Sonntag - 33.5 - Das Innere Zuhause
Don't forget - it's fiction!
Heute geht es um Jimins persönliches Inneres Kind. Pass gut auf Dich auf!
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Die panischen Telefonanrufe sind vorüber, der entsetzliche Moment in Moskau auch. Wir haben zu Abend gegessen. Und noch immer sind wir starr vor Schreck. Wir sitzen gemeinsam auf dem Sofa, Jimin eng an mich gekuschelt, und fragen uns, wie es für die Drei bloß weitergehen soll. Das ist kein Leben, wenn sie von nun an immer hinter verschlossenen Fenstern und Türen leben und diesem völlig unkalkulierbaren Alltagsgeräusch aus dem Weg gehen müssen. Wir sind so hilflos! Auch Kwon in Frankfurt, bei dem die Drähte heiß gelaufen sind, fühlt sich furchtbar.
Und Jimin neben mir wird immer stiller.
„Tina? Ist jetzt bei Hobi, Jin und Yoongi das Innere Kind verletzt worden?"
Ich denke einen Moment darüber nach, denn eigentlich ist es ja eine ganz frische Verletzung der Erwachsenenseelen.
„Das weiß ich nicht, Jimin. Bei Yoongi war es ja so, dass er re-traumatisiert wurde, also hat sich da das neue Geräusch auf die alten Verletzungen drauf gesetzt und sich leider damit verbunden. Das kann dann schon was mit dem Inneren Kind zu tun haben. Bei Hobi war es so, dass seine alten und neuen Ängste sich vermischt haben und die Sirenen als I-Tüpfelchen obendrauf kamen. Da ist also wohl auch eine Verbindung zum Inneren Kind entstanden. Bei Jin durchschaue ich das überhaupt nicht, weil ich nichts über den Jin von früher weiß. Aber ich bin mir schrecklich sicher, dass es sich für alle Drei anfühlt, als würde sich eine Schlinge um ihren Hals zuziehen. Und alleine diese Vorstellung ist kaum auszuhalten."
Wieder schweigen wir eine ganze Weile. Ich überlege, was da grade in Jimin vorgeht, dass er sofort eine Querverbindung zu seinem eigenen Thema vom Nachmittag knüpft. Vielleicht einfach, weil das ein sehr konkret greifbares Verletztwerden ist, das ihm sein eigenes Inneres Kind auch konkreter werden lässt. Und dann kommt es auch schon.
„Tina? ... In mir tut es weh. Es tut so weh! Ich möchte mein Inneres Kind finden und ihm helfen. Es ist, als ob es in einer dunklen, kalten Ecke versteckt ist und sich nicht ans Licht traut, dem Licht nicht mehr vertraut. Aber so kann ich es nicht finden und in den Arm nehmen und trösten! Ich würde es am liebsten JETZT sofort da raus holen. Aber ich weiß nicht, wo und wie ich suchen soll! Das tut so weh ..."
Ach, Jimin. Wenn du wüsstest, WIE weit dein Weg noch ist! Ich muss mir was einfallen lassen ... Gott muss mir was einfallen lasse. Steh mir beidass DAS jetzt gelingt!
„Jimin, wie stellst du dir denn dein Inneres vor? Hast Du ein Bild dafür? Wie ist es, da drinnen zu suchen?"
Er seufzt. Schließt die Augen.
„Ich habe ein Bild in mir. Jedes Mal, wenn du mir einen Schritt weiter hilfst, ist es, als ob eine Tür oder ein Fenster in mein inneres Haus aufgeht. Es fällt ein bisschen Licht hinein, ich laufe los. Aber dann wird es schnell immer dunkler. Und wenn ich nichts sehe, kann ich nicht weiter gehen."
Das Bild gefällt mir, da lässt sich sicher was draus machen.
„Dein Inneres ist also ein Haus. Lass uns kurz noch mal von außen kucken. Du hast ja ein Haus. Beziehungsweise eine Wohnung zusammen mit den anderen Jungs. Bist du gerne Zuhause? Magst du eure Wohnung? Fühlst du dich dort wohl? Oder ist es ein emotionsloser Ort zum Essen und Schlafen?"
Empört schüttelt er den Kopf.
„Nein! Zuhause ist wichtig! Unser Zuhause ist in Seoul, wo wir sein können, wie wir sind, wo keine Kamera reinkommt, kein Fan uns auflauert und beobachtet. Und ich liebe das Haus meiner Eltern, das Zuhause meiner Kindheit, das nach Hause kommen zu meinen Eltern. Heute noch. Zuhause ist wichtig, da bin ich geborgen."
Sehr gut!
„Dann ist also das Haus in dir drin eigentlich auch ein Ort, an dem du dich wohl fühlen möchtest? Lausch mal in dich rein, ob das so ist."
Jimin schließt die Augen. Ich warte geduldig ab, aber allmählich wird seine Miene immer finsterer und ängstlicher.
„Jimin? Alles in Ordnung? So sieht man eigentlich nicht aus, wenn man an sein Zuhause denkt!"
Plötzlich schnappt er nach Luft, als hätte er den Atem zu lange angehalten. Sein Blick irrt umher, bis seine Augen wieder klar auf mich gerichtet sind.
„Im ersten Moment habe ich an ein wunderschönes Haus im Grünen gedacht. Mit großen Fenstern und viel Licht. Da möchte ich zu Hause sein. Aber dann ist es innendrin immer dunkler geworden. Und ich habe gesehen, wie sich mein Inneres Kind im Dunklen verlaufen hat. Und ich finde es nicht!"
Verzweifelt greift er nach meiner Hand.
„Jimin, erinnerst du dich, was ich heute Nachmittag erzählt habe - dass das Innere Kind erst heil werden kann, wenn der äußere Erwachsene beginnt, sich selbst gnädig zu betrachten? Das ganze Dunkle in deinem inneren Zuhause, das sind die Lebenslügen und Ängste und das traurige Bild, das du von dir selbst hast. Ich glaube, dass es in deinem Haus wieder hell wird, wenn du anfängst, dich selbst anzunehmen und zu lieben. Dann machst du all die Fenster und Türen auf und lässt ganz viel Licht hinein. Mit deiner Liebe zu dir selbst ist es wie mit einer Kerze in deiner Hand. Das ist ein Licht, das du überall hin mitnehmen kannst. Und so kannst du das verschreckte Kind finden und beschützen."
Heftig schüttelt er wieder den Kopf.
„Mein Inneres Kind hat nicht so viel Zeit. Es wartet schon so lange. Ich kann es nicht länger warten lassen. Ich MUSS jetzt da rein! Bitte, hilf mir!"
Fast reißt mich seine Verzweiflung in Stücke. Den therapeutischen Zeitraffer habe ich nicht erfunden! Ich nehme ihn in die Arme, während ich nachdenke.
„Warte mal einen Moment!"
Ich flitze in den Keller, schnappe mir eine sehr große, breite Rolle Papier, die mal als Rest aus einem Copyshop zu mir gefunden hat, und eine Kiste mit vielen bunten Stiften. Abwartend schaut er mir entgegen, als ich wieder ins Wohnzimmer komme.
„Pass auf, Jimin. Du hattest eben ein Bild von einem schönen Haus vor deinem inneren Auge. Ich bitte dich jetzt einfach, Dein Inneres Zuhause zu malen. Male es von außen, von innen, meinetwegen einen Grundriss, einen Querschnitt. Male es vom Keller bis zum Dach. Male, wie es aussehen soll, damit du dich wohl fühlen kannst. Male deinem Inneren Kind das allerschönste Kinderzimmer. Lass beim Malen das Licht hinein, das du brauchst, um dein Inneres Kind zu finden. Und vergiss Perfektion. Das Malen ansich ist wichtig, nicht das Ergebnis. Beim Malen nimmt dein Inneres Kind Kontakt zu dir auf. Lass es machen."
Zögerlich rutscht Jimin vom Sofa, rollt das Papier auf dem Fußboden aus, schüttet die vielen Stifte in einen flachen Korb, den ich ihm hinstelle, und starrt auf das große Weiß. Ich mache ganz leise eine reine Instrumentalmusik an. Schließlich fängt er an zu malen. Als erstes entsteht mit immer wilder werdenden Bewegungen eine sehr dunkle Fläche. Und aus dieser Fläche starren uns zwei große, weit aufgerissene mandelförmige Augen an. Nur die Augen. Er schreibt etwas dran. Daneben entsteht etwas völlig anderes. Nach und nach erkenne ich eine Landschaft aus der Vogelperspektive. Jimin malt ein Meeresufer, eine große Wiese mit vereinzelten Bäumen und einer Hängematte, dann einen Wald. Und mitten auf die Wiese malt er das Dach von einem Haus. Daneben eine Terrasse. Und überall krabbeln Mäuschen, fliegen Vögel oder Schmetterlinge, alles ist voller Tiere. In den Garten malt er eine Schaukel, daneben liegt ein bunter Ball. Jimin richtet alles schön ein für sein Inneres Kind.
Das dritte Bild ist wieder ganz anders. Es ist ein Haus von der Seite mit vielen großen Fenstern und einer fest verrammelten Tür, verschlossen mit Ketten und Schlössern und einem dicken Balken, wie ein mittelalterliches Burgtor! Manche Fenster sind fest mit Läden verschlossen. Durch die anderen Fenster kann man hineinsehen in das Haus. Aber alles, was man sieht, sind fette schwarzbraune Wirbel und Wolken. Es regnet und stürmt und blitzt in dem Haus. Allmählich werde ich wieder nervös. Da ist der Effekt, den ich befürchtet habe. Das Innere Kind zu erklären, ist eine Sache. Aber wenn es anfängt zu arbeiten - „die Geister, die ich rief, ich werd sie nicht mehr los!"
Hoffentlich bin ich dem, was da nun entsteht, auch gewachsen.
Das vierte Bild ist eines dieser Fenster in ganz groß. Mit allen dunklen Stiften, die der Korb so hergibt, tobt sich Jimin 'hinter' den Fensterscheiben aus. Da bricht sich echt sein Innerstes Bahn. Und wieder starren aus dem Chaos diese zwei verzweifelten Augen heraus.
„Da ist mein Kind! Ich will zu ihm!"
Jimin lässt die Stifte fallen.
„Aber ich komme nicht durch diese Tür!"
Vergeblich greifen seine Hände ins Leere. Ich muss mich echt zusammen reißen, nicht in seine Gefühle hineingezogen zu werden.
„Jimin, du hast vorhin gesagt, dass sich schon manche Türen und Fenster geöffnet haben. Denk bitte mal daran, was das war. Was hatte diese Kraft? Und das holen wir dann und kriegen die Tür damit auf!"
Nun malt Jimin diese verrammelte Tür in ganz groß.
„Hast du mal kleinere Papierstücke?"
Ich hole ihm festes weißes Papier von unten.
Auf das erste Blatt malt er eine Blume. Auf das zweite Blatt malt er sein Schneckenhaus, und den Zapfen. Auf dem dritten Blatt kann man einen Kopf mit einem breiten Grinsen erkennen. Eckig. - Er hat Tae gemalt! Auf das vierte Blatt malt er einen großen Notenschlüssel. Auf dem fünften entsteht eine Strichmännchen-Familie, die sich an den Händen fasst. Als nächstes entstehen seine gelbe Decke, sieben Köpfe in dem BTS-Zeichen und ein Hund. Jetzt denkt er eine Weile nach. Schließlich folgen noch eine Bühne mit vielen kleinen Köpfen davor, eine ARMY-Bomb, ein großes rotes Herz und eine strahlende Sonne. Was er da gemalt hat, sind sowohl seine inneren als auch seine äußeren Ressourcen, und beides ist gleich wichtig.
„Kann ich mal eine Schere haben?"
Das ist gar kein Problem, gleich hier im Regal liegt immer eine griffbereit. Jimin schneidet all diese Gegenstände und Personen aus und legt sie auf die verschlossene Tür. Dann zählt er. WOW! Dreizehn „Helfer" hat er gemalt. Interessanterweise bin ich nicht dabei, das stört mich aber gar nicht. Immerhin kann er mich nicht mitnehmen. Und vielleicht bin ich ja auch einfach in dieser gelben Decke. Aber da grinst er schon, greift nach meiner Hand, legt sie auf ein weiteres Papier und fährt die Umrisse nach.
Alles klar!
Auch diese Hand schneidet er nun aus. Und nun ist von der Tür eigentlich nicht mehr viel zu sehen.
„Du hast ganz schön viele Helfer und eigene Werkzeuge, um die Tür aufzumachen. Das sollte doch gelingen!"
Jimin zögert einen Moment, streicht über seine Helferbilder, legt sie um sich selbst herum wie einen Schutzwall. Dann schiebt er energisch die lange Papierbahn weiter und rollt sich eine weitere Strecke ab. In schneller Folge malt er nun die noch geschlossene Tür, aber ohne die Schlösser. Und dann die offene Tür und das tobende Chaos dahinter. Wieder diese starrenden Augen. Lange schaut er darauf. Dann legt er langsam seine Hände schützend um diese gemalten Augen. Die Geste ist wunderschön.
„Wie komme ich denn jetzt da hin??? Ich sehe den Weg nicht."
Endlich klingt er nicht mehr ganz so verzweifelt.
„Wenn es dein inneres Zuhause ist, müsstest du es doch eigentlich selbst eingerichtet haben. Du hast dich doch darinnen schon mal sehr wohl gefühlt. Oder war das schon immer so ein Chaos?"
Er schaut mich an.
„Du meinst, ich kenne den Weg schon, ich sehe ihn nur nicht?"
Ich nicke.
„Ganz genau! Du weißt, wo die Küche ist und du etwas zu trinken findest für das dürstende Kind. Du weißt, wo das Bad ist, um ihm die Wunden auszuwaschen und zu verbinden. Du weißt, wo sein Zimmer ist, damit du es ins Bett bringen und in den Schlaf singen kannst. Du musst dich nur erinnern."
Da kommt Leben in Jimin. Er greift sich die Stifte und malt so zügig und so konkret den Grundriss einer Wohnung, mit Wänden, Türen, Möbeln, sogar Blumentöpfen, einem gedeckten Tisch, einem Bett voller Kuscheltiere - dass ich sicher bin, dass es diese Wohnung gibt. In der Badewanne schwimmt ein Quietscheentchen. An den Wänden hängen Bilder. Der Teppich im Wohnzimmer bekommt ein feines Muster. Alles ist ganz einfach gezeichnet aber unglaublich lebendig mit einer Fülle liebevoller Details. Jimin sieht sehr zufrieden aus, als er mit dem Finger in das Kinderbett zeigt und mitzählt.
"Das sind Eins, Zwei und Drei. Ich weiß - verrückt. Aber ich habe meinen Kuscheltieren tatsächlich als Namen Nummern gegeben. Deshalb weiß ich bis heute, in welcher Reihenfolge und zu welcher Gelegenheit ich sie bekommen habe. Das ist das Zimmer von meinem Bruder. Und da", - er zeigt auf den gedeckten Tisch im Esszimmer - „ist das traditionelle Geschirr gedeckt, das wir nur benutzen, wenn meine Großeltern zu Besuch kommen."
In sein Kinderzimmer malt er jetzt noch einen großen Schrank dazu.
„Da hab ich mich immer drin versteckt, wenn ich Angst hatte. Und einmal hab ich dann die Tür von innen nicht mehr aufgekriegt. Zum Glück hat mein Vater mich schreien gehört."
Ich bin unglaublich berührt. Jimin hat offensichtlich sein Elternhaus gemalt.
„Ist es jetzt dunkel oder hell in deinem Inneren Haus? Sind die Fenster offen oder geschlossen?"
Jimin rutscht auf dem Po hin und her, überlegt.
„Ich glaube, ich sollte sie aufmachen. Sonst wird es nie hell darinnen."
Mit diesen Worten legt er nacheinander die gemalten Helfer vor die Fenster und malt dann jeweils die Fensterflügel offen.
„Ist es jetzt hell?"
Er greift sich einen weißen Wachsmalstift und malt mit viel Druck bei jedem Fenster das einfallende Licht. Dadurch hat sich eigentlich nicht viel verändert, weiß auf weiß sieht man ja nicht. Aber nun greift er nach einem grauen Buntstift und zieht mit wenig Druck und weiten Bewegungen den Stift über die ganze Wohnung.
„Es ist jedenfalls nicht mehr so dunkel, aber es ist alles wie hinter einer Nebelwand."
Alle Farben werden matt, das ganze Bild wird dunkler. Aber da, wo er vorher die Lichtkegel gemalt hat, bleibt es hell! Das Papier kann dort die graue Farbe nicht annehmen. Es sieht aus, als ob sich das Licht immer weiter durch den Nebel arbeitet, ihn nach und nach vertreibt. Der Effekt ist verblüffend. Und Jimin strahlt.
„Hat das Haus einen Keller? Oder einen Dachboden?"
Jimin nickt.
„Ja schon, aber da war ich eigentlich nie. Ich war viel lieber draußen!"
Jetzt bin ich gespannt.
„Und wo meinst du, hat sich nun dein Inneres Kind versteckt? Trotz des Nebels kannst du mit deiner guten Ortskenntnis doch jetzt eigentlich alles absuchen!"
Sofort zeigt er auf den großen Schrank in seinem Zimmer.
„Gut, dann stelle dir doch jetzt vor, dass du da hingehst und die Tür aufmachst. Geht das jetzt?"
Jimin zögert.
In diesem Moment schickt der gute Gott uns Maja vorbei, die sich einen Tee machen will. Ich bitte sie leise.
"Maja, du hattest doch mal ein herzförmiges Kissen. Kommst du da ohne Weiteres dran? Dann könnte ich das jetzt gut brauchen."
Gleich flitzt sie los und holt mir das abgeliebte Kissen aus ihrem Zimmer. Ich lege das Kissen neben das Kinderzimmer auf dem Bild. Ich sage gar nichts dazu. Es ist einfach ein Angebot. In meinen Augen hat Jimin ein riesengroßes, starkes, mutiges und liebevolles Herz. Wenn er sich das auch selbst zugesteht, dann kriegt er damit den Schrank auf ...
Ganz leise und zögernd flüstert Jimin.
„Was ist, wenn mein Inneres Kind mich hasst, weil ich es zurück gelassen habe? Oder wenn es gar nicht raus will? Oder ..."
Ich halte die Luft an und flehe zu Gott, dass er nun keinen Rückzieher macht.
„Jimin, das glaube ich nicht! Du hast das Innere Kind nicht zurückgelassen, sondern deine Lebensumstände haben es dir entrissen. Niemand, wirklich niemand ist selbst Schuld daran, wenn er sein Inneres Kind zurück lassen muss! Und wenn es sich noch nicht aus dem Schrank raustraut, dann machst du es ihm erstmal IM Schrank bequem, wachst bei ihm, sprichst ihm Mut zu und hilfst ihm nach und nach, da rauszuwollen. Schenke deinem Inneren Kind dein großes Herz, und es wird dich lieben."
Ich bin noch gar nicht sicher, ob das auch klappt ...
„Vielleicht singst du ihm ein Lied, und dann kommt es gerne raus?"
„Was hast du eigentlich heute Mittag gesummt, als du nicht wusstest, wie du anfangen sollst?"
Was ein Themenwechsel! Obwohl ... doch! Das Lied passt!
„Warte einen Moment!"
Ich hacke schnell den deutschen Text ins DeepL.com und schiebe dann den englischen Text in das Programm für die Übersetzung ins Koreanische. Das hat sich in den vergangenen Wochen so sehr automatisiert, als hätten wir alle nie etwas anderes getan.
„Ich singe es dir vor:
https://youtu.be/rUC45lOIg1Q
Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht
bringe ich vor dich.
Wandle sie in Weite, Herr, erbarme dich.
Meine ganze Ohnmacht, was mich beugt und lähmt
bringe ich vor dich.
Wandle sie in Stärke, Herr, erbarme dich.
Mein verlor'nes Zutraun, meine Ängstlichkeit
bringe ich vor dich.
Wandle sie in Wärme, Herr, erbarme dich.
Meine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit
bringe ich vor dich.
Wandle sie in Heimat, Herr, erbarme dich."
Während ich das Lied singe, liest Jimin den Text auf koreanisch mit. Und mit jeder Strophe kriecht er ein bisschen mehr in mich hinein. Doch am Schluss richtet er sich auf.
„Heimat. - Ja, Heimat. Das ist es, was mein Inneres Kind braucht. Einen Ort, wo es sicher ist. Und das soll nicht in einem dunklen Schrank sein!"
Und so entsteht sein letztes Bild für heute. Jimin malt einen großen, alten Schrank mit weit offenen Türen. In den Schrank malt er einen weiten Garten mit einem großen alten Baum, an dem eine Schaukel hängt. Und auf dieser Schaukel sitzt sein inneres Kind. Es lacht, während seine Beine in den Himmel fliegen. Detailverliebt malt Jimin immer weiter. Eine Schnecke kriecht oben auf dem Schaukelast entlang. Ein Hund jagt dem Ball nach. Eine Wolke in Form eines Hasen zieht grade an der Sonne vorbei. Seufzend nimmt Jimin das Herzkissen in die Arme und drückt es ganz fest.
„Jetzt geht es meinem Inneren Kind besser!"
Ich schaue mich um. Jimins Bilderrolle reicht von der Wohnzimmerür bis fast zum Fenster. Das sind schlappe sieben Meter Bild. Bilder. Bilder voller Wunder. Als letzte Tat für heute nummerieren wir die Bilder auf der Rückseite durch. Dann nehmen wir die große Küchenschere und schneiden die vielen Einzelbilder vorsichtig auseinander. Jedes für sich wirken sie noch intensiver. Den offenen Schrank nimmt Jimin mit nach oben und legt das Bild neben die Schlafcouch, damit er sein Inneres Kind ganz nah bei sich hat.
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Das mit Abstand längste Kapitel bisher überhaupt. Wie gesagt - ich bin keine Therapeutin. Aber ich habe am eigenen Leib die heilsame Wirkung von Kunsttherapie erfahren. Es ist kein fröhliches Kapitel. Aber ein Wichtiges und Gutes.
Und frag nicht, wiieeeeee lange ich nach einem Bild von einem ganz gradlinig frontal geknipsten Schrank gesucht habe, der nicht nur offen sondern auch noch schön ist. Damit ich den Baum da rein setzen konnte ...
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10.2.2019 - 5.6.2019 - 1.11.2019
11.4.2020
Ich musste mal wieder ein Video ersetzen. Aber diesmal ist das neue um Klassen besser als das alte. Ich bin ganz beeindruckt - die Stimme von dieser Frau klingt soooo ähnlich wie meine!
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