Sonntag - 40.1 - Zuversicht
Don't forget - it's fiction!
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Nun sind die Stockholm-Konzerte auch geschafft, und als Sahnehäubchen sind Jimin wieder dabei und Jeongguk wahrscheinlich durch die Talsohle durch. Es geht aufwärts! Es haben auch alle gut geschlafen. Dennoch ist Jimin beim Frühstück ein wenig blass um die Nase. Tae sieht es sofort.
„Jimin? Du siehst ziemlich geschafft aus trotz ausreichend Schlaf. Willst du vielleicht einfach gleich weiter schlafen? Oder mal wieder auf eine Waage steigen?"
Doch der schüttelt den Kopf.
„Ich habe jetzt Lust auf dieses ABBA-Museum. Und bis zum nächsten Konzert kann ich mich wieder sechs Tage lang vollfressen. Heute morgen war ich nur leicht unter gestern. Ich werde nicht nochmal abnehmen oder sogar unter die 50 kg rutschen. Ich bin gespannt, wieviel Kilos ich bis London schaffe! Aber heute Nachmittag sollte ich mir in der Tat nochmal eine große Mütze voll Schlaf oder zumindest Chillen gönnen."
Dann gibt er noch eine Runde Kaffee aus.
„Wie ging es denn gestern beim Fansign? Sind da nochmal ähnliche Probleme aufgetreten?"
Auch Hobi erinnert sich plötzlich, dass da noch ein Gespräch offen geblieben ist.
„Nö, gestern war alles normal. Und ein Mädel hat mir erzählt, dass sie nach meiner Begrüßung vorgestern spontan nach diesem Hilfszentrum gegoogelt und sich dort gemeldet hat. Und das war ja genau das, was ich wollte. Ein schlechtes Gewissen muss ich also nicht haben. - Ich bin so dankbar, dass ich nach dieser Woche Erholungsurlaub jetzt mit so vielen Dingen so viel gelassener umgehen kann und insgesamt nicht mehr so empfindlich bin."
Tae nimmt ihn einmal fest in die Arme.
„Und ich erst!"
Jin mustert derweil neugierig Jeongguk. Der hatte ja versprochen, ihnen zu erzählen, was da so alleine auf der Bühne gestern in der Mittagspause mit ihm und in ihm passiert war. Aber im Laufe des Nachmittags hatten sie dazu keine Ruhe mehr gefunden.
„Guk, magst du von gestern erzählen?"
Jeongguk lehnt sich zurück und überlegt einen Moment lang.
„Wollt ihr die Kurzfassung oder das Gesamtpaket?"
„Also, wenn du schon fragst..."
Und so erzählt Guk, wie er sich davongeschlichen hat, auf der Suche nach einer Antwort auf der leeren Bühne gelandet ist und es gewagt hat, seinen Gedanken freien Lauf zulassen. Das hätte auch schief gehen können. Aber seine Gedanken, sein Herz, was auch immer in ihm hat ihn geführt zu der Erkenntnis, dass seine Ängste von damals sein durften und dürfen, dass es aber nicht mehr seine Ängste von heute sind. Er darf und konnte sie loslassen. Er hat gesungen, bis sie friedlich abgezogen sind, und konnte darum das Konzert wieder richtig genießen.
"Und was hat sich geändert? Ich meine, so tief sitzende Ängste schnipst man ja nicht einfach weg. Ich kann da ein Lied von singen. Was hat dir letzten Endes zum Durchbruch verholfen?"
Hobi vergewissert sich.
„Ihr."
Große Augen rund um den Tisch.
„Ihr ward der Schlüssel. Am Freitag war ich allein gefangen in dem bedrohlichen Bild. Aber gestern Mittag habe ich plötzlich begriffen, dass ich nie alleine war. Wir mussten uns zusammenraufen und erst zusammenwachsen am Anfang. Aber wir waren zu keinem Zeitpunkt alleine. Das konnte der pubertierende, ins Leben gestolperte 13-Jährige nicht sehen. Aber BTS war ja nicht erst 2013 oder 2015 oder so 'Plopp!' plötzlich so wie heute. Wir sind gewachsen. Das heißt: wir waren von Anfang an BTS, und wir waren von Anfang an nicht alleine."
Alle nicken – ja, irgend jemand war immer da zum Reden und Trösten. Das hat der harten Zeit die Spitze genommen damals.
„In USA, 2012, da war ich wirklich alleine. Deshalb hat das auch nicht sooo viel an Ausdruck gebracht, ich bin nur technisch besser geworden dort. Aber ansonsten war ich eingebettet. Weil ihr da ward."
Einen Moment lang hängen sie schweigend jeder ihren Erinnerungen nach.
Dann unterbricht Guk die Stille erneut.
„Und jetzt bin ich dafür, dass wir uns nach vorne ausrichten. Heute und morgen Spaß hier und dann ab nach Am*dam. Tae, was kannst du uns heute noch vorbereitend mitgeben?"
Alle akzeptieren, dass er so plötzlich das Thema wechselt. Alles hat seine Zeit ...
Taehyung flitzt los und holt seine Unterlagen.
„Das Fotografie-Museum ist hier in diesem Stadtteil. Wenn Guk und Yoongi nichts dagegen haben, können wir das gut zu Fuß erledigen. Das ABBA-Museum ist in der Nähe von der Vasa. Ihr müsst also Taxi oder Bus oder ... fahren. Ich hab das nicht ganz kapiert, aber die Leute an der Rezeption meinten, das sei gut öffentlich zu erreichen. Das Museum ist wohl ziemlich interaktiv aufgebaut. Ihr werdet eintauchen in die schrillen 80er-Jahre. Im Foto-Museum erwartet uns eine Dauerausstellung zu Themen wie Geschichte der Fotografie, fotografisches Sehen, Entwicklung der technischen Möglichkeiten. Und dazu gibt es immer mehrere Sonderausstellungen mit Bildern von einzelnen Künstlern, Vernissagen, Retrospektiven, ..."
Nun sind alle wieder hellwach und freuen sich auf ihr jeweiliges Event.
„Wir sollten bloß noch entscheiden, ob wir jeweils vor Ort was zu Mittag essen und im Grunde unabhängig voneinander hier wieder eintrudeln. Dann sehen wir uns als Gruppe wahrscheinlich erst heute Abend wieder. Oder ob wir feste Zeiten vereinbaren und uns zum Essen hier oder irgendwo anders treffen. Und du, Namjoon, hast dich bisher für keine der beiden Gruppen entschieden. Willst du alleine bleiben oder dich doch jemand anschließen?"
Namjoon schüttelt den Kopf.
„Ich glaube, ich mag heute einfach alleine sein, wahrscheinlich hier, an Jimins Song arbeiten, lesen, 'Umbrella' üben. Sowas. Und ihr müsst auch nicht wegen mir schnell wieder herkommen. Lasst euch Zeit, lasst euch treiben."
Also heben sie die Frühstückstafel auf und machen sich startklar. Die drei Fotofreaks suchen ihre mehr oder weniger umfangreiche Ausrüstung zusammen und laufen unter der Führung von Tae einfach los. Große Umwege gehen sie allerdings nicht, weil es nämlich wie angekündigt ziemlich regnet. Aber sie sind ja nicht aus Zucker und ihre Kameras gut verpackt.
Hobi, Jimin und Jin schauen aus dem Fenster. Ekliges Wetter.
„Taxi?"
„Jepp. Taxi!"
Also ziehen sie sich warm an, Jimin greift noch nach seiner Polaroid-Kamera und dann fahren sie runter zur Rezeption, um sich ein Taxi rufen zu lassen.
Namjoon bleibt einen Moment lang einfach sitzen. Es ist ungewohnt still. Und es kommt nicht oft vor, dass er sich so von den anderen separiert. Aber heute ist ihm einfach mal nach Alleinsein. Er textet mit Yuiko, die stramm über ihren Büchern sitzt, weil sie in der kommenden Woche drei Klausuren schreiben muss. Viel helfen kann oder muss er eigentlich nicht, sie hat schon alles drauf. Er gibt ihr mehr mentalen Support, ermutigt sie, dass sie das schaffen wird. Plaudert über London, und was sie dort alles Schönes unternehmen werden zusammen. Dann nimmt er ihr das Versprechen ab, bald schlafen zu gehen und morgen früh bitte mit einem Lächeln der Zuversicht aufzuwachen und zur Uni zu fahren. Er kocht sich noch einen Kaffee und hängt eine ganze Weile seinen Gedanken nach. Nachdem das Frühstück abgedeckt wurde und der Zimmerservice seinen Job gemacht hat, ist sein Kopf wieder ein bisschen sortiert, und er kann nach vorne schauen.
Mit der nächsten Kaffeetasse in der Hand schlendert er nach nebenan, fährt den Computer hoch und hört sich mit dem Notenblatt in der Hand die schon eingespielten Anfänge von Jimins Song an. Mit zwei Tagen Abstand klingt es immer noch richtig gut. Aber er hört auch, wo es noch klappert. Das lässt sich wohl aber erst beheben, wenn der Text endgültig steht. Er ruft sich noch einmal die Stationen auf Jimins Reise gegen den Hunger ins Gedächtnis. Dann fällt ihm Jeongguk ein, der gestern auf dieser riesigen Bühne alleine gestanden und sich seinen Erinnerungen gestellt hat. Im Grunde haben sich beide ein Versprechen an die eigene Zukunft gegeben, nicht nur Jimin. Und auf einmal flutscht der Text, es geht ganz leicht. Gespickt mit Jimins eigenen Worten, die Namjoon sich für die Lyrics notiert hat, entsteht ein Bild seiner inneren Reise durch die Erinnerung und die Erkenntnis zur Heilung. Und es endet mit dem Versprechen, sich selbst gut zu tun, sich selbst nicht mehr verletzen zu wollen, sich selbst ein Licht zu sein, von nun an ehrlicher und freundlicher zu sich selbst zu sein.
Völlig vertieft in das Textblatt in seiner Hand tapert er in die Küche, kocht sich noch einen Kaffee, murmelt und dreht Worte und dreht sie wieder zurück, landet wieder vor dem PC und versucht nun, die Worte mit der kleinen Melodie aus Jimins Herzen zu verbinden. Auch das gelingt nun leichter. Er kann Lücken schließen, Stolperstellen glätten und einen roten Faden in die Melodie bringen. Er spielt einmal die vollständige Melodie ein und singt ein Demo obendrauf. Wissend, dass ein fertiger Song noch gefühlte drölfzig weitere Bearbeitungsschichten hat, lässt er den Song nun ruhen. Die nächsten Schritte will er wieder mit Yoongi und Jimin gemeinsam gehen.
Irgendwann landet er – schon wieder mit einem Kaffee in der Hand – auf dem Balkon. Balkone scheinen neuerdings eine intensive Anziehungskraft auf ihn zu besitzen. Und eng mit Yuiko verknüpft zu sein. Und so schaut er sinnierend in den Regen hinaus. Unten auf der Straße geht ein großer knallroter Regenschirm vorbei. Wer drunter steckt, kann er aus dieser Perspektive nicht erkennen. Aber der Schirm läuft langsam und verschwindet erst nach einer ganzen Weile um eine Straßenecke.
Wird es noch oder wieder passen zwischen uns? So wie damals, als wir stundenlang durch Parks spaziert sind oder in Cafés gesessen haben? Als wir geredet und erzählt und gelacht haben, als hätten wir den Auftrag, ein Jahreskontingent an Worten zu verbrauchen? Und dann wieder haben wir geschwiegen in einer Einigkeit und Zufriedenheit, die fast unwirklich schön war. Werde ich es wagen, mich ihr zu erklären? Die Tiefe wie die Leichtigkeit, das Reden und das Schweigen – alles ist in den letzten zwei Wochen wieder gewachsen und fühlt sich selbstverständlich und richtig an.
Namjoon muss leise lachen.
Wir haben es tatsächlich geschafft, zwei Wochen lang JEDE Nachricht mit einem Adjektiv zu beenden, wie die allerersten Nachrichten in Rom. Einmal hab ich ja einfach geschrieben:"Müde, Joonie". Dieses jeweils nur eine Wort transportiert alle Gefühle der gesamten Nachricht, ist ehrlicher als der ganze Rest zusammen. Es macht uns einander zum Greifen nah über die viel zu große Entfernung. Und ist doch völlig ungefährlich und unverfänglich und lässt die Zukunft offen. Die Zukunft. Eine Zukunft mit Yuiko? Und was heißt das für sie? Eine Zukunft mit einem Mann, der sie liebt, aber eigentlich nicht da ist. - Stop! - Darum geht es jetzt nicht! Die Yuiko, die ich in den letzten Wochen neu kennengelernt habe, ist erwachsen und hat klare Vorstellungen, wie sie leben will. Wenn, ... falls sie ja sagt, dann nimmt sie meine Arbeit und meine vielen Abwesenheiten in Kauf. Sie ist keine, die blind und mit rosaroten Vorstellungen in eine Beziehung stolpert. Ich weiß selbst nicht warum. Aber ich bin mir sicher. DAS wird kein Hindernis sein.
Wie aus einem Traum wacht er auf, als die Glocken der Katharina Kyrka anfangen zu bimmeln. Mittag. Der Kaffee in seiner Tasse ist längst kalt, ihn fröstelt auch. Er muss schmunzeln.
Was die Liebe mit den Menschen macht!
Der Vormittag ist verflogen. Und seine Unsicherheit auch.
Ja, ich will! Ich will meine Chance nutzen, noch einmal lasse ich sie nicht gehen! Der letzte Ton fehlt, das Lied, unser Lied ist noch nicht zu Ende!
Er geht wieder rein, schnappt sich seine Jacke, ein kleines Buch und sein Handy, fährt nach unten und spaziert einfach aufs Geradewohl los nach SoFo. Landet schließlich in einer saugemütlichen Esskneipe, in der es warm und nicht zu voll ist, und bestellt blind ein Essen, das sich als ziemlich lecker rausstellt. Dann vertieft er sich in den Gedichtband und kommt so auf andere Gedanken. Nach noch einem Kaffee – die nächste Nacht wird nach so viel Koffein ziemlich kurz sein ... - schlendert er zurück zum Hotel. Er übt seine Rap-Parts von Umbrella – und sieht vor seinem inneren Auge, wie sie damals auf die Bühne gegangen sind. Er hat kurz ihre Hand gehalten, um ihr Mut zu machen, ihr dann zugezwinkert, weil sie ganz alleine anfangen musste. Und ihre Stimme war so wunderschön, dass er einen Augenblick lang alles um sich drumrum vergessen hat.
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5.3.2019 - 8.6.2019 - 2.11.2019
13.4.2020
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