Sonntag - 33.3 - das Innere Kind
Don't forget - it's fiction!
Wenn Du ein seelisch sehr verletzter Mensch bist, dann sei hier bitte vorsichtig. Dieses Kapitel hat das Potential, Dich zu stärken - oder Dich sehr zu verwirren.
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Nach dem Mittagessen hält Jimin sein obligatorisches Schläfchen. Als er wieder aufwacht, ist inzwischen Kwon eingetroffen, und wir machen es uns mit Tee und Keksen im Wohnzimmer gemütlich. Ich zögere immer noch.
„Wo waren wir gestern stehen geblieben?"
Jimin schaut mich mit einem Schmunzeln an und legt sich nochmal aufs Sofa, mit dem Kopf auf meinen Beinen. Er schaut zu mir hoch und zitiert sich selbst.
„Findest du das eigentlich peinlich, dass ich immerzu mit dir kuschele, obwohl ich ein erwachsener Mann bin? Bin ich sehr kindisch?"
Dann setzt er sich wieder aufrecht hin und schaut mich erwartungsvoll an.
Wenn ich nicht so nervös wäre, etwas falsch zu machen, würde ich mich jetzt kringeln über diese Aktion und diesen Gesichtsausdruck. Und alleine meine Nervosität macht mich schon verrückt. In den ganzen zehn Tagen, in denen die Jungs hier waren und ich wirklich heftige Probleme managen musste, war ich nicht einmal sooo unsicher, was ich tun soll, wie heute.
Ist das ein schlechtes Zeichen? Sollte ich das als Warnhinweis sehen??? Rrrrgh!
Ich gehe zum Gebetsteller, nehme den Bronzeengel in die Hand und versuche, eine Antwort in mir zu spüren.
Gott, du warst so nah! Schweigst du jetzt, weil ich auf dem falschen Weg bin? Jimin vertraut mir so sehr. Führe mich!
Ich lausche noch eine Weile in mich hinein. Und dann werde ich allmählich ruhiger. In die Stille in mir erklingt ein Lied. Ich folge meiner inneren Stimme und summe schließlich das Lied mit.
"Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht bringe ich vor dich. Wandle sie in Weite, Herr, erbarme dich. - Mein verlornes Zutraun, meine Ängstlichkeit bringe ich vor dich. Wandle sie in Wärme, Herr, erbarme dich."
Das ist eindeutig. Gut. Dann los!
Kaum habe ich mich wieder aufs Sofa gesetzt, verblüfft mich Jimin wiedermal.
„Ich helfe dir. Ich habe das Gefühl, du machst dir Sorgen, was du da angefangen hast. Richtig?"
Ich kann nur nicken.
Ist ja auch offensichtlich.
„Gut. Dann zitiere ich einfach dich auch noch. Deine Antwort war:'Ich finde es völlig normal und in Ordnung, dass deine verletzte Seele immer wieder sozusagen einen Unterschlupf sucht.' Was hat meine - offensichtlich - verletzte Seele mit dem Kuscheln zu tun? Das hätte ich dich übrigens sowieso noch gefragt."
Ich lausche in die Ruhe in mir hinein und weiß endlich, wie ich anfangen will.
„Ich erkläre es dir anhand von mir. Meine Eltern haben nie eine glückliche Ehe geführt. Sie haben viel gestritten und leider immer uns Kinder mit reingezogen. Wir waren sozusagen der 'Kriegsschauplatz'. Und das haben wir Geschwister ganz unterschiedlich verdaut. Die Älteste ist hart geworden. Die Jüngste ist einsam geworden. Und ich als Mittlere habe die Verantwortung für die Dauerkrise übernommen, die eigentlich gar nicht meine war."
Ich werde immer leiser, während ich so über mich selbst spreche.
"Jeder Mensch kommt mit einem unfertigen Körper, einer verletzlichen Seele und einem wachsenden Geist zur Welt. Jedes Kind erlebt die Welt völlig neu, bekommt dabei aber von seinem Umfeld Brillen aufgesetzt. Und diese Sichtweisen prägen unser ganzes Leben. Bis heute leben wir Schwestern das, was wir in unserer Familie als Kinder als Überlebensstrategie gelernt haben. Die eine lebt 'ihr könnt mich alle mal!', die zweite lebt 'ich traue nichts und niemandem!' und ich lebe 'nur, wenn es allen anderen um mich drumrum gut geht, geht es auch mir gut'. Du hörst sicher sofort, dass das völliger Blödsinn ist und so nicht gehen kann."
Jimin nickt.
„Das Neugeborene definiert sich als Teil seiner Mutter. Mit etwa 2-3 Jahren entdeckt das Kleinkind das 'Ich' und fängt an, sein 'Ich' auszuprobieren. Spätestens ab dem Moment fangen die Erwachsenen drumrum an, das Kind zu erziehen, Grenzen zu ziehen, den Charakter zu formen, eben diese Brillen aufzusetzen. Und das ist grundsätzlich auch richtig. Regeln müssen sein. Aber je nachdem, wie das läuft, entstehen dabei automatisch mehr oder weniger viele Verletzungen. Das ist in den meisten Fällen kein Verbrechen - das ist eben so. Jetzt musst du dir das so vorstellen, dass unsere Seele gemeinsam mit unserem Körper wächst und älter wird. Wenn man sich ein Bein bricht, kann man ein paar Wochen lang nicht in die Schule gehen, kann nicht weiter lernen, und verpasst darum einiges, was man hinterher nachholen muss. Und genauso kann auch die Seele 'gebrochen' werden. Und die bleibt dann auch einfach 'stehen' und wartet auf Heilung."
Darauf, dass der Dauerstreit endlich ein Ende hat ...
"Heilung für die Kinderseele bedeutet 'wahrgenommen werden', 'umsorgt werden', 'beschützt werden', kann heißen eine 'echte Bitte um Vergebung zu erfahren'. So wie PD's ehrliche Reue in Rom. Es bedeutet auch, dass der Seele dann die Zeit und Gelegenheit gegeben wird, diese Vergebung in sich zu finden und dem anderen zu geben. Das geschieht aber ganz selten. Unsere moderne Welt hat keine Zeit mehr für sowas. Und keinen Blick dafür. Und keine Geduld. Wir haben verlernt, uns und unsere Bedürfnisse zu spüren, und können sie darum auch bei anderen nicht merken und achten, und leider schon gar nicht bei unseren Kindern.
Was macht also die verletzte Seele des Kindes? Sie wartet weiter. In Hinsicht auf genau die erfahrenen Verletzungen, Kränkungen, Ängstigungen bleibt das Kind in uns einfach stehen und wartet. Außen werden wir derweil immer größer, bilden unseren Verstand und unser Verständnis von der Welt aus, lernen, in dieser Welt zu leben, lernen zu funktionieren. Unser Verhalten, unsere Verantwortung, unsere gesellschaftliche Stellung - all das wird erwachsen. Nur das Innere Kind - bleibt stehen und wartet.
Und jetzt kommt das Gemeine: Sind wir erstmal erwachsen, wird niemand mehr dem Kind von damals seine Bedürfnisse befriedigen. Wenn wir also auch unsere Seele wachsen und reifen lassen wollen, müssen wir selbst unserem 'Inneren Kind' Gutes tun.
Aus dieser Erkenntnis heraus haben Psychologen ein Therapiekonzept entwickelt. Es ist die 'Arbeit mit dem Inneren Kind'. In der Arbeit mit dem Inneren Kind wird davon ausgegangen, dass ein Mensch, der als Kind wenig Liebe und Anerkennung erfahren hat und häufig durch Missachtung, Liebesentzug, Verlassenwerden oder Entwertung verletzt wurde, in seinem Selbstwertgefühl beschädigt wurde und dann als Erwachsener ein ungewöhnlich großes Verlangen nach Zuwendung durch andere Menschen entwickelt, dass bei einem solchen Menschen schon wenig Kritik alte Kindheitsverletzungen wieder hochholen kann und er dadurch übermäßig kränkbar ist.
Wenn du dich also nach so einer Anspannung wie gestern an mich kuschelst, ist es im Grunde dein 'Inneres Kind', das sich Zuwendung und Bestätigung sucht - wie ein echtes Kind sich an Mami kuschelt, nachdem es von den anderen auf der Straße geärgert worden ist. Das ist dann nicht kindisch. Sondern die Befriedigung eines tiefen, sehr alten Bedürfnisses. Und ganz wichtig, damit das 'Innere Kind' die Chance bekommt zu reifen. Denn dieses Innere Kind glaubt nicht an sich selbst, macht sich selbst schlecht und hindert sich selbst am erfüllten Leben. Das ist es, was es bisher erfahren hat im Leben. Es glaubt:
* Ich kann mich selbst nicht glücklich machen, andere können das besser als ich.
* Andere sind für meine Gefühle verantwortlich, und ich bin für ihre verantwortlich.
* Ich wäre egoistisch und falsch, wenn ich mich selbst glücklich machte.
* Im Grunde meines Wesens bin ich schlecht."
Ich schweige einen Moment.
„Erkennst du dich darin wieder?"
Jimin ist sehr still geworden, hat irgendwann den Blick gesenkt und lauscht nun in sich hinein.
„Oh ja! Viel zu gut ..."
Jimin spricht nun ganz leise und irgendwie traurig. Ich streiche ihm über den Rücken.
„Die Therapeuten haben ein Konzept entwickelt, wie man diesem Menschen und seinem Inneren Kind helfen kann. Es geht darum, eine positive Verbindung zwischen dem verletzten Inneren Kind und dem äußerlich Erwachsenen herzustellen, indem der Erwachsene sich selbst mit Liebe anschaut und sozusagen seinem Inneren Kind liebevoll die Hand reicht. Es geht darum, die falschen, negativen Gedanken über sich selbst durch positive Gedankenmuster zu ersetzen:
* Ich bin selbst verantwortlich für mein Glück.
* Ich bin bereit, meine Gefühle wahrzunehmen und anzunehmen.
* Ich bin offen für Neues und Veränderungen in meinem Leben.
* Ich bin stark genug, für mich selbst zu sorgen und für mein Wohlgefühl die Verantwortung zu übernehmen.
* Ich darf neugierig und verspielt, albern und spontan, lebendig und sensibel sein.
* Ich darf aber auch zornig und traurig sein, denn durch meine Selbstliebe erkenne ich, dass alle Gefühle wichtige Teile meiner selbst sind.
Indem du deine innere Wahrheit verwandelst und die Verantwortung für dein Wohlergehen selbst übernimmst, heilst du dein Inneres Kind und wirst zufriedener, gesünder, glücklicher."
Jimin seufzt nur, und in diesem Seufzer liegt eine ganze Welt aus Sehnsucht.
„Wenn du also dich nicht selbst loben kannst, weil du glaubst, dass du grundsätzlich schlecht bist, dann wartest du immer auf das Lob der anderen. Wenn das aber ausbleibt, fühlst du dich entsetzlich zurückgesetzt und im Stich gelassen. Genau das ist gestern Mittag passiert:'Aber sie haben doch immer sofort reagiert!' hast du gesagt. Nachdem wir die anderen energisch angebimmelt haben und sie sich entschuldigt und dich total gelobt haben, ging es dir wieder gut. Scheinbar. Denn das Innere Kind lässt sich nicht belügen. Und darum musstest du dir noch mehr Bestätigung holen, nämlich dafür, dass es in Ordnung war, so um dein Lob zu kämpfen. Deshalb hast du dann meine Nähe gesucht."
Ich lasse das nun ein bisschen sacken. Jimin zögert.
„Du hast gesagt, dass du das normal findest. Stimmt das denn? Oder findest du es nur normal, weil ich verletzt bin, und würdest es sonst gar nicht wollen?"
Das muss ich nun erstmal sortieren.
„Hm. Da ich der Typ 'ich muss die ganze Welt retten' bin, habe ich vom ersten Tag an das Bedürfnis gehabt, dir zu helfen. Das hätte noch jeder sein können. Aber schon nach ein, zwei Tagen ging es mir tatsächlich genau um dich, weil ich einfach dich Mensch Park Jimin so wunderbar finde. Und die Nähe, die zwischen uns beiden gewachsen ist, ist etwas besonderes, das ich auch nie wieder in meinem Leben missen möchte. Ich möchte um nichts in der Welt unsere nächtliche Stunde vor dem Spiegel mit all dem intensiven Kontakt und dem Lachen missen! Ich vermute, dass du, wenn du in ein paar Tagen, Wochen oder Monaten den liebevollen Kontakt zu deinem Inneren Kind gefunden hast, nicht mehr ganz so viel Aufmerksamkeit und Nähe von außen brauchen wirst wie zur Zeit. Einfach, weil du dir dann ganz viel Bestätigung selbst geben kannst und dein Inneres Kind auch mehr aushält.
Aber gleichzeitig glaube ich, dass du einfach der Typ bist, der Zuneigung durch Nähe zeigt. All die Menschen, die das an dir lieben, werden also sicher nicht völlig darauf verzichten müssen. Denn in der Tat empfinde ich es nicht als Zumutung, nicht als aufdringlich oder kindisch oder distanzlos, nicht als Symptom eines Defizits, dass du so oft und gerne kuschelst. Da ich selbst ein Haptiker bin, also ein Mensch, der über seinen Tastsinn lebt und lernt, genieße ich es sehr, dass du Kontakt aufnimmst und Zuneigung zeigst über die direkte Berührung. Ich würde es vermissen, wenn du ganz damit aufhören würdest."
Jimin rührt sich keinen Milimeter, als Kwon ihm das übersetzt. Und trotzdem sieht er aus, als wäre grade die Sonne aufgegangen.
„Du meinst also, ich muss nicht immer so sein, aber ich darf so sein, und es ist tatsächlich völlig in Ordnung so? Weil das einfach ich bin?"
Allmählich kann ich die Sorge und innere Anspannung loslassen. Wir sind irgendwie zwischen allen Riffen und Untiefen durchgekommen, und Jimin geht es gut damit.
„Ganz genau! Du darfst selbstbewusst zu dir stehen, dich selbst loben, dir selbst Gutes tun. Und trotzdem albern, kindisch, springlebendig und ganz, ganz kuschelig sein - ohne dass das irgendwie komisch oder gar falsch ist. Du bist einfach du! Du darfst weiter Umarmungen lieben und den Koala spielen, dich weiter bei Interviews an Namjoon anlehnen, vor lauter Lachen über den Boden kugeln, Hand in Hand mit Tae über die Bühne hopsen oder Hobi zum Trost umarmen, wenn er weint. Du hast so viel zu verschenken, und tust das ganz oft nicht mit Worten sondern mit deinem ganzen ICH. Genauso, wie du lachst. Hör bloß nicht damit auf! Du würdest dir selbst und allen um dich drumrum ganz viel wegnehmen. Lerne, auf dein Inneres Kind zu hören, und dann wirst du wissen, was davon du noch weiterhin tun und sein willst. Es wird für uns alle ein Geschenk sein, weil es aus deinem tiefsten Inneren kommen wird."
Noch so ein sehnsuchtsvoller Seufzer. Dann blitzt der Schalk in seinem Gesicht auf. Und plötzlich schnappt er sich die gelbe Decke, schmeißt sich quer über meinen Schoß, kuschelt sich ganz dolle an mich und grinst über beide Backen.
"O.K.! Hattest du heute noch was vor, oder kann das jetzt erstmal drei Jahre lang so bleiben?"
Ich möchte vor Erleichterung jubeln.
DANKE, Gott!
„Och, da mache ich mir keine Sorgen. Spätestens in einer halben Stunde hast du so Hummeln in der Hose, dass du gar nicht liegen bleiben kannst. Du wirst rumhopsen wollen. Und dich dann auf dein Tagebuch stürzen und das alles aufschreiben wollen. Und bis dahin freue ich mich einfach mit dir, dass du so bist, wie du bist, und deshalb grade ganz dolle mit mir kuscheln willst."
Ich breite meine Arme aus und drücke ihn feste an mich.
Und dann muss ich einfach mal ganz fest Kwons Hand drücken. Schon wieder hat er es möglich gemacht, dass Jimin einen riesigen Schritt vorwärts gekommen ist. Wir reden noch eine Weile miteinander. Jimin setzt sich dann wieder neben mich, fängt an zu schreiben und stellt uns dabei ganz viele Rückfragen. Als Kwon schließlich wieder zurück nach Frankfurt aufbricht, merkt Jimin das kaum. Er hat nämlich das blaue Tagebuch geschnappt und schaut sich gezielt viele der alten Erinnerungen an. Er sucht nach den Momenten, wo er sein Inneres Kind zurück lassen musste. Damit er genau an den Punkt zurückkehren und es wieder finden und „nach Hause" holen kann. Dieses Bild finde ich wunderschön. Jimins Selbstheilungskräfte sind erstaunlich. Da zeigt sich sein eigentliches Wesen: er macht aus allem das Beste! Sieht in allem und jedem das Gute! Solange er einen Sinn sehen kann, gibt er nicht auf!
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8.2.2019 - 5.6.2019 - 29.8.2019
1.11.2019 - 11.4.2020
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