Wir möchten die Seitenstraße unbemerkt bewachen. Wir haben Grund zu der Annahme, dass der Dieb sich erneut ins obere Viertel schleichen wird und das Fenster eurer Hinterstube ermöglicht uns den perfekten Ausblick." Zugegeben, es war eine abgespeckte Version der Wahrheit, aber ich hoffte, sie würde ihm reichen.
„Wenn ihr meint, dass es von Nutzen sein wird. Schließlich möchte ich ja, dass der Dieb gefangen wird." Ich atmete erleichtert aus. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte.
„Es könnte durchaus von großem Nutzen sein. Dürfte ich mich dort einmal umschauen? ", fragte ich ihn höflich. „Selbstverständlich, Hauptmann." Meinen Namen hatte er mit Sicherheit schon wieder vergessen, aber meinen Titel hatte er sich gemerkt. Es war immer das Gleiche mit diesem reichen Pack. Titel zählten mehr als die Person dahinter.
Ich folgte Arnoldo durch den Vorhang. Der Raum, in dem ich nun stand, war hell und freundlich eingerichtet. In der Mitte stand ein niedriger Tisch, an der Wand lehnten und stapelten sich Kisten und Säcke. Ein weiterer Vorratsraum, wie mir schien und für Arnoldo ein Rückzugsort um sich auszuruhen, wenn keine Kundschaft im Laden war. Wie praktisch für ihn. Um sich hinzusetzen, musste er keine Treppen steigen und wenn er den Vorhang zurückzog, konnte er mit einem Blick in den Laden sehen. Die mir vertraute Truhe stand an der gegenüberliegenden Wand. Clever von Arnoldo. Hier hinten, war sie sicher verwahrt und es würde dem nächsten Dieb schwerer fallen, unbemerkt Beute zu machen. Aus Schaden wurde man eben doch klug.
Um den kleinen Tisch waren Hocker und niedrige Sessel gruppiert und ich merkte erst nach einigen Augenblicken, dass jemand in einem davon saß. Mein Mund wurde trocken, als ich die Tochter des Händlers erkannte und für einen Moment verschlug es mir die Sprache.
Sie stand auf und ihre langen, blonden Haare fielen dabei über ihre Schultern. Ich zwang mich, sie nicht anzustarren. „Einen guten Tag, die Dame", krächzte ich mit Mühe und Not. Was würde sie bloß von mir denken? Sie schenkte mir ein Lächeln und ich sah ihre weißen, geraden Zähne hervorblitzen. „Darf ich Euch etwas zu trinken anbieten?"
„Gerne. Eine Erfrischung wäre gerade recht." Meine Kehle war trocken und mir blieb beinahe die Stimme weg. Ich merkte, dass ich sie wieder anstarrte, aber Arnoldos Tochter war das schönste Mädchen, das mir je begegnet war und ich konnte einfach nicht anders.
Sie schwebte zu einem niedrigen Schränkchen, auf dem eine Glaskaraffe und ein paar Kristallgläser standen und schenkte etwas ein. Ich besann mich endlich wieder, warum ich eigentlich hier her gekommen war und trat ans Fenster.
Wie ich es mir von außen bereits gedacht hatte, bot das Fenster die beste Aussicht auf den kleinen Gemüsegarten und den Busch, unter dem sich der Zugang zu dem geheimen Tunnel verbarg.
Sie reichte erst ihrem Vater und dann mir eines der Gläser. „Danke, Mara", sagte er zu seiner Tochter und drehte sich in meine Richtung. „Auf den Erfolg", er prostete mir zu und wir tranken.
Mara. Was für ein passender Name für dieses schöne Wesen. Er klang wie Musik in meinen Ohren. „Vielen Dank, Mara." Ich kostete den Klang ihres Namens aus meinen Mund nun selbst aus. Sie lächelte mir erneut zu und begab sich wieder auf ihren Platz im Sessel.
„Perfekt", bemerkte ich und zeigte aus dem Fenster. „Wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich gleich schon die erste Wachschicht übernehmen." Das war zwar nicht geplant, ich sollte lediglich seine Erlaubnis einholen, aber es würde nicht schaden, ein oder zwei Stunden hier zu verbringen. Ich würde alles dafür tun, um weiterhin in Maras Nähe sein zu können. Insgeheim beglückwünschte ich mich selbst zu meiner Schlauheit.
„Aber gar kein Problem", entgegnete Arnoldo mit seiner sonoren Stimme und ließ sich neben seiner Tochter nieder. Keine Chance, dass er mich mit ihr alleine lassen würde. Ich wünschte mir sehnlichst, dass die Ladenglocke ertönte und Kundschaft ankündigte, die seine Präsenz im Verkaufsraum verlangen würde.
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