Kapitel 46
Fabienne, Felix und Annika
Am Morgen des ersten Tages nach Philips Abreise mussten die Vanderbergs in die Firma. Es gab eine Reihe von Entscheidungen zu treffen.
Annika traf sich mit dem Bürgermeister, der einige Gebäude zur Auswahl hatte für die geplante Kita. Sie fuhr mit ihm eine Runde, besichtigte die Räumlichkeiten, entschied sich für ein ziemlich zentral gelegenes Haus.
„Die Vanderberg AG übernimmt den Umbau und die Personalkosten. Miete werden wir nicht bezahlen, das ist dann Ihr Part!" bestimmte sie.
Der Maire lächelte sie an. „Klar, Madame! Wie Sie wünschen!"
Er wusste, es wäre ein Klacks für das Unternehmen, auch die Miete zu übernehmen, aber sie wollte die Stadtverwaltung durchaus in die soziale Verantwortung nehmen. Womit sie ja auch Recht hatte!
Im Firmensitz trafen sie sich wieder. Felix hatte ein paar neue Firmen durchgecheckt, deren Chefs mit dem Gedanken spielten, sich unter die Fittiche seines Konzerns zu begeben. Zwei davon waren durchaus interessant für ihn.
Als Annika ankam, rief er den Vorstand zusammen, erläuterte, was seine Recherchen ergeben hatten. Er bekam einstimmig den Auftrag, die Verhandlungen aufzunehmen.
Annika hing wieder an seinen Lippen. Er war so unglaublich sexy, wenn er so selbstbewusst und intelligent seine Pläne erläuterte!
Er bemerkte ihre Bewunderung natürlich, ein kleines Lächeln stahl sich in seine Augen. Es würde seinen Plänen, die er hatte, auch nicht schaden, wenn sie ihn ein wenig anhimmelte!
So ein kleines bisschen Bürosex würde ihm schon gefallen. Er überlegte nur noch, ob bei ihm oder bei ihr.
Da merkte er, dass er ein wenig den Faden verloren hatte, versuchte, sich zu konzentrieren.
Rafael grinste in sich hinein. Es gefiel ihm, wenn sich die Blicke der beiden von einem Moment auf den anderen ineinander verhakten.
So ein Mädchen würde er auch gerne finden! Vielleicht sollte er einmal in das Café gehen, in dem die beiden sich kennengelernt hatten? Vielleicht einmal außerhalb seiner Kreisen suchen?
Felix fand wieder zurück in die Gegenwart, referierte zu Ende. Kaum hatten die anderen sein Büro verlassen, zog er seine Frau in die Arme. „Kannst mich schon noch mal so ansehen!" flüsterte er heiser und drückte den Sperrknopf für Monique.
„Wie denn?" fragte sie herausfordernd.
„So, als ob du mir die Klamotten vom Leib reißen willst! So, als ob du mich sofort ganz nah bei dir haben willst! So als ob du mich dringend in dir spüren willst!" Seine Hände waren schon sehr fleißig unterwegs.
„So sehe ich dich an? Echt?" stöhnte sie.
„Und ob, heiße Madame Vanderberg!" versicherte er.
„Gut!" sagte sie. „Gut, dass du meine Blicke deuten kannst!"
Sie wand sich unter seinen streichelnden Händen.
„Und... und wie, wie siehst du mich an?" forderte sie ihn heraus.
„Voller Begehren! Angeturnt! Angemacht! Auf zweitausend!" Seufzend drang er in sie ein. Mindestens! dachte er noch.
Danach ging sie beschwingt in ihr Zimmer.
Margaux hatte ihre Website durchforstet. Es waren unheimlich viele Vorschläge zu Hilfsprojekten für die Sozialabteilung eigegangen.
„Ich habe über ein paar recherchiert, Madame. Die, die ich bisher als durchführbar herausgefiltert habe, liegen auf ihrem Tisch."
„Vielen Dank, Margaux! Da hat mir die Personalabteilung ja wirklich die Beste ausgesucht! Aber könnten Sie mich vielleicht Annika nennen?"
„Nein, Madame! Tut mir leid! Das ist nicht üblich!" wehrte die Assistentin ab.
„Dann machen wir es einfach üblich!" bestimmte Annika.
„Ich versuche es!" versprach Margaux.
Fabienne hatte den Vormittag genossen. Felix hatte ihr ein Laptop geschenkt, das für ihn überholt war, das aber Klassen besser war als ihr Gerät zu Hause.
Sie holte sich einen Teil des Lernstoffes des fünften Semesters, las sich schon ein wenig ein.
Dann stutzte sie. In Deutschland wurde pro Semester ein Praktikumsmonat gefordert. Das hatte sie bisher nicht gewusst!
Sie würde Philip bitten müssen, ihr behilflich zu sein.
Danach las sie sich in den Unterlagen fest, die Professoren online gestellt hatten. Im Nu war der Vormittag verflogen.
Nach dem Essen musste dann Felix wieder dran glauben.
Sie begann dieses Mal in der Gegenwart.
„Was empfindest du dabei, dass sie mit Philip geschlafen hat?"
Ihre Direktheit verschlug ihm erst einmal die Sprache.
„Ups!" Er sah sie an. „Was empfindest du dabei?" drehte er den Spieß um.
Sie lachte. „Therapieren wir uns jetzt gegenseitig?"
„Brauchst du denn auch eine Therapie?" forderte er sie heraus.
„Wegen Philip und Annika? Nein! Sicher nicht! Wenn meine Vorgängerin eine Tussi gewesen wäre, würde ich vielleicht ein Problem haben! Aber bei Annika nicht im Geringsten!"
Er dachte nach. Ihre Worte waren gut gewesen! Konnte er sie sinngemäß übernehmen? Aber das wäre zu einfach!
„Ich hatte es eigentlich verdrängt!" gestand er dann.
„Aber, wenn ich mich zwinge, ehrlich zu sein? Wenn ich sie zusammen sehe, so vertraut, kribbelt es ein wenig in meinem Nacken! Also, ich denke nicht beim Sex oder im Bett daran, dass er sie berührt hat. Aber diese Nähe der beiden? Doch ich glaube nicht, dass das Eifersucht auf ihn als Mann ist. Nein, sicher nicht! Höchstens auf ihn als Freund. Ich will ihr Vertrauter sein!"
Er überlegte noch ein wenig weiter. „Andererseits glaube ich nicht, dass sie mit ihm Dinge über meinen Kopf hinweg bespricht! Nein, nein! Wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Probleme mit der Vorgeschichte!" Erleichtert fühlte er, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Und er war auch erleichtert, dass Fabienne die Wahrheit aus ihm herausgeholt hatte.
Dann wechselte sie wieder abrupt das Thema. „Ich habe etwas von Knochenbrüchen mitbekommen. Was hat es damit auf sich?"
Fast hatte er gehofft, heute gut wegzukommen. Aber das war ihm nicht vergönnt. Sein Blick schweifte ab. Er sah die Bilder vor seinem geistigen Auge. Sie marterten ihn grausam!
„Sie hatte wieder einmal versucht, mit mir zu sprechen. Heute weiß ich, dass es wichtig gewesen wäre, ihr zuzuhören! Aber damals wollte ich nicht, dass sie sich rausredet! Sie hatte das Koks genommen, sie war schuld, es gab nichts mehr darüber zu sagen! Aber immer wieder hat sie damit angefangen. Vor allem in den ersten zwei Jahren. An diesem Abend war ich so wütend darüber, dass ich sie bei den Haaren gepackt und ihren Oberkörper gegen die Tischkante geknallt habe. Dabei sind zwei Rippen gebrochen!"
Die Tränen liefen wieder über sein Gesicht. „Ein anderes Mal ist sie vom Tisch aufgesprungen, ohne dass ich es ihr erlaubt hatte. Ich hatte sie eine ganze Weile beleidigt....!"
Ihm versagte die Stimme. „Ich bin..... ihr mit dem Rollstuhl nachgefahren.....!"
Er schluchzte, dass er fast keine Luft mehr bekam.
„Ich... ich habe sie gegen den Türstock gedrückt, da ist das Handgelenk gebrochen! Und sie hatte eine dicke Beule am Kopf!"
Sie sah ihn eine Weile an. „Du redest wieder von Annika nur als von ihr. Du nennst sie noch immer nicht beim Namen!" hielt sie ihm vor. „Versuch es doch mal!"
Er atmete tief ein.
„Ich habe Annika, meine Annika, gegen den Türstock gedrückt, dabei ist das Handgelenk meiner Frau gebrochen!" sagte er kaum hörbar. „Ich habe Annika beleidigt, schlimm beleidigt. Ich habe Annika an den Haaren gepackt, ich habe den Oberkörper meiner Süßen gegen die Tischkante geknallt, und Annika hat sich zwei Rippen gebrochen."
Überrascht sah er Fabienne an. „Es ist leichter, wenn ich ihren Namen sage! Wenn ich über meine Frau als Person spreche, wenn ich sie als reell ansehe!"
Fabienne lächelte ihn an. Endlich hatte er verstanden.
„Du hast Annika verletzt, und Annika hat dir verziehen. Diese dubiose Person, die du immer sie nennst, gibt es nicht! Deshalb kann sie dir auch nicht vergeben!"
Als er dieses Mal mit der Sitzung fertig war, fühlte er sich zum ersten Mal leichter als vorher.
Annika war danach an der Reihe. Mit ihr würde sie bald abschließen können, da war sich Fabienne sicher.
„Erzähl mir von dem Tag, als deine Rippen brachen!" bat sie die Freundin.
„Ich wollte wieder einmal mit Felix sprechen, aber es hat ihn wütend gemacht. Ich wusste, dass es ihn aufregte, aber ich habe es immer und immer wieder versucht! Er hat meine Haare gepackt und mich gegen die Tischkante gestoßen!"
„Und danach? Was hat er gesagt? Wie hat er ausgesehen?"
„Du bist selber schuld! hat er gesagt und mich bitterböse angesehen. Ich habe ihn angebrüllt: Ich will doch nur reden!"
Aber Felix hat sich umgedreht und ist weggerollt. Julio hat mich dann ins Krankenhaus gebracht!"
„Hast du deinen Mann da gehasst?" fragte Fabienne.
„Nein! Ich habe ihn wieder einmal verstanden! Ich war nur wütend, weil er so stur war und mir nicht zuhören wollte!"
„Das war dein einziges Problem?" Fabienne war etwa fassungslos.
„Ja! Irgendwie schon! Seine Sturheit! Weil ich wusste, dass das Problem mit uns gelöst werden konnte, wenn er mir nur einmal zuhören würde!"
„Was war der schlimmste Tag für dich?"
Annika musste nicht lange nachdenken. „Als er angefangen hat, mich als Frau zu missbrauchen, meinen Körper zu beleidigen!"
Fabienne schnappte nach Luft. Davon hatte sie bisher noch nichts gewusst!
„Erzähle bitte!" stieß sie hervor, und Annika berichtete. Im Rückblick schien ihr das alles nicht mehr so schlimm zu sein. Sie wusste, sie sollte anderes denken. Abes es war Felix gewesen! Ihr Mann! Und er hatte ihr nie weh getan dabei, nur seine Worte hatten sie verletzt! Die Scham hatte geschmerzt!
Sie diskutierte lange mit Fabienne, die ihre Meinung nicht teilen konnte.
Dann drehte Annika den Spieß um. „Stell dir vor, Philip würde seinen Verstand verlieren. Eine Zeitlang, nicht für immer. Und du bist schuld daran. Und dann wird er zum Teufel. Schlägt dich, beleidigt dich als Frau, demütigt dich! Du steckst das erste Mal weg. Hoffst, dass er wieder normal wird. Es geschieht wieder. Du bist wütend, aber du fühlst dich auch schuldig!.Würdest du ihn verlassen? Oder würdest du dich immer an die schöne Zeit erinnern? Jahr für Jahr hoffen, dass es wieder so wird wie damals? Nicht ein bisschen, nicht etwas weniger schlimm, nein, ganz und gar so wie früher! So lange du noch einen Hauch von Hoffnung darauf hast, würdest du gehen?"
Fabienne dachte wirklich ernsthaft darüber nach.
Nein!
Sie würde nicht gehen!
Nicht gleich!
Annika hatte recht.
Aber sie glaubte nicht, dass sie es fünf Jahre durchstehen würde zu hoffen.
Doch sie kannte ja Philip noch nicht lang.
Annika war mit Felix verheiratet gewesen, damals.
Sie hatte beinahe ein Jahr lang die absolute, die perfekte Liebe erleben dürfen.
Langsam verstand sie die Kraft der Liebe.
An diesem Tag fühlte sie sich, als wäre sie therapiert worden!
Als Annika ihr erzählt hatte, was Felix einmal im Jahr von ihr verlangt hatte, was er mit ihr gemacht hatte, hatte sie das Gefühl gehabt, Felix nicht mehr weiter behandeln zu können. Sie hatte einen solchen Hass auf diesen Mann, einen solchen Ekel vor ihm, dass sie am liebsten abgereist wäre.
Aber nach dem Gespräch mit Annika wollte sie wenigstens versuchen weiterzumachen.
Felix bemerkte, wie sich Fabiennes Stimmung ihm gegenüber verändert hatte, ahnte, was der Auslöser dafür war. Wahrscheinlich hatten sie über seine sexuellen Übergriffe gesprochen, das schwärzeste Kapitel dieser verdammten fünf Jahre.
Seit dem Beginn der Gespräche mit Fabienne hatte er sich davor gefürchtet, hatte irgendwie gehofft, dass dieser Krug an ihm vorüber gehen würde.
Hatte aber auch gewusst, dass es nicht so kommen durfte, wollten er und vor allem Annika vollkommen heilen.
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