Dienstag - 49.1 - Kuckloch in die Vergangenheit
Don't forget - it's fiction!
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Dienstag Morgen. Ausschlafen. Bummeln. Aber erstmal frühstücken unten im Hotelrestaurant. Chris kommt ihnen sofort entgegen und bringt sie an einen größeren Tisch in seinem Bereich, den er schon für sie vorbereitet hat. Er fragt nach ihren Wünschen und bringt sie zum Buffet. Als sie mit voll beladenen Tellern wieder am Tisch auftauchen, steht in der Mitte bereits eine große dampfende Schüssel mit Milchreis, daneben Schüsselchen und Löffel sowie Zucker und Zimt. Mit einem wohligen Aufseufzen gleitet Yoongi auf seinen Stuhl. Der Tag wird gut!
Als nächstes informiert Chris sie, dass sie um 9:30 in Huxleys Neuer Welt erwartet werden. Der Manager hat sich über die Anfrage riesig gefreut.
„Nehmt Fotografen mit. Das wird bestimmt lustig."
Satt und zufrieden gehen sie zur Garage und krabbeln in ihren Gruppenbus. Sie werden nach Neukölln und zu Huxleys Neuer Welt gefahren. Und tatsächlich wartet der Manager schon draußen auf sie und begrüßt sie ganz herzlich.
„Wir haben in der Zwischenzeit zwar grundsaniert. Aber den Saal werden Sie sicher wiedererkennen. Und staunen."
Zum ersten Mal gehen sie durch den Vordereingang rein, immer begleitet vom Klicken der Kameras ihres Teams. Das Foyer und die Aufgänge zum Zuschauerraum sind gepflastert mit alten Plakaten und großformatigen Fotos von Auftritten.
„Schauen Sie sich ruhig um. Vielleicht entdecken Sie sich ja selbst irgendwo."
Das lassen sie sich natürlich nicht zweimal sagen. Neugierig streifen sie an den Wänden entlang und entdecken, wer hier schon alles aufgetreten ist. Und schließlich entdeckt Jeongguk das Foto von ihnen, im Gegensatz zu allen anderen in einer abgeschlossenen Vitrine. Schnell sammeln sich alle davor.
„Schaut mal, wie jung wir da waren!" und „Da gabs ja noch gar keine ARMY-Bombs!" und „Wir waren noch die reinsten Kinder!" schallt es durcheinander.
Da fällt Jin was auf.
„Wieso ist das Foto eigentlich hinter Glas? Und alle anderen nicht?"
Der Manager lächelt gequält.
„Weil dieses Exemplar jetzt gefühlt das drölfundsiebzigste ist. Die Vorgänger wurden alle geklaut. Sie sind einfach zu berühmt geworden in der Zwischenzeit. Und fragen Sie nicht, was ein Fotodruck in der Größe kostet! Da hat sich die Anschaffung der Vitrine längst amortisiert."
Verlegen kratzen sich die Jungs am Kopf.
„Aber da können Sie ja nichts dafür!"
Der Manager beruhigt sie gleich wieder.
„Möchten Sie jetzt in den Saal gehen?"
Das lassen die Jungs sich nicht entgehen. Sie folgen ihm durch mehrere Gänge, und auf einmal stehen sie auf der Bühne, auf der sie vor vier Jahren ihr allererstes Europakonzert gegeben haben. Sie sind sprachlos.
„Ähm – Jungs."
Hoseok fängt an zu stottern.
„Dieser Saal ist im Ganzen kürzer als heute nur unsere Stege zur Mittelbühne."
Er sieht sich um.
„Und ob diese Bühne tief und breit genug wäre für 'Airplane 2' oder 'Idol' – da bin ich mir auch nicht sicher. Das fühlt sich echt schräg an."
Und weil Gefühle bei Hoseok immer direkt in die Beine gehen, schmeißt er wortlos sein neues Solo an und beginnt zu tanzen. In seinen Ohren rauscht das Adrenalin, in seinem Kopf hört er die Massen jubeln und seine Arme und Beine tun ganz von alleine, was sie am allerliebsten tun – tanzen, bis sich ein Lächeln auf seine Lippen stiehlt und ihm die Luft zum Atmen wegbleibt. Als die letzten Töne verklungen sind, bleibt er schnaufend stehen und taucht langsam wieder in der Gegenwart auf. An den Gesichtern seiner Freunde kann er ablesen, dass es ihnen ganz genauso geht. Hier kommen sie her, solche Hallen waren ihre Anfänge. Und sie bereuen nicht, dass sie seitdem auf dem steinigen und manchmal echt harten Weg geblieben sind. So dass sie heute die größten Hallen der Welt füllen.
Als sie wieder aus dem Konzerthaus rauskommen, wartet ihr Gruppenbus. Namjoon bleibt davor stehen.
„Jungs, ich weiß nicht, was ihr jetzt vor habt, aber ich will in die Stadt in eine gute Buchhandlung."
Die anderen wollen eigentlich alle chillen, bummeln oder sonstwas tun, und so trennen sie sich. Die meisten fahren mit dem Bus zurück ins Hotel und ziehen zum Teil von dort zu Fuß los. Namjoon hingegen nimmt sich ein Taxi, fragt einfach den Fahrer nach einer großen Buchhandlung und lässt sich dort hinbringen. Mit glänzenden Augen taucht er ein in die Welt der Buchstaben. Er bummelt an Comics und Hörbüchern entlang, blättert in Kinderbüchern und Reiseführern, bleibt fast hängen an einem Regal mit englischsprachiger Literatur und landet schließlich an seinem Ziel, der Fremdsprachen- und Schulbuch-Abteilung. Er findet eine Verkäuferin, mit der er auf Englisch seine Wünsche klären kann, und die nimmt sich Zeit für ihn.
„Wissen sie, es ist ein bisschen witzig. In den letzten zwei, drei Jahren haben vor allem junge Frauen nach Lehrbüchern für Koreanisch gefragt. Keine Ahnung, warum. Und jetzt steht hier ein Koreaner mitten in Berlin und will Deutsch lernen."
Namjoon überlegt einen Moment, ob er die Frau darüber aufklären soll, warum das so ist. Denn er weiß, dass ganz viele Fans von K-Pop versuchen, koreanisch zu lernen. Er ist also ein kleines bisschen selbst mit dran „schuld". Die Frau spricht jedoch gleich weiter, ohne eine Antwort von ihm abzuwarten.
„Das ist aber ein Vorteil für sie, denn deshalb gibt es inzwischen ein paar ganz gute Koreanisch-Deutsch-Wörterbücher und Lehrmaterial. Und ich meine, ich habe sogar ein Deutsch-Lehrbuch für Koreaner gesehen neulich. Bitte folgen sie mir doch."
Sie geht an den Computer und tippt einige Informationen in die Suchmaske. Ein neues Fenster öffnet sich.
„Oh, das ist ja eine ganze Menge!"
Sie tippt wieder etwas rum.
„O.K. Sie haben die Wahl zwischen einem Satz Bücher zu Wortschatz, Grammatik und Übungen, das baut alles aufeinander auf. Oder einem Buch mit Lernkassetten und MP3-CD, falls sie überwiegend akustisch lernen wollen. Und dann gibt es eine umfangreiche Lernsoftware, die selbst erklärend ist und alles Material als PDF zum Ausdrucken hat. Und ich sehe, dass ich alles drei bis morgen bestellen kann."
Sie lässt Namjoon mit auf den Bildschirm sehen und erklärt ihm die Eigenschaften der verschiedenen Lehrwerke. Namjoon entscheidet sich, das Buch mit den Kassetten und MP3's zu bestellen, weil er Vokabeln schon immer am besten übers Hören gelernt hat. Er wählt noch die Lernsoftware, weil er dann keine Bücher rumschleppen muss sondern einfach am PC oder sogar unterwegs am Handy Übungen machen kann. Und natürlich ein Wörterbuch.
„Ich würde gerne noch ein paar deutsche Bücher kaufen, die ich lesen kann, wenn ich so weit bin. Von Korea aus ist es viel schwerer und teurer, da ranzukommen."
Noch, bevor die Frau Vorschläge machen kann, konkretisiert er seinen Wunsch.
„Und zwar hätte ich gerne ..."
Er stockt.
„Nietzsche" wollte er sagen, aber das bleibt ihm im Halse stecken. Was hatte Tina bei einem ihrer Philosophierabende gesagt? Hegel. Kant und Hegel. Und die Märchen von Hesse.
„Ich hätte gerne einen Hegel und die Märchen von Hermann Hesse. Und einfach deutsche Kurzgeschichten."
Der Verkäuferin fällt die Kinnlade runter.
„Hegel."
Sie starrt Namjoon an.
„Das ist für einen Anfänger eigentlich ... naja ..."
Namjoon lächelt.
„Ja, ich weiß. Den werde ich auch nicht so bald lesen. Aber der soll im Regal stehen und mich locken, weil ich Philosophie echt spannend finde. Das soll mein Ziel sein, auf das ich hinarbeite. Und bis dahin lese ich Märchen."
Namjoon lässt seinen Charme spielen.
Die Frau starrt ihn immer noch ungläubig an, löst sich dann aber von ihrem PC und geht mit ihm an verschiedene Regale. Nacheinander greift sie die Märchen von Hesse, eine schöne Ausgabe der Grimms Märchen und eine Antologie mit modernen Kurzgeschichten. Bei den Philosophen dreht sie unschlüssig verschiedene Ausgaben von Hegel hin und her.
„Hier ist sein Hauptwerk, die 'Phänomenologie des Geistes'. ... Das hier ist eine Einführung in den deutschen Idealismus, also zu Fichte, Hegel und Schelling. Da hätten sie dann gleich drei in einem Band ... Und das ist ein leichtes Buch über Hegel, ziemlich locker und doch informativ geschrieben. Und dann gibt's noch seine 'Wissenschaft der Logik 1 + 2'. ... Sie haben sich ja ganz schön was vorgenommen ..."
Namjoon überlegt und entscheidet sich dann für den harten Weg.
„Ich möchte die 'Phänomenologie' als Lockvogel und das lockere Buch über Hegel als Brücke. Und ich wüsste gerne, ob ich das alles morgen in mein Hotel geliefert bekommen kann. Ich werde es ziemlich sicher nicht schaffen, nochmal hierher zu kommen. Und Donnerstag reise ich wieder ab."
Die Frau nickt.
„Aber natürlich. Sie zahlen jetzt, mit einer Lieferpauschale, und bekommen alles zusammen morgen Mittag in ihr Hotel gebracht. Folgen sie mir einfach, ich werde alles notieren."
Am PC nimmt sie alle Daten auf, schickt die Bestellung gleich los, legt die hier ausgesuchten Bücher schon mal beiseite und kassiert dann ab. Doch heimlich denkt sie sich: Der Typ muss ein Hirn wie eine Kreuzung aus Stephen Hawking und einem Elefant haben, wenn er das alles noch in diesem Leben bewältigen will ... Sie ahnt ja nicht, dass Namjoon erstens tatsächlich dieser Kreuzung ziemlich nahe kommt und zweitens eigentlich sogar hatte 'Nietzsche' sagen wollen.
Glücklich über seine Einkäufe springt Namjoon in das nächste Taxi und kommt grade rechtzeitig ins Hotel, um seine Sachen zu schnappen und mit den anderen zur Halle zufahren.
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27.3.2019 - 11.6.2019 - 4.11.2019
29.4.2020
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