Kapitel 51
Annika, Felix und Fabienne
Zwei Tage später beschloss Annika, dass sie wieder einmal etwas tun musste. Sie hatte ein paar Dinge im Kopf, wollte sie endlich angehen.
„Ich muss heute mal in die Firma!" sagte sie zu Felix.
„Soll ich dich fahren?" Er hinterfragte nicht. Wenn sie etwas erledigen musste, sollte sie das tun, ohne ihm Rechenschaft ablegen zu müssen!
„Nein, der Fahrdienst kann mich bringen! Bleib du bei unseren Gästen!" antwortete sie.
Er sah sie ernst an. „Willst du nicht mal wieder selbst fahren?" fragte er leise. Seit dem Unfall hatte sie sich nicht mehr ans Steuer eines Wagens gesetzt. So begann sie auch jetzt wieder zu zittern.
„Nein! Nein! Nicht heute!" erwiderte sie.
„Aber irgendwann solltest du es wieder versuchen!" wandte er ein.
„Ja! Irgendwann! Mit dir! Aber nicht alleine!" Ihre Rehaugen sahen ihn bittend an.
Er küsste sie zärtlich. „Natürlich, Nicki! Natürlich! Wir versuchen es einmal zusammen! Ein ganz kurzes Stück! Okay?" Es tat ihm leid, dass er das Thema angesprochen hatte.
Sie war so ein taffes Mädchen! Wenn sie nicht mehr Autofahren wollte, musste sie das doch nicht!
„Gut!" sagte sie und rief den Fahrdienst an.
Während der Fahrt dachte sie nach. Er hatte schon recht, irgendwie! Aber wenn sie daran dachte, selbst zu fahren, sah sie diesen Baum auf sie zukommen, hörte sie den Knall des Aufpralls und Felix' Schreie. Dann brach ihr der Schweiß aus, sie bekam kaum noch Luft! Sie musste das nicht haben! Noch nicht!
In der Firma hatte sie die Gedanken an das Problem vergessen. Sie konzentrierte sich auf ihr Vorhaben.
„Margaux, verbinden Sie mich bitte mit dem Maire von Paris!" bat sie ihre Assistentin.
Keine zwei Minuten später stand die Verbindung. Annika lächelte vor sich hin. Klar! Rufe ich schnell mal den Bürgermeister der französischen Hauptstadt an.
„Madame Vanderberg! Ich freue mich, von Ihnen zu hören! Was kann ich für Sie tun?"
Er hatte natürlich vom Polizeichef Informationen erhalten über den fatalen Fehler, den Beamte beim Fall Bernard Adjani gemacht hatten, hoffte, dass Madame nicht allzu ungnädig gestimmt war.
Doch Annika rief nicht deshalb an. „Bon jour, Monsieur Maire! Ich habe drei Anliegen mit Ihnen zu besprechen, und ich hoffe, Sie finden einen Weg, mir zu helfen!"
„Alles was in meiner Macht steht, werde ich tun, Madame! Und was nicht in meiner Macht steht, werde ich versuchen!" antwortete Dr. Herbard erleichtert.
Sie lachte leise. „Das klingt gut! Also: Punkt eins betrifft einen Professor an der Sorbonne, Fachbereich Physik, Dr. Gaspard. Mir wurde zugetragen, dass besagter Herr sehr rassistisch geprägte Ansichten vertritt und Studenten, die nicht seinem Abstammungsideal entsprechen, schlimme Steine in den Weg legt! Es würde mich außerordentlich mit Genugtuung erfüllen, wenn dieses Verhalten Konsequenzen für den Herrn hätte!
Punkt zwei ist das genaue Gegenteil. An der medizinischen Fakultät lehrt ein Dr. Houdin, der ganz andere Ansichten hat, der Nicht-Französisch-Stämmige sehr fördert und ihnen immer eine hilfreiche Hand entgegenstreckt. Bei ihm würde es mich sehr freuen, wenn er etwas Anerkennung dafür bekäme! Sehen Sie einen Weg, Maire, mir diese beiden Gefallen zu tun?"
„Aber natürlich, werte Madame Vanderberg!" Der Bürgermeister war erfreut, dass es so kleine Anliegen waren, mit denen sie sich an ihn gewandt hatte. „Bei Punkt eins werde ich zusammen mit dem Polizeichef eine Razzia organisieren. Auf dem Rechner des Mannes findet sich sicher rechtes Gedankengut, was dann seine Karriere ziemlich schnell beenden würde.
Zu Punkt zwei: Bei der nächsten Verleihung des Ordens « pour le mérite » werden wir Dr. Houdin auszeichnen und ihm eine Prämie von 10.000 Euro überreichen! Wäre das in Ihrem Sinne, Madame?"
„Voll und ganz! Ich danke Ihnen, Monsieur Maire! Dann kämen wir zu Anliegen Nummer drei, dem weitaus größten! Wir müssen alle zusammenhelfen, um diese Gangs und Banden aus den Banlieues zu vertreiben! Sie haben ein eigentlich wunderschönes Wohnviertel in einer herrlichen Lage geschaffen, aber es verkommt total! Rechtschaffene Bürger werden erpresst, bedroht, verletzt! Die Sozialabteilung der Vanderberg AG, die ich leite, zahlt Ihnen einen Zuschuss in Höhe von 2.000.000 Euro pro Jahr, um geschultes Personal einzusetzen, das sowohl bei der Prävention als auch bei der Verfolgung und Aufklärung von Verbrechen eingesetzt wird.
Sie legen mir jährlich Statistiken vor, ich werde auch eigene Untersuchungen in Auftrag geben. Wenn unser gemeinsames Programm fruchtet, werde ich die Zuschüsse gegebenenfalls auch erhöhen. Aber erst möchte ich Erfolge sehen!"
Dr. Herbard konnte seine Hochachtung kaum verbergen. Er hatte vor ein paar Wochen Fotos der Schönheit in einer Gazette gesehen. Sie war jung, erheblich jünger als ihr Mann, aber der schien sich nicht nur in ihr hübsches Äußeres verliebt zu haben! Die Kleine hatte echt eine ganze Menge auf dem Kasten!
Er atmete tief ein. „Werte Madame Vanderberg! Sie ahnen gar nicht, wie sehr Sie mir aus der Seele sprechen! Ich werde meine Sozialabteilung gleich drauf ansetzen, Statistiken zu erstellen und nach Lösungen zu suchen! Ich würde Sie dann darüber informieren!"
„Herzlichen Dank, Monsieur Maire! Ich hatte mit Gegenwehr gerechnet, mit der Bitte, mich nicht einzumischen! Aber Menschen, die sich nicht einmischen, gibt es zu viele! Vor allem unter den Reichen!"
Sie verabschiedeten sich und hatten fast das Gefühl, sie könnten Freunde werden!
Annika streckte sich durch. Wieder einmal war sie zufrieden mit sich!
Jacques, der sie gebracht und vor dem Gebäude auf sie gewartet hatte, sah ihr strahlendes Lächeln, das sie noch schöner als sonst machte.
„Das Leben ist wunderbar, Jacques!" rief sie ihm zu, als er ihr die Türe öffnete.
„Das freut mich, Madame!" antwortete und lächelte ihr zu. Es machte ihn glücklich, wenn sie glücklich war!
An der Villa flog sie die Stufen hinauf, versonnen sah er ihr nach. Julio beobachtete ihn vom Fenster des Überwachungsraumes aus. Grinsend funkte er ihn an.
„Aufwachen, Jacques!" rief er ins Gerät. Der schüttelte den Kopf über sich selbst.
Die schöne Madame hatte ihn ganz schön am Wickel! Aber irgendwann einmal würde er ein Mädchen kennenlernen, das ihn sie vergessen ließ! Sie musste ja nicht ganz so schön sein. Aber so süß wäre schon nicht schlecht! So strahlend! Seufzend stellte er die Limousine in die Garage und bezog seinen Posten am Tor.
Annika stürzte sich in Felix' Arme, der sie durch die Luft wirbelte. Aufgedreht berichtete sie von ihrem Tag.
„Und morgen telefonierst du dann mit dem Präsidenten?" zog er sie auf.
„Könnte schon sein! Wenn die anderen nicht parieren!" antwortet sie lachend.
„Und jetzt brauche ich einen großen Topf voll Futter!" Sie lief schnuppernd in die Küche. „Spagetti! Mammamia! Ti amo, Alaya!" rief sie.
„Und was essen die anderen?" fragte sie, nachdem sie den Deckel des Nudeltopfes gehoben hatte.
Alle lachten über den aufgedrehten Wirbelwind. Sie stellte sich drei Teller hin, lud alle voll und inhalierte wie ein Staubsauger die Nudeln.
Felix lachte Tränen. „Nicki! Bitte! Dir wird wieder schlecht!" warnte er.
Doch heute irrte er sich. Sie vertrug die Riesenportion sehr gut. Nach dem Essen widmete sie sich ihren Gästen. Bernard ging es deutlich besser. Seine geprellten Rippen schmerzten zwar noch bei jedem Atemzug, aber er musste nicht mehr so viel heulen.
Um sein psychisches Problem würde sich seine Schwester kümmern.
Sie ahnten, was der hübsche Kerl im Gefängnis alles auszuhalten gehabt hatte.
Patrique Adjani hielt Birgit im Arm. So recht konnte er noch nicht glauben, was ihnen geschehen war. Mittlerweile hatte er auch erfahren, warum Bernard sich auf den Drogenhandel eingelassen hatte, und er war stolz auf ihn! Er hatte seine kleine Schwester beschützt, er war nicht missraten! Eigentlich wäre das ja seine Aufgabe als Vater gewesen! Er hätte es schaffen müssen, seine Familie aus diesem Milieu herauszubringen!
Aber nun hatte es Fabienne geschafft, die sich einen guten Mann ausgesucht hatte, wie es schien.
„Erzählt mir von Philip!" bat er.
Fabienne begann zu strahlen. „Er ist... er ist wunderbar! Er ist ein guter Mensch, sehr klug, sehr humorvoll!"
„Und hässlich wie die Nacht finster!" fügte Felix todernst hinzu.
Fabienne boxte ihn. „Nein! Er ist der hübscheste Mann, den ich je gesehen habe!"
„Weil du noch nie einen angesehen hast! Weil du deine Nase nur in deine Bücher gesteckt hast!" zog er sie auf.
„Du bist ein Affe! Er sieht toll aus! Groß, kräftig, dunkle Haare und blaue Augen! Ein schmales Gesicht, ein wunderschöner Mund!" Sie redete sich direkt in Rage.
„Na ja! Du siehst ihn eben mit den Augen einer verliebten Frau!" Felix konnte den Lachanfall kaum noch zurückhalten. „Oder, was meinst du Süße?"
Sie lächelte ihn an. „Philip ist der zweitschönste Mann, den ich kenne!" antwortete sie.
Er zog sie in seine Arme, und keiner der drei erinnerte sich an ihre Vergangenheit mit dem jungen Mann, um den es hier ging.
Die Nacht war vergessen, bei allen.
Die Augen der Adjanis flogen von einem zum anderen.
Fabienne sprang auf, brachte ihr Handy, suchte nach Fotos von Philip. Sie musste nur aufpassen, dass sie nicht die eher freizügigen erwischte.
Sie hielt eine wirklich schöne Aufnahme vor ihre Mutter. „So! Jetzt sag du!"
Birgit sah einen gutaussehenden Mann. „Also ich schlage mich auf die Seite der Frauen!" sagte sie lachend. Sie gab das Handy an ihren Mann weiter, der an seinen Sohn. Bernard wischte natürlich neugierig über den Bildschirm, grinste seine Schwester an.
„O la la!" sagte er nur. Sie sprang auf und nahm ihm das Handy ab. „Affe!" rief sie.
Felix hielt seine Süße im Arm, seine zweite Hand war vorsichtig unter ihr Shirt gekrabbelt, lag auf ihrem Bauch.
Seine Gedanken drifteten ab. Da drinnen wuchsen aus ein paar Zellen seine Kinder. In wenigen Monaten würde er sie sehen, sie riechen, sie streicheln können.
Eine Glückswelle überschwemmte ihn.
Doch dann konzentrierte sich er sich wieder auf das Geschehen um sich herum.
Eine Stunde später wurde Annika müde. „Ich lege mich ein wenig hin!" sagte sie entschuldigend in die Runde. Felix sprang auf, brachte sie zur Treppe. Sie legte den Kopf schief, sah ihn an. „Kommst du mit?" fragte sie.
„Nein, ich bleibe noch ein wenig bei den anderen!" antwortete er todernst. Doch ihr überraschter Blick zerschlug sein Pokerface, und er lachte laut los. „Das hast du aber jetzt nicht wirklich geglaubt, dass ich so ein Angebot ablehne, oder? Ich glaube, das wäre das erste Mal gewesen!"
„Das bekommst du zurück, Monsieur Vanderberg! Aber ordentlich!" schimpfte sie.
„Da bin ich mal gespannt, Madame Vanderberg!" flüsterte er.
Oben legte er sie vorsichtig aufs Bett. Sein größter Schatz war sie, seit er sie zum ersten Mal hatte besitzen dürfen.
Das war sein Hauptgedanke gewesen in dieser ersten Nacht: Ich darf sie besitzen, sie schenkt sich mir!
So hatte er noch bei keiner Frau vor ihr gedacht. Da ging es um die Jagd, den Sieg, die Erregung, die Befriedigung der männlichen Bedürfnisse.
Da ging es um Sex!
Manchmal häufig, dann gab es wieder ein paar Wochen der Enthaltsamkeit, weil die Arbeit ihn überschwemmte.
Beziehungen ging er aus dem Weg, manchmal datete er eine Frau ein paar Mal, manchmal blieb es bei einem One-Night-Stand. Manchmal erinnerte er sich an eine Nummer, wenn die Zeit für einen Ausflug in den Club fehlte. Nein hatte keine gesagt!
Doch nie zuvor hatte er eine solche Dankbarkeit empfunden wie bei Annika. Noch nie hatte er sich dermaßen beschenkt gefühlt wie bei ihr!
Und er hatte das Gefühl, er müsste sich dieses Geschenk verdienen. Er müsste ihr etwas zurückgeben! Er musste sie lieben wie eine Prinzessin!
Schon am Morgen hatte er gewusst, dass er dieses Geschenk behalten wollte. Für immer!
„Bitte geh nicht wieder weg!" hatte er gebeten. Oder gefleht? Noch nie hatte er auch diese Worte zu einer Frau gesagt!
Eher: „Sorry, ich habe einen dringenden Termin!" Oder das obligatorische: „Ich melde mich!"
Am liebsten war es ihm sowieso immer gewesen, wenn er eine Nacht bei einer Dame oder in einem Hotel verbringen konnte. Da hatte er sich dann ziemlich schnell abseilen können!
Annika hatte bei seiner so dringend vorgebrachten Bitte gelächelt, nur gelächelt und nichts gesagt. Er hatte nicht gewusst, was in ihrem schönen Köpfchen vorging.
Dann hatte er gedacht, wenn er mit ihr einen wunderbaren Tag verbringen würde, käme sie danach wieder mit zu ihm, würde noch eine Nacht bleiben. Er hatte sie auf sein Boot gebracht, war mit ihr hinaus gefahren, sie hatten sich auf dem Deck geliebt, schaukelnd auf den Wellen.
Sie waren im Meer geschwommen, hatten sich gegenseitig bespritzt, getaucht, hatten sich wassertretend geküsst.
Sie war eine Naturgewalt gewesen, ihr Lachen hatte ihn atemloser gemacht als das Herumtoben im Wasser.
Noch nie hatte er so viel Spaß gehabt wie an diesem Tag. Er war betrunken vor Glück gewesen! Er hatte sich wie 20 gefühlt, obwohl er nie hatte erleben dürfen, wie sich ein 20jähriger fühlte. Sie hatten sich Fastfood geholt, hatten ein Picknick am Strand gemacht, hatten den Sonnenuntergang beobachtet, einen Piccolo Champagner getrunken, hatten sich den Wein von den Lippen geküsst.
Dann hatte er wie selbstverständlich den Weg zur Villa eingeschlagen, sie hatten wie selbstverständlich zusammen geduscht, hatten sich wie selbstverständlich in sein Bett gelegt. Von da an war seine Angst, dass sie gehen würde, jeden Tag ein wenig kleiner geworden.
Sie hatten nie darüber gesprochen, ob und wie lange sie bleiben würde. Er hatte das Gespräch nicht zu führen gewagt. Er hatte einfach aus jedem Tag ein Fest gemacht. Irgendwann hatte sie dann eingesehen, dass die Klamotten aus ihrem Rucksack nicht mehr ausreichten. Nach einem ausgiebigen Einkaufsbummel hatte sie ihm gestattet, ihr eines der Kleider zu bezahlen.
Da hatte er Hoffnung gehabt, sie würde für immer bleiben!
Dann hatte er den Verlobungsring besorgt, aber noch ein paar Wochen lang nicht den Mut gehabt, sie um ihre Hand zu bitten.
Er, Felix Vanderberg, hatte Panik vor einem „Nein" gehabt!
Doch sie hatte letztendlich „Ja" gesagt, hatte ihn tatsächlich zum Mann genommen! Und nun bekam sie seine Kinder!
Und dazwischen war nichts! Denn sie hatte das so beschlossen!
Und Fabienne hatte es ihm ermöglicht, Annikas Worten zu glauben!
Er merkte, wie seine Gedanken auf die Reise in die Vergangenheit gingen, während seine Hände sich auf die Reise über ihren wunderbaren Körper machten, ihre samtweiche Haut fühlten. Während er ihren Duft einatmete, ihre Lippen auf seinen spürte.
Er hatte sie schon so oft geliebt, und trotzdem war es immer wieder neu für ihn.
War es immer wieder ein Wunder, dass sie ihm das gestattete, dass es ihr gefiel, dass sie unter seinen Zärtlichkeiten erbebte, dass sie für ihn kam!
Dass sie seinem Körper so viel Hingabe schenkte, ihn so hochbrachte, dass er fürchtete, vor Erregung den Verstand zu verlieren!
Jedes Mal!
Immer wieder!
Seit der ersten Nacht war er süchtig nach ihr!
„O Gott, Süße! Du machst mich verrückt!" stöhnte er auch dieses Mal, genoss ihr leises, zärtliches Lachen.
„Ziel erkannt! Ziel erreicht!" gluckste sie.
Noch nie in seinem Leben hatte er gelacht im Bett - mit ihr war es der Normalfall.
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