𝐕𝐈𝐈
☽ ⋆ 𝐋 ⋆ ☾
Um dem Mittwochabend-Bierflaschenbowling aus dem Weg zu gehen, benutzte ich die metallene Außentreppe, um ins Dachgeschoss von Whitworth Park zu kommen. Ich hatte Zayn schon eine Nachricht geschickt, damit ich nicht klingeln oder klopfen und seine drei Mitbewohner zwangsweise auf meine Ankunft aufmerksam machen musste. So stand die Tür zu der Studentenunterkunft schon offen, als ich die Wohnung unterm Dach erreichte.
»Hi, Z.«, rief ich in gedämpfter Lautstärke, als ich durch die Tür trat und mich aus meiner noch immer etwas feuchten Jacke schälte. Die Luftfeuchtigkeit im Samuel-Alexander-Gebäude war an den meisten Tagen eine Katastrophe.
»Hey, Lou!« Zayns Stimme kam aus der Küche, wie erwartet. Es roch nach Curry.
»Hi.« Ich schob mich in die Küche und war froh, keinen von Zayns Mitbewohnern zu entdecken. Sie waren zwar alle erträglich, Zayn hatte halbwegs Glück gehabt mit ihnen, aber ich war trotzdem froh, dass sie uns meistens in Frieden ließen, wenn wir unser traditionelles Abendessen hier veranstalteten. Ich hängte meine Jacke über einen der Küchenstühle. »Riecht gut.«
»Danke.« Zayn war ein ganz passabler Koch. Nichts Besonderes, wie ich. Die einfachen Sachen klappten, Experimentiere gingen entweder schief oder nicht. Niemals etwas Außergewöhnliches. Ich könnte mich nicht beschweren. »Es ist ein Dal. Das Rezept, das Mum mir nach dem letzten Eid al-Fitr mitgegeben hat.«
Ich grinste und sah meinem besten Freund über die Schulter. In einer großen Pfanne köchelte etwas Gelbes. »Mein Lieblingsfest.«
Zayn schnaubte leise. »Das ist kein Geheimnis. Nicht für mich, nicht für ein einziges Mitglied meiner Familie.«
Optimistisch beschloss ich, seine Bemerkung zu übergehen. »Wo ist das Hähnchen?«
»Kein Hähnchen, Louis.« Er rührte das breiige Dal mit einem Holzlöffel um. Dann drehte er seinen Kopf so plötzlich zu meiner Seite, dass wir uns die Stirnen eingeschlagen hätten, wäre ich kein Junge mit Goldreflexen. Zayn studierte für ein paar Sekunden meine Augen, als würde er sie zum ersten Mal sehen. »Niall kommt.«, erklärte er schließlich.
Ich trat einen großen Schritt zurück. Mein Kopf war zu wertvoll, um von Zayn als Piñata benutzt zu werden. »Niall?«, fragte ich etwas überrumpelt.
Zayn nickte und wandte sich wieder dem Herd zu. »Ja. Kannst du den Tisch decken?«
Mit einem Blick versicherte ich mich, dass der beschichtete Holztisch nach der letzten Mahlzeit abgewischt worden war. Dann wanderte ich zum Geschirrschrank. »Ihr habt gerade mal drei Dates und dann willst du ihn schon dem besten Freund vorstellen?!«
Zayn gestikulierte wild mit einem Arm, damit ich zu ihm hinübersah. Als er meine visuelle Aufmerksamkeit hatte, sah er mich ernst an. »Der beste Freund wird ihn nett behandeln und nicht auseinandernehmen. Hörst du, Louis? Wag es ja nicht, ihn zu verscheuchen, indem du ihm einen Irren vorspielst. Wie mit Olivier.«
»Hey!«, ich stellte den Teller in meiner Hand auf den Küchentresen, um verteidigend die Hände zu heben. »Olivier hat mich nur für irre gehalten, weil er kein Englisch konnte. Und ich ihn nicht auf die Wangen geküsst habe. Er war dein Freund, nicht meiner.«
Unbeeindruckt hob Zayn die Augenbrauen. »Das; ja. Und dann hat es vielleicht auch nicht unbedingt geholfen, dass du den Cricketschläger als Löffel benutzt hast.«
»Komm schon, Zayn, sei nicht unfair! Ich hatte Schwierigkeiten, seine französische Kultur zu verstehen und er hatte Schwierigkeiten, meine englische zu verstehen.«
»Schon klar. Es geht jetzt aber nicht um Olivier.«
Ich nahm den Teller wieder auf. »Irland ist fast weiter weg als Frankreich, weißt du? Vielleicht sollte ich den Cricketschläger wieder rausholen.« Ich war müde vom Tag und redete mehr Unsinn als ohnehin schon. Das wusste Zayn auch. Was wohl der Grund dafür war, wieso er dazu nichts mehr sagte.
»Bist du fertig mit der Recherche geworden?«, fragte er stattdessen, wie, um zu beweisen, dass wir den Gedanken geteilt hatten.
Ich starrte den Teller in meiner Hand an. »Teller oder Schüsseln?«
»Schüsseln.« Mit unsicherem Handgelenk ließ er den Salzstreuer eine Runde über die Pfanne drehen. »Was ist mit der Recherche?«
Der Teller verschwand wieder im Schrank, ich griff nach zwei Schüsseln. Dann nach einer dritten. »Ich bin noch nicht fertig. Es gab irgendein Problem im Hörsaal und ich kam nicht früh genug rein.«
»Zweite Semesterwoche und die Wände fliegen uns um die Ohren. Würde mich nicht wundern, wenn dieses Dach heute Nacht im Schlaf über mir einstürzt. Heute Morgen habe ich im Bad wieder eine Maus gesehen.« Zayn lehnte am Herd und beobachtete, wie ich die Schüsseln auf dem Tisch verteilte. Wollte Zayn neben Niall sitzen? Oder gegenüber von ihm? War sowieso eine schwierige Frage, weil es ein runder Tisch war. Ich verteilte die Schüsseln gleichmäßig auf der runden Holzoberfläche und machte mich auf den Weg zur Besteckschublade.
»Wird er bleiben?«, fragte ich neugierig, als ich die Gabeln abzählte.
»Wer? Die Maus?«
Mir entwich ein leises Prusten. »Niall!«
»Oh.« Zayns Blick zuckte nur kurz in Richtung seiner Zimmertür, aber ich sah es trotzdem. »Ich weiß es nicht.«
»Ich kann früher los, wenn du willst.«, bot ich an. »Dann kannst du Niall als deinen Übernachtungsgast anmelden.« Das wäre alles kein Problem. Normalerweise meldeten wir mich als Zayns Gast an, auch wenn ich fast nie über Nacht blieb. Aber das gab mir hier im Wohnheim die Erlaubnis, auch bis nach der Sperrstunde zu bleiben. Und von mir aus musste ich keine Nachtruhe einhalten, denn ich hatte meine eigene Wohnung, abseits vom Campus.
»Ich glaube nicht, dass das nötig ist.«, erklärte Zayn, ohne dass ich sagen konnte, was er von dieser Tatsache hielt. »Er wohnt in St. Anselm Hall.«
»Oh, wow!« Ich platzierte die Gabeln brav neben den Schüsseln. »Wow! Dann haben wir heute Abend also Adel unter uns! Einen Mini-Aristokraten?«
Zayn fuhr sich mit einer Hand durch das frisch gewaschene Haar. »Ich denke nicht, dass er sich das aussuchen durfte. Aber ich glaube, es gefällt ihm nicht schlecht.« Zayn lächelte, dabei redeten wir über Wohnheime.
Ich ging grinsend zu ihm hinüber und nahm seine Hand. »Du magst ihn wirklich!«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich mag ihn.« Er drückte meine Hand fester. »Und deswegen wirst du dich heute Abend ganz normal benehmen, wie immer. Nicht wie ein Kleinkind mit Zuckerschock. Hörst du?«
»Ja! Ich höre die himmlischen Posaunen!«, rief ich aus und entzog ihn meine Hand. Ich griff nach dem Kochlöffel in der Pfanne und hielt ihn feierlich zur Decke empor. »Manchester, öffnet eure Fenster und Türen! Zayn Malik ist verliebt!«
Mit vorwurfsvollem Blick beugte Zayn sich vor und entwand mir den Löffel. »Hör auf damit.«
»Zayn Malik ist verli-iebt!«, sang ich leise. »Zayn Malik ist verli-iebt! Prali-inen und Leprechauns, Zayn Malik ist verli-iebt!«
»Louis!«, Zayn warf mir einen mehr als strafenden Blick zu und wollte nach meinem Handgelenk greifen, aber ich sprang rechtzeitig zurück. »Halt den Mund. Wir haben uns einmal geküsst, und ja, ich mag ihn. Aber das ist noch nicht verliebt.«
»Zayn Malik ist verli-iebt!«, flüsterte ich grinsend.
»Okay! Themenwechsel!«, verkündete er wie der Spielverderber, der er war. »Erzähl mir irgendetwas, Louis. Irgendwas.«
Ich schlenderte zum Schrank mit den Trinkgläsern. »Ja. Ich weiß schon. Wenn wir gerade darüber reden, dass du verliebt bist-«
»Louis!«, zischte er warnend.
»...dann kann ich dir gleich erzählen, dass ich heute den hübschesten Jungen auf der Welt getroffen habe.«
Interessiert sah Zayn auf. Seine strengen Gesichtszüge entspannten sich. »Der hübscheste Junge der Welt?« Er wackelte mit den Augenbrauen. »Was ist mit mir?«
Ich ignorierte die Frage. Zayn würde mich nie vergessen lassen, dass ich ihn das als Dreizehnjähriger genannt hatte. Und natürlich war da was dran; Zayns Gesicht stellte alles in den Schatten, das Anna Wintour je angesehen hatte. Aber ob seine Seidenhaare und Modelwimpern mit Schokoladenlocken und grünen Mosaikaugen mithalten konnten, war da nochmal eine ganz neue Frage.
»Wer war er?«, fragte Zayn neugierig weiter. »Du hast mit ihm gesprochen?«
»Ja, habe ich.«, erklärte ich zufrieden und erst jetzt erschlug mich die Erinnerung an das etwas eigenartige Gespräch und den ebenso eigenartigen Jungen wieder mit voller Wucht. Ich hatte sie für die Recherche beiseite schieben müssen. »Harry.«
»Harry wer? Kenne ich ihn?«
Ich hatte drei gleichgroße Gläser gefunden und marschierte zurück zum Tisch. »Harry...keine-Ahnung-wer. Ich habe ihn nicht nach seinem Nachnamen gefragt.«
»Hast du nach seiner Nummer gefragt? Er nach deiner?«
Die Gläser standen bei den Schüsseln. Ich kratzte mich am Hinterkopf. »Nein... Ich habe nicht mal daran gedacht, um ehrlich zu sein.«
»Du hast also weder seinen vollen Namen noch seine Nummer? Wie willst du ihn wiederfinden, Louis?«
»Wer sagt, dass ich ihn wiederfinden will?«
»Die Falte zwischen deinen Augenbrauen. Außerdem; willst du dir wirklich den hübschesten Jungen auf der Welt durch die Lappen gehen lassen?« Er schwieg kurz, aber ich erwiderte nichts. »Siehst du. Also...wie kannst du ihn wiederfinden? Hast du nichts?«
Ich schüttelte den Kopf und kam mir vor wie ein Idiot. Ganz vielleicht wäre es also doch eine gute Idee gewesen, nicht ahnungslos mit geschlossenen Augen bis 72 zu zählen, sondern Harry etwas Persönliches zu fragen. Etwas, das ihn weniger wie den ätherischen Geist eines altgriechischen Kunststudenten hätte wirken lassen und mir geholfen hätte, ihn aufzuspüren, wenn ich das wollte.
Ich seufzte und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Durch die Finger presste ich eine Erkenntnis, die mir erst jetzt wieder kam. »Es kann sein, dass Niall ihn kennt.«
»Dass ich wen kenne?«
Zayn und ich hoben gleichzeitig die Köpfe. Sofort drehte ich mich zu der neuen Stimme um. Im Flur stand Niall – oder jemand anderes mit irischem Akzent und dem breiten Lächeln, von dem Zayn mir schon nach ihrem ersten Date vorgeschwärmt hatte.
»Hi!«, begrüßte ich ihn und grinste Zayn von der Seite an. Ein Lächeln spielte auch in seinem Mundwinkel.
»Hi.« Niall streckte seine Hand aus und musterte mein Gesicht. »Du musst dann wohl Louis sein!«
Ich nickte und drückte seine Hand, als wäre das eine geläufige Begrüßungsgeste für mich. »Ich muss dann wohl Louis sein.«
Niall lachte ein leises Delfinlachen, das auch mich zum Lachen brachte. Zayn neben mir lächelte breiter. »Hey Louis. Ich bin Niall.«
Ich ließ Nialls Hand los und wartete darauf, dass er und Zayn sich begrüßten, aber aus irgendeinem Grund bewegten sie sich nicht. Toll. Zum Glück war es niemals seltsam, wenn Zayn und ich uns unsere Dates vorstellten. Ha.
»Dass ich wen kenne?», wiederholte Niall und öffnete den Reißverschluss seiner Jacke.
»Den hübschesten Jungen der Welt.«, klärte ich ihn auf, hoffentlich ironisch genug. Nialls Blick zuckte zu Zayn. Ich hätte es süß gefunden, mich vielleicht darüber lustig gemacht, wenn das nicht scheinheilig von mir wäre.
»Harry.«, bemerkte Zayn. Keine Ahnung, ob er Nialls Blick wahrgenommen oder richtig gedeutet hatte.
»Harry wer?«, echote Niall.
»Ich kenne seinen Nachnamen nicht. Aber er ist ein Stipendiat. Kunst.«
»Kunst?!«, fragte Zayn alarmiert und lächelte Niall schief zu. Das schien die Begrüßung zu sein, denn jetzt drehte Zayn sich weg und kniff mich in den Oberarm. »Kein Wunder, dass dein Unbekannter für dich der hübscheste Junge der Welt ist! Mit deiner Schwäche für Kunststudenten...«
»Lass Danny da raus.«, warnte ich ohne Nachdruck und pflückte seine Finger von meinem Arm. »Was willst du trinken, Niall?« Unbesorgt drehte ich ihnen den Rücken zu.
Niall brauchte eine Weile für die Antwort. Ich hatte das schleichende Gefühl, dass er und Zayn sich stumm außerhalb meines Blickfeldes über die Getränkewahl abstimmten. »Wasser reicht, dankeschön, Louis.«, antwortete er irgendwann. Über die Schulter warf ich Zayn einen vielsagenden Blick zu. Vielleicht wollte er doch lieber Niall als seinen Übernachtungsgast angeben. Aber Zayn erwiderte meinen Blick nicht. Er kehrte zum Herd zurück.
»Wasser also.«, sagte ich mehr zu mir selbst als jemand anderem in diesem Zimmer. Wasser für Niall bedeutete Wasser für alle von uns. Es gab nur Leitungswasser.
Ich hatte Harry verloren.
Wenn es noch nicht Zeichen genug gewesen war, dass ich mir willentlich die Augen zugehalten hatte, um ihn verschwinden zu lassen, dann sollte wenigstens die Tatsache ausreichen, dass weder er noch ich irgendetwas getan hatten, um wenigstens die Chance zu haben, den anderen zu kontaktieren. Das war es also. Wahrscheinlich saß er gerade irgendwo in einem der teuren Studentenwohnheime und dachte darüber nach, wie ihn heute ein fremder Student einfach nicht in Frieden lassen wollte. Oder er hatte mich schon wieder ganz vergessen. Keine schöne Vorstellung, aber ich war alt genug, um zu wissen, dass das Leben so funktionierte.
Vielleicht hatte ich auch zu lange keinen festen Freund mehr gehabt, wenn ich jetzt schon in Gedanken einem Jungen nachtrauerte, der nur auf 5% meiner Sätze etwas erwidert hatte. Nur, weil er süße Grübchen gehabt und mir nicht gleich seine komplette Persönlichkeit auf einem Silbertablett präsentiert hatte. Prioritäten checken, Louis. Prioritäten checken.
Sprudelnd füllte das Wasser die hohe Glaskanne, die Zayn und ich für 3£ in einem schließenden Antiquariat gefunden hatten. Sicher keine Antiquität, aber wer wären wir, uns zu beschweren?
Ich hatte nicht bemerkt, dass Niall sich zu Zayn und dem friedlich köchelnden Dal gesellt hatte. Sie redeten leise über Ingwer, als wäre das Gesprächsthema empfindlich genug, um bei höherer Lautstärke zu zerbrechen. Ich ließ sie in Ruhe. Denn Zayn tat mir Unrecht, wenn er Angst hatte, dass ich mich wie ein Irrer benehmen würde, nur um seine Dates zu vergraulen. Ich wollte, dass er glücklich war, mehr als alles andere.
Und dass ich Olivier provoziert hatte, war nur meinem wirklich schlechten Bauchgefühl bei ihm und dem Fakt, dass er meine Kleidung beleidigt hatte, zu verschulden gewesen. Außerdem hatte es sich herausgestellt, dass mein Bauchgefühl richtig gelegen hatte; nach nicht mal vier Wochen mit Zayn hatte sich seine Zunge schon in die Münder anderer Jungen verirrt. Niemand sollte Louis Tomlinsons Intuition herausfordern.
Und wahrscheinlich war genau das das Problem mit dem fremden Jungen, Harry, der aus irgendeinem Grund aufgeregt darüber gewesen war, zu erfahren, dass ich Lehrer werden wollte. Ich hatte ein gutes Bauchgefühl bei ihm. Auch wenn das eigentlich absolut wertlos sein sollte, denn er hatte kaum mehr als zehn Worte zu mir gesagt. Vielleicht manipulierte mein Unterbewusstsein jetzt schon meine Intuition. Ein Junge steht vor mir, der Ironie trocken wie die Sahara benutzt und mich mit rosa Lippen anlächelt? Deal geschlossen; gutes Bauchgefühl. Meine Augen hatten einen Weg in meinen Bauch gefunden, na wunderbar.
Ich setzte mich an den Tisch, weil Zayns und Nialls Stimmen noch immer sanft durch den Raum summten. Das Wasser in der Kanne verzerrte die Maserungen der Tischplatte unter sich. Wie ein Traum. Und dann doch nicht. Holz hinter Luft hinter Glas hinter Wasser hinter Glas hinter Luft und ich träumte. Nicht die Hallendecke; der Beckenboden.
Es war Mittwoch der zweiten Woche und ich steckte jetzt schon halstief in meiner Pflichtleseliste. Einführung in frühe, klassische und kontemporäre Dramen war meistens einer meiner interessantesten Kurse, aber ›A Doll's House‹ war mehr oder weniger eine Weihnachtsgeschichte und ich hatte keine Ahnung, wieso sie uns das im Oktober lesen ließen. Und uns zusätzlich dazu zwangen, ein Essay zum Thema unserer Wahl zu schreiben. Aber ich hatte mich mit Zayn schon darüber unterhalten und der Entwurf ›Frauenbild und die Symbolik Noras Fischermädchen-Kostüms‹ schlummerte mit schon fast anderthalb Seiten auf meinem Laptop. Fehlten nur noch viereinhalb.
Aber das war egal. Ich würde es trotzdem irgendwie in meinen Zeitplan quetschen, Mum übermorgen zu besuchen. Ich griff nach meinem Glas und dem Wasser. Bis wenige Millimeter unter dem Rand füllte ich es auf, trank es in einem Zug aus. Fuck.
»Hey.« Niall zog seinen Stuhl zurück und setzte sich neben mich. Er schob seine Schüssel ein Stück in die Tischmitte, als würde sie ihn beim Reden stören. »Ich bin wirklich froh, dich kennenzulernen.« Er sah auf seine Finger und lächelte. Ich wusste, welcher Name als nächstes fallen würde. »Du scheinst in jeder von Zayns erzählenswerter Geschichten eine Rolle zu spielen.«
Ich zwang mich, leise zu lachen. Niall konnte schließlich nichts für die Probleme dieser Welt. »Er spielt in allen meiner eine Rolle.«
»Ihr kennt euch schon sehr lange, nicht wahr?«
»Seit wir fünf sind!« Zayn ließ eine hölzernes Schneidebrettchen auf den Tisch fallen, die heiße Pfanne fand ächzend darauf Platz.
»Das ist wirklich eine lange Zeit.«, staunte Niall lächelnd. Zayn werkelte wieder irgendetwas hinter meinem Rücken herum.
Ich nickte. »Wir wurden zusammen eingeschult. Und weil es sich herausgestellt hat, dass alle anderen Kinder in Donny Trottel waren, musste ich wohl oder übel mit Zaynie Vorlieb nehmen.«
»Ich liebe dich auch, Louis.« Bei seiner Rückkehr zum Tisch verpasste er mir eine weiche Backpfeife mit dem gepunkteten Ofenhandschuh.
»Nichts gegen deine Schwestern natürlich.«, versicherte ich ihm grinsend.
Ein kleiner Topf mit braunem Reis wurde neben die Pfanne mit dem Dal geschoben. Dann setzte auch Zayn sich. Nach einem langen Tag würde ich endlich etwas zu essen bekommen.
»Aber genug von uns beiden Langweilern!« Ich griff wieder nach der Wasserkanne und schenkte zuerst Niall etwas ein. »Wer bist du, Niall? Ich höre, du kommst von Übersee. Mini-Übersee, sozusagen. Ich bin so unwissend. Erzähl mir alles, Niall, erzähl mir alles.«
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