𝐈
☽ ⋆ 𝐇 ⋆ ☾
Geduld war eine Gabe des Himmels, aber auf Liam musste ich lange warten.
Ich hatte gelernt, dass es lange dauern konnte, bis ein Mensch auf die Welt kam. 77 Tage hatte die längste Geburt in der Geschichte der Erde gedauert, das hatten sie uns beigebracht, und ich hatte es heute Morgen nachgeprüft. Doch manchmal dauerten sie nur wenige Sekunden. 27 für die kürzeste jemals, um genau zu sein.
27 Sekunden waren kaum mehr, als wenn ich manchmal vergaß zu blinzeln, wie die Menschen es taten. 77 Tage waren auch nicht besonders lange, wenn ich nur etwas fand, das mich beschäftigte. Wenn Liam da war.
Aber heute hatten sie ihn vorgeschickt. Niemand war bei der Geburt seines ersten Menschenbabys dabei. Das brachte Unglück.
Drei Stunden, 57 Minuten und 32 Sekunden vergingen in der Zeit, in der Liam verschwunden war. Ich hatte ihn vorher gefragt, was Menschen taten, wenn sie nervös darauf warteten, dass Zeit verging. Hin und her gehen; hatte ich getan. An meinen Fingernägeln kauen; darauf hatte ich verzichtet – es erschien mir falsch, meinen Körper aufzuessen. Meine Haare um meine Finger kringeln; war nicht besonders erfolgreich gewesen, der goldene Reif hatte gestört. Mit den Fingerknöcheln knacken; das hatten meine schwachen Menschenhände nicht hergegeben.
So war es darauf hinausgelaufen, dass ich die Federn meiner Flügel gezählt hatte. Bis Liam sich nach drei Stunden, 57 Minuten und 32 Sekunden endlich vor mir materialisierte, schwerelose Magie und süße Luft.
»2222«, bemerkte er mit weicher Stimme, die Spitzen seiner Flügel vibrierten von der Rückkehr in die himmlische Atmosphäre. Ich hob den Kopf. Seine Wangen waren rot. Die Erde. »2222 Federn.«, erklärte er mit einem Nicken zu meinen fliegenden Fingern.
Ich senkte die Arme, faltete die Hände vor meinem Körper. »Ich weiß.« Auch Engel hatten Angewohnheiten. Aufregung baute ihre Berge wie Wolken in mir auf, nur meinen Körper erreichte sie nicht. »Es ist geboren?«
Liam antwortete nicht, denn er wusste, dass ich die Antwort kannte. Von seiner Haut waberte mir das Glühen neuen Lebens entgegen. Und das scharfe Züngeln das Planeten, den ich heute zum ersten Mal betreten würde. Seicht neigte Liam den Kopf und schlug die Augen nieder. »100 Erdenjahre. Ihr seid bereit, Prinz Hara.«
Ein Lächeln zuckte in seinem linken Mundwinkel und doch streckte ich meine Finger aus, um sie ihm auf Zehenspitzen sanft an den Hals zu legen. »Sprich nicht so, Liam.«
Er nickte, als müsste er sich dessen jedes Mal aufs Neue bewusst werden. Wieder und wieder. Dabei wusste er ganz genau, dass er mehr als mein Mentor war, und ich mehr als sein Prinz. Vielleicht, weil uns nur kaum 55 Jahre Alter voneinander trennten. Ich war dankbar für seine Existenz. Aber gleichzeitig war ich mir sicher, dass ich mich noch nie so sehr darüber gefreut hatte, sein geduldiges Gesicht zu sehen wie heute.
»Ist sie so weit?«, fragte ich, obwohl Liams Ankunft nur diese eine Sache bedeuten konnte.
»Ist wer so weit?« Liams Augenbrauen hoben sich fast unmerklich, ließen seine Stirn makel- und faltenlos.
Ich legte Liam auch die Fingerspitzen meiner anderen Hand an den Hals. Und lächelte. »Die Erde.«
»Die Erde ist bereit für dich.«, bestätigte Liam, seine Haut unter meiner Berührung weich. Aber die entspannten Arme hingen noch immer neben seinem Körper. Meine Füße wollten nicht mehr verweilen.
»Können wir aufbrechen?«, hakte ich ein wenig dringlicher nach. Wie feiner, weißer Sand verrannen die Sekunden eines Menschenlebens. Ungeschützt.
Liam nickte. Wie ich hob er jetzt endlich einen Arm an und streifte die Seite meines Halses. »Sie werden dich nicht sehen dürfen.«
Ich blinzelte, weil es mir einfiel. »Wieso?«
»Weil es für sie nicht normal ist, dass ein fremdes, fünfjähriges Menschenkind in ihr Krankenhauszimmer kommt.«
»Ich bin kein fünfjähriges Menschenkind.«
»Aber dein Körper sieht aus wie eines.« Liam richtete mit seiner freien Hand den Reif in meinem Haar. »Vertrau mir, Hara. Beim Spinnen des Bandes sind Engel fast immer unsichtbar.«
Es ergab Sinn, was Liam sagte. Ich wollte die Menschen mit meiner Sichtbarkeit nicht aufscheuchen. Aber ich war ja auch nicht dort, um ihnen zu schaden! Doch genau das schien es zu sein, worauf Liam hinauswollte. Es spielte keine Rolle, was die Wahrheit war. Nur, was die Menschen glaubten.
»Also gut.« Ich zog meinen Arm von Liam zurück und legte die Fingerspitzen meines Mittel- und Ringfingers stattdessen an meine Schläfe. Liam spiegelte die Bewegung. Die Atmosphäre um uns flirrte. Es war nicht schwierig, das Licht zu belügen. Unsere Finger rutschten zurück an den Hals des Anderen. Für mich leuchtete Liam noch immer.
Er lächelte und ließ mich endlich auch sehen, dass er wusste, wie aufgeregt ich war. Und dass er stolz über etwas war, das ich noch nicht mal getan hatte. »Bereit, Hara?«
Ich nickte. »Bereit, Liam.«
Der Himmel verschwand in derselben Sekunde. Ich kannte den Weg, ohne die Reise je gemacht zu haben. Ohne den Ort zu kennen, an den sie mich führte. Doch plötzlich war er da. Weiß. Schwer. Laut. Kalt.
Und zum allerersten Mal war die Reaktion, die mein Körper zeigte, automatisch. Ich atmete ein. Stickstoff, Stickstoff, Stickstoff, Sauerstoff strömte in meine Lungen. Noch mehr, aber ich stoppte das Atmen, als etwas Beißendes in meinen Schleimhäuten in Nase und Mund brannte, die ich vorher noch nie bewusst gespürt hatte. Mein Körper wog alles, zum ersten Mal.
Für den Bruchteil einer Sekunde wollte ich zurück. Ich wollte meine Augen zukneifen, die Nase auch, die Ohren, den Mund. Meine Haut schrie. Ich wollte raus aus diesem Körper, nur raus.
Doch dann spürte ich Liams Stirn sanft gegen meine. Die Berührung seiner Finger an meinem Hals kehrte zurück, obwohl sie nie verschwunden war.
»Ein Krankenhaus ist der einfachste und schwierigste Ort für das erste Mal Erde.«, murmelte er leise. Ich starrte seine Lippen an, sie bewegten sich zu schnell. Also blinzelte ich. Irgendetwas piepte. Liams Worte erreichten mich. Krankenhaus. Erde.
Ich löste mich von Liams beruhigendem Körper. Ich wurde noch schwerer. Noch nie war ich glücklicher gewesen, kein Mensch zu sein. Schwerkraft hängte sich tonnenschwer an jede einzelne Feder meiner Flügel. Meine Hände fanden meine Knie.
»Deine Balance ist gestört.«, bemerkte Liam behutsam, doch dieses Mal konnte ich die Besorgnis in seiner Stimme hören. Vielleicht bildete ich es mir ein – so schnell sollte es nicht gehen – aber seine Augen sahen ungut aus. Ich zwang mich, mich aufzurichten. Balance. Für Liam.
Ein Geräusch riss mich aus der magnetischen Selbstwahrnehmung. Es war nicht laut, aber es dröhnte im Inneren meines Kopfes wider. Ich schaffte es, den Kopf in die Richtung zu drehen – und sah einen Menschen. Ein Hinterkopf mit winzig geschraubten, tiefschwarzen Locken, weite, weiße Kleider. Eine Hose, erinnerte ich mich, ein T-Shirt. Schuhe. Doch der Mensch verschwand. Durch die Tür, die das Geräusch gemacht hatte. Der Türgriff senkte sich, wie magisch, und die Tür war zu. Ein weiteres Mal erschlug mich der beißende Geschmack von was auch immer es war, das die Erdatmosphäre durchtränkte.
Liam konnte mich lesen, vielleicht konnte er meine Gedanken spüren. Oder mein Menschenkörper verriet mich. »Desinfektionsmittel.«, erklärte er wie zur Entschuldigung. Ich nickte, obwohl ich nicht wusste, was Desinfektionsmittel war.
Balance. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich die Rotation der Erde spüren. Das war gut. Balance. Erdrotation, -revolution.
Liam wich von meiner Seite. Als ich sah, wohin er wollte, kehrte die Aufregung in Blasen zurück. Das Zimmer war klein, weiß. Helles Licht strömte von surrenden Glasplatten von der Decke – Lampen – und durch die hohen Fenster in alle Ecken des Raumes. Durch das Fenster konnte ich nichts als graue Wolken sehen, von unten. Aber davor stand ein Bett mit weißen Laken. Und darin war ein Mensch; eine Frau. Ich folgte Liam, der sich zu ihr gestellt hatte.
Ihr Gesicht war blass und rund. Schwere Lider verbargen ihre Augen. Das braune Haar auf ihrem Kopf war verklebt von Wasser oder Schweiß oder einer anderen Flüssigkeit. Sie war fast unbegreiflich schön, und unbegreiflich menschlich. Noch nie zuvor hatte ich etwas wahrgenommen wie ihren Geruch nach Blut, Erleichterung und neuem Leben.
Natürlich wusste ich, wer sie war. Johannah Tomlinson war nicht, wie ich sie mir vorgestellt hatte – sie war viel mehr.
»Wo ist Anouk?«, fragte ich, nachdem ich mich versichert hatte, dass ich mich nicht irrte und wir die einzigen Engel im Raum waren.
»Zurück im Himmel. Johannah ist außer Gefahr.«
Die Erde zerrte noch immer an mir. Desinfektionsmittel – wie auch immer es funktionierte – benebelte meinen Kopf. Aber das Wissen, dass Anouk die Erde schon wieder verlassen hatte, weil Johannah sicher war, brachte mich zum Lächeln.
Doch erst, als ich direkt neben Liam stand, konnte ich erkennen, wieso er wirklich zu ihr getreten war. Ich war zu klein, um mehr als die winzige Hand zu erkennen, die zwischen all dem weißen Stoff ruhte. Meine Augen konnten den Blick nicht abwenden. Ich hatte kleine Hände. Kleine, fünfjährige-hundertjährige Menschenhände. Liams Hände waren groß, Johannas waren riesig, meine klein, aber da war ein Menschenbaby mit winzigen Händchen, kaum halb so groß wie meine.
»Das ist er.«, flüsterte Liam, obwohl Johannah uns auch schreiend nicht hören könnte. Obwohl ich ganz genau wusste, dass er es war. Er. Ein kleiner Menschenjunge. Mein erstes Menschenkind. »Ich denke, wir sollten uns beeilen, Hara. Wir wissen nicht, wann die Krankenschwester zurückkehrt. Oder Johannah aufwacht.«
Ich nickte, auch wenn wir es auch mit einer Krankenschwester im Zimmer oder einer wachen Johannah hinkriegen sollten, das Band zu knüpfen.
Kurz überlegte ich, meine Flügel zu benutzen, um dicht genug zum Baby zu kommen. Liam schien es von mir zu erwarten. Aber ich entschied mich dagegen. Kurzerhand krabbelte ich neben Johannah auf das breite Bett. Ich konnte sie nicht wecken. Ich berührte weder ihre Haut noch die Laken.
Ich hätte Liam ansehen sollen, um mich zu versichern, dass alles richtig lief. Aber jetzt war da das Baby.
Nie wieder wollte ich etwas anderes sehen. Ein rundes, weiches Köpfchen war in eine saubere Decke und in Johannas Arm gebettet. Die klaren blauen Augen waren müde und verklebt, aber sie waren offen, wie der Mund, der rot und geschwungen unter der winzigen Nase glänzte. Ich musste das kleine Baby nicht berühren, um zu spüren, dass es gesund war.
»Hara.«, drang Liams Stimme leise an mein Ohr. Ich streckte meine Hände vorsichtig nach dem Menschenbaby aus, legte ihm sanft die Fingerspitzen an den Hals, der fast zwischen dem großen Köpfchen und den schmalen Schultern verschwand. Die blauen Augen sahen in meine auf. Ich spürte die Wärme und Leben, Leben, Leben. Blut floss durch seine Adern, die Lungen füllten sich mit Erdenluft. Dieser winzige Körper, Minuten alt, war lebendiger, als meiner es je gewesen war.
Liams linke Handfläche schwebte über der verletzlichen Stirn des Babys. Den Rücken der rechten Hand richtete er vor meiner Brust nach meinem Herzen aus.
Und dann, zum ersten Mal seit meiner Ankunft, fühlte ich mich wirklich wohl auf diesem Planeten. Fast bildete ich mir ein, die goldenen Fäden sehen zu können, die sich von meinem Herzen aus um das zarte Bewusstsein des winzigen Lebewesens unter meinen Fingern sponnen. Ohne, dass Liams Lippen sich bewegten, hörte ich die vor Magie vibrierenden Worte.
Band war das falsche Wort. Es war kein Band, das Liam zwischen uns knüpfte. Schicksale wurden nicht nur verbunden, er legte das Menschenleben in meine Hände. Für so lange, wie es andauern würde. Mein kleiner Mensch. Mit großen Augen blinzelte er mich an. Ich versuchte nicht, das Gefühl zu begreifen, oder mich daran zu erinnern, dass es nicht stimmte.
Ob die Welt für ihn auch so laut war? Und hell? Und schwer? Nach 268 Tagen in seiner eigenen, geschützten Galaxie? Fühlte er sich wie ein Fremder, wie ich es tat?
Aber am allerwichtigsten; konnte er spüren, dass ich hier war, um zu bleiben?
Zwar würde ich in wenigen Minuten in den Himmel zurückgekehrt sein, aber seine Seite würde ich nicht verlassen. Zeit und Gold verbanden uns, ein Junge geboren in der Sonne, deren Schwärze nach 100 Jahren bloß eine verblasste Erinnerung war. So winzig, dass selbst mein Körper sich fast nicht mehr klein anfühlte.
Aber das würde bald eine Lüge sein. Jetzt würde ich wachsen. Und schlafen. Die Jahre würden fließen, fließen, fließen, bis sein Körper verwelkte. Ein Baby, dessen Körper jetzt kaum größer als mein ausgestreckter Arm war. Seine Zeit, unsere Zeit. Er blinzelte so träge und langsam, dass mein Blick sich von seinen Augen löste. Eine klitzekleine Faust hatte sich um Johannahs Ringfinger geschlossen, Fingernägel wie Wassertröpfchen.
Liam trat so plötzlich zurück, dass ich die himmlische Macht zurückschnellen fühlte, als hätte er sie mit einer Schere gekappt. Ich wurde noch überforderter, als seine Finger sich um mein Handgelenk schlossen und er mich vom Bett zog. Gerade so konnte ich erkennen, wie das weiche Babygesicht sich zu einer Grimasse verzog. Keine zwei Sekunden später ließ heiseres Weinen meine Flügel erbeben. Johannah schlug die Augen auf.
»Liam?!« Jetzt bemühte ich mich nicht mehr, leise zu sein. Sie konnten uns nicht hören.
Er zog mich noch weiter zurück vom Bett. »Keine Sorge. Ich bin fertig geworden. Es hat geklappt.« Er schwieg und sah zur Tür. Dann schien ihn die Stille zu beunruhigen. »Nicht wahr, Hara? Es hat geklappt?«
Ich vertraute Liam genug, um ihm zu glauben, wenn er sagte, dass es geklappt hatte. Aber ich verstand seine Unsicherheit. Wir wussten beide, dass er keinen Fehler machen durfte. Nicht mit mir.
Doch ich musste mich nicht konzentrieren, um ihm die Frage zu beantworten. Die frischgeborene Neuheit kribbelte auf der Haut des Babys, und auf meiner. Verletzlichkeit regnete durch meinen Geist, als wäre ich das kleine, weinende Wesen in den Armen meiner Mutter. Aber gleichzeitig war da etwas anderes. Ein Instinkt, den ich noch nie zuvor gespürt hatte. Liam war fertig geworden. Nie würde ich ertragen können, dass diesem zerbrechlichen Menschen etwas passieren würde. Die warme Bestimmung eines Schutzengels.
Ich wollte Liam versichern, dass es ihm gelungen war, das Band zu knüpfen – auch wenn er die Bestätigung ohne Worte spürte – aber in diesem Moment öffnete sich die Tür.
Ein Mann eilte ins Zimmer, ein Mensch, mit noch größeren Händen als Johannahs. Deswegen hatte Liam mich bis zur Wand gezogen. Mit ein paar großen Schritten hatte der Mann es bis zum Bett geschafft. Dumpf fiel die Zimmertür zu. Das Baby weinte noch immer. Johannah sah müde aus, und überfordert, und glücklich.
»Jay!« Eine lederne Tasche landete auf einem leeren Stuhl. Das dumpfe Geräusch und der Luftzug der scharfen Bewegung dröhnte zwischen meinen Ohren. Der Mann drückte seine Lippen auf Johannahs Stirn. Über das Bett gebeugt hielt er inne. Er starrte das Baby an.
Hatte ich so ausgesehen? Wollte er das neugeborene Menschenkind so sehr beschützen wie ich? Sah er, wie winzig die Fingernägel waren? Was konnten Menschenaugen sehen?
»Es tut mir leid. Ich bin spät.« Er drückte Johannahs Hand. Sie bewegte ihre Arme und das Weinen wurde schwächer. Was in der Luft waberte, fühlte sich wie Magie an.
»Ich bin froh, dass du da bist.« Johannah hob den Kopf an, ihre Augen strahlten. Sie wiegte das Baby, dann hob sie es an. »Sieh ihn dir an.« Ich verstand, dass es sich wie Magie anfühlte, weil es Magie war.
Liams Finger lösten sich von meinem Handgelenk. »Wir sollten zurück.«
Ich bewegte mich keinen Zentimeter. Das Weinen war verstummt. Ich wollte schreien, als mein Gesicht noch schwerer wurde. Bis ich begriff, dass es Müdigkeit war.
»Vielleicht hat er Hunger.«, flüsterte der Mann. Er benutzte beide Hände, um den Kragen seines strahlend weißen Hemdes aufzuknöpfen.
Johannah schüttelte sanft den Kopf. Dünne Haarsträhnen fielen ihr in die Stirn, aber ihre Aufmerksamkeit galt dem kleinen Lebewesen in ihren Armen. »Die Schwester hat gesagt, sie würde zurückkommen, wenn ich es mit dem Stillen versuchen soll.« Als ich sehen konnte, wie sie der Babyhand ihren Finger entwandt, realisierte ich, dass ich auf halbem Weg zur Decke schwebte. »Willst du ihn nehmen?«
In einer behutsamen Bewegung hielt sie das Baby höher, in Richtung des Mannes. Ich spürte die ungeschützten Zentimeter unter der zerbrechlichen Wirbelsäule als wären es Meilen.
Ein weiterer Hemdknopf wurde geöffnet. »Ja. Ich sollte erst...meine Hände waschen, oder nicht?« Rückwärts machte er einige Schritte in Richtung Tür. Müdigkeit kitzelte von meinen Zehen bis in meine Waden. Johannah schüttelte verloren den Kopf, aber der Mann hatte die Tür mit seinen großen Händen schon einen Spalt geöffnet.
»Ich kann dir etwas zu trinken mitbringen. Vielleicht finde ich irgendwo Saft. Ruh dich aus. Ich bin gleich zurück.«
Die Tür war geschlossen, bevor Worte Johannahs geöffneten Mund verlassen konnten. Liam berührte meinen Ellenbogen. »Hara.«, drängte er mit stärkerer Stimme. Vorsichtig zog er mich wieder auf seine Augenhöhe – was immer noch über dem sauberen Fußboden bedeutete. »Alles ist, wie es sein muss. Du solltest zurück. Es geht ihm gut.«
»Ich weiß, Liam.«, erwiderte ich, weil es stimmte. Es ging ihm gut. Er war warm und geborgen und so unendlich müde. Mir war mehr als bewusst, dass Liam es mir ansehen konnte. Meine Arme waren nur noch falscher Teil meines Körpers.
Also drehte ich mich Liam zu. Seine Fingerspitzen schwebten bereits neben meinem Hals. Ich ließ ihn gewähren, aber selbst blieb ich unbewegt. Es war nicht schwer zu sehen, dass Liam das missfiel, aber ich spürte den Fokus der blauen Augen so stark auf Johannahs Gesicht, dass ich sie auch ansehen musste.
Alles an ihr glomm. Liebevoll schob sie die Ärmel um die weichen Handgelenke ihres Sohnes hoch, ihre Lippen streiften das eine, dann das andere. Das schmale, blaue Armband störte sie nicht.
»Ich habe noch nie zehn Finger und zehn Zehen so sehr geliebt.«, hauchte sie laut genug, um winzige Schallwellen in Bewegung zu setzen. Ihre Stimme hörte sich vertraut an, als hätte ich sie 268 Tage als ein Echo meines Daseins gehört. »Ich liebe dich. Ich werde dich immer lieben.« Die Tränen ihres Babys rannen jetzt über ihre Wangen. »Ich werde dich lieben, bis ich nicht mehr atme.« Eine einzige Minute mehr und ich würde fallen. Ich legte meine Finger an Liams Hals. Johannahs Hände strichen die weißblonden Haare auf dem verletzlichen Köpfchen zurück. »Louis.«
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Und nochmal hi! Schön, dass ihr noch hier seid :)
Zuallererst: Harry zu lesen ist vielleicht ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Ich hoffe, dass er sich mit der Zeit einfacher liest, wenn ihr seine Wahrnehmung besser verstehen konntet.
Und dann ist es nur fair, wenn ich euch vorher sage, dass es eine Geschichte zum Mitdenken und Aufpassen werden wird – was nicht bedeutet, dass ihr mitdenken und aufpassen müsst; alles, wie es euch passt – und eine zum Dranbleiben – was bedeutet, dass es nicht die moon Art von kurz ist und auch nicht die w**** ch**** Art von mittellang (was wiederum aber auch nicht bedeutet, dass ihr dranbleiben müsst). Immer alles für euch selber entscheiden bitte.
An diejenigen, die noch nie etwas von mir gelesen haben, eine kleine Vorwarnung: ich schreibe langsam und wieder schnell und meistens langsam, und immer sehr unregelmäßig. Wenn ich uploade, dann Mittwochs (Wochenende mag ich nicht zum Hochladen, Montag und Dienstag sind beide Montag, also schlimm, und Donnerstag und Freitag sind quasi schon Wochenende.) Stellt euch aber immer wieder auf ein paar Wochen Pause ein.
Ich glaube, die wenigsten von euch haben je eine ganze meiner Geschichten live mitgelesen. Es erfordert, schätze ich, fast so viel Disziplin, wie für mich zum Schreiben. Nur so, damit ihr wisst, auf was für eine Höllenfahrt ihr euch einlasst.
Ich hoffe, es wird sich für euch lohnen, wenn ihr entscheiden solltet, wait for me in the sky zu lesen. Ich gebe mir Mühe, versprochen :)
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