Donnerstag - 30.2 - tierisch entspannt

Don't forget - it's fiction!

Es klingt vielleicht unwahrscheinlich, aber: es gibt diese Frau, und es gibt diesen Hund.
Genau so! Und sie sind gemeinsam ein unverzichtbarer Teil meines Lebens.

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Es ist Donnerstag, und wie immer stehe ich um 6:30 auf, um Simon auf den Weg in die Schule zu schubsen. Markus hat heute Heimarbeit und sitzt schon am PC. Und Jimins Bett - ist leer!
Wieso ist der denn schon auf?
Ich schlappe die Treppe runter in die Küche und bleibe verblüfft in der Wohnzimmertür stehen. Jimin, in die gelbe Decke gewickelt, steht mitten im Raum, die Augen geschlossen, - und singt sich ein. Er merkt gar nicht, dass ich da bin. Aber er scheint angespannt, er forciert die Atmung und die Töne ganz stark. Es klingt gut - aber nicht schön, nicht lebendig. Mich beschleicht eine Ahnung.
Der kleine Idiot! Der ist nervös wegen Heike und will es nun ganz besonders gut machen! Oh Mann - Du gehst da nicht hin, um zu zeigen, wie toll du bist, sondern weil du lernen willst! Wie kriege ich den da jetzt wieder runter???

Da ich strumpfsocks bin, schleiche ich einfach nochmal raus, mache draußen Geräusche und komme wieder rein. Jimin hockt auf dem Sofa und telefoniert. Oder tut zumindest so. Wir wünschen uns einen guten Morgen, und ich mache mich in die Küche auf, Kaffee und Tee kochen, den Tisch decken. Doch, er telefoniert, redet jetzt lebhaft, lacht. Gut! Ich glaube, am anderen Ende ist Tae. Simon schlurft gähnend herein, packt seinen Ranzen - hoch motiviert. Nicht. Aber dann schwingt er sich doch pünktlich um 7:20 auf sein Rad. Er wird unterwegs schon wach werden...

Wir bleiben noch einen Moment am Tisch sitzen.
„Jimin?"
„Hm?"
„Warum bist du schon wach und hier unten? Wolltest du aus dem Weg sein für Markus, weil er da arbeiten muss?"
Ich bin heilfroh, dass er mir nun nicht ausweicht, obwohl er ja vorhin versteckt hat, was er hier unten macht.
"Nee. Ich war schon wach, als er rüber kam. Ich ... bin so nervös wegen Heike. Mein Kopf platzt bald. Ich bin so glücklich über das gestern. Ich fühle mich ganz klein und unwissend. Ich bin neugierig, wo das alles hin führt. Ich habe Angst, mich zu blamieren. Ich freue mich riesig darauf, noch vielmehr zu lernen. Es ist ein einziges Durcheinander in meinem Kopf!!!"
Ich lächele ihn aufmunternd an.
„Na, dann schreib dir das Durcheinander aus dem Kopf, und dann misten wir gemeinsam den Schweinekäfig aus. Der hat es nötig, und du wirst abgelenkt. Und dann können wir auch schon losfahren."

Jimin flitzt ins Bad, und ich decke den Tisch ab. Dann gehe ich ins Bad, und er setzt schon mal die Wutzen auf den Rasen und nimmt den Käfig auseinander. Im März hat er ja Maja ein paarmal geholfen und weiß darum, wo alles ist. Wir müssen immer wieder laut auflachen, weil die Tiere vor lauter Freude über den weiten Auslauf mit allen Vieren in die Luft hüpfen und durch das Gehege flitzen. Das ist einfach saukomisch - im wahrsten Sinne des Wortes. Außerdem ist es mal wieder die wirksamste Geheim"waffe" gegen Jimins Unruhe. Die Schweine lenken ihn ab, und er entspannt sich. Anschließend setzten wir die Schweinchen in den frisch gemachten Käfig. Jimin setzt sich an den Tisch und schreibt, ich gehe in den Keller - und rufe Heike an. Die ist jetzt mit den Hunden draußen und wird noch vor unserem Eintreffen meinen Spruch vom AB abhören.
"Kuckuck, Heike. Ich wollte dir nur schnell sagen, dass Jimin suuuper nervös ist und Angst hat zu versagen. Du hast in dem einen Video gesehen, was für eine Rampensau er sein kann. Aber was du nachher sehen wirst, ist eher ein scheues Reh. Du weißt ja am besten selbst, wie du damit umgehst. Ich möchte nur in seiner Gegenwart möglichst wenig ÜBER ihn reden. Bis nachher!"

Neben mir im Auto sitzt ein Nervenbündel. Nun rückt der Moment näher, und er ist wieder total angespannt. Aber ich vertraue jetzt einfach mal auf Heike, und auf Mauri, ihren Superhund. Der wird Jimin ganz schnell helfen, runter zu kommen.

Bei Heike angekommen, muss ich Jimin fast aus dem Auto zerren. Er schleicht hinter mir her zur Haustür. Auf mein Klingeln hin macht Heike sofort auf. Wir umarmen uns, und dann nehme ich Jimin bei der Hand und trete ein.
„Heike, das ist Jimin."
Nun hebt er doch den Kopf und schaut sie an. Sie hält ihm die Hand hin und lächelt.
„Hi, I'm Heike. I heard you singing in some videoclips. I'm impressed about your voice. Let us sing together."
Jimin verbeugt sich, schüttelt dann stumm ihre Hand und folgt ihr ins Klavierzimmer. Hier kommt ihm Mauri entgegen, und Jimin taut sofort auf. Er setzt sich im Schneidersitz auf den Boden, ist dadurch auf Augenhöhe mit dem relativ großen Mischling und fängt sofort an, ihn zu kraulen und mit ihm zu reden. Mauri zögert nicht lange. Dieser Hund hat ein erstaunliches Gespür für Menschen, und so klettert er sofort auf Jimins Schoß und lehnt sich mit dem ganzen Gewicht gegen seinen Körper. Der hat dadurch gar keine andere Wahl, als ihn zu umarmen und sich auch anzulehnen, damit er nicht umfällt. Und so verharren die beiden ein paar Minuten. Schmunzelnd sehen Heike und ich, dass Jimin dabei nach und nach entspannt, immer ruhiger atmet und mit geschlossenen Augen beginnt zu lächeln.
Geht doch ...

Heike fragt mich auf einem Zettel, ob ich die Möglichkeit habe, mit dem Handy was aufzunehmen. Mit dem neuen Handy habe ich das tatsächlich. Sie schreibt mir, dass sie mir ein Zeichen gibt, wenn ich aufnehmen soll. Dann nach einer Weile setzt sich Heike ans Klavier und klimpert die Melodie von Serendipity, die sie sich aus dem Internet rausgehört haben muss. Denn das MV habe ich ihr natürlich auch geschickt. Jimin singt gedankenverloren mit. Er hockt am Boden, hat einen eingeklemmten Bauch mit einem schweren Hund drauf, ist nicht eingesungen. Aber: er denkt nicht! Er singt einfach. Kurz darauf erhebt sich Mauri von Jimins Schoß und legt sich ganz entspannt direkt neben ihn. Das ist das Signal, auf das Heike gewartet hat. Mauri zeigt ihr: Jimin geht es gut, du kannst anfangen!

„Jimin, ich habe mir gestern einiges von dir angehört, und ich mag deine Stimme sehr. Tina hat mir erzählt, dass du dich normalerweise nicht einsingst, und dass du jetzt gerne lernen möchtest, noch mehr aus deiner Stimme zu machen und stabiler zu singen, während du tanzt. Kannst du mir ein bisschen was vorführen, bevor wir mit Atemübungen anfangen? Dann kann ich mir besser ein Bild davon machen."
Jimin nickt, macht ein paar Dehnungsübungen, sucht sich „Lie" auf dem Handy und schließt die Augen. Ich kriege das Zeichen zum Aufnehmen. Dann zeigt er sein Solo und singt dazu. Heike schaut ihm sehr aufmerksam zu, registriert Power und Ruhe, seine Atmung, sein Zusammenspiel aus Bewegung und Stimme. Als die letzten Töne verklingen, schaut Jimin sie etwas unsicher an. Aber Heike lächelt ihn wieder an und gibt ihm Feedback zu seiner Stimme im Allgemeinen und zu den Hürden in diesem Song im Besonderen.
„Komm, jetzt wollen wir mal deine Stimme wecken."

Nun folgt eine harte halbe Stunde mit hoch konzentrierten Atemübungen und intensiver Körperarbeit. Wenn man richtig singt, braucht man dafür so ziemlich jeden Muskel im Körper. Aber es gibt ein „so fühlt es sich richtig an", und in diesen Momenten hört man, wie die Stimme plötzlich anders, intensiver klingt. Dann konzentriert sich Heike auf den Sprechapparat. All die Anweisungen und Gedankenstützen kenne ich in und auswendig, befolge sie seit 12 Jahren mit mal mehr, mal weniger Erfolg, weiß immer um die Wirkung und staune nun doch wieder, wie sehr sich Jimins Stimme dabei verändert. Er hört es selbst. Er hört den Unterschied, der durch eine weite Kehle, Lippenspannung und Bauchatmung entsteht. Bei diesen Übungen wird er auch in die Tiefe und in die Höhe geführt. So testet Heike nebenbei seinen tatsächlichen Tonumfang aus. Und der ist wirklich beeindruckend. Immer weiter klettert sie auf dem Klavier nach oben und verfolgt ungläubig staunend, dass Jimin immer noch locker mitkommt. Einmal erwischt er sogar das hohe G und hat damit mich locker übergeholt.

„Jimin, du hast eben vor dem Refrain angespannt gewirkt, als ob du Sorge hast wegen des hohen Tons. Eigentlich kannst du noch viel höher. Woran liegt es also, dass ich diesen Eindruck habe?"
Jimin weiß sofort, was Heike meint.
„Ich habe den Lauf nach oben und gleichzeitig die Streckbewegung. Und ich habe immer Sorge, dass ich die Töne nicht treffe."
Heike überlegt einen Moment und benutzt dann ein mir sehr bekanntes Bild.
„Wenn du nach oben singst und dich nach oben streckst, ist das rein technisch gesehen sogar hilfreich. Aber für dein Gefühl geht sozusagen dein 'Blick' von unten hoch. Das ist, als ob du den Ton von unten ansiehst und denkst:'da muss ich rauf!' Stell dir doch in dem Moment mal vor, du bist ein Adler, der leicht durch die Luft schwebt und den Ton von oben betrachtet. Lächele den Ton von oben an, während du singst. Glaub mir - die Vorstellung allein wird deinen Ton verändern!"

Jimin schaut erst irritiert. Dann singt er nochmal „Lie", diesmal, ohne zu tanzen. Wieder nehme ich das auf. Seine Augen werden immer größer, während er sich selbst zuhört.
„DAS will ich immer!"
Selig platzt es aus ihm heraus, kaum ist der letzte Ton verklungen. Heike lächelt.
„Dann lass uns erstmal das Tanzen vergessen. Du musst erst deine Stimme und ihre Möglichkeiten entdecken. Nun im Nachhinein erklärt sie ihm, was da mit seiner Stimme grade passiert ist, macht ein paar Übungen mit ihm, feilt am Klang und fragt dann endlich, was das Lied eigentlich bedeutet. Jimin erzählt kurz von ihren Themen-Serien und ordnet dann „Lie" in den Zusammenhang ein. Es ist der Schmerz eines Jugendlichen darüber, dass man im Leben immer wieder gefangen ist in Selbstlügen und Illusionen. Und dass es manchmal fast unmöglich ist, sich daraus zu befreien. Ich suche Heike ein Lyric-Video raus, damit sie den Text mitlesen kann. Und dann kommt das I-Tüpfelchen. Aus ihrem Verständnis für Barockmusik heraus ist es Heike immer ganz wichtig, dass ein Ton nicht nur sauber und schön ist. Jeder Text transportiert Wort für Wort Gefühle, und diese Gefühle kann man mitsingen, jedem Wort und damit jeder Note eine Stimmung verleihen. Nachdem Jimin die Möglichkeiten seiner Stimme entdeckt hat, wird er nun in eine klangliche Interpretation seines Textes geführt. Satz für Satz buchstabiert er durch, was das für Gefühle in ihm auslöst, und diese Gefühle legt er in die Töne hinein. Und nun hört man das „süße Lächeln" und die „geschmeidige Schlange". Das flehendliche „Geh weg!" und die Versuche, davonzurennen, zu fliehen. Jimin lauscht in sich hinein, feilt am Klang, strahlt von innen heraus.

Nach zwei Stunden konzentrierter Arbeit ist er völlig ausgepowert und unglaublich glücklich.
"Ich weiß, dass das dann nicht so klingen wird, aber ich möchte das jetzt noch einmal tanzen. Einfach ausprobieren, wie das jetzt klingt, was davon ich noch hinkriege, wenn ich dabei tanze."
Gesagt, getan. Ein drittes Mal heute nehme ich auf, während Jimin nun versucht, Bewegung und Gesang zusammenzuführen. Er erinnert sich daran, wie er gestern versucht hat, seinem Körper die Regie zu überlassen. Es gibt schon noch ein paar Wackler. Aber was vor allem rüberkommt, ist das gesungene Gefühl, das sich nahtlos mit dem getanzten Gefühl verbindet. Und das ist umwerfend. Die Verzweiflung und das Ringen um Erlösung sind mit Händen zu greifen.

Nach einem Blick auf die Uhr signalisiere ich Heike, dass Jimin eine Pause bräuchte und auch dringend was essen müsste. Sie meint aber nun auch selbst, dass das Erarbeitete erstmal sacken sollte, und so beendet sie den Unterricht für heute. Glücklich, müde und erleichtert lässt sich Jimin einfach auf den Boden fallen, und Mauri legt sich sofort zu ihm. Nach ein paar Minuten richtet er sich wieder auf und schnappt sich die Stulle, die ich ihm mitgenommen habe. Derweil verabreden wir, dass wir auch am Samstag vormittags kommen, während Heikes Mann mit den Kindern in den Zoo geht. Als Jimin wieder zu Atem gekommen ist und aufgegessen hat, verabschieden wir uns von Heike und Mauri. Alle Scheu ist verschwunden. Jimin ist einfach nur glücklich.

Zu Hause schnappt er sich sofort wieder sein Tagebuch und schreibt, schreibt, schreibt. X-mal hört er sich die drei Aufnahmen an, über die ich ihn nun informiert habe. Ich hab sie ihm einfach aufs Handy geschickt. So schwebt er förmlich durch den Tag - essend, schreibend, schlafend, strahlend. Immer wieder schwärmt er davon, wie sehr ihm Mauri gut getan hat. Immer wieder knuddelt er, in Gedanken versunken, mit den Meerschweinchen. Irgendwann sitzt er da mit meinem MP3-Player und hüpft durch unsere vollständige BTS-Playlist, als ob er auf der Suche wäre.
„Tina? Kannst du mir helfen? Ich bin grade etwas blockiert. Bei welchen Songs habe ich einen hohen Gesangsanteil?"
Ich überlege gemeinsam mit ihm.
„Naja, da ist natürlich noch Serendipity. - Warte, und bei 'we don't talk anymore' singst du auch die Hälfte. Und es ist sicher kein Problem, das Ganze zu singen. Warum fragst du?"
Aber Jimin ist mit den Gedanken schon weiter und murmelt nur nebenher.
"Ich will so viel Verschiedenes wie möglich mit ihr üben."
Dann fängt er an, eine Mail zu tipseln.

Gegen Abend schreibt ihm Tae, dass sie einen weitgehend zerregneten Tag und eine wegen der unwilligen heimischen Techniker zermürbende Probe hatten und jetzt alle mental ziemlich in den Seilen hängen. Wir überlegen gemeinsam, wie wir die Jungs in Moskau wieder aufheitern können. Da leuchten Jimins Augen auf. Erst schreibt er Tae ausführlich, wie gutes ihm geht mit dem, was er heute erlebt hat. Und dann schickt er die letzte Aufnahme mit dem gefühlten - gesungenen und getanzten -„Lie" hinterher. Die Reaktionen seiner Kollegen, die kurz danach im Chat eintrudeln, sind ein Fest für Jimin. Sie bestehen darauf, dass er die Aufnahme an die Gruppe schickt, weil das alle in ihrer Playlist haben wollen! Die Ablenkung hat funktioniert ... Danach bringt er den Mut auf, die Aufnahme auch an Dr. Serrano zu schicken, verrät dem allerdings nicht, dass er dabei auch getanzt hat. Der würde ihm sonst den Kopf abreißen. Und er fühlt sich ja auch nicht ausgepowert sondern voller Energie, Glück und Musik, die ihn ganz erfüllt.

Heute Abend kommt Kwon leider nicht, er muss dringend was für die Uni tun. Aber morgen will er sich wieder Zeit nehmen und - einer spontanen Idee folgend - einfach bis Samstag Nachmittag bleiben, bevor er sich dann wieder auf seine Bücher stürzt. Dafür schaut Mareike wieder rein und redet ein bisschen mit Jimin. Dann gibt sie ihren Eindruck wieder.
"Wisst ihr was? Der braucht mich nicht. Dem geht es hier bei dir saugut. Achte auf sein Essen, kontrolliere sein Gewicht. Du kennst ihn viel besser als ich. Ich will mich gar nicht drücken vor der Aufgabe und bin gerne weiter das Back Up. Melde dich, wenn dir was komisch vorkommt. Aber ehrlich: die Ampel steht auf Grün. Du kriegst das auch so hin!"
Ein hundemüder, überglücklicher Jimin schleicht sich gegen 22:00 ins Bett und entschwindet bald in seine Träume.

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27.1.2019 - 31.10.2019 - 9.4.2020

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