Sonntag - 33.1 - Best of me

Don't forget  -  it's fiction!

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Sonntag Morgen in einem deutschen Wohnzimmer. Da Jimin so früh schlafen gegangen ist, wacht er heute entsprechend früh auf. Und so finde ich ihn wiedermal im Wohnzimmer beim Training. Aber diesmal ist es kein verzweifeltes Wollen sondern ein konzentriertes Üben und Ausprobieren. Er hat sich offensichtlich schon eingesungen und aufgewärmt. Und ein neues Stück durchbuchstabiert. Seine Bewegungen sind sicher, seine Stimme ist fest und klar. Seine Ausstrahlung intensiv. Ich kann mühelos die legere Kleidung und mein unordentliches Wohnzimmer drumrum wegdenken. Mein ganzer Fokus liegt wie gebannt auf dem Tänzer in der Mitte.

Er hat sich „Best of me" vorgenommen. Das Stück, das eigentlich zur Zeit am Ende des Programms als Zugabe stehen sollte und bisher seinetwegen ausgefallen ist.
Konsequent! Da hat er nämlich auch ganz viel Power und singen gleichzeitig! Und er wird es bald brauchen.
Jimin merkt gleich, dass ich da bin, lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen. Nach einer Weile ist er zufrieden. Er lässt sich aufs Sofa plumpsen und schaut mich erwartungsvoll an. Ich reagiere einfach mal nicht.
„Und?"
Neugierig fragt er schließlich doch.

„Wie war es denn für dich?"
Ich gebe den Ball zurück.
„Du hast dir zum ersten Mal etwas ganz alleine erarbeitet. Bist du zufrieden?"
Erst schaut er mich irritiert an, dann grinst er.
„Jaja, ich hab verstanden, ich soll nicht auf dein Urteil warten sondern mir selbst Bestätigung geben. - Gut. Es war gut. Das Einsingen war überhaupt kein Problem. Und dann hab ich einfach die Augen zugemacht und mir vorgestellt, dass da Publikum sitzt. Habe mir die gute Laune und die Euphorie vorgestellt. Und so den Text angeschaut. Was er mir bedeutet. Was ich fühle, wenn ich den Song vor 17.000 Menschen singe."
Seine Augen strahlen beim Reden. 

"Was du gesehen hast, war zum ersten Mal seit langem das tiefe Gefühl, dass ich mein Bestes geben will und auch kann."
Ich lasse ihn immer noch zappeln, und er zieht einen Schmollmund, wohl wissend, dass ich ihn teste.
„Und warum hast du dieses Stück ausgewählt?"
Jimin seufzt.
„Weil ich auf der Suche nach Stücken, bei denen ich Gesang und Tanz kombinieren muss, darauf gestoßen bin und mir aufgefallen ist, dass ich genau das in den nächsten Wochen brauchen werde. Es war reiner Pragmatismus, kein 'ich wäre so gerne toll'-Hintergedanke."

Ich nicke glücklich.
Das wollte ich hören.
Jetzt muss er doch grinsen.
„Und? Probe bestanden? Dann kannst du mir ja jetzt den roten Teppich ausrollen und in Begeisterungsstürme ausbrechen und mich überschwänglich in die Arme nehmen."
Geht doch!
„Kriegst du. Alles!"
Ich strahle ihn an, gehe zu ihm und nehme ihn fest in die Arme.
„Und wo bleibt der rote Teppich?"
Entschuldigung – aber das schreit danach, durchgekitzelt werden zu wollen. Jetzt hast du gelitten, mein Lieber!
Da ich die längeren Arme habe, kann ich seine Kraft und Wendigkeit locker ausgleichen, lasse die Umarmung geschickt in einen Schwitzkasten übergehen, und bald bettelt er kichernd um Gnade.
„Na gut. Der rote Rand von eurem Wohnzimmerteppich tuts auch."
Er tut so, als wäre es reine Gnade von ihm und lässt sich theatralisch aufs Sofa plumpsen.

Der unvermutete Themenwechsel mit dem nächsten Satz schmeißt dafür mich fast um.
„Du, sag mal, heute ist doch Sonntag. Gehst du da nicht normalerweise in die Kirche?"
Ähhh ...
„Ja. Schon. Aber ich muss nicht jeden Sonntag hin. Jetzt bist du doch hier."
Irritiert sehe ich ihn an.
„Und wann beginnt die Kirche?"
Mein Blick huscht zur Uhr über der Küchentür.
„In anderthalb Stunden. Warum?"
Energisch steht er auf.
„Dann gehe ich jetzt duschen, dann frühstücken wir. Und dann fahren wir zusammen zur Kirche."

Uff! Hä???
„Aber Jimin. Das musst du nicht. Du verstehst doch kein Wort! Und selbst wenn, glaubst du nicht dran. Ich will nicht, dass du ..."
Ich fange an zu stottern.
„Weiß ich."
Er unterbricht er mich einfach.
„Das haben wir doch alles schon durch buchstabiert. Du stülpst mir nichts über, was ich nicht will. Ich bin neugierig! Und – es ist wie in der Kirche in Rom, wo wir auch ohne dich das Magnificat gesungen haben. Ich muss nicht an deinen Gott glauben, um zu ehren, was dir wichtig ist. Bin gleich wieder da!"
Mit diesem Schlachtruf verschwindet Jimin die Treppe hoch ins Bad, und ich starre ihm verblüfft hinterher.

Doch bald kommt Leben in meine Beine. Ich sause die Treppe ganz hoch und informiere Markus, was Jimin mit mir vor hat. Der steht sofort auf, um Frühstück zu machen. Kurz werfe ich noch ein „guten Morgen!" und die selbe Information durch die Kinderzimmertüren, dann flitze ich in den Keller an meinen PC.
Das wäre doch gelacht!
Ich fahre mein Läppi hoch und fange an zu googeln. Erstmal den Sonntag im Kirchenjahr – Jubilate, gut. Dann die Predigtreihe – die Vierte, Lesung aus Johannes, gut.

Jetzt wird's komplizierter. Der Text aus Johannes und das Vater Unser und Glaubensbekenntnis auf Koreanisch.
Komm schon! Ein Drittel aller Koreaner sind Christen. Da wird's doch wohl irgendwo ein Vater Unser geben!
Und –
Bingo! Auf die Bayern ist Verlass.
Nix Korea - die bayrische Landeskirche hat in drölfundblubbzig Sprachen die komplette evangelische Gottesdienstordnung zum Ausdrucken.
YES!!!
Das seh ich doch gar nicht ein, dass Jimin da eine geschlagene Stunde rumsitzt und sich mit Anstand langweilt, nur um mich glücklich zu machen. So kann er fast alles mitlesen und verstehen, worum es geht. Schnell noch zum Drucker geflitzt. Und schon bimmelt es oben zum Frühstück. Den Bibeltext kann ich nicht finden auf die Schnelle. Aber die Liturgie ist schon mal super.

Die Kinder haben sich gnädigerweise aus den Betten geschält fürs gemeinsame Frühstück. Anschließend schlappen sie wieder nach oben, und ich gehe mit Jimin zur Tiefgarage. Auf dem kurzen Weg drücke ich ihm seine koreanisch-deutsche Gottesdienstordnung in die Hand.
„Hier, für dich! Das ist der komplette Ablauf. Das ist zwar in jeder Gemeinde ein bisschen anders, aber im Wesentlichen wird es stimmen. So kannst du mitlesen und weißt, was wir da eigentlich tun."
Strahlend nimmt er seine Gottesdienstordnung entgegen und fängt an zu lesen.

„Erde an Jimin? ... Könntest du bitte wenigstens auf der Treppe kucken, wo du langläufst?"
Nichts zu machen. Ich zupfe ihm das Papier wieder aus der Hand und grinse in sein empörtes Gesicht.
„Hei, ich will doch nur, dass du heile beim Auto ankommst!"
Unterwegs versuche ich dann noch ein bisschen, ihm zu erklären, worum es beim Gottesdienst generell geht und was es mir persönlich bedeutet, gemeinsam mit anderen Christen zu singen, zu beten und über ein paar zusammengehörende Texte aus der Bibel nachzudenken.

Wir sind sehr frühzeitig da, und so kann ich Jimin in Ruhe unsere Kirche zeigen. Die Pfarrerin wurschtelt schon rum, zündet die Kerzen auf dem Altar an, legt sich alles zurecht. Als sie uns reinkommen sieht, stutzt sie, schaut Jimin genau an und begrüßt mich dann.
"Guten Morgen! So früh? Und das ist auch nicht der selbe junge Mann wie neulich, oder?"
Gut erinnert!
„Guten Morgen! Nein, das ist sozusagen der nächste. Es ist ja eine Musiker-Gruppe von sieben jungen Männern. Der von neulich hatte die Aufgabe, mich zu beschäftigen, während die anderen das Abschiedsfest vorbereitet haben, und wollte dabei auch die Kirche sehen. Sie sind am nächsten Morgen abgereist. Und dieser hier ist krank geworden – frag einfach nicht – und lässt ein Wochenende der Tournee aus. Darum ist er nun alleine hier, damit er nicht dumm in irgendeinem Hotelzimmer rumsitzt, und hat darauf bestanden, mit mir in den Gottesdienst zu gehen. Das ist Park Jimin aus Südkorea. Jimin, das ist Pfarrerin Heidemarie Holthaus. Sie wird heute den Gottesdienst leiten."

Heidemarie strahlt ihn an.
„Herzlich willkommen in unserer Kirche! Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl."
Jimin verbeugt und bedankt sich. Die Wärme in Heidemaries Stimme war einladend genug, auch ohne dass er ein Wort verstehen musste.
„Jimin versteht nahezu kein Wort Deutsch, Englisch funktioniert einigermaßen. Aber ich habe im Internet bei den Bayern eine komplette Lithurgie auf deutsch-koreanisch gefunden und ihm ausgedruckt. Er kann dem Gottesdienst also folgen. Und mehr möchte er auch gar nicht. Einfach dabei sein. Ist heute der normale Ablauf?"
Sie nickt.
„Ja, ganz normal. Kein Abendmahl, keine Taufe, keine Extrawürste. Ist auch mal ganz gut."
Heidemarie macht sich wieder an ihre Vorbereitungen, und ich überfliege nochmal den Ablauf, schreibe von der Tafel die Liednummern rein und streiche durch, was für uns nicht relevant ist. Die Bayern stehen viel öfter als wir, und drei Lesungen haben wir auch nicht ...

Jimin betrachtet die bunten Fenster im Altarraum, den Taufstein, dreht sich um und bewundert die vielen riesigen Orgelpfeifen auf der Empore. Dann setzen wir uns in meine Lieblingsbank ziemlich weit vorne. Kurz vor 10:00 füllt sich die Kirche merklich. Die Glocken bimmeln schon, manch Bekannter begrüßt mich, und Jimin verbeugt sich jedesmal scheu. Kurz bevor es losgeht, bete ich noch, dass unser „heiß geliebter Superorganist" heute ausnahmsweise mal keine Egoshow abzieht sondern ganz normal und brauchbar den Gemeindegesang begleitet. Und netterweise tut er mir den Gefallen.

Ich tauche wie immer ein in das Gemeinschaftserlebnis, während Jimin konzentriert in seiner Ordnung mitliest. Bei den Liedern summt er mit. Bei der ersten Lesung zückt er plötzlich sein neues, nun gelbes Notizbuch und fängt an zu schreiben. Sein Stift fliegt über die Seiten wie immerzu in den letzten Tagen. Und als der Gottesdienst rum ist, schaut er mich an und verblüfft mich.
"Du bist so ruhig und entspannt geworden in dieser Stunde. Das tut dir wirklich gut!"
Beim Rausgehen bedankt er sich nochmal bei Heidemarie.

Im Auto fragt er mir dann Löcher in den Bauch. Warum ich beim Beten die Hände mal falte und mal nach oben geöffnet halte. Warum wir manchmal aufstehen und manchmal nicht. Warum die Pfarrerin beim Beten manchmal zur Gemeinde gerichtet steht und beim nächsten Mal zum Altar. u.s.w. ... Manches kann ich selbst nicht beantworten. Aber seine Aufmerksamkeit und Neugierde machen mir ganz viel Spaß.

주님의 기도

하늘에 계신 우리 아버지
아버지의 이름이 거룩히 빛나시며
아버지의 나라가 오시며
아버지의 뜻이 하늘에서와 같이 땅에서도 이루어지소서.
오늘 저희에게 일용할 양식을 주시고
저희에게 잘못한 이를 저희가 용서하오니
저희 죄를 용서하시고
저희를 유혹에 빠지지 않게 하시고
악에서 구하소서.
(주님께 나라와 권능과 영광이 영원히 있나이다.)

아멘.

Zuhause wartet schon das Mittagessen auf uns. Aber erst scheuche ich Jimin noch auf die Waage. Das haben wir nämlich heute morgen zum zweiten Mal vergessen.   

Freudestrahlend kommt er wieder runter. Er hat wieder deutlich zugelegt.
„Ich schaff das locker bis London! Was krieg ich dann, wenn ich die Wette gewonnen habe?"
Es ist nicht zu fassen! So hat unser Simon als Achtjähriger um jedes Stück Schokolade verhandelt! Schon wieder das Innere Kind. Und so sprunghaft! Im nächsten Moment ist er draußen bei den Meerschweinchen und holt sie sich zum Kuscheln rein.  

 Apropos – das 'Innere Kind' ... Kwon wartet noch auf meinen Startschuss. Ich sehe, dass bis zum Mittagessen noch ein bisschen Zeit ist.
„Jimin, ich möchte dich was fragen beziehungsweise dir was vorschlagen."
Mit den Schweinchen auf dem Schoß kuschelt er sich neben mich aufs Sofa und schaut mich erwartungsvoll an.
„Du hast mich gestern gefragt, ob ich dich kindisch finde, wenn du mit mir kuschelst, obwohl du doch schon erwachsen bist. Und ich habe dich etwas abgewürgt, weil ich wollte, dass du erstmal schläfst. In Wahrheit habe ich mich auch davor gescheut, dir zu erklären, warum du das tust. Weil du in dem Moment so müde und grade erst wieder entspannt warst."

Wieder zögere ich.
"Ich glaube, ich weiß ein bisschen was, was ich dir auch erklären kann. Ich bin mir aber gar nicht sicher, ob ich das tun sollte. Die Psychologen benutzen dafür ein Bild, das ich ganz gut erklären kann. Aber dann wird es in deiner Seele anfangen zu arbeiten. Und ich überlege die ganze Zeit, ob ich da was anstoße, dem ich dann auch gewachsen bin. Oder ob es nicht eigentlich unverantwortlich ist, das als Laie einfach auszuprobieren. Verstehst du?"
Jimin denkt einen Augenblick nach.
„Das war aber doch eigentlich eine ganz harmlose Frage."
Ich nicke.
„Ja, aber wenn ich dir das psychologische Konzept erkläre, kann das ganz schnell aufhören, harmlos zu sein. Denk einfach drüber nach. Und wenn du magst, kommt Kwon her und hilft uns. Wenn nicht, ist es auch absolut o.k."
Da schüttelt er den Kopf.
„Ich muss nicht mehr nachdenken. Ich vertraue dir. Ich fühle mich wohl und sicher bei dir. Du wirst es so gut machen wie alles bisher."
Ich hole tief Luft. Die große Verantwortung bleibt.
„Gut, dann bimmele ich jetzt kurz Kwon an, und heute Nachmittag wagen wir uns gemeinsam ran."  

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6.2.2019    -    4.6.2019    -    1.11.2019
10.4.2020

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