12) Ein aufregender Auftrag


~~~ Quenny ~~~

Was hatte mein Idiot von Bruder nur mit seinem Hemd gemacht? Es war überall verschmiert und als ich es ins Wasser tauchte, färbte sich dieses hellrot. Er war nicht verletzt gewesen, als er heute Morgen in die Schmiede hinunter gegangen war. Zumindest hatte er weder etwas gesagt noch hatte es den Anschein gemacht. Aber wessen Blut hatte er dann auf seiner Kleidung? War er in eine Prügelei verwickelt worden? Ich wusste, dass er gestern Abend fort gewesen und erst spät zurückgekommen war.

Für einen Moment überlegte ich, das Kleidungsstück einfach wegzuwerfen, aber dann dachte ich an Ally. Es war eines von Parriks guten Hemden und sie würde mit Sicherheit mit mir schimpfen, wenn ich dies tat. Sie stand neben mir an dem flachen Wasserlauf etwas außerhalb der Stadtmauern von Waldhafen. Dorthin gingen wir immer, wenn wir Wäsche zu waschen hatten.

Sie schrubbte an den rußverschmierten Schürzen von Ollf und dachte nicht im Entferntesten daran, auch nur den zerlumptesten Fetzen wegzuschmeißen.

Ich seufzte leise und begann noch verbissener, die Flecken aus Parriks Hemd zu reiben. Mit unseren eigenen Sachen waren wir dagegen schnell fertig gewesen.

Wie immer hatte Ally die Pferde mitgenommen und ihnen die Schmutzwäsche aufgeladen. Im Augenblick grasten die beiden Braunen und die Stute friedlich. Die Pferde waren die einzigen, die die wöchentlichen Ausflüge zum Wäschewaschen genossen.

Als ich endlich zufrieden mit dem Ergebnis meines Schrubbens war, wrang ich Parriks Hemd aus und stopfte es in den Beutel zu den anderen frisch gewaschenen Sachen.

Kurze Zeit später beluden wir die Pferde und führten sie zurück hinunter in die Stadt.

Ally ließ die Pferde auf eine schmale Koppel hinter den Ställen und trug die feuchte Wäsche zum Aufhängen zur Wäscheleine im Hinterhof. Ich folgte ihr und wollte gerade nach einem meiner Kleider greifen, als sie sagte: „Könntest du mir einen Gefallen tun und schnell ins obere Viertel hochlaufen? Die Stoffe, die ich bestellt habe, sind eingetroffen."

Bei unserem letzten Einkauf hatte sie beim Tuchhändler ein paar neue Stoffe ausgesucht. Ich war gewachsen und meine alten Sachen zu kurz geworden und sie hatte versprochen, mir ein paar neue Kleider zu nähen. Die Stoffe hatten sich herrlich weich angefühlt, aber Ally war mit keinen der vorrätigen Farben zufrieden gewesen. „Grün steht dir nicht, es macht dich so blass. Und rot wirkt viel zu aufdringlich für ein junges Mädchen." Ich war den Tränen nahe gewesen, weil sie an jedem Stoff, welchen der Händler uns zeigte, etwas auszusetzen hatte und fürchtete weiterhin in meinen zu kurzen, längst abgetragenen Sachen herumlaufen zu müssen. Schließlich hatte sie doch noch ein paar Farbtöne gefunden mit denen sie einverstanden war, aber von diesen war nicht mehr genug auf Lager gewesen und so mussten wir warten bis eine neue Lieferung eintraf.

„Natürlich kann ich die Stoffe holen." Liebend gern sogar würde ich dies tun. Sie kramte in ihrer Schürzentasche und gab mir einen kleinen Beutel mit Münzen.

„Er bekommt acht Silberlinge und wenn du schon unterwegs bist, schau doch bitte beim Metzger vorbei und bringe etwas Schinken für das Abendessen mit."

„Mache ich." Ich steckte den vollen Beutel in meine eigene Tasche.

„Pass auf dich auf. Wenn du fertig bist, kommst du bitte gleich wieder nach Hause." Ally schien besorgt um mich zu sein. In der Regel war ich nicht alleine unterwegs, Ally und Ollf ließen mich selten unbewacht aus dem Haus. Entweder begleitete mich Ally oder Parrik, wenn wir irgendwo hingingen.

Erst neulich hatte ich ein Gespräch zwischen Ally und Ollf belauscht, unbeabsichtigt, in dem sie über mich sprachen und darüber, dass sie mir allmählich mehr alleine zutrauen sollten. Ollf hatte Sorge, dass mich Ally zu sehr verhätschelte und Ally gestand ihm, dass sie keine Ahnung hatte, wie viel Freiräume eine Fünfzehnjährige brauche.

Ich war wirklich alt genug, um alleine ein paar Besorgungen zu machen. Im oberen Viertel wimmelte es nach dem Diebstahl nur so von Stadtwachen und dort lungerte auch kein zwielichtiges Gesindel herum. Ich kannte mich gut aus, von den vielen Besorgungen, die ich dort mit Ally gemacht hatte. Was sollte also schon passieren?

„Wird nicht lange dauern", beruhigte ich Ally und stapfte voller Vorfreude los.

In wenigen Minuten hatte ich die Treppe aus groben Steinstufen erreicht, die sich zum oberen Viertel hinaufzog und vor einem in die niedrige Mauer eingelassenen Durchgangstor endete, vor dem heute vier, statt der sonst üblichen zwei, Stadtwachen postiert waren.

Einer der Wachen trat vor mich und versperrte mir den Weg. „Wer bist du und was willst du?", fragte er in geschäftigem Ton, während mich die anderen Wachen nur abschätzig musterten.

Ich wusste, dass sie seit dem Diebstahl besonders aufmerksam waren, wen sie hinein ließen und auch vorher war es schon üblich gewesen, Besucher zu kontrollieren. Die wohlhabenden Bürger von Waldhafen liebten ihr ruhiges und abgeschiedenes Leben und bezahlten die Stadtwachen großzügig dafür, keine Störenfriede und Unruhestifter einzulassen. Nirgends war man so sicher wie im oberen Viertel, wo die Reichen unter sich waren und wo es nicht von Fremden wimmelte.

„Ich bin Quenny, die Ziehtochter von Ollf, dem Schmied", rasselte ich herunter ohne Luft zu holen. "Ich will eine Stoffbestellung bei Dinko abholen." Die Wache nickte und ließ mich passieren. Ollf war gut bekannt in Waldhafen. Früher war er ein Mitglied im Rat der Stadt gewesen, in der Männer und sogar Frauen aus allen Berufen und Ständen vertreten waren, und deren Aufgabe es war, gemeinsam über die wichtigen Vorgänge im Städtchen zu entscheiden. Waldhafen war weit über die Grenzen des Waldes hinaus bekannt für die fortschrittliche Art, wie es regiert wurde. Ollf hatte mir in meiner ersten Zeit bei ihnen viel und gerne von seiner Tätigkeit im Rat berichtet, aber mit der Arbeit in der Schmiede und der Aufnahme zweier Ziehkinder, hatte er einen Grund gefunden seinen Posten aufzugeben. Trotzdem genoss er auch als Werkzeugschmied noch großes Ansehen und sein Name öffnet uns weiterhin Türen. Parrik und ich konnten uns wirklich glücklich schätzen mit unseren Zieheltern. Wir hätten es auch schlechter erwischen können. Ich mochte Ollf und ich genoss die Aufmerksamkeit, die Ally mir schenkte. Manchmal hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich kaum mehr an meine Eltern oder Geschwister dachte. Waldhafen war ein aufregender Ort, hier gab es viel mehr zu entdecken, als in dem kleinen Bauerndorf, auf dem ich aufgewachsen war. Und endlich bot sich mir eine Gelegenheit, mich einmal ohne Allys Begleitung umzusehen. Mein Blick fiel auf die reich verzierten Fassaden der großen Händlerhäuser, die sich hier aneinanderreihten.

Anders als sonst herrschte im Viertel geschäftiges Treiben. Ich vermutete, dass sich viele hier herumtrieben, die hofften den Diebstahl aufzuklären. Arnoldo hatte eine Belohnung von zehn Goldmünzen ausgelobt für Hinweise, die zur Ergreifung des Diebes führten. Das war unvorstellbar viel Geld für einen einfachen Handwerker oder Tagelöhner. Zwischen den Schaulustigen und den Menschen, die Besorgungen zu erledigen hatten, sah ich auch einige Patrouillen der Stadtwache. Sie liefen zu zweit durch die Straßen und Plätze und hielten ihre Augen offen. Man erkannte sie schon von weitem an ihren dunkelblauen Uniformen mit dem golden in der Sonne schimmernden Wappen von Waldhafen. Ollf hatte beim Frühstück erzählt, dass sie immer noch genauso ratlos waren, was den Diebstahl betraf, wie am Anfang.

Mit Sicherheit würde die Sache nie aufgeklärt werden und allmählich in Vergessenheit geraten. „Wenn der Dieb schlau ist und davon gehe ich aus, dann macht er sich mit einem Schiff über alle Berge oder hat es schon längst getan", hatte er erklärt. Er ging nicht davon aus, dass der Dieb erneut zuschlagen würde und folglich hatte Ally auch keine Bedenken gehabt, mich an diesem Tag zum allerersten Mal alleine loszuschicken.

Obwohl überall Wachen unterwegs waren und es von Leuten wimmelte, fühlte ich mich seltsam. Irgendwie beschlich mich das Gefühl, dass ich beobachtet wurde. Vielleicht hatten mich die Wachen im Blick. Wahrscheinlich behielten sie dieser Tage jeden Fremden im oberen Viertel gut im Auge.

Mit schnellen Schritten ging ich auf das Geschäft des Tuchhändlers zu. Es lag, nur durch eine Seitengasse getrennt, gleich neben dem Laden des bestohlenen Gewürzhändlers Arnoldo. Ich trat ein und brauchte einen Augenblick um mich an die Dunkelheit im Inneren zu gewöhnen. Schwere Vorhänge hingen vor den Fenstern und ließen nur wenig Licht hinein.

„So kann ich den Kunden meine Stoffe noch besser präsentieren", begrüßte mich Dinko, der Stoffhändler, als er meinen auf die schweren Stoffbahnen gerichteten Blick auffing.

„Eine gute Idee", erwiderte ich und gleichzeitig verhinderst du, dass Diebe oder sonstige Tunichtgute von draußen in deinen Laden sehen können, dachte ich mir. Bei unserem letzten Besuch hatten die Stoffbahnen noch nicht vor den Fenstern gehangen.

„Ally schickt mich, ich soll die bestellten Stoffe abholen."

Er nickte, ging nach hinten und kam mit einigen Rollen Stoff in den Armen zurück. „Hier haben wir sie. Wunderschöne Stoffe. Sie sind für dich, nicht wahr? Die Farben werden dir wunderbar stehen." Er musterte mich und ich nickte nur stumm. So hatte er mich nicht angesehen, als ich mit Ally hier war. Er streckte seine freie Hand nach mir aus und ich wich einen Schritt zurück. „Acht Silberlinge für alles", verlangte er ohne den Blick abzuwenden. Ich zählte ihm die Münzen ab und ließ sie auf die Theke fallen. Erst mit dem Klirren der Münzen schaffte er es sich von mir loszureißen. Mit flinken Fingern sammelte er sie ein und ließ sie in seine Tasche wandern.

Ohne abzuwarten, bis er damit fertig war, klemmte ich mir die Stoffe unter die Arme und nuschelte meinen Abschied.

Als ich wieder auf der Straße stand, musste ich einige Male blinzeln. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis ich mich wieder an das Sonnenlicht gewöhnt hatte. Ich schaute auf das verhängte Fenster. Von innen konnte man, wenn der Blick frei war, direkt zu der Gewürzhandlung hinüber schauen und in dieses schmale Gässchen zwischen den beiden Gebäuden, das an der Stadtmauer endete, hatte Dinko den Dieb laufen sehen. Ich folgte der Gasse mit meinem Blick. Seltsam, es war eine Sackgasse. Dort hinten gab es nur ein paar Gemüsegärten und Hühnerställe, die, abgelegen von den Augen der Kund- und Nachbarschaft, von den Bediensteten der reichen Händler bewirtschaftet wurden. Die Mauer, die sie von der hinteren Seite eingrenzte, war zu hoch, um darüber zu klettern und die Steine zu glatt. Ein Wehrgang führte auf der Mauer entlang, der aber seit Jahren nicht mehr bemannt wurde, weil die Stadtwachen kein Personal und keinen Grund dazu hatten. Die Zeiten der Belagerung waren vorüber. Und zwischen den angrenzenden Häusern gab es hier auch keinen Aufgang, wie ich von Ollf erfahren hatte. Wenn jemand in diese Gasse flüchtete, blieb ihm nur, sich in einem der Hühnerställe zu verstecken und dort hatte man alles gründlich abgesucht, aber keine Spur gefunden. Es war äußerst rätselhaft, wie der Dieb unbemerkt hatte entkommen können.

Aus den Augenwinkeln nahm ich plötzlich eine Bewegung am Ende der Gasse wahr. Als ich genauer hinschaute, war allerdings niemand zu sehen. Aber war da nicht eine Gestalt gewesen, die sich schnell weggeduckt hatte?

Ich schaute angestrengt, aber nichts regte sich, die Gasse lag friedlich und verlassen vor mir. Ohne dass ich es geplant hatte, setzte ich einen Fuß vor den nächsten und bevor ich darüber nachdenken konnte, was ich tat, stand ich vor einem kleinen Gemüsegarten. Jetzt wo ich schon einmal hier war, beschloss ich mich genauer umzusehen. Der Garten war von einem prächtigen Holzzaun umfasst, der mich überragte und eine Tür, die schief in den Angeln hing, führte hinein. Von der einen Seite grenzte der Garten an das Wohnhaus des Gewürzhändlers und von der anderen direkt an die Mauer. Das entfernte Ende befriedete ein weiterer Zaun, der zu einem dahinterliegenden Hühnergarten gehörte. Darüber zu klettern erschien mir unmöglich und sinnlos, denn der Hühnergarten war nach obenhin ebenfalls eingezäunt zum Schutz vor Raubvögel. Ein Dieb, der sich hierher flüchtete, saß in der Falle. Wohin sollte man entkommen, dachte ich und blickte mich um. Dort im hinteren Ende des Gemüsegartens stand ein Junge und schaute mich direkt an. Ich zuckte erschrocken zusammen. Wo war er hergekommen? Ich wollte schreien, aber kein Laut kam aus meinem Mund. Ich stand da wie versteinert. Er gestikulierte mir zu und ich verstand, dass er mich bat, nicht zu schreien. Irgendwas hatte er an sich, das mich dazu brachte, stumm stehen zu bleiben. Still und erstarrt. Irgendetwas lag in seinem Blick. Eigentlich sollte ich um Hilfe schreien, aber ich stand einfach nur da und starrte ihn an. Ich musste verrückt geworden sein.

Er bückte sich und verschwand in einem Busch. Ja, er verschwand regelrecht darin und ich schaute zu, wie er sich in Luft auflöste. Jetzt war ich wirklich verrückt geworden. Ich befreite mich allmählich aus meiner Starre und lief eilig zurück zur Straße, ohne mich noch einmal umzudrehen. Ich hoffte, dass mich niemand gesehen hatte. Auf der Mauer standen zumindest immer noch keine Wachen und niemand hatte mich gesehen, hoffte ich jedenfalls. Bevor ich auf die Straße trat, blieb ich stehen und tat so, als ob ich mir die Stoffrollen neu auflud, die ich immer noch unter den Arm geklemmt hielt. Falls mich jetzt jemand sah, würde er annehmen, dass ich nur kurz zur Seite getreten war, um die Rollen neu aufzunehmen, damit ich sie besser tragen konnte. Ich trat auf die Straße und mischte mich unter die Menschen, die vorüberhasteten. Ich blickte mich möglichst unverdächtig um und es schien, als hätte mich niemand wahrgenommen. Ich konnte immer noch nicht verstehen, was ich da gerade gesehen hatte. Hatte ich mir das Ganze nur eingebildet? Ich musste es den Wachen erzählen. Aber was, wenn sie mir nicht glaubten und mich für verrückt hielten? Was, wenn da gar nichts war? Wie sollte ich beweisen, was ich gesehen hatte? Was hatte ich überhaupt gesehen? Ich war mir nicht sicher, es war alles so schnell gegangen.

Sie würden mich nicht ernst nehmen und über mich lachen. Sie würden doch nur denken, ich wollte mich wichtigmachen. Ich war durcheinander und so traute ich mich nicht, den Wachen gegenüber zu treten und etwas zu sagen, als ich das Tor zum oberen Viertel wieder verließ.

Erst als ich schon fast zuhause war, fiel mir ein, dass mir Ally noch etwas Anderes aufgetragen hatte. Falls ich ohne den Schinken zurückkäme, würde sie mich vermutlich kein weiteres Mal alleine losschicken und so kehrte ich um und erwarb pflichtbewusst bei der Metzgerei in der nächsten Quergasse ein Stück Schinken.

Mein schlechtes Gewissen plagte mich auf dem Rückweg noch immer. Ich musste jemandem sagen, was ich gesehen hatte. Aber ich war schon fast wieder zuhause angelangt. Wie sollte ich jetzt noch erklären, warum ich so lange gewartet hatte und warum ich nicht gleich zu einer der Wachpatrouillen gegangen war?

Mein Blick fiel auf Celiens Apotheke. Sie war immer nett zu mir. Und war ihr Bruder nicht bei der Stadtwache? Rasten und Parrik waren gut befreundet und er grüßte mich immer freundlich. Ihm konnte ich es erzählen.

Eilig brachte ich die Stoffe und den Schinken zu Ally in die Küche und sagte ihr, dass ich noch schnell zu Celien hinüber gehen würde. Ally schaute mich fragend an, sagte jedoch nichts.

„Ich soll ihr bei etwas helfen", log ich, da mir auf die Schnelle nichts Besseres einfiel. Ich traute mich nicht, Ally zu sagen, was ich gesehen hatte. Ab und zu kam es vor, dass ich Celien im Laden half und daher war meine Ausrede gar nicht einmal so abwegig.

Etwas außer Atem betrat ich ein paar Sekunden später ihren Laden. „Ist dein Bruder da?", platzte es aus mir heraus, als sie sich zu mir umdrehte. Ich musste es einfach loswerden.

„Nein, Rasten ist noch auf der Wache. In letzter Zeit kommt er immer erst spät nach Hause." Natürlich war er noch nicht da. Schließlich war es erst früh am Nachmittag. Ich ohrfeigte mich innerlich für meine Dummheit.

„Was ist denn los?", fragte mich Celien mit einem verwunderten Blick aus ihren dunkelbraunen Augen und sofort hatte ich das Gefühl, dass sie durchschaute, dass ich etwas verbarg.

„Ich war gerade im oberen Viertel und ich habe etwas gesehen", sprudelte es aus mir heraus. „Ich habe mich nicht getraut, den Wachen davon zu erzählen, aber ich wollte es Rasten sagen." Der Damm war nun endgültig gebrochen. „Ich habe einen Jungen gesehen und dann war er auf einmal weg." Celien schaute mich mit großen Augen und gerunzelter Stirn an. „Ich bin in diese Sackgasse gelaufen, in der man den Dieb gesehen hat. Er stand in einem der Gemüsegärten. Also der Junge. Und dann war er verschwunden. Einfach so", fügte ich aufgeregt hinzu. Es tat gut, jemanden davon zu erzählen und Celien würde mir bestimmt glauben. Aber irgendwie fürchtete ich, dass mein Gestammel nicht viel Sinn ergab. Ich atmete tief ein und aus, um mich zu beruhigen.

Celien legte mir den Arm auf die Schulter. „Jetzt erzählst du es mir noch einmal und dieses Mal langsam und der Reihe nach", wies sie mich an wie ein kleines Kind.

Ich sammelte mich und berichtete ihr so geordnet, wie ich konnte von meinem Erlebnis.

Sie schaute mich dabei ernst und aufmerksam an. Als ich fertig war, sagte sie: „Das sollten wir Rasten berichten. Wir gehen jetzt gemeinsam zur Wachstube und du erzählst ihm, was du mir gerade erzählt hast."

Mit Celiens Unterstützung fiel es mir tatsächlich leichter, meine Geschichte vor Rasten und einem weiteren Wachmann zu wiederholen. Celien erklärte, warum ich nicht sofort zu ihnen gekommen war und zu meinem Erstaunen schimpften sie nicht mit mir, sondern verstanden meine Gründe sogar. Im Gegenteil, sie lobten mich auch noch dafür, so aufmerksam gewesen zu sein.

Nachdem sie mir noch ein paar weitere Fragen gestellt hatten, die ich so gut ich konnte zu beantworten versuchte, verließ Rasten eilig den Raum.

Aus irgendeinem Grund war ich noch immer angespannt. Würden sie den Jungen finden? Ich hoffte, dass er inzwischen längst über alle Berge war. Irgendwie wollte ich nicht, dass er gefangen wurde. War er wirklich der Dieb? Und wenn ja, warum war er zurückgekommen? Und warum hatte ich ihm geholfen erneut zu entkommen?

Celien merkte, wie aufgewühlt ich war. „Komm. Für uns ist es Zeit heimzugehen. Du hast getan, was du konntest." Sie nahm mich am Arm und führte mich nach draußen. Ohne viel zu reden, machten wir uns auf den Weg nach Hause.

„Was soll ich Ally sagen?", fragte ich sie schließlich.

„Du musst ihr gar nichts sagen, wenn du nicht willst", entgegnete Celien. „Ich habe ihr gesagt, dass du mich begleitest, weil ich deine Hilfe brauche und nicht alleine unterwegs sein will, wenn ich ein paar Arzneien im oberen Viertel ausliefere." Celien war wirklich großartig. Ich bedankte mich bei ihr, bevor ich mich von ihr verabschiedete.

Im Treppenhaus stieg mir schon der köstliche Geruch von Schinken in die Nase. Ally hatte das Abendmahl bereits ohne meine Hilfe zubereitet. Erst jetzt stellte ich fest, wie hungrig ich eigentlich war.



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