Kapitel 69

„Aus meinem Kopf! Aus meinem Herzen. Ich habe deine Reaktionen beobachtet, da am Bildschirm. Deine Gedanken waren ein offenes Buch für mich. Ich wusste erst nicht, welchen Weg ich einschlagen sollte. Ich habe angefangen, mir eine Möglichkeit auszudenken, wie wir uns hätten treffen können. Da kam mir die Idee mit der Anzeige, auf die du dich meldest. Doch dann wusste ich nicht weiter. Ich hatte ja keine Ahnung, wie du für Felix empfindest! Deshalb habe ich ihn zum besten Ehemann ever gemacht, damit dein Gehirn etwas zu verarbeiten hatte! Du solltest dich damit auseinandersetzen! Widersprüche erkennen, oder dich einfach einer schönen Liebesgeschichte ausliefern. Du solltest entscheiden!"

Er versuchte ihr seine Vorgehensweise zu erklären. „Viele Informationen habe ich von Ben, Julio, Jean-Pierre und Patrick bekommen. Auch im Netz stand ja eine Menge über die Vanderbergs. Den Rest habe ich erfunden, beschönigt, verdreht!"

Sie dachte lange über seine Worte nach, versuchte sie zu verstehen. Aber sie merkte auch, dass sie sehr müde wurde.

Sie musste schlafen. Mehr konnte ihr Gehirn heute nicht mehr verarbeiten!
Philip sah, dass sie schlafen wollte, und er ließ es zu.
Denn sie würde wieder aufwachen!
Morgen!

„Schlaf jetzt ein bisschen, Süße! Ich hau mich auch ein wenig aufs Ohr!" Er musste sie alleine lassen, da waren zwei Kinder, die ihn brauchten.

Von ihnen konnte er ihr noch nichts erzählen, das war ihm klar.
Dazu musste ihr Zustand noch viel stabiler werden. Es würde eine Art von Schock für sie sein, davon zu erfahren, dass sie vier Monate alte Zwillinge hatte, mit ihm zusammen hatte!

Er hatte auch ein wenig Angst vor ihrer Reaktion.
Was, wenn sie ihm erklärte, dass sie diese Kinder nie hätte haben wollen, wenn sie zu entscheiden gehabt hätte?

Aber dann wäre sie ja auch nicht die Frau, die er liebte!
Dann wäre sowieso alles vorbei zwischen ihnen!
Dann wäre sein Kampf um eine Zukunft mit ihr vergebens gewesen, und das durfte nicht sein!

Eine Woche würde er noch schweigen, aber dann musste er alles offenlegen!

Er küsste sie auf die Stirne. „Schlaf gut, Süße!" sagte er leise.
Sie schrieb schnell etwas auf den Block.
Täusche ich mich, oder warst du schon mal leidenschaftlicher? War nur ein Spaß! Danke, Philip von Bergen! Hübscher Junge mit den blauen Augen!

Er lächelte sie an. „Werd erst mal gesund, du freches Biest! Dann wirst du schon sehen, wie leidenschaftlich ich sein kann, schöne Lady mit den Bernsteinaugen! Und - Bitte! Gern geschehen! Abgesehen davon, dass ich gar keine andere Wahl hatte!"

Dann verließ er schnell das Zimmer und lief zu seinem Sohn und seiner Tochter.
Er hob beide auf seine Arme.

„Die Mama ist wach! Die Mama ist wach! Sie bleibt bei uns! Sie bleibt bei uns!" sang er vollkommen aufgedreht.
Die Schwester hatte die Kleinen gefüttert, gebadet und gewickelt. Ihm blieb nur noch, sie abzuschmusen, bis sie kieksten, und sie lieb zu haben!
Er liebte diese Kinder bis zum Wahnsinn.

Sie waren alles andere als geplant gewesen!
Oft dachte er an diese Nacht zurück, die einzige, die ihm mit der Frau, mit der er seit einem Jahr in einem Krankenhaus lebte, vergönnt gewesen war!
Wäre er an diesem Abend in den Club gegangen, wenn er gewusst hätte, was das Schicksal danach mit ihm vor hatte?

Wenn er gewusst hätte, dass er in dieser Nacht zwei Kinder zeugen würde?
Was war geschehen, dass er ihr, die er kaum kannte, so verbunden war?
War es nur der fantastische Sex gewesen?
Das konnte doch nicht sein!
Da musste mehr passiert sein!

Und diese wunderhübschen Babys hatten unbedingt auf die Welt kommen müssen!
Das Schicksal hatte sie in dieser Nacht geplant!

Seine Gedanken gingen dann auch immer weiter.
Was wäre gewesen, wenn er nicht eine Frau für die Nacht gesucht hätte?

Oder wenn er schon mit den Zwillingen Maxi und Micha weg gewesen wäre?
Sie hätte einen anderen Mann kennengelernt, wäre mit ihm mitgegangen, wäre danach wieder zu Vanderberg zurück, hätte ein weiteres Jahr an seiner Seite ausgehalten!

Spätestens an diesem Punkt hörte er dann immer auf zu grübeln.
Denn sich vorzustellen, dass er sie nie getroffen hätte, dass auch er noch immer auf der Jagd wäre, überforderte ihn.

„Ist ja auch egal, nicht wahr!" fragte er die süßen Mäuse auf seinem Arm. „Hauptsache ist, es gibt euch, und die Mama wird wieder gesund!"
Dann legte er die Kinder in ihr Bettchen, streckte sich auf seiner bequemen Matratze aus, fiel augenblicklich in tiefen Schlaf.

Als Annika aufwachte, saß er schon auf dem Stuhl neben ihrem Bett. Das Lächeln, das sie ihm schenkte, war das Lächeln der unvergesslichen Nacht.

Er strich ihr übers Haar, das sie schneiden hatten müssen, weil es nicht zu pflegen gewesen war während des Komas.
Heute war es ziemlich verstrubbelt, ein Zeichen, dass sie sich bewegt hatte in der Nacht.
Anders als sonst, als sie regungslos dagelegen hatte.

Ihre Lippen hatten wieder Farbe bekommen, waren immer noch etwas spröde, aber nicht mehr so leblos.
Ihre Bernsteinaugen waren klar und strahlten ihn an.

Er musste sie einfach küssen!
Und sie erwiderte seinen Kuss.
„Langsam, Süße!" sagte er heiser.
Sie schüttelte mit dem Kopf.
„Doch!" erklärte er lächelnd. „Jetzt hat es dir ein Jahr nicht pressiert!"

Sie lachte lautlos, dann rieb sie ihren Bauch.
„Ach! Hunger hat die Kleine? Was möchtest du denn? Schweinebraten, Schnitzel mit Pommes oder Burger?" zog er sie auf.
Sie nickte begeistert.

Er schüttelte verwundert den Kopf.
Patrick hatte ihm schon erzählt, dass sie eigentlich nie aß, sondern Essen wie ein Staubsauger inhalierte.
Er setzte sich aufs Bett, nahm sie in die Arme, stellte wieder mit dem alltäglichen Schrecken fest, wie mager sie geworden war.

„Hör zu, Bella! Ich erkläre dir jetzt, wie es weitergeht! Und du wirst dem Onkel Doktor gut zuhören!
Also: Zuerst werden wir die Infusionen abklemmen und den Katheder ziehen. Du wirst dich im Bett aufsetzen dürfen, und wenn dir nicht schwindlig wird, auch ein paar Minuten aufstehen dürfen. Du wirst Wasser oder Tee trinken dürfen und etwas Haferschleimsuppe essen. Zwei, drei Tage lang.
Dann werden wir jeden Tag etwas länger aufbleiben, und das Essen auf Jogurt und Zwieback erweitern!"

Sie verzog das Näschen, nickte aber.
Dann begann sie zu grinsen, griff nach ihrem Block und schrieb:
Doktorspiele?

Und Philip konnte zum ersten Mal wieder befreit und herzhaft lachen. Er drückte sie an sich.

„Die kommen auch irgendwann!" versprach er.
Dann holte er die Toilettensachen, um sie wie jeden Tag zu versorgen.
Er dachte gar nicht darüber nach, dass das für sie ja vollkommen ungewohnt war.

Als sie merkte, was er vorhatte, zog sie die Decke bis zum Hals und sah ihn verunsichert an.
Er setzte sich noch einmal, streichelte ihre Hände.
„Annika, ich wasche dich seit einem Jahr! Ich dachte, es wäre dir lieber, als wenn fremde Hände dich berühren! Schau, Philip, der dich liebt, ist gerade hinaus gegangen. Aber Philip, der dich pflegt, ist dafür hereingekommen!"

Tränen liefen über ihr Gesicht. Sie konnte kaum fassen, was sie da gehört hatte.
Warum liebst du mich? Du kennst mich doch gar nicht! schrieb sie mit zittriger Hand.

„Doch, Annika! Ich kenne dich! Mein Herz hat dich an diesem Abend im Club erkannt! Mein Körper hat dich in dieser Nacht erkannt! Und alles, was ich in diesem Jahr über dich erfahren habe, hat meinem Herzen und meinem Körper recht gegeben!" antwortete er ihr, aber auch sich selbst.

Denn diese Frage hatte er sich oft und oft gestellt, aber jetzt, hier an ihrem Bett, hatte er endlich die Antwort gefunden.

Sie sah ihn verwundert an, ihre riesigen braunen Augen schienen zu groß für das magere Gesichtchen zu sein.
Du bist nicht nur ein Geschichtenerzähler, du bist ein Dichter!

„Nein, Süße! Ich bin nur ein Mann, der aussprechen kann, was er fühlt! Die Zeit der Geschichten ist ja vorbei! Ab jetzt gibt es nur noch die Wahrheit! Unsere Wahrheit!"
Dann kam ihm ein schrecklicher Gedanke.
Wahrheit!

Was war denn ihre Wahrheit?
Er hatte einfach vorausgesetzt, dass sie fühlte wie er.
„Aber, Annika? Kannst du denn mich lieben?" fragte er leise und fast ängstlich.
Sie schrieb schnell.

Ja! Ich habe dich da in deiner Stadt geliebt. Und ich kenne dich. Denn der Mann, zu dem du Felix hast werden lassen, warst eigentlich immer du! So hättest du mich geliebt, wenn ich geblieben wäre!

Als er ihre Antwort las, wusste er, dass sie recht hatte. Es war ihm vielleicht nicht bewusst gewesen, aber er hatte diesem zutiefst bösen Ehemann seine eigenen Gefühle angedichtet, seine Eigenschaften. Felix war zu seinem Alter Ego geworden, das er ihr hatte nahe bringen wollen.
„Wow!" sagte er verblüfft. „Ich bin ja noch gerissener als ich gedacht habe! Und du bist noch schlauer!"

Sie lachte wieder dieses seltsame tonlose Lachen, aber es war ihr Lachen, und er riss sie in seine Arme und küsste sie zum ersten Mal etwas leidenschaftlicher.
Na also! Geht doch! schrieb sie und sah ihn herausfordernd an.

„Du bist echt ein Biest!" maulte er. „Und jetzt Schluss mit der Anmache! Ich bin dein Arzt!"

Bereitwillig ließ sie sich von ihm pflegen, kämmen. Dann hatte er eine Überraschung für sie. Er holte ein Päckchen aus ihrem Spind, warf es auf die Bettdecke. „Da! Wird Zeit, dass du dich für dein Dauer-date etwas hübscher machst!"

Er hatte das Nachthemd schon vor Monaten von Ben besorgen lassen. Sie packte neugierig aus, hielt das edle Teil vor sich.
Er hatte wirklich daran geglaubt, dass sie aufwachte, zu ihm zurückfand.
Er half ihr, das Krankenhaushemd auszuziehen, in das seidige Gebilde zu schlüpfen. Bewundernd sah er sie an.

„Na, das ist schon besser! Da im Schrank gibt es noch mehr davon, und Wäsche auch." sagte er trocken, als ob er ihr vom Wetter draußen berichten würde. Aber nur so konnte er seine Rührung in Griff bekommen.
Sie legte die Hand aufs Herz. Ja, er war der Mann, den er beschrieben hatte!

„Ich hole dann mal dein Festmahl!" erklärte er und verließ schnell das Zimmer, um sich wieder in Griff zu bekommen. Schnell sah er bei den Babys vorbei, knutschte sie ab.
Sie rochen so wunderbar!
Nach Leben, nach Zukunft, nach Glück und nach Babypuder!

Als er sich mit der Teetasse neben sie setzte, schnupperte sie.
Du riechst nach Baby!
Sie stockte, sah ihn eindringlich an.
Hatte er nicht irgendetwas von Kindern fabuliert?
Wie war er denn darauf gekommen?
Ihr Herz verkrampfte sich.
Nein!

Sie würde doch nicht wirklich Kinder von Felix bekommen haben!
Quatsch!
Das konnte ja gar nicht sein!
Aber, wenn Kinder, kam nur Philip als Vater in Frage.
Die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen sich

Der Stift in ihrer Hand begann zu schreiben: Warum duftest du nach Babycreme?

Er wich ihrem Blick aus. So viel zu deinen Plänen, von Bergen! dachte er. Da hast du wohl die Rechnung ohne dein schlaues Mädchen gemacht.

Also gut!
Dann musste es eben gleich sein!
Er hoffte, dass sie die riesengroße Neuigkeit verkraften würde.
Er hielt ihre Hände in seinen, sah sie an.

In seinen Augen stand seine ganze Liebe zu ihr, und auch sein ganzes Glück über ihren gemeinsamen Sohn, ihre gemeinsame Tochter.
„Annika, ich wollte noch ein bisschen warten, bevor ich es dir erzähle! Damit du es besser verarbeiten kannst!" begann er.

Dann berichtete er von dem geplatzten Kondom, von dem Praktikanten, der ein Kind entdeckt hatte, von der Nachricht, dass es zwei würden, vom Vaterschaftstest, vom Kaiserschnitt, von den Monaten danach, vom Leben zu dritt in dem Zimmer ein paar Türen weiter.

Annika hörte gebannt zu.
Ihr Herz raste.
Sie wusste, das war keine seiner Geschichten, das war die Wahrheit, die wunderbare, unglaubliche Wahrheit!

Amelie und Moritz? schrieb sie, fast blind vor Glückstränen.
„Ja! Ich habe dich gefragt, ob dir die Namen gefallen, aber du hast lieber weitergepennt!" antwortete er lächelnd.

Er sah, dass sie überglücklich war, dass er keinen Fehler gemacht hatte.
Aber was hieß Fehler?
Hätte er diese Kinder umbringen lassen sollen, nur weil die Mutter schlief?
Das war nicht den Bruchteil einer Sekunde eine Option gewesen!
Hol sie bitte!

Schon war er zur Türe hinaus.
„Wir besuchen die Mama!" verkündete er fröhlich, und die beiden schienen ihn zu verstehen, denn sie strahlten ihn an.

Diese wunderschönen Babys, die eine so seltsame Mixtur von ihnen beiden waren, dass es keinen Test gebraucht hätte.
Moritz mit dichten blonden Haaren und knallblauen Augen, Amelie mit dunklen Haaren und Bernsteinaugen!

Er hatte auf jedem Arm eines der Kinder, öffnete die Türe mit dem Ellbogen.
Sie sah ihm entgegen, wusste, dieses Bild würde sich in ihr Gedächtnis einbrennen.

Dieser attraktive Mann mit diesen unglaublich hübschen Kindern auf dem Arm.
Beide trugen identische grüne Strampelanzüge.
Er legte erst die Tochter in ihre Arme. „Darf ich vorstellen: Amelie - deine unvergleichliche Mama!"

Den Jungen hielt er fest.
„Und der hübsche Kerl ist unser Sohn. Moritz - Mama!"
Und dann geschah etwas, was sie beide nie vergessen würden. Amelie verzog das Gesicht und streckte die Arme nach Philip aus.
Moritz wand sich und wollte eindeutig zu Annika.
„Na! Dann sind die Fronten wohl geklärt! Papa-Tochter, Mama-Sohn!"


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