Kapitel 58

Die Adjanis hatten das wundervolle Haus mit großen Augen besichtigt. Bernard hatte sogar ein eigenes kleines Appartement mit Kochzeile und Nasszelle. Neben einem Schreibtisch mit einer modernen Computeranlage stand ein Regal mit den ganzen Lehrwerken für sein Studium in beiden Sprachen.

Neben einer kleinen Musikanlage lagen Stapel seiner CDs, ein kleiner Fernsehapparat war an der Wand gegenüber der Sitzgruppe befestigt. Sogar eine Programmzeitschrift lag beim heutigen Tag aufgeschlagen auf den Tisch.

Der Kleiderschrank war gefüllt mit Markenklamotten in seiner Größe. Fünf Paar Sneakers standen davor. Ruth hatte ordentlich zugeschlagen!
Im Badezimmer fand er teure Kosmetikartikel, in einer Kommode Wäsche, auf dem Nachttisch lag ein IPhone der Spitzenklasse. Sie hatte an alles gedacht!

Er ließ sich auf das bequeme Bett fallen, sah zur Decke, um die Tränen in den Augen zurückzuhalten. Seine Gedanken drohten abzudriften, aber er kämpfte erfolgreich dagegen an.
„Du musst nach vorne schauen! Immer nur nach vorne!" hatte Fabienne ihm eingetrichtert.

Patrique und Birgit ließen ihn erst einmal alleine in seinem neuen Reich. Ihre Anziehsachen waren im Schlafzimmer untergebracht, die Familienbilder lagen auf dem Esstisch, daneben ein Hammer und Nägel. Diese kleine Geste rührte sie besonders. 

Sie sollten sich ihre neue Heimat selbst gestalten!

Ihre Übersetzungsunterlagen fand sie in einem wunderbar sonnigen Arbeitszimmer, auch hier stand eine EDV-Anlage.
Alle ihre gemeinsamen Erinnerungsstücke waren in zwei Kartons verpackt, ihre Bücher standen in einem Regal.

Die moderne Küche war mit High-Tech-Geräten ausgestattet, der Kühlschrank und eine Vorratskammer voll.

Das gesamte Haus war möbliert, alles teuer, solide, modern. Ihre alten Möbel waren in Paris geblieben.

Patrique nahm seine Frau in die Arme. So ein Haus hatte er für sie bauen wollen, damals, als sie sich in ihn verliebt hatte. Das Schicksal hatte andere Pläne mit ihnen gehabt, aber jetzt wurden sie mehr als großzügig entschädigt!

Sollten sie an so viel Glück wirklich glauben?
Sie küssten sich gegenseitig die Tränen von den Wangen. „Es ist ein Traum, nicht wahr?" flüsterte sie.
„Du bist ein Traum, Birgit! Der einzig wichtige!" antwortete er, und sie wusste, dass sie alles richtig gemacht hatte, damals!

Nach einem langen Kuss, der sich angefühlt hatte wie der allererste, den die blonde Studentin dem illegal eingereisten Algerier mit den großen Plänen, aber ohne Plan, damals geschenkt hatte, machten sie mit ihrer Besichtigungstour im Haus weiter. Im Keller war ein moderner Waschraum, daneben ein Fitnessraum mit Dusche und Sauna.

Sie konnten nur noch staunen. Hand in Hand gingen sie wieder nach oben.

„Warum tun die das für uns?" fragte er vollkommen überwältigt.
„Weil es gute Menschen sind!" antwortete sie.
„Und wie sollen wir das je wieder gut machen?"
„Gar nicht! Sie erwarten das nicht!" versicherte sie. „Und wir scheinen ja auch eine Familie zu werden!"

Wie aufs Stichwort klopfte in diesem Augenblick ihre Tochter an das Fenster, an der Hand hielt sie Philip, den Sohn ihrer Wohltäter.
Birgit öffnete die Terrassentüre, umarmte Philip herzlich.
„Hallo! Schön dich kennenzulernen!" sagte sie.

Er erwiderte die Umarmung. „Die Freude ist auf meiner Seite!" antwortete er lächelnd. Er hatte schon ein paar Fotos von ihr in Fabiennes Wohnung gesehen, war aber überrascht von ihrer Schönheit.

Aber seine Süße kam ganz nach dem Vater, das sah er gleich, als er ihm die Hand gab. Nur ihre Haut war heller, und zum Glück war sie nicht so groß wie der Bär, der selbst ihn noch ein paar Zentimeter überragte.

„Das Haus ist wunderbar!" sagte Patrique zu Philip.

„Ja, ist ganz gut geworden! Ich habe es fertig noch gar nicht gesehen. Es war ziemlich heruntergekommen!" Er war froh, ein neutrales Thema gefunden zu haben.
Er wusste ja nicht, wie die Eltern zu ihm und der Tatsache standen, dass sie beide praktisch zusammenlebten, nach der kurzen Zeit, die sie sich kannten.

Sie setzten sich an den Esstisch, Birgit brachte eine Flasche kalten Weißwein und etwas Knabbergebäck, fühlte sich schon sehr zu Hause.

Bernard hatte die Stimmen gehört, kam aus seinem Appartement.

Er nahm seine Schwester an der Hand. „Komm mit! Das musst du dir ansehen!" bat er, und auf seinem Gesicht zeigte sich ein ehrliches Lächeln. Endlich wieder! dachte sie glücklich.

Er zeigte ihr sein Reich voll Stolz, sie war komplett geplättet! Was für eine Liebe sprach aus all den Details, Liebe für einen Fremden!

Was war das für eine wunderbare Familie! Und das wunderbarste Mitglied war ihr Freund!

Philip saß inzwischen bei den Eltern, erzählte von seinen Zukunftsplänen, von seinem Chef, der Fabienne unbedingt kennenlernen wollte, und er sprach von seiner Liebe zu ihrer Tochter.
Birgit lächelte ihn an, Patrique sah nicht mehr so zweifelnd drein, und Philip wusste, dass sie ihn akzeptiert hatten als Freund ihrer Tochter.

Da rief sie nach ihm, er sollte auch sehen, was seine Eltern für ihren Bruder getan hatten.

Er staunte nicht schlecht über all die Details. Aber so war seine Mutter! Wenn sie etwas begann, führte sie es perfekt aus!

Sie hatte ihr Studium abgebrochen, als er zur Welt kam, aber sie hatte es nie wirklich bereut, das wusste er. Wenn die Mädchen sie zu sehr ärgerten, scherzte sie hin und wieder: „Warum ich mir euch noch angetan habe, möchte ich auch wissen! Nach diesem wunderbaren Sohn!" Aber alle wussten, sie war das perfekte Muttertier!

Und nicht nur für ihre eigenen Kinder. Sie kümmerten sich um Unterstützung benachteiligter Familien, sammelte und spendete Geld für Betreuungseinrichtungen, nahm sich der Studenten an, die als Gäste der Stiftung in die Stadt gekommen waren.
Sicher hätte sie sich auch um Fabienne gekümmert, aber da war er ihr zuvorgekommen!

Felix und Annika waren bei Philips Eltern zurückgeblieben. Er unterhielt sich mit Markus über die Probleme der Wirtschaft, des Unternehmertums.
Sie sprach mit Ruth über deren Stiftung.
Bereitwillig berichtete sie über ihr eigenes soziales Engagement, das noch ziemlich in den Kinderschuhen steckte.

Ruths Augen wurden immer größer. Sie hatte ein paar Vorbehalte gehabt gegen die Kleine!

Das Mädchen, das ihrem Augenstern das Herz gebrochen hatte, als es einfach verschwunden war!

Sie hatte sich eine mit allen Wassern gewaschene, aufgetakelte Tusse vorgestellt, die Art von Frau, auf die jungen Männer eben standen!

Als sie erfuhr, dass sie mit einem superreichen Großindustriellen verheiratet war, der um einiges älter war als sie, hatte sich ihr Zorn noch gesteigert. Hatte sich das reiche Püppchen wohl eine Auszeit genommen von ihrem Sugar Daddy!
Hatte ein bisschen gespielt mit ihrem Sohn!

Dann hatte sie ein wenig von den Verletzungen der Frau erfahren, schließlich etwas mehr, auch von Felix' Unfall. Aber die ganze Geschichte kannte sie immer noch nicht, würde sie vielleicht auch nie erfahren.

Nun traf ein schwer verliebtes Ehepaar bei ihnen ein, eine perfekte Schönheit, vollkommen natürlich und ein gutaussehender Mann, den die Narben nicht wirklich entstellten.
Und jetzt saß eine ausgesprochen liebenswerte, intelligente junge Frau ihr gegenüber und erzählte von ihrem Wunsch, die Welt aus den Angeln zu heben!

Sie tauschten sich aus, und Ruth genoss jede Minute mit der Schönheit, die im Alter ihrer Töchter war. Sie hatte in ihrer Stadt nicht viele gleichgesinnte Freundinnen, eigentlich gar keine! 

Manche hängten sich den Mantel der Nächstenliebe um, um hin und wieder in den Medien präsent zu sein, aber so wie sie mit dem Herzen dabei, war keine der Damen.

Doch Annika brannte für die Sache des sozialen Engagements, das war eindeutig zu spüren. Sie würde mit Sicherheit viel erreichen.

Der Nachmittag ging in den Abend über, Felix merkte, dass sein Mädchen müde wurde. Er nahm sie in die Arme. „Wo ist eigentlich Philip?" fragte er. Sie waren davon ausgegangen, dass sie bei ihm übernachten würden. Aber er und Fabienne waren nach dem Besuch bei ihren Eltern nicht mehr aufgetaucht.
„Ich rufe ihn mal an." meinte Felix. Annika musste sich ein wenig ausruhen!


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