Samstag - 32.1 - Mit dem Herzen singen, wenn der Körper tanzt

Don't forget - it's fiction!

....................................................................................................................

Es ist Samstag, wir können also ausschlafen. Äh - könnten. Denn Jimin freut sich dermaßen darauf, ohne Sprachbarrieren mit Heike arbeiten zu können, dass er wieder relativ früh wach ist. Er schleicht sich mit Kwon nach unten, um niemand zu wecken, und nach einem Ausflug ins Bad machen die beiden ein wundervolles Frühstück für uns alle. Sie genießen die Zeit zu zweit. Kwon ist längst nicht mehr der Kofferträger vom März und der Dolmetscher von Rom. Auch er ist ein Freund geworden, der für die Jungs immer zu den großen Geschenken aus Deutschland gehören wird.

Als unsere Familie nach und nach zur verabredeten Zeit zum Frühstückmachen eintrudelt, ist schon alles bereitet. Wir haben den Luxus, uns einfach an den gedeckten Tisch setzen zu dürfen. Bald danach machen wir uns auf zur nächsten Gesangsstunde. Heike und Mauri begrüßen uns alle drei. Jimin ist nervös.

Aber Heike beruhigt ihn gleich und macht einen Vorschlag.
"Ich finde es wichtig, dass du das, was wir hier erarbeiten, hinterher sicher alleine abrufen kannst. Das Einsingen zum Beispiel. Ich leite das ja an und korrigiere dich auch. Wenn du nicht mehr hier bist, musst du das selbst können. Ich will heute versuchen, dich mehr selbst machen zu lassen, damit du ein Gefühl dafür bekommst. Und wenn du das Einsingen und unsere Standardübungen gut selbst abrufen kannst, dann machen wir uns an deinen Herzenswunsch. Ich finde es wirklich großartig, wie ausdauernd und intensiv du hier mitarbeitest. Du lernst nicht einfach, noch besser zu singen. Ich sehe, dass du gleichzeitig auch immer im Blick hast, was das für dich persönlich bedeutet, und wie es sich auf die Qualität deiner Arbeit auswirkt. Mir macht es jedenfalls ganz viel Spaß, mit dir zu arbeiten."

Jimin strahlt. Es sieht aus, als könne man das Licht im Raum ausknipsen, und es wäre immer noch taghell, so glücklich ist er, dass Heike ihn verstanden hat.
Ich liebe meine Heike einfach dafür, WIE einfühlsam sie ist. Danke, dass du das wieder so fantastisch hingekriegt hast!

Die Stunden heute verlaufen wie immer und doch ganz anders. Denn Kwon legt eine emotionale Standleitung zwischen Heike und Jimin, und er wächst dabei über sich selbst hinaus. Ich habe nun so lange bei Heike gesungen und immer unmittelbar die Wirkung ihrer ganzheitlichen Art zu singen spüren dürfen. Heute erlebe ich, wie sie sanft und mit feinsten Nuancen Jimin zu sich selbst führt. Zunächst singt er sich ein, und Heike korrigiert nur, wenn es nötig ist. Er soll möglichst im Fluss bleiben.

Ich bin das gewohnt und gleichzeitig völlig fasziniert - an Jimins Haltung, Stimme und Mimik kann ich seine Reaktionen auf ihre ganz kleinen Korrekturen erkennen. Die Arbeit ist intensiv wie immer. Aber heute ist neben der Konzentration noch eine umfassende Ruhe im Raum zu spüren, die ich fast mit Händen greifen kann. Immer wieder schließt Jimin die Augen, sammelt sich und stimmt sich auf seine Aufgabe ein, bevor er eine Übung macht. Er drängt nicht mehr vorwärts, er will nicht mehr alles auf einmal, er genießt den Augenblick. Er genießt sich selbst!

Nach einer Stunde macht Heike eine Pause. Jimin legt sich einfach mit Mauri auf den Fußboden und kuschelt. Heike geht nach nebenan, weil sie ein wichtiges Telefonat führen muss, das sich nicht verschieben lässt. Kaum ist sie aus dem Raum, da schaut Kwon mich an.
„Ich weiß mit dem Kopf, dass ich überhaupt keine Zeit habe, jetzt neben meinem Studium auch noch Gesangsunterricht zu nehmen. Aber mein Herz will grade nur noch singen."

Kurz danach kommt Heike zurück und lächelt Jimin an.
„So. Und jetzt darfst du. Wenn du mir ..."
Im Nullkommanix ist Jimin auf den Beinen.
„Jei!"
Mauri springt erschrocken zur Seite und bellt. Wir müssen so lachen! Da stutzt Jimin.
„Tina. Ich weiß nicht, womit ich anfangen soll..."
Ich muss wieder grinsen.
„Wie wärs damit, dass du Heike erstmal weiter zuhörst?"
Jimin wird rot und entschuldigt sich, aber Heike winkt ab.
„Schon o.k. Deine Freude macht mir ja Spaß. Ich wollte sagen: 'Lie' hatten wir schon am Donnerstag. Wenn du mir noch einen anderen Song vorführst, wo du Gesang und Tanz koordinieren musst, können wir damit weiter arbeiten."
Jetzt bin ich gespannt, wofür er sich entscheiden wird.

„Tina? Ich kann mich immer noch nicht entscheiden..."
Ich hatte auch schon drüber nachgedacht, was sich fürs Üben hier besonders gut eignet.
„Wenn du noch ein Solo üben willst, könntest du 'Serendipity' nehmen. Das kommt ja demnächst. Von den Gruppenchoreos eignet sich sicher 'Fake Love' am besten oder aber der neue Powersong 'Idol'."
Jimin schnappt sein Handy und überlegt noch kurz. Dann schmeißt er das Dance Practice Video zu 'Fake Love' an. Heike staunt, was Jimin da zu leisten hat, sie alle eigentlich. Jimin erklärt den Sinn des Songs, Kwon übersetzt ihr den Text. Dann schaut sie nochmal hin und pickt sich den Refrain gegen Ende nach Jimins Solo raus.
„Ich bin neugierig, wie du diese zackigen Bewegungen mit fließender Stimme zusammen kriegen willst. Mach einfach mal."

Schon spannend, was technisch alles möglich ist. Die Leute von BigHit haben Jimin Dateien geschickt, bei denen nur seine Stimme rausgefiltert ist, alle anderen sind da. Also tanzt er nun - soweit es der Platz zulässt - einmal den Abschnitt aus 'Fake Love' vor und singt seine Stimme dazu, so wie er es gewohnt ist.

„Soll ich dir mal zeigen, was ich am Mittwoch mit Tina gemacht habe?"
Heike nickt. Ich starte eine Filmaufnahme. Jimin schließt die Augen, konzentriert sich. Er singt seinen Part, ohne zu tanzen. Dann singt er mit Tanz und versucht, den Kopf auszuschalten und seinen Körper machen zu lassen. Das gelingt dann auch zum Teil. Aber eben nicht immer und nicht automatisch. Abwartend sieht er Heike an. Die muss nun erstmal überlegen.
„Mach nochmal."
Wieder konzentriert sich Jimin kurz und tanzt und singt dann nochmal.
„Also zunächst mal höre ich, dass du das Wesentliche unserer Arbeit sehr gut auf diesen Song übertragen kannst. Das ist schon mal super. Dann sehe ich tatsächlich, was dein Problem ist: grade deine Bauchmuskeln müssen hier zwei Sachen auf einmal machen. Und das geht natürlich nicht vom Kopf her gesteuert. Es ist also eine mentale Aufgabe, die es zu lösen gilt. Zeig mir doch mal eine Liveaufnahme von dem Song, wo man dich gut sieht."

Jimin googelt kurz und hält ihr dann eine Fan-Cam aus Paris hin. Man sieht hier sehr gut, was da alle leisten müssen, und man hört sehr deutlich, dass eigentlich alle Sänger bald außer Atem sind und ihre Stimme nicht mehr ganz unter Kontrolle haben. Heike schnappt sich das Handy, springt durch den Song, vor und zurück. Schaut mich kurz an, dann wieder den Bildschirm. Dann winkt sie Kwon ab und richtet sich an mich.
„Jetzt habe ich es glaube ich wirklich verstanden. Ich habe jetzt fünf Stunden lang mit Jimin gearbeitet. Er hat eine sagenhafte Stimme, unglaublich viel Einfühlungsvermögen, Ausdruckskraft und eine sehr schnelle Auffassungsgabe. Aber ... Was macht dich so sicher, dass ich diese Quadratur des Kreises mit ihm schaffen kann???"
Mach mich nicht nervös, Mädel!

„Weil ich es schon fast geschafft habe am Mittwoch. Du hast den Effekt grade eben gesehen. Alles, was ich kann, habe ich von dir. Und du kannst sooo viel mehr. DAS macht mich so sicher."
In Heikes Gesicht steht der Zweifel.
„Dann erkläre mir bitte nochmal genau, WAS du da am Mittwoch fast geschafft hast."
Wir geben Kwon das Zeichen, dass er wieder übersetzen soll. Noch einmal erzähle ich ihr von Jimins Aha-Erlebnis.

„Jimin ist von seinem Ursprung her Tänzer, und er lernt schnell. Ein paar andere in der Gruppe lernen deutlich langsamer. Und bis die auf dem selben Niveau und völlig synchron mit den zentralen Tänzern sind, haben diese jede kleinste Bewegung bereits total automatisiert. Mein Gedanke war also: wenn Jimin auch das Singen total automatisiert, hat er zwei Bausteine, die er nicht mehr denken und kontrollieren muss. Zwei Bausteine, die er intuitiv aneinander fügen kann, weil er nicht mit dem Kopf entscheiden muss: 'benutze ich diesen Muskel jetzt für Aufgabe A oder für Aufgabe B?'. Und meine Hoffnung ist: wenn er auch deine üblichen Bilder im Kopf und die Gefühlsbindung des Textes automatisiert, dann kann sein Körper vielleicht tatsächlich beides gleichzeitig. Dann können die sängerische Atmung und der weite Kehlkopf vielleicht bestehen bleiben, auch wenn er gleichzeitig tanzt. Nachdem ich ihm das erklärt hatte, hat Jimin am Mittwoch erst bewusst nur getanzt. Dann bewusst nur gesungen, so wie eben. Und dann mental auf Durchzug geschaltet und seinen Körper machen lassen. Über weite Strecken des Songs ist es ihm so gelungen, die sängerische Qualität aufrecht zu erhalten. Nur bei den hohen Tönen ist er gekippt. Und auf ein komplettes Konzert übertragen ist es einfach unmöglich, das mit reiner Konzentration durchzuhalten. Nur Automatisierung kann das schaffen. Und das ist es, was er sich von dir wünscht. Im Grunde ist die Aufgabe: lehre ihn, selbständig an der Automatisierung zu arbeiten - und die Macht der Imagination! Verstehst du? Automatisierung und Imagination sollen die bewusste und gesteuerte Konzentration ersetzen."

Jimin ist derweil ein bisschen nervös geworden. Er versteht grade nur Bahnhof, und warum durfte er eben nicht zuhören? Doch nun nimmt Heike ihm diese Sorge wieder.
„Jimin, entschuldige, dass wir dich grade vom Gespräch ausgeschlossen haben. Ich war etwas verunsichert und wollte Klarheit haben. Pass auf. Was ich mit dir machen kann, ist, dass wir noch an mehreren Songs von euch arbeiten, um deine sängerische Umsetzung immer besser zu automatisieren. Und jeweils danach setzen wir den geübten Gesang zusammen mit dem Tanz. Was du dabei lernen wirst, ist, dir egal welchen Song inhaltlich so intensiv anzueignen, dass du im Laufe der Zeit tatsächlich die Kombination immer besser hinkriegst. Auch ohne meine Hilfe und Anleitung. Bis alle Bausteine automatisiert sind, wirst du noch eine Weile dran arbeiten müssen. Aber ich glaube, dass du das schaffen kannst, weil du dir grade nichts so sehr wünschst wie eben das."

Jimin hört konzentriert zu und nickt dann. Er holt den Text von „Fake Love" raus und fängt an, Zeile für Zeile emotional durchzubuchstabieren. Dann holt er ein Colour-Code-Video hoch, setzt den Text in Beziehung zur Musik. Er denkt einfach die ganze Zeit laut und lässt uns teilhaben an seiner Entdeckungsreise durch „Fake Love". Dabei spielt er mit seiner Stimme, wiederholt einzelne Phrasen lauter und leiser, legt Gefühl in die Stimme. Aufmerksam beobachtet Heike ihn, greift fast nicht ein. Schließlich hört er sich nochmal den ganzen Song an und murmelt dabei vor sich hin, um dann das Playback laut zu stellen und seine Zeilen darauf zu singen. Heike macht ihn nun auf ein paar Stellen aufmerksam. Während ich die nächste Filmaufnahme starte, singt Jimin noch mal. Und dann konzentriert er sich, tanzt den Song - mehr oder weniger auf der Stelle, weil der Raum so klein ist, aber mit genau so viel Intensität - und singt dazu seine Zeilen. Unsere Augen werden immer größer: kein Wackler in den Bewegungen, kein Bruch in der Stimme - pure Trauer und Verwirrung und schmerzhafte Erkenntnis der fehlgeleiteten Liebe. WOW!

Am Ende verharrt Jimin einen Moment in der vorgebeugten, gekrümmten Haltung seiner Schlusspose, außer Atem - und, als wollte er sich unserer Reaktion nicht stellen. Darum steht Heike auf, geht zu ihm hin und zieht ihn hoch.
„Das war wundervoll, Jimin! Ab jetzt musst du nur noch üben, üben, üben. Aber den Schlüssel hast du längst gefunden."
Erleichtert und glücklich grinsend lässt er sich einfach auf den Teppich plumpsen und streckt seine Arme nach Mauri aus. Langsam kommt er wieder zu Atem und in die Ruhe, während er mit dem Hund knuddelt.

Wir drei anderen schauen uns an.
„Schschsch...schade, dass Korea so weit weg ist. Allmählich reizt mich das ganze auch immer mehr. Ich habe nicht geglaubt, dass wir so schnell so weit kommen werden. Und ich habe den Verdacht, dass da noch so viel mehr drin ist."
Okeeee ... Das klingt fast sehnsüchtig! Dass Heike sich so weit aus dem Fenster lehnen würde, hatte ich jetzt nicht erwartet.

„Jimin, für einen weiteren Song ist heute noch die Zeit."
Jimins Gesicht taucht aus dem Fell von Mauri auf.
„Echt? Mal überlegen."
Angesichts der großen Anstrengung eben mische ich mich ein.
„Ich denke, du solltest jetzt nicht an 'Idol' oder sowas Anstrengendes denken. Gesang und Choreo habt ihr ja öfter. Und intensiv ist es immer. Aber 'Airplane pt.2' zum Beispiel hat nicht ganz so viel Tempo, und du musst nicht so oft ran, weil da mehr Hobi im Zentrum steht. Wie wärs damit?"

Sofort sucht sich Jimin die entsprechenden Dateien für den Song zusammen und führt Heike erstmal wieder ein Colour-Code-Video, eine deutsche Übersetzung und dann eine Live-Version vor.
„Äh - sagtest du nicht, das hat nicht so viel Power??? Das ist eine Chacha!"
Jimin und ich müssen grinsen. „Idol" ist ja noch gar nicht draußen, das können wir also nicht vorführen. Aber ich habe die Proben in unserem Wohnzimmer gesehen ...
„Ja, genau. Nicht so viel Power wie 'Idol'. Sobald das veröffentlicht ist, kriegst du einen Link, und du wirst mir sofort Recht geben. Versprochen!"

In der letzten halben Stunde für heute zieht Jimin mit leiser Unterstützung von Heike das selbe Verfahren durch wie eben bei „Fake Love". Wieder nehme ich die erste und letzte Version mit der Handykamera auf. Und wieder haut uns das Endergebnis aus den Socken. Jimin allerdings auch. Er hat sich voll konzentriert, ich habe ihn beobachtet und es laufen lassen. Aber jetzt nach dem Tanzen kann er kaum noch stehen, atmet schwer und schwankt.#
„Hinsetzen! Ausruhen! Sonst reißt mir Mareike den Kopf ab!"
Jimin lässt sich auf den Boden plumpsen, ausgepowert, aber glücklich, und Mauri klettert kurzerhand quer auf ihn drauf. Klare Ansage: nicht bewegen!

Während Jimin die Arme um den Hund legt und langsam wieder Farbe im Gesicht kriegt, höre ich mit Staunen, wie Heike im Flur ihre aus dem Zoo zurückkehrende Familie begrüßt und ihren Mann sofort anspricht.
"Glaubst du, du kannst am Montag ganz spontan einen Tag freimachen? Oder wenigstens den halben? Oder zu Hause arbeiten? Was ich heute erlebt habe, schreit nach mehr. Und ich würde am Nachmittag so gerne einmal die ganze Gruppe kennenlernen ..."
Mit aufgerissenen Augen starrt Kwon mich an.

Als Heike wieder rein kommt und unsere Blicke sieht, legt sie sofort warnend den Finger vor den Mund.
„Scht! Ich weiß noch nicht, ob mein Mann frei kriegt. ER soll sich nicht umsonst vorfreuen. Ob es klappt, kann ich euch dann erst bei der Stunde am Montag Morgen sagen. Ich kann auch nicht mit allen ausführlich arbeiten. Ich habe ja nun alle Stimmen gehört, und jeder von denen bräuchte was anderes. Aber es reizt mich so sehr! Ich kann ihnen wenigstens zeigen, wie ich mit Jimin gearbeitet habe. Ob und wie sie das dann übertragen bekommen, ist deren Sache. Drück' die Daumen, dass es klappt!"
Und wie!!!!! Darauf kannst du Gift nehmen!

........................................................................

31.1.2019    -    4.6.2019    -    1.11.2019
10.4.2020

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top