Montag - 34.5 - Abschied auf Raten

Don't forget  -  it's fiction!

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Taehyung und Yoongi haben es ja ausgedrückt: nach diesen fast drei Stunden sind sie alle völlig abgefüllt mit Informationen und Emotionen und so ausgepowert, dass Heike ihnen zum Abschluss nur noch einmal einzeln mit wenigen Worten aufzeigt, was sie bei jedem am Anfang gehört und was für Veränderungen sie wahrgenommen hat. Und nun verabschiedet sie sich von allen. Sofort senkt sich Trauer auf Jimin wie eine Glocke. Er verstummt und zieht Mauri zu sich. Heike wendet sich seufzend zu mir.
"Ich könnte ja morgen Vormittag nochmal wieder kommen. Aber das schiebt den Abschied doch nur raus!"
Doch Kwon hat sie gehört und ihren Blick zu Jimin verstanden. Er stellt sich zu uns und antwortet ihr leise.
"Der Flieger morgen geht erst um 15:00 Uhr. Das heißt, dass die Jungs erst um 13:00 Uhr hier weg müssen. Und wenn wir heute Abend gemeinsam darüber reden, wird es Jimin morgen nicht so schwer fallen. Er hat das einfach noch nicht an sich rangelassen."
Ich lausche in mich rein.
„Aber dann hat er zwei Abschiede auf einmal."
Und mit einem Seitenblick auf Jimin und Mauri ergänze ich meine Aussage.
"Eigentlich drei ... Und ganz nebenbei. Ich habe morgen ja auch sieben Abschiede, kann mich also schlecht auf Jimin allein konzentrieren."
Kwon nickt. „Ich habe schon verstanden. Und ich kann auch morgen Vormittag beim besten Willen nicht kommen. Es ist deine Entscheidung, Heike. Wenn du kommst, rede ich nachher noch mit PD und Namjoon, und dann machen wir das heute Abend zum Gespräch. Das sollte vielleicht sowieso passieren, weil Jimin diese sehr intensiven Tage loslassen muss und eventuell Hilfe dabei braucht."
Wie glücklich bin ich, Kwon mit im Boot zu haben. Er sieht und versteht so viel!

Schlagartig nagt dennoch der Zweifel an mir. Ich habe Jimin sehr viel einfach machen lassen, er hat so viel Seelenarbeit geleistet in den sechs Tagen, und ich war so stolz auf ihn. Aber nun wird mir plötzlich klar, dass er vermutlich echt Schwierigkeiten haben wird mit dem Abschied. Gar nicht so sehr nur von mir, auch zum Beispiel von Mauri. Und von dem Lebensgefühl hier – von der Freiheit, vom Umsorgtwerden, vom intensiven Spüren und in sich Hineinhorchen, von der Nähe zu seinem Inneren Kind. Er ist so sehr abgetaucht hier, dass das Auftauchen echt ein weiter Weg sein wird. Er nimmt das ja alles mit. Aber es wird alles in den Hintergrund rücken müssen, weil ab morgen Mittag die Arbeit wieder vorgehen muss und wird. Billboard und das Comeback rücken unaufhaltsam näher ...

Es wird mal wieder Zeit für eine stille Frage in meiner Gebetsecke. Aus dem Augenwinkel registriere ich noch, dass Namjoon uns und mich die ganze Zeit seeeehr aufmerksam beobachtet. Und so wundert es mich nicht, dass er recht schnell neben mir steht, als ich vor dem Regal ankomme.
„Ihr macht euch Sorgen um Jimin, richtig? Ist er noch nicht bereit zu gehen?"
Ich schüttele den Kopf.
„Wenn wir ihn fragen – ich bin mir sicher: noch lange nicht. Er wollte heute morgen auch nicht packen. Aber das hier ist künstlich. Das ist nicht seine Welt sondern eine kleine Glücksblase, die durch seine Realität geschwebt ist und morgen platzen wird. Wir haben uns grade gefragt, ob und wie wir ihn sanft wieder auftauchen lassen können ..."
Ich wende mich meinem Gebetsteller zu und frage stumm um Rat. Dann lege ich ein kleines Herz für Jimin vor den Engel, während ich spüre, dass Namjoon mir seine Hand auf den Rücken legt.

Heike geht derweil mit Kwon zu Jimin.
„Jimin? Kannst du mir sagen, was du jetzt brauchst?"
Der hebt den traurigen Blick, greift vorsichtig nach ihrer Hand und antwortet schließlich leise.
"Ich habe so Angst, dass ich all das, was ich hier gewonnen habe – durch dich, durch Mauri, durch die Suche nach meinem Inneren Kind -, dass ich das wieder verliere, wenn ich hier weggehe. All das Neue scheint plötzlich zu sein wie ein Schmetterling, der davon fliegt, sobald ich mich bewege."
Namjoon setzt sich zu den Dreien auf den Boden. Alle anderen im Raum begreifen, dass das wichtig ist, Markus lotst sie in den Garten. Und ich stehe neben meinem Gebetsteller, lausche in mich hinein – und erinnere mich, dass ich immer noch ein kleines Geschenk für Jimin habe.
Jetzt ist es soweit – es passt!

Ich setze mich auch auf den Boden.
„Jimin, du kennst doch meinen Elefanten aus Speckstein. Habe ich jemals erzählt, warum ich den immer bei mir trage?"
Jimin schüttelt den Kopf, ich habe jedoch sofort seine Aufmerksamkeit. Ich hole meinen Elefanten heraus.
„Ich kenne das Gefühl, dass mir alles zwischen den Fingern zerrinnt, dass ich nicht halten kann, was mir lieb und wertvoll ist. Ich kenne die Angst, dass Erinnerungen verblassen, Gesichter verschwinden und ich die Freude nicht mehr spüren kann."
Er nickt.

„Ich war einmal in einer Klinik, um dort eine Therapie zu machen, weil es mir zu der Zeit seelisch sehr, sehr schlecht ging. Ich hatte dort unter anderem zweimal in der Woche Kunsttherapie. Das heißt, dass man ein seelisches Thema mitbringt oder einen Satz oder ein Wort als Aufgabe bekommt und dazu mit irgendwelchem Material etwas gestalten soll. Man lässt seiner Seele freien Lauf und fängt einfach an. Ich habe keine Ahnung, wie und warum. Aber das Malen, die Bewegungen, die Entscheidungen dabei setzen sich in Verbindung mit der Seele, und dann malt praktisch sie. Das ist genau das, was ich vorgestern mit dir gemacht habe, so dass du dann diese ganzen Bilder gemalt hast. Ich habe einen Anstoß gegeben, du hast dich drauf eingelassen, und dann sind die Bilder nur so aus dir herausgeflossen."
Jimin lächelt verträumt.
"Mein Schrank. Mein liebes Kind, das glücklich schaukelt."

„Ganz genau. Dein Inneres Kind, das endlich gesehen wird, dass endlich aus dem dunklen Sturm heraustreten und einfach spielen und glücklich sein darf. Und du hast das heute Morgen ganz richtig gesagt: auch ich habe ein Inneres Kind, das manchmal weint. Als ich dieser Klinik war, hat mir eine Therapeutin eine Frage gestellt:'Wenn sie ein Tier wären – welches wäre das?' Ich war völlig ratlos. Ich habe diese seltsame Frage mit mir herumgetragen. Ein paar Tage später hatte ich eine Gesangsstunde bei Heike. Der habe ich von dieser Frage erzählt. Und sie fragte dann auch:'Und, welches Tier bist du?' Ich habe geantwortet:'Keine Ahnung, ich weiß nur, was andere über mich sagen würden: Ich bin ein Elefant – groß, dick, laut, trampelig.' Und das ist ja ein sehr trauriges Bild, das ich da von mir selbst gemalt habe.
Aber dann hat Heike mich sehr verblüfft, denn sie war sofort begeistert:'Oh, das ist toll. Elefanten sind ganz tolle Tiere! Sie sind stark, intelligent und sehr gesellig und so sozial. Das ist doch wundervoll!' Ich saß vor ihr auf dem Hocker, den du kennst, und habe nur gestaunt. Mit vier einfachen Sätzen hatte sie mein schlimmes Bild von mir selbst in ein Geschenk verwandelt. Mir fiel auf: ich hatte aufgezählt, was man auf den ersten Blick sieht. Sie hatte benannt, was für innere Werte im Elefanten stecken! Und mir fiel auch auf: ich bin vielleicht auf den ersten Blick so, wie ich es beschrieben habe. Aber die Menschen, die sich auf mich einlassen und mich kennenlernen, entdecken dann mein Inneres. Ich kann und darf so anders sein. Ich kann es nur nicht immer zeigen. Es gelingt einfach nicht immer. Und wenn es ganz dicke kommt, dann vergesse ich selbst, dass das in mir steckt."

Leise erzähle ich weiter.
"Als ich das nächste Mal Kunsttherapie hatte, habe ich erst nicht gewusst, was ich machen soll. Aber als ich den kleinen tortenstückförmigen Speckstein sah, entstand der Elefant von ganz allein. Seitdem habe ich ihn immer in der Tasche. Wenn ich an den Gesichtern anderer sehe, dass ich mal wieder zu laut oder zu aufgeregt bin, wenn ich vergesse, meinen Verstand zu nutzen oder auf mein Herz zu hören, wenn mir mal wieder alle Menschen zu viel sind und ich mich vergraben will – dann greife ich in meiner Tasche nach meinem Elefanten und erinnere mich: ich darf ruhig sein. Ich kann dieses Problem lösen, ich kann mich in den anderen hineinversetzen. Ich muss jetzt nicht vor diesen Menschen davon laufen. Mein Elefant ist meine spürbare Verbindung zu meinem Inneren Kind."
Jimin nimmt den Elefant aus meiner Hand und dreht ihn nachdenklich hin und her.

„Wartet eben! Ich hole was."
Ich flitze in den Keller. Als ich wieder hochkomme, schiebe ich eine kleine Tüte zu Jimin, aus der ich vorher heimlich ein Stück raus genommen habe. 

„Du hast Angst, dass die inneren Geschenke dieser Tage davon fliegen wie ein Schmetterling. In dieser Tüte ist etwas, das du in die Hand nehmen kannst, etwas, das nicht wegfliegt sondern immer da sein kann, um dich zu erinnern, wie mich mein Elefant."

Neugierig greift Jimin nach dem Tütchen und holt einige Puzzlestücke heraus. Fragend sieht er mich an.
"Leg einfach mal dieses Puzzle!"
Ich fordere ihn nochmal auf. Also fängt er an zu puzzeln und legt als erstes den Rand.

Sehr schnell registriert er darum, dass ein Teil fehlt – und sagt genau das, was ich erwartet habe.
"Da fehlt ein Stück."
Ich frage zurück.
"Ist das das erste, was dir auffällt?"
Jimin nickt, puzzelt weiter und sagt schließlich, was ihm auffällt.
„Das bin ja ich auf dem Bild, ich tanze! Wo ..."
„... ich das her habe? Ich hatte diese Idee schon kurz, nachdem ihr hier weggefahren seid. Ich habe das machen lassen bei einem Fotoservice. Und jetzt passt es. Leg das Puzzle einfach zu Ende."
Da das Puzzle nur 24 Teile hat, ist er schnell fertig.
„So. Was war das erste, was dir aufgefallen ist?" Unschlüssig schiebt Jimin das Puzzle hin und her, das fehlende Stück irritiert ihn sehr.
„Naja, dass da was fehlt. Wo ist das???" 

„Einen Moment Geduld, ich gebe es dir gleich. Heike, Kwon, Namjoon. Was war das erste, was ihr gedacht habt?"
Heike und Kwon bestätigen unisono, dass sie als erstes registriert haben, dass das ein Bild von einem Tänzer ist. Namjoon ergänzt, dass er sehr schnell das Bild von Jimin erkannt hat. Alle Drei sagen, dass es wunderschön aussieht, wie er elegant tanzt und einen Moment lang zu schweben scheint. Das fehlende Stück irritiert sie auch. Aber: es stört sie nicht.

„Merkst du den Unterschied, Jimin? Die allermeisten Menschen schauen sich selbst so an: da fehlt etwas! Wir anderen sehen: da ist ein Bild mit einem interessanten Farbschema, einer ausgewogenen Bildaufteilung und einem zentralen Motiv, das anziehend, elegant wirkt und neugierig macht. Schade, dass da ein Teil fehlt, aber das findet sich schon wieder. - Wenn wir grundsätzlich freundliche, zugewandte Menschen sind, sehen wir bei den anderen Menschen das Gute – und nehmen die Schwächen und Macken in Kauf. Bei uns selbst sehen wir nur, was wir nicht können, was uns fehlt."
Jimin nickt.

Ich lege das fehlende Stück mit der Rückseite nach oben auf meine flache Hand.
„Du siehst deine Fehler und Mängel. Du starrst auf die Lücke. Jede einzelne ARMY hingegen sieht den elegant tanzenden, glockenklar und schwebend singenden Jimin. Klar hören wir alle, wenn du schief singst! Aber wir hören ja nicht den einzelnen Ton sondern das ganze Lied, das du mit Leidenschaft und Emphase singst. Wir freuen uns am Ganzen, weil deine umwerfende Ausstrahlung den einen Ton locker wett macht. Und wenn da mal eine Bewegung nicht ganz stimmt – sei versichert: das sieht im normalen Publikum exakt NIEMAND! Das merkst nur du ..."
Tief seufzt Jimin auf.

„Du hast in deiner Ansprache in Rom gesagt: 'Ich werde um mich kämpfen, ich werde nicht aufgeben, ich lasse mich nicht unterkriegen. Für mich und für euch. Ich verspreche es!' Ich will dich gar nicht ermahnen – ich will dich ermutigen! Du bist heute traurig, und diese Trauer schiebt sich vor all das Schöne der letzten Tage wie eine dunkle Wolke. Deshalb hast Du Angst, dass du all das Gute aus der Zeit hier wieder verlieren wirst. Aber es ist noch da, auch wenn du es grade nicht sehen kannst. Du musst Abschied nehmen von Heike, von Mauri, von den Käfern im Wald und dem Geruch der Kiefernnadeln, von uns hier. Aber deshalb gibt es uns doch noch!
Du wirst nicht immer so nah an dir selbst dran sein wie jetzt grade. Manchmal wirst du auch einfach den inneren Schrank zumachen, weil du beim besten Willen keine Zeit hast, im Garten zu schaukeln. Aber das wird nie mehr für immer sein, weil du jetzt einmal dort warst und dich erinnert hast. Nimm dieses Puzzle mit und lege es ab und zu. Und dieses Stück steckst du dir in dein Portemonnaie oder deine Handyhülle. Es soll dich immer erinnern. Es wird nicht davon fliegen wie ein Schmetterling. Es wird da sein, wenn du es brauchst, um dich einen Moment lang daran festzuhalten."

Zögernd nimmt sich Jimin das letzte Puzzlestück aus meiner ausgestreckten Hand und setzt es ein. Dann wird sein Gesicht weicher.
„Du hast ein schönes Bild ausgesucht. Ich mag das. Es war ein besonderer Tag, und ich habe es genossen damals, mal wieder was anderes zu tanzen als unsere Idol-Tänze. Mich mal wieder nur auf das Tanzen, auf die Bewegung, auf meinen Körper, auf den Moment konzentrieren zu können."
Na, Gott sei Dank! Dann passt es ja wirklich, wenn er diesen Moment auch noch so positiv erinnert!

 Nun meldet sich Heike zu Wort.
„Jimin, kannst du dich heute von mir verabschieden? Oder fällt es dir leichter, wenn du dich nun seelisch darauf einstellst, dass du mich morgen gehen lassen wirst?"
Sein Impuls, nach ihrer Hand zu greifen, sie festzuhalten, ist deutlich zu spüren.
„Du kannst morgen nochmal wieder kommen???"
Heike nickt.
„Ich kann morgen nochmal kommen, wenn das hilft. Es nimmt euch allen etwas Zeit, euch von Tina zu verabschieden, aber wenn es das Gesamt-Abschieds-Paket leichter macht, dann komme ich."
Seine Augen leuchten auf.
„Au ja, bitte!"
Und so entscheiden wir, dass Heike morgen nochmal kommt. Und Jimin hat nun noch den Abend lang Zeit, sich an den Gedanken von Abschied zu gewöhnen. Also kann er die beiden für heute gehen lassen.

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15.2.2019    -    6.6.2019    -    1.11.2019
11.4.2020

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