Mittwoch - 29.4 - Heike
Don't forget - it's fiction!
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Es klingelt am anderen Ende.
Gott sei Dank!
Heike geht dran.
„Hallo Heike, hier ist Tina. Sag mal, wie viel zu voll ist dein Terminkalender zwischen genau jetzt und Montag Nachmittag?"
Sie lacht.
„So wie immer. Du kennst das. Warum?"
Bitte, lieber Gott, lass sie ja sagen!
„Weil ich einen Gesangslehrer-Job für dich habe, der für dich etwas gewöhnungsbedürftig sein wird, mit dem du aber einen Menschen unendlich glücklich machen und ihm Tonnenlasten von der Seele nehmen würdest."
„Na, das muss ja sehr abwegig sein, wenn du schon gleich sooo wirbst. Spucks aus."
„Heike, ich weiß, du stehst auf Barockmusik, hast klassisches Chor-Dirigat studiert und schaltest bei Popmusik sofort auf Durchzug. Aber deine Fähigkeit, mit dem ganzen Körper zu singen und das auch zu lehren, sind für mich einzigartig und völlig unabhängig von der Art der Musik. Ich habe dir ja erzählt von den jungen Koreanern, die Popmusik machen, und die hier vor Ostern mit uns eingesperrt waren. Vor allem von dem einen, dem es so schlecht ging. Genau der ist jetzt für sechs Tage aus der Gruppe ausgeschert, weil er zusammen geklappt ist, er ist jetzt hier. Und er will singen lernen. Ich meine - er kann ja singen. Aber er will mehr. Und anders. Und bewusster. Meiner Ansicht nach bist du genau die Richtige dafür."
Stille.
„1. Der singt doch schon. Und 2. wie stellst du dir das vor innerhalb von fünf Tagen???"
Ich werbe weiter.
„Er ist aber kreuzunglücklich mit sich selbst. Du musst keine Wunder wirken."
Obwohl ich weiß, dass du das tun wirst ...
„Du machst mit ihm Technikarbeit, Atem, Körper. Du schaust ihm zu, wie er gleichzeitig singt und tanzt, dann siehst du schon, was schiefläuft. Du setzt ihn einfach auf das richtige Gleis. Er wird auf jeden Fall was mitnehmen."
Ihrer Stimme höre ich an, dass sie sich grade innerlich die Haare rauft.
„Und wann? Wie oft???"
Ich hab sie fast.
„Wenns nach mir geht, morgen, Freitag, an einem der Wochenendtage und nochmal am Montag, also viermal. Am Wochenende ist dann auch ein Dolmetscher dabei, mit dem du präziser in die Tiefe gehen kannst. Ansonsten funktionieren Englisch und Hände und Füße."
Sie zögert immer noch.
„Das wird aber nicht billig. Du weißt, was eine Stunde kostet."
Ich lache sie aus.
„Heike, hier sitzt ein mit sich selbst zutiefst unglücklicher Mensch, der grade Morgenluft gewittert hat, und der bis zum Kragen in Geld steht. Ich verspreche dir, dass er deine unbescheidensten Vorstellungen locker verdoppeln wird."
„Unbescheiden. ... 50?"
„Sag ich doch! Unter 100 fangen wir gar nicht erst an. Was du ihm bieten kannst, verändert sein Leben!"
„Wieso bist du dir da so sicher?"
„Weil ich eben mit ihm zusammen gesungen habe. Als ich mich eingesungen habe, hat er einfach mit gemacht, er kannte sowas nicht! Ich habe mit ihm Körperarbeit gemacht, wie ich es von dir kenne – ganz laienhaft. Und seine Stimme hat sich durch das Bisschen so sehr verändert. Das war umwerfend. Ich WEIß einfach, dass du die Richtige bist!"
„Okeeee – dann hole ich wohl mal meinen Kalender ..."
Sie legt den Hörer weg und gruftelt im Hintergrund. Ich jubele innerlich, schaue derweil Jimin an und flüstere mit ihm.
"Du wirst vier Gesangsstunden bekommen. Und hinterher werden dich deine Kollegen nicht wieder erkennen!"
Kulleraugen.
„Bei deiner Chorleiterin? Cool!"
Heike kommt wieder ans Telefon.
„Also, wenn ihr zu mir kommt, dann geht es die nächsten beiden Tage vormittags, am liebsten gegen 10:00 Uhr. Da sind die Kinder weg, und ich war schon mit den Hunden raus. Fürs Wochenende muss ich erst mit meinem Mann absprechen, ob da ein Termin möglich ist. Montag dann wieder um 10:00 Uhr."
Das klingt wunderbar!
„O.K., so machen wir das. Wir kommen zu dir. Und lass ruhig Mauri dabei sein. Dein Hund wird dir ganz viel über Jimin verraten, wie ich euch beide kenne! Pass auf, ich schicke dir gleich eine Mail mit einigen Links von Youtube. Das Netz ist voll mit mehr oder weniger sinnigen Informationen über diese Band. Ich such Dir was Brauchbares raus. So kannst du Jimin bereits ein bisschen kennenlernen. Du kriegst ein bisschen sein Verhalten, ein bisschen Studiogesang, ein bisschen was, wo er live singt und tanzt. Damit kannst du dir ein erstes Bild machen."
Derweil trage ich die Termine in unseren großen Kalender ein.
„Sag mal, was hat dein Jimin eigentlich für eine Stimmlage?"
Diese Antwort genieße ich.
"Halt dich fest. Er singt – ohne das jemals richtig gelernt zu haben - einen kristallklaren Altus. Wenn er nicht dazu tanzen muss. Sein höchster Ton live, solo, vor Publikum ist das As, so weit komme ich als Mezzo nicht, wie du weißt."
Stille.
„Nochmal???"
„Das As."
„O.K., du hast mich! Ohne jahrelangen Unterricht, als Mann, das As. Das will ich hören!"
„Gut. Du kriegst gleich eine Mail. Und wir sehen uns morgen um 10:00 Uhr bei dir, falls du nicht vorher noch Fragen hast."
Vor lauter Freude muss ich Jimin einmal feste in die Arme nehmen. Heike kann ihm sooo viel beibringen. Ich staune nur, wie viel dieser eine Tag hier schon für Jimin verändert hat.
Ich sause an den PC und stelle eine Anzahl von Youtube-Clips zusammen, wo man die Bandbreite seiner Persönlichkeit, seiner Stimme und seines Tanzens gut ablesen kann. Dazu packe ich ein ganz paar Infos über seinen Werdegang und BTS im Allgemeinen. Das sollte erstmal reichen. Als ich wieder hoch komme, finde ich Jimin schlafend, mit den Schweinchen im Arm, packe die Tiere zurück in ihren Käfig und decke ihn einfach zu.
Ich wende mich derweil so profanen Dingen wie meinem Haushalt zu. Der bleibt nämlich leider beim Eintreffen von Gästen nicht automatisch stehen ... Als ich wieder ins Wohnzimmer schaue, sitzt Jimin im Schneidersitz auf dem Sofa – und schreibt schon wieder wie eine Maschine. Er winkt mir kurz abwesend zu und konzentriert sich weiter auf seine Gedanken. Wenn ich das richtig sehe, ist das Buch schon halb voll.
Da ist echt ein Damm gebrochen ...
Kurz vorm Abendessen checke ich meine Mails nochmal und finde eine begeisterte Antwort von Heike, gespickt mit ein paar spezifischen Fragen. Dann kommt Markus nach Hause, Mareike springt kurz ran, um Jimins Gesundheitszustand für heute zu begutachten. Sie ist sehr zufrieden. Und auch Kwon kommt heute schon früher. Wir essen gemeinsam zu Abend. Jimin genießt es sehr, dass er sich durch Kwon völlig frei artikulieren kann. Er kann so viel mehr von sich erzählen, in die Tiefe gehen, wenn er sich in seiner Muttersprache ausdrücken darf. Die Kommunikation per Übersetzungsprogramm ist zwar inzwischen völlig Routine für uns, und wir haben ja in den zehn Tagen vor Ostern alle sehr viele neue Vokabeln und Ausdrücke im Englischen gelernt, weil wir sie dauernd gebraucht haben. Aber so ist es doch viel angenehmer.
Ich nutze das als erstes, um Heikes Fragen anzubringen und Kwon Jimins ausführliche Antworten übertragen zulassen. Ich hacke das gleich in eine Antwortmail. Das wird für die erste gemeinsame Arbeit morgen eine gute Basis schaffen. Und dann lassen wir Jimin einfach erzählen, was dieser Tag für ihn bedeutet hat. Kwon staunt, was alles passiert ist, und freut sich total mit.
Bei der Gelegenheit frage ich ihn endlich, ob er eigentlich eines unserer Tickets haben und mit nach London kommen möchte. Die Antwort ist obligatorisch – er freut sich sehr. Wir vier, dazu Sonja, Nora und Kwon sind schon sieben Leute. Jetzt haben wir noch ein Ticket übrig. Ich bin gespannt, wer das wohl abkriegen wird ...
Allmählich habe ich den Eindruck, dass es Jimin für heute reicht mit der Seelenwühlerei. Darum schlage ich vor, dass wir einfach etwas miteinander spielen. Markus, Kwon, Jimin und ich setzen uns an den Tisch. Da ich vor ein paar Tagen das Paket mit den Frühjahrsneuheiten vom Verlag bekommen habe, packe ich gleich eine davon aus, und wir eignen uns gemeinsam die Regeln von „Verflucht" an. Es ist ein kooperatives Spiel, bei dem wir gemeinsam Monster verjagen müssen. Und es ist ganz schön knifflig. Wir schaffen es lange nicht immer, die Biester in Schach zu halten. Nach ein paar Durchgängen fallen Jimin die Augen zu.
„Ab ins Bett mit dir!"
Ich schiebe Jimin zur Wohnzimmertür, und widerstandslos schlappt er sofort die Treppe hoch. Dieses Stadium nennt man bei uns „zu müde, um ins Bett zu gehen" ...
Ich nutze die Gelegenheit, um mich noch eine Weile mit Kwon alleine zu unterhalten. Wir arbeiten unseren Tag in Rom für uns auf, freuen uns eine Runde über Jimins persönliche Erfolge seitdem und verabreden uns fürs Wochenende. Er hat viel Zeit und wird ganz flexibel mit kommen, wann immer Heike am Wochenende Luft für Jimin hat. Dann verabschiedet er sich.
Und ich hoffe auf eine ruhigere Nacht als die letzte ...
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25.1.2019 - 31.10.2019 - 9.4.2020
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