𝐗𝐗𝐈𝐈

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Es war ein Fehlglaube gewesen, dass der englische Frühling eine der grausamsten Seiten war, welche die Erde mir zeigen konnte. Auch der Freitag, umgeben von den Massen junger Menschen, die alle der Luft entgegensehnten, Stimmen laut wie überlagernde Gewitter, war eine Herausforderung gewesen. Beide Male hatte Louis geholfen, in seiner ruhig-herzigen Gelassenheit.

Aber gestern hatte gesprengt, worauf 100 Jahre Training mich vorbereiten wollten. ›Halloween‹.
Dass Louis' Zunge ein Wort aussprechen konnte, das solches Grauen verbarg. Ich hatte mich nicht getraut, nachzuschauen. Nachzusehen, was die himmlischen Archive mir offenbaren würden. Der Tag, an dem Louis blind Brillen trug und Schallwellen explodierten. Sie hatten jede Pore meines Körpers gefüllt, Türme aus Dampf, Licht, das in meinen Ohren schrillte.

Wer hätte gedacht, dass Licht in scheinbarer Dunkelheit am meisten schmerzte? Und etwas anderes hatte die Atmosphäre durchtränkt und mich an das Desinfektionsmittel erinnert, das am Tag von Louis' Geburt in meinem Kopf gedröhnt hatte. Ich wusste, was es war. Alkohol.

Aber das Schlimmste, das Resultat all der rohen Gewalt in so wenigen Kubikmetern Luft, war gewesen, was ich zweimal knapp hatte abwenden können. Nicht gestern.
Mein Körper war mir entronnen.

In der Sekunde meiner empyreischen Rückkehr war mir das Ausmaß meiner unumkehrbaren Fehler klar geworden. Es war nicht einmal Liam gewesen, der als erstes bei mir gewesen war. Selbst, wenn ich meine verätzten Lungen benutzt hätte, um lauter zu schreien, als ich es konnte, wäre es unmöglich gewesen, mehr Herzen zu alarmieren als ohnehin schon. Ein Riss in der herrlichsten Macht. Verrat.

Die vergangenen Stunden waren wenige, fremde und harte gewesen. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich mich von dem Schock und der Sorge aller Unschuldigen hatte lösen können. All derer, die keine Wahl hatten, als mir zu vertrauen. Aber ich war geradewegs in Halloween hineinspaziert.

Ich hatte signalisiert, dass ich Ruhe brauchte, und war erleichtert darüber gewesen, dass der Wunsch respektiert wurde. Sogar die Menschen auf der Erde hätten jedes Recht darauf gehabt, mich zu konfrontieren. Auch Liam hatte ich wegschicken müssen.
Nur, um die grausame Tinte auf der Haut meiner Hand zu entfernen, hatte ich Hilfe akzeptiert. Ein Mal meiner Schande.

Und jetzt würde ich tun müssen, was alles vielleicht noch schlimmer machen würde. Womöglich, wahrscheinlich, gewiss. Eine Reise zur Erde.

Ich hatte meinen Körper verloren, direkt vor Louis' Augen. Ich konnte keine andere Wahl treffen als diese. Ich musste mich erklären. Oder ihm zeigen, dass er nicht gesehen hatte, was er sehr deutlich gesehen hatte. Schadensbegrenzung. Was dem Himmel widerfahren war, konnte ich nicht entschuldigen. Das mit Louis auch nicht. Aber vielleicht könnte ich es wenigstens richten. Musste; sollte. Der Fehler durfte mir nicht passieren, nicht mit ihm.

Trotzdem fühlte ich die Berge der Schuld mein Bewusstsein dehnen. Mehr Raum für mehr Qual. Es war verdient. ›Wir wissen alle, wenn du nicht hier bist.‹
Sie wussten alle, dass ich sie jetzt wieder verließ.
Und sie würden alle wissen, was mit Louis als nächstes passierte.

Ich sammelte mich und alle Zellen, die eine ferne Vergangenheit mir auferlegt hatten. Es benötigte mehr Aufwand, die Finger an meine Schläfe zu führen, als das Resultat bis in die Luft knistern zu spüren. Magie; größer und treuer als alles andere. Ich schloss die Augen, um Louis zu fühlen – egal, wie gefährlich das jetzt sein mochte – und ließ ihn meinen Weg zur Erde leiten.

Es war ein Raum über der Erde, Wände aus Stein, ganz wie Louis'. Aber es war nicht Louis' Wohnung. Ich öffnete die Augen. Fenster filterten ungefiltertes Licht, Morgensonne. Mir war nicht klar gewesen, dass es abgeschirmt von der Natur so viele Farben geben konnte. Gestohlene Spektren des Regenbogens zeichneten einen Spiegel dessen, was hinter den Wänden des Hauses verborgen war. Hinter den Wänden dieser Stadt. Bäume, Wasser, Menschen wie Engel. Es waren Bilder. Ich mochte kein Kunststudent sein, aber das erkannte auch ich.

Ein Schatten der Farben fiel auf den rosigen Hügel von Louis' Wange. Und den Menschen neben ihm. Schlaf hing schwer in der Luft, die Wärme pochte bis tief in mein Inneres. Aber ich würde durchhalten.

Ich hatte gewusst, dass Louis schlief, und war trotzdem gekommen. Nicht, um Liam etwas zu beweisen, sondern mir selbst.

Trotzdem, bei dem Anblick des zweiten Menschen waren meine Finger schnell zurück an meiner Schläfe. Der Bruch winzigster Photonen nahm mir die Sichtbarkeit.

In einigem Abstand zu dem schweren Bett setzte ich mich auf ein anderes Möbelstück, an dessen Name ich mich nicht erinnern konnte. Es hatte viele Schubladen und war wie viele andere Dinge in diesem Zimmer mit kleinsten Gegenständen übersät. Obwohl ich es nicht sollte, hob ich einen schlanken Pinsel auf. Die feinen Haare waren mit Grün verklebt. Sie waren so dunkel wie die des Jungen neben Louis. Schweiß beschwerte die Luft entfernt, wie eine Erinnerung, und vertrocknet auf Oberkörpern, Armen, Beinen. Und da war noch etwas anderes...ich war mir nicht ganz sicher. Es roch so fundamental menschlich, dass ich fast erzitterte. Tiefstes Inneres, Sünden der Vergangenheit, Muse allen Lebens.

Ich spürte Louis' Erwachen vor ihm selbst. Er öffnete die Augen, als der Schlaf noch in seinem Bewusstsein schwamm. Ich war dankbar, als er langsam blinzelte, bis er die Hilfe seiner Hände benötigte und sich Öl, Salz und Wasser aus den Augenwinkeln rieb. Mein Blickfeld, Louis darin, schien zu leuchten, als er endlich deutlich sah. Einige seiner Muskeln hielten inne; so träge sie eben noch gewesen waren, konnten sie jetzt trotzdem verwehren, als er seine Gesellschaft sah.

Ich bemühte mich, den zweiten Menschen mit denselben Augen zu betrachten wie Louis. Was sah er in dem noch immer schlafenden, friedlichen Körper? Eine sich langsam hebende Brust? Dunkle Haare auf dunklem Kissen? Die Fortsetzung der befreiten Bilder unnatürlich gefangen unter der schlafgedunsenen Haut? Buchstaben? Beine verknotet mit seinen eigenen? Eine nicht mal ansatzweise wärmende Decke? Einen menschlichen Spiegel?

Was immer es war, Louis seufzte. Das verräterische Geräusch, das Liams Enttäuschung in die himmlische Atmosphäre geschickt hatte. Er vergrub seinen Kopf im Kissen. Das Echo seiner Stimme war dumpf und wortlos. Ich hätte versucht, ihm zuzuhören, aber er schien das Kissen als Ohr gewählt zu haben.

Dann setzte Louis sich auf. Vorsichtig, meine Muskeln spannten sich an. Langsam entflocht er seinen Teil der Wiese aus Beinen. Und rollte sich vom Bett.

Sein Körper schmeckte wund, aber gleichzeitig befriedigend leer. Wohltuender war allerdings die vollkommene Blöße von Louis' Haut. Nicht mal bei seiner Geburt hatte ich Louis mit jedem Millimeter gesehen, den ich schützen wollte. Auch nicht am Tag des Wassers. Aber jetzt war er nackt wie die Welt beim Sonnenaufgang.

Auf sanften Füßen bewegte er sich über den Boden, der so wenig wie die Möbelstücke von irdischen Artefakten verschont worden war. Wieder suchte er mit den Augen nach etwas, das ich nicht kannte.

Als er es fand, fluchte er.

Ich konnte mir nicht schnell genug die Ohren zuhalten. Als hätte das etwas genützt. Ich wollte aufspringen, sichtbar, Louis durchschütteln, ohne Konsequenzen für sein Blut oder hart gelagertes Gehirn. Dann überholte mich der Moment wie sein Wachstum.

Er hob Kleidung auf, dieselbe von gestern Abend. Schwaden chemischen Nebels und Schall, der meine Brust zerriss. Vielleicht teilte Louis die Erinnerung. Er massierte seine Schläfen, als wollte er meine Magie nutzen, um seinem Gedächtnis zu entfliehen. Wie hatte sein Körper standgehalten? Wieso hatte die Erde nicht gezittert, wie der Himmel es getan hatte? Oder hatte sie gezittert? Hatte mein Körper mich deswegen zurückgelassen?

Ich konnte Louis jetzt nicht fragen. Da war der andere Mensch, und außerdem waren die Fragen zu tief. Wenn es nicht sowieso schon zu spät war, nach dem, was Louis gesehen hatte.

Louis' Worte hatten nicht nur mich aufgeschreckt, sondern anscheinend auch den Menschen, der mir sein Erwachen nicht vorsignalisieren konnte. In dem von Atem regierten Raum dröhnte das Rascheln der Decke in meinen Ohren. Der andere Mensch schlug die Augen auf. In ihrer Dunkelheit erinnerten sie mich an Liams.

»Morgen«, verkündete er verborgen, rau.

Louis schlüpfte in das erste seiner Kleidungsstücke. »Hey.« Erst jetzt spürte ich, im Bruch der einzigen Silbe zwischen Zunge und Rachen, dass Louis' Hals brannte.

Ich versuchte, mich mehr auf den anderen Menschen zu fokussieren. Er konnte nicht so ein Rätsel für mich sein, auch ohne magische Verbindung. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich seinen Herzschlag hören. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf, gähnte wie ein Löwenbaby. »Hast du es eilig, Louis?«

»Ich habe...ja, schätze schon. Ich habe nachher ein Seminar und davor würde ich gern noch nach Hause und«, er hielt die helle Hose von gestern hoch, rümpfte die Nase, »mich umziehen.« Seine Stimme war ein rostiger Schatten ihrer selbst. »Wenn ich mein dämliches Handy finden würde, wüsste ich, wie viel Zeit ich noch habe.«

»Du kannst hier duschen, wenn du willst.« Es war ein Angebot, das erkannte ich, wie Louis mir das Kissen angeboten hatte. Der andere Mensch drehte sich auf seine Seite, weg von mir, offenbarte mehr Buchstaben. Er tastete in einen für mich blinden Abgrund, rollte dann zurück. »10:02 Uhr.«

Über zwölf Stunden waren vergangen. Meine Beine wollten sich immer noch loslösen.

Louis blieb in seiner Bewegung hängen. »Was?«, fragte er. »Wirklich?»

»Ja.« Ein zweites Paar Füße auf dem Boden, größer als Louis'.

Mit krümelnder Stimme stöhnte Louis. »Dann schaffe ich es nicht mehr nach Hause.« Seine Finger rannen durch seine Haare, dann über sein Gesicht. »Und ich muss das hier tragen.« Er hielt die Kleidung in seinen Händen hoch.

Der andere Mensch stand jetzt, wie Louis. Er streckte sich, Rücken eine Kuppel, bis winzigste Gasbläschen ihn knacken ließen. »Wie gesagt; du kannst gerne hier duschen.« Er lief an Louis vorbei, ohne dass einer von ihnen zuckte. »Und keine Sorge, du siehst gut aus in dem Anzug. Selten so einem intelligenten, attraktiven Single-Dad über den Weg gelaufen.«

Louis war kein Dad, wenn ›Dad‹ Vater bedeutete. Intelligent ganz sicher, attraktiv war ein Wort der Menschen. Ich wartete darauf, dass Louis das Missverständnis aufklärte, aber er ließ es sein. Stattdessen rollte er den Rest der Kleidung in seinen Armen zusammen. »Danke für das Angebot. Ich werde nur einmal kurz das Waschbecken benutzen, wenn das okay ist.«

»Tob dich aus.« Der fremde Körper stand plötzlich vor mir, vor meinem Möbelstück. Ich erstarrte zu unser aller Sicherheit. Eine Schublade öffnete sich direkt unter dem Brett meiner Balance. »Du kannst auch was leihen. Shirt, Pullover, irgendwas. Meine Hosen sind dir auch nicht größer als dein Anti-Preppy-Atticus.«

Louis' Füße waren auf halbem Weg zur Tür. Er blieb stehen. »Ähm...nein. Dann müsste- Nein, aber danke.« Er hob sein Brustbein, eine geradere Haltung. Meine Wirbelsäule war es ihm dankbar. »Ist jetzt so. Können eben alle sehen, dass ich es nicht aus meinem Kostüm geschafft habe.«

Zentimeter vor mir, der Geruch des Zimmers war seine Essenz. Der andere Mensch hielt auch Kleidung in der Hand und schloss die Schubladen wieder. Endlich trat er Schritte zurück. »Hey, Louis, man darf doch wohl Halloween ein bisschen Spaß haben. Lass die anderen neidisch sein.« Halloween; war es nicht eine Eiswüste für die stärksten Knospen von Spaß? Hatten Louis und der fremde Mensch gestern Spaß gehabt, in dem Untergang allen Lebens? Hätte ich den anderen Menschen kennengelernt, wäre ich länger geblieben?

Louis schüttelte seufzend den Kopf – nein? – und öffnete die Tür. Dahinter erstreckte sich die Rechtwinkligkeit der Wände. »Ich beeile mich im Bad. Danke, Danny.«

Danny. Ich hatte einen Namen. Ein Name genügte. Louis verschwand auf Erdenboden, den ich nie betreten hatte. Eine Tür schloss sich hinter ihm. Der andere Mensch zog sich wie Louis ein Kleidungsstück über die Hüften, das ihn bis hin auf seine hohen Oberschenkel bedeckte. Danny.

Fingerspitzen fanden meine Schläfen; beider Hände, nach letzter Nacht und Louis' Schlaf. Ich schloss die Augen und fand den Ort meiner Antworten.

Danny. 774.466 Dannys weltweit. 30.996 in England allein. Aber, ich schlug die Augen auf, kein einziger in Manchester.

Wenige Meter vor mir war er, ›Danny‹, in Manchester. Er schien Louis folgen zu wollen, öffnete aber eine andere Tür und verschwand in einem für mich unsichtbaren Zimmer.

Louis musste der Schlüssel zu dem Rätsel sein, es erblühte in meinem Bewusstsein wie ein Sommerregen. Wenn es keinen Danny in Manchester gab, hier aber einer vor mir stand, konnte Danny nicht sein richtiger Name sein. Ein Spitzname.

Ich bastelte die Namen rückwärts zurecht. Harry – Hara. Danny...Dana. Das war Louis' Muster. Ich überprüfte es.
Dana, einmal in Manchester. Es war allerdings eine Frau von 76 Jahren. Nicht der Mensch, der neben Louis geschlafen hatte. Louis hatte seine eigene Regel der Spitznamen gebrochen. Ich würde nicht herausfinden, wer ›Danny‹ war. Dieses Wissen blieb den beiden allein vorbehalten.

Vorsichtig ließ ich mein Möbelstück hinter mir. Weil ich Louis nicht so einfach durch eine geschlossene Tür folgen konnte, wartete ich davor. Wasser rauschte hinter den Wänden, die auch hier übersät von Kopien des echten und unechten Lebens waren. Ich löste mich vom Boden und betrachtete die Bruchstücke von Eindrücken eines menschlichen Verstandes. In dem Raum, in den Danny verschwunden war, explodierte ein neues Geräusch, tief und wütend, wie ein Vulkan, der sich auf seinen Ausbruch vorbereitete. Ich hätte nachgesehen, allein für den Menschen, aber ich konnte mich nicht dazu bringen. Nicht nach gestern Abend.
Stattdessen konzentrierte ich mich auf die Bruchstücke irdischen Erbes.

Tanzende Menschen, verborgene Universen, kleinste Blüten englischer Flora, und- Ich hielt inne. Fundamental falsch, direkt über dem Rahmen der Tür, durch die Louis verschwunden war, hing das Bildnis dessen, was selbst ich nur als Engel sehen konnte. In Partikeln, die wie feinste Kohle schmeckten, zeichneten schwarze Linien eine Verzerrung all dessen, was ich je gekannt hatte. Die Flügel, rätselhaft in der Kohle noch immer strukturiert, waren pechschwarz und erreichten nicht mal Ohrenhöhe. In irrem Winkel abgespreizt hielten sie einen Körper im Flug hoch, der, wie Louis und Danny vor einigen Minuten noch, splitterfasernackt war.

Unglaube zupfte an den Enden meiner Balance. Hatte Danny den kollektiven Traum gesehen? Die Dystopie des Vergessens?

Aus den schlanken Fingerspitzen der gezeichneten Erscheinung löste sich Licht und umrahmte den hellen Karton der Zeichnung. Es bedeutete nichts. Wie in ihrer eigenen Welt schmissen Menschen willkürlich mit Macht um sich, als gäbe es niemanden, den sie dadurch verletzen konnten.

Ich war versucht, das Bild mitzunehmen. Es von dem chemischen Harz zu lösen, das es an der Wand befestigte. Es Liam zeigen. Aber ich konnte die Erde nicht berauben. Die Strafen dafür waren unabwägbar.

Die Tür unter mir öffnete sich und ich konnte gerade so meine Beine heben. Louis streifte sie nicht mal in Gedanken. Er trug jetzt den Anzug von gestern, ohne den um seinen Hals gewickelten und vor seiner Brust fallenden Stoff, und zum Glück ohne die Brille. Vielleicht wurde Danny durch das Geräusch benachrichtigt. Sein fragender Kopf tauchte auf, dann sein Körper. Noch immer trug er nicht mehr als das einzelne Kleidungsstück. Ich versuchte, durch seine Materie durchzustarren. Irgendwo dort, geprägt in sein Gehirn, der Schatten der Vergangenheit. Er hatte den Engel gemalt.

»Hey«, er lächelte Louis zu. »Ich habe Teewasser aufgesetzt.«

Louis öffnete einen weiteren Knopf an seinem Kragen. »Das ist nett, aber ich muss verzichten.«

Danny nickte, da war es. Ein Mensch war er, aber was war sein Name? »Okay. Willst du los?«

Auch Louis nickte, als hätten sie plötzlich ihre Stimmen verloren. »Ja, ich war lange genug... Ich will los.«

»Hast du dein Handy gefunden?«

Schnell tätschelte Louis die Rippen unter seiner Brust. »Alles hier drin.«, versicherte er. Ein Handy neben seinem Herzen. Als hätte er keinen Grund, an seinem Leben festzuhalten.

Louis suchte kurz nach seinen Schuhen, die an zwei verschiedenen Enden des Flurs verteilt waren. Danny sammelte einen von ihnen grinsend ein. »Da hatten wir es aber eilig.«

Ein schwaches Lächeln lag auf Louis' Lippen. »Scheint so.« Er nahm den Schuh von Danny ab, schnürte beide um seine Füße, richtete sich wieder auf. Ich hing noch immer zwischen ihm und der Decke. »Fängt dein Tag heute erst später an?«

»Ich habe frei. Alle zwei Wochen.« Danny trat ein paar Schritte näher zu Louis, oder zu der bisher unbenutzten, größten Tür am Ende des Ganges. »Das war ein bisschen Glück mit dem ersten November.«

»November. Jetzt ist schon November.«, sagte Louis dunkel.

»Magst du den Winter nicht?«

»Noch ist es Herbst.«

»Ja. Aber danach?«

Louis legte eine Hand auf die Türklinke. »Ich mag es nicht, wenn mir die Zeit durch die Finger rinnt.«

»Hm, ja.« Danny senkte den Kopf, zuckte mit den Schultern. »Ich freue mich. Weihnachten fliege ich nach Hause.«

Louis nickte, schon wieder. »Natürlich, darauf würde ich mich auch freuen.« Sein Herz schlug ruhig. »Ist es noch warm bei euch? Zu Weihnachten?«

»Ja. Im Dezember ist Sommeranfang. Es kann ziemlich heiß werden.« Er grinste. »Gestern war Halloween. Und wir reden über Weihnachten.«

»Ab heute haben die Geschäfte offizielle Erlaubnis, schamlos Weihnachtssüßigkeiten zu verkaufen.« Louis lachte leise, mehr in sich hinein als aus sich heraus. »Auch wenn sie das eigentlich schon seit September machen.«

Auch Danny lachte, rauer als Louis. Sein wunder Hals hatte ihn eingeholt. »Schamloses Europa. Ein großer Zirkus.«

»Das kannst du laut sagen.« Louis musterte seine Finger auf der Türklinke. Ein kurzes Schweigen hüllte sich sogar um meine Füße. »Na gut. Ich sollte los.«

»Ja. Klar.« Danny machte eine ausschweifende Geste, der Schwung der Tür. 

Louis imitierte ihn mit der echten. Feuchtigkeit und Schimmel wehten in Partikeln herein. Ich würde Louis nicht folgen können. Nach gestern sollte ich jetzt nicht so lange bleiben. Vielleicht könnte ich später zurückkehren.

»Gut.«, verkündete Louis. Ich fragte mich, was wohl gut war. »Also. Tschüss, Danny. Wir sehen uns auf dem Campus.«

Danny lächelte weiter. »Früher oder später immer.«

»Genau. Bis dann!« Louis winkte, wie ich es gestern geübt hatte und wartete nicht auf eine Antwort.

Sie kam trotzdem. »Viel Spaß bei deinem Seminar!«

Aber die Tür war schon im Fallen. Ich schloss mich ihr an und sank langsam auf den Boden zurück. Danny löste sich langsam von der Wand, an der er lehnte, und drehte sich um. Der Türspalt wurde enger und enger, und plötzlich von Louis' Hand gefangen.

»Danny?« Da waren Louis' Haare wieder, sein Körper in dem hellen Anzug. Danny wandte sich überrascht um.

Ich stand genau zwischen ihnen, aber beide sahen durch mich hindurch.

»Ja?«

Louis sah auf den Boden, seine Anzugknöpfe. »Gestern Abend, wir beide, das... Ich weiß nicht, wie-... Danny, es war...«

»Ich weiß.«, lächelte Danny ruhig. »Es war das letzte Mal.«

Louis nickte dankbar und sah auf. »Ja. Das letzte Mal.« Er trat einen Schritt zurück, weiter in die Feuchtigkeit hinein. Ich konnte eine Treppe hinter ihm erkennen. »Bis dann, Danny.«

»Bis dann, Louis.«

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