Freitag - 52.3 - Die Macht der Musik

Don't forget  -  it's fiction!

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Nach diesem ohrenbetäubenden Lärm ist es totenstill in der Halle, nur ein leises Wimmern ist zu hören. Schnell gehen die Lampen von zahlreichen Handys an, die Lichtkegel wandern in die Richtung, wo der Lärm und der Schrei hergekommen sind. Sung-Deuk steht mit schreckensweiten Augen, weiß wie die Wand, am Bühnenrand und klammert sich fest. Das Wimmern kommt von ihm, er steht völlig unter Schock. Um ihn drumrum liegen zahlreiche Stühle durcheinandergewürfelt. Und nur zehn Meter weiter liegt eine massive Eisenstange mit vier zerschmetterten Scheinwerfern in dem Stühlechaos. Wären die Stühle nicht dazwischen gewesen, die umher fliegenden Splitter hätten Sung-Deuk wahrscheinlich die Beine zerfetzt. So sind nur die Stühle zerfetzt, haben aber die gefährlichen Geschosse ausgebremst und ihn damit gerettet.

Das Durcheinander ist unbeschreiblich. Manche weinen, manche schreien, manche rennen panisch umher. Sung-Deuk ist immer noch damit beschäftigt, nicht vor Schreck in Ohnmacht zu fallen, die Jungs rennen zu ihm, um ihn da wegzulotsen. Und PD, der bei den Tontechnikern sitzt und sich eigentlich grade endlich abgeregt hatte, schnappt sich das Techniker-Mikro und bellt nur hinein.
"Sofort alle raus! Alle verlassen SOFORT die Halle! Geht alle auf dem kürzesten Wege raus! Findet alle einen Weg hinter die Bühne, da treffen wir uns."

Die eher nervenstarken Leute vom Staff kümmern sich um die in Panik geratenen Leute, die Jungs führen Sung-Deuk und den schlotternden Hoseok hinter die Bühne und in die Umkleide, drücken Sung-Deuk auf das einzige Sofa und geben ihm was zu trinken. Nur ganz allmählich kriegt er wieder Farbe im Gesicht. Darum legen sie ihm erstmal die Beine hoch und schauen bei der Gelegenheit, ob offensichtliche Verletzungen zu erkennen sind. Gott sei Dank nicht! Nach und nach sammelt sich der gesamte Staff auf dem Flur vor der Umkleide. Alle reden durcheinander, viele weinen, wilde Spekulationen heizen die Unruhe weiter an.

Und PD tobt durchs Telefon. Innerhalb sehr kurzer Zeit steht der Hallenchef vor ihm. Er hat schon die Ambulanz verständigt und ein paar Haustechniker rangepfiffen, die sich eifrig bemühen, den Stromausfall zu beheben. Als wieder Licht im Saal ist, gehen PD und dieser Chef zur Unglücksstelle, um sich das Ausmaß der Zerstörung anzusehen.

Es ist offensichtlich: Die alte, rissige Spannbetondecke war an dieser Stelle dem Gewicht der vier Scheinwerfer an der Trägerstange nicht länger gewachsen. Die Aufhängung ist aus dem Beton gerissen, die Stange ist zu Boden gekracht. Und die explosionsartig durch die Gegend fliegenden Einzelteile dieser glühend heißen Scheinwerfer haben im Umkreis von mehreren Metern etwa 30 Stühle von den Beinen gefegt.

Und genau so offensichtlich ist: in dieser Halle wird so schnell niemand mehr auftreten außer einer energisch einschreitenden staatlichen Bauaufsicht und Heerscharen von Handwerkern. Eigentlich hilft hier nur noch die Abrissbirne! Hektisch will der Hallenchef anfangen, Leute zu organisieren, die den Schaden beheben sollen. Aber PD unterbricht ihn sofort.
„Wir werden hier morgen nicht auftreten. Um Handwerker können sie sich morgen kümmern. Heute werden SIE nur noch dafür sorgen, dass wir irgendwo hier in der Gegend in einer vergleichbar großen Location ab 9:00 konzentriert proben und am Abend ungestört vor allen Ticketinhabern auftreten können. Ich akzeptiere kein Nein. Fangen sie an!"
Der Mann ist blass geworden. Es gibt keine vergleichbare Halle! Und schon gar nicht von heute auf morgen ... Er nickt. An die Strafzahlungen, falls ihm das nicht gelingt, will er gar nicht denken.

Hinter der Bühne liegen die Nerven blank. An die 70 Techniker, Beleuchter, Garderobenfrauen, Backgroundtänzer, Polen und Koreaner, und natürlich die Jungs selbst kämpfen ihre Ängste, ihren Schock nieder, zittern, weinen, halten sich in den Armen. Die Blicke von Jimin und Tae begegnen sich. Wie durch ein Wunder spürt Jimin dann plötzlich, was ihnen allen jetzt Ruhe verschaffen kann.

Ein kurzes Nicken, in Taehyungs Gesicht sieht Jimin Verstehen. Er beginnt, nach wenigen Tönen steigt auch Tae eine Terz tiefer ein, die anderen Jungs begreifen ebenfalls – und bald singen sie alle gemeinsam das einfache koreanische Volkslied. Die Leute vom Staff stutzen erst, werden dann ruhiger, entspannen sich allmählich etwas und fangen irgendwann auch an mitzusingen. Yoongi zieht Tae und Namjoon zu sich. Er improvisiert eine Basslinie, die beiden anderen hängen sich dran und verbinden sich zu einer kräftigen, sonoren Unterstimme. Hoseok und Jin springen über ihren Schatten, kämpfen die eigene Panik nieder, stellen sich – die Hände aneinander geklammert - direkt an die Tür und halten stabil die eigentliche Melodiestimme des Volksliedes, damit der Staff gut mitsingen kann. Und Jimin und Guk schauen sich an und finden nach und nach eine gemeinsame improvisierte Oberstimme, die sich glockenklar darüber legt. Die ganze Zeit sind die beiden bei Sung-Deuk geblieben, halten ihn an der Schulter, an der Hand, lassen ihre Ruhe auf ihn übergehen. Die Tür zum Flur ist geöffnet, sie können gar nicht alle sehen. Aber sie hören und spüren, wie sich erst der Gesang und dann die Ruhe auf dem Flur ausbreiten. Die Gesichter werden weicher. Selbst, als die Ambulanz eintrifft, und Sung-Deuk untersucht wird, ob er nicht doch irgendwas abgekriegt hat, drehen sich zwar alle von ihm weg, singen aber einfach weiter. Gott sei Dank finden die Sanitäter nichts außer einigen heftigen Prellungen, die von den Stößen der umherfliegenden Stühle stammen. Er bekommt ein Beruhigungsmittel, für später ein paar Schmerzmittel und wird in einer Decke wieder aufs Sofa gepackt.

Nachdem er den eingeschüchterten Hallenchef neben dem Desaster hat stehen lassen, kommt nun auch PD hinter die Bühne. Schon von weitem hört er den kräftigen Gesang aus vielen Kehlen und staunt nicht schlecht, als er durch den Flur Richtung Umkleide geht. Seine Angestellten stehen dicht gedrängt im Flur, manche halten sich an den Händen oder in den Armen, Tränen werden getrocknet, Köpfe gestreichelt, aber sie singen. Ruhig und klar. Von Panik keine Spur mehr. Ehrfürchtig wartet er die letzten Töne ab, bevor er einen Lagebericht abgibt.

„Ich habe leider schlechte Nachrichten."
Um ihn drumrum wird es absolut still, alle wollen ihn verstehen.
„Aus Sicherheitsgründen werden wir morgen hier nicht auftreten. Diese Hütte ist so marode – der nächste Scheinwerfer fällt dann nicht mehr NEBEN jemand sondern auf die Bühne oder mitten ins Publikum. Es wäre absolut unverantwortlich. Ich habe dem Chef hier sehr deutlich klar gemacht, dass es sein Problem ist, wo wir ab morgen 9:00 in Ruhe proben und abends auftreten werden. Zur Not kann das Konzert auch am Sonntag stattfinden. Aber weiter schieben können wir nicht. London und Billboard gehen vor. Und DIE Schadensersatzzahlungen will er bestimmt nicht verantworten müssen. Mein Problem ist jetzt, dass sich unsere ganze Technik in diesem Saal befindet. Und wenn wir irgendwo anders in kürzester Zeit aufbauen wollen, müssen wir unseren Kram selbst zusammen gepackt haben. Sonst ist es total unvollständig, und wir finden nichts wieder. Eigentlich will ich aber niemand mehr in diesen Saal rein lassen ..."
Fragend schaut er in die Runde.

Die Backstage-Chefin Eun-Mi meldet sich.
„Für uns ist es kein Problem. Wir haben nichts im Gefahrenbereich, wir können sofort packen."
Und der Technik-Chef Kim Lee-Han schließt sich an.
"Ich lasse meine Leute außerhalb des kritischen Bereiches packen. Überall, da, wo Scheinwerfer oder andere schwere Dinge von der Decke hängen, gehe nur ich hin. Das liegt dann in meiner Verantwortung, das nehme ich auf mich. Das allermeiste von unseren Sachen werden wir so rauskriegen. Der Rest fällt dann der Sicherheit zum Opfer."
Aber der Chef des Kamera-Teams protestiert.
„Kümmere dich um Deine Kabel und Geräte. Die Kameras am Bühnenrand sammele ich selbst ein. Ich werde wachsam sein und im Zweifelsfalle sofort unter das nächste Bühnenelement springen. Meine Leute bleiben bitte auch hier draußen oder kümmern sich um die Kameras ganz hinten, wo keine Gefahr besteht."
Alle applaudieren den mutigen, verantwortungsbewussten Männern, die ihr Team schützen wollen.

„Am besten fahren die Jungs mit Sung-Deuk sofort ins Hotel und gehen ins Bett. Alle Leute, sobald sie mit Packen fertig sind, fahren direkt hinterher, weil wir keine Ahnung haben, was dieser Mensch organisiert kriegt und wann wir aufstehen müssen, um wo anders wieder aufzubauen. Holt euch so viel Schlaf wie nur irgend möglich. Keine Wecker stellen, das Wecken übernehme ich."
PD klingt erleichtert.
„Ich danke euch sehr, dass ihr alle geistesgegenwärtig reagiert habt, und ich bin unglaublich froh, dass niemand ernsthaft verletzt ist. Passt bitte sehr gut auf euch auf, ihr Zwei. Wir möchten euch unbeschadet wieder nach Korea zu euren Familien bringen können. Und allen gilt: Wir sind ein starkes Team. Das wird ein Gewaltakt, aber wir schaffen das!"

Ein Kameramann und zwei der Techniker wenden sich an ihre Chefs.
„Es geht doch viel schneller, wenn wir mit den Koffern hinter oder unter der Bühne warten und alles angereicht bekommen. Ihr holt nur raus, wir packen dort die Kisten, sonst ist für euch beide die Nacht gelaufen."
Damit sind die beiden natürlich einverstanden, das wird ihnen eine große Hilfe sein. So können sie vielleicht wirklich alles rausretten.

Nachdem sie sich nochmal versichert haben, dass es Sung-Deuk wieder besser geht, ziehen die Jungs ihm seine Jacke an, schnappen sich ihre eigenen Jacken und Taschen, stützen ihn gut von beiden Seiten und gehen langsam mit ihm zum Ausgang, denn sie sollen als erstes ins Hotel gefahren werden. Während sie aus der Umkleide und zwischen den Leuten durch den Flur entlanglaufen, bekommen sie von allen Applaus und ein vielstimmiges Dankeschön für den beruhigenden Gesang. Viele Hände greifen nach ihnen, klopfen ihnen auf die Schultern. Dann machen sich sofort alle an die Arbeit, und schnell herrscht überall eine konzentrierte und gut eingespielte Geschäftigkeit.

Im Bus strahlen alle Jimin an und klatschen ihn ab.
„Danke! Einfach danke!"
Tief atmet Hoseok durch.
„Ich habe so Angst bekommen, als wir plötzlich im Dunklen standen. Und dieser Schrei! Aber das Singen vorher mit uns sieben, dann mit allen hat mir so geholfen. Du machst das großartig!"
Jimin wird ganz rot.
„Ich ... Ich muss mich bei euch bedanken. Mir selbst hat das Singen sooo gut getan. Ich hatte das Gefühl, dass Heike und Mauri und Tina direkt neben mir stehen und mich stärken und leiten. Und ich bin echt begeistert, wie toll ihr gesungen, aufeinander geachtet und miteinander improvisiert habt. Das klang so schön!!! Ich werde, wenn wir zu Hause sind, ein paar einfache Chorstücke und Lieder raussuchen, mit denen wir das wiederholen können. Diese Übung ist sehr gut für uns!"

Da spürt Jimin, dass jemand an seinem Ärmel zupft. Sung-Deuk liegt neben ihm auf der Rückbank. Jimin wendet sich ihm zu und beugt sich runter.
„Danke Jimin! Ich habe einen Moment lang wirklich geglaubt, ich sterbe. Natürlich wirkt jetzt auch das Beruhigungsmittel, aber schon vorher hat mir euer Gesang unglaublich gut getan."
Er flüstert nur, ist total erschöpft. Dann zwinkert er Jimin zu.
„Wie ich heute Morgen gesagt habe – wenn du ganz bei dir bist, auf dich hörst, dann kannst du alles schaffen!"

Völlig übermüdet stolpern die Jungs aus dem Bus in ihr Hotel und in ihre Betten. Jin hat angeboten, bei Sung-Deuk zu schlafen, und der hat das Angebot dankbar angenommen. Alleinsein ist jetzt keine gute Option ... Jin kümmert sich gut um ihn. Irgendwann in der Nacht, weil er vor Schmerzen nicht schlafen kann, wagt er es, seine Frau anzurufen und ihr zu erzählen, was ihm passiert ist. Beide sind einfach nur glücklich, dass er noch lebt und fast gesund ist. Gegen Morgen fällt er dann in einen unruhigen Schlaf.

Bevor sie das Licht ausmachen, schaut Tae nochmal Jimin an.
"Hast du eigentlich gemerkt, wie stark du heute Abend warst? Wie sehr wir auf deine Intuition und deine innere Kraft angewiesen waren?"
Jimin schüttelt den Kopf.
„Wieso, was habe ich denn so starkes gemacht? Alle sagen das, aber ... ich hab doch nur gesungen."
Jetzt schüttelt Tae den Kopf.
„Oh Mann, manchmal stehst du dir echt selbst im Weg! Jimin, 70 Menschen waren Wachs in deinen Händen. Vor der Katastrophe hast du uns eine wunderbare Lehrstunde in Harmoniegesang und Improvisation gegeben. Das hat uns die Kraft gegeben weiterzuarbeiten, obwohl dieser Tag einfach nur zermürbend war. Und hinterher hast du mit deiner Initiative Panik in Ruhe und Schock in Vertrauen verwandelt – einfach durchs Singen. Einfach, weil du DU bist! Jimin. DU! Gönn dir selbst dieses Glück, diesen Stolz, diese Genugtuung, das Richtige getan zu haben."

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9.4.2019    -    11.6.2019    -    5.11.2019
30.4.2020

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