Kapitel 41

Annika und Felix

Die nächsten Tage verflogen im Glücksrausch. Sie waren beide sehr schwanger! Annika aß wie ein Scheunendrescher, manchmal musste sie dann die Toilettenschüssel umarmen, manchmal ging es ihr ausgezeichnet.

Doch eines Morgens hörte Felix sie im Bad schluchzen.

O mein Gott! Nicht das Baby! schoss es ihm durch den Kopf. Da stand er auch schon neben ihr.
Sie saß auf dem Rand der Badewanne, wurde von einem Weinkrampf geschüttelt.
„Was ist passiert?" fragte er tonlos und fiel neben ihr auf die Knie.
„Ihich werde hässlihich!" stieß sie hervor.

„Was?" fuhr er sie schärfer an, als er es eigentlich wollte.
„Ihich werherde hässlich!" wiederholte sie und bekam einen Schluckauf.
„Es ist nichts mit dem Baby?" rief er, verstand ansonsten nur Bahnhof.
„Neihein! Aber mit mihir!"

Erleichtert begann er zu lachen und brachte ihr ein Glas Wasser.

„Warum wirst du denn hässlich?" fragte er, und sein Herzschlag beruhigte sich langsam wieder.

„Ihich habe geträumt, dahass ich wihie ein Wahalross ausgesehen habe!"
Er nahm sie in seine Arme. „Walrösser sind süß!" versicherte er.

Sie boxte ihn. „Duhu nimmst mihich nicht ernst!"
„Doch, Süße! Ich nehme dich sehr ernst! Jetzt atmete erst einmal tief durch, und dann erzählst du mir von deinen Sorgen."
Er führte sie ins Zimmer zurück, ließ sich auf einen Sessel fallen, zog sie auf seinen Schoß, streichelte ihren Kopf.

Langsam beruhigte sie sich wieder.

„So! Jetzt erzähl mal!" forderte er sie auf.
„Ich werde solche Brüste bekommen!" Sie deutete mit den Händen an, wie monströs sie sich das vorstellte.

Er unterdrückte ein Lachen.

„Ja! Dir würde das gefallen! Männer stehen da drauf!" fauchte sie ihn an.
„Nein! Würde es nicht! Mir gefallen deine Brüste genauso, wie sie sind!" wehrte er ab.
„Siehst du! Und dann findest du mich hässlich!"
Er ahnte, dass er bei dieser Diskussion nur verlieren konnte!
„Aber nach der Geburt wird das doch wieder anders!" versuchte er, die Kurve zu kriegen.
„Und wenn nicht? Wenn sie dann hängen?" Sie war überhaupt nicht zu überzeugen.
„Dann liebe ich halt eine schöne Frau mit Hängebrüsten!" versuchte er einen Scherz.

Sie boxte ihn kräftig. „Und dann bekomme ich geschwollene Beine und Schwangerschaftstreifen und Pickel und fettige Haare!"
„Na und? Dann bekommst du ein Baby, und alles ist wieder so perfekt wie jetzt!" Er wiegte sie wie ein Kind. „Annika! Du bist die schönste Frau von Saint-Tropez, das hat sogar die Presse geschrieben! Erinnerst du dich? Und hier gibt es nicht wenige wirklich schöne Frauen!"

„Du musst das ja wissen!" blaffte sie ihn an.

„Natürlich weiß ich das! Ich bin ein Mann - und ich habe Augen im Kopf! Und diese Augen sehen täglich die Schönste von allen!" Er küsste sie auf die Wange. „Du bekommst unser Kind, Nicki! Und schon alleine deshalb wirst du während der Schwangerschaft so wunderschön sein wie immer! Ich freue mich auf deinen Babybauch wie verrückt! Ich liebe deine Brüste, ob sie nun ein wenig größer werden oder nicht! Ich liebe deine wunderschönen Beine, und wenn sie anschwellen, werde ich sie so lange massieren, bis du dich wieder wohlfühlst! Und wenn du Schwangerschaftstreifen bekommst, werde ich dich jeden Tag eincremen, wie du meine Narben eincremst!" 

Er merkte, dass sie sich beruhigt hatte, dass sie lächelte, dass er die richtigen Worte gefunden hatte.

„Und wenn du Hängebrüste bekommst, mach ich halt das Licht aus, wenn du dich ausziehst, so wie du das Licht ausmachst, wenn ich mich ausziehe!" Damit erinnerte er sie an seine Entstellungen, die sie nicht im mindesten zu stören schienen!

„Du bist süß!" flüsterte sie.
„Ja! Und ganz und gar nicht so oberflächlich, wie du in Erwägung ziehst!" antwortete er liebevoll, aber sehr bestimmt.

„Es tut mir leid!" sagte sie leise.
„Du musst dich nicht entschuldigen, Süße! Da drehen jetzt einfach die Hormone ein bisschen durch! Du musst mir auch alle deine Sorgen immer gleich erzählen, ja? Aber eins darfst du niemals: An meiner Liebe zweifeln!" bat er sie.

„Nie mehr!" versprach sie. „Zumindest, bis die Hormone das nächste Mal durchdrehen!" Sie sah ihn mit diesem gefährlich kecken Blick an. „Und jetzt möchte ich, dass du mich liebst!"

„Ich liebe dich doch! Immer und ewig!" antwortete er todernst.
„Ich meine, mich richtig liebst!" Sie presste sich an ihn.
„Ich liebe dich richtig!" Er verzog keine Miene.
„Ich meine, körperlich!" wurde sie direkter.

Er knabberte an ihrem Ohrläppchen. „Ach! Du willst Sex mit mir? Du bist doch sonst nicht so zurückhaltend!"
„Als werdende Mutter muss man sich entsprechend benehmen!" konterte sie.

Lachend trug er sie zum Bett. „Also, diese Veränderung würde ich dir wirklich übel nehmen!" hauchte er in ihr so erogenes Ohr.

„Na gut! Dann lass uns eine heiße Nummer schieben!"
„Geht doch!" stöhnte er und liebte sie hingebungsvoll, heiß, wild, leidenschaftlich! Erschöpft, atemlos hielten sie sich danach in den Armen.

„Du bist ein verdammt guter Liebhaber! Das habe ich schon beim ersten Mal gemerkt!" Ihr trockener Humor im Bett flashte ihn immer wieder.

„Dann hat dir unsere erste Nacht gefallen?" fragte er und unterdrückte den Lachreiz, der ihn kitzelte.
„Hm! Dir auch?"

„Gefallen? Ja, schon! Aber eigentlich hat mir unsere erste Nacht die Füße weggezogen, meine Welt aus den Angeln gehoben, mich schweben, fliegen lassen, mir mein Leben geschenkt!" antwortete er und wusste, dass er noch viel zu wenig Worte gefunden hatte, um das zu beschreiben, was er damals gefühlt hatte.

Er hatte viele Frauen gehabt, sie hatten es ihm immer leicht gemacht. Aber dieses schöne Mädchen hatte ihn die Liebe gelehrt. Er hatte gefühlt wie noch nie zuvor, weil zum ersten Mal sein Herz dabei gewesen war.

Er hatte das nicht geplant gehabt, als er sich zu ihr und ihren Freunden an den Tisch gesetzt hatte.
Er hatte das auch nicht geplant gehabt, als er Kaffee um Kaffee bestellt hatte, als er Panik gehabt hatte, dass sie aufstand, dass sie sagte, sie müsste nun gehen!

Er hatte das noch nicht einmal geplant gehabt, als er sie küsste. Als sein Köper in Flammen stand nach nur einem Kuss.
Er hatte gehofft, dass er sie besitzen durfte, als er sie gefragt hatte, ob sie mit zu ihm käme.

Er hatte noch mehr gehofft, als er sie in seine Villa brachte.

Aber er war sich nicht sicher gewesen.
Denn wenn sie auch nur ein wenig gezögert hätte, ein wenig unsicher gewesen wäre, hätte er sofort gestoppt.

Hätte er versucht, sie wiederzusehen, so lange um sie zu werben, bis sie sicher gewesen wäre.

Aufgegeben hätte er sie nicht! Niemals!
Denn nach diesem Nachmittag im Café war er verliebt gewesen, in das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte!

„Ich liebe dich, Felix!" sagte sie dann. Sie sagte es noch immer nicht oft, aber sie ließ es ihn täglich hundert Mal spüren.
„Das ist verdammt gut, Nicki!" antwortete er leise und schluckte wieder einmal seine Tränen weg.

Zwei Tage später rief der Bürgermeister bei Annika an. „Bon jour, Madame Vanderberg!" begrüßte er sie, und sie hörte an seiner Stimme, dass er gute Nachrichten hatte. „Die Familie Kimani wird in zwei Tagen in Athen erwartet!"

„Das ist wundervoll! Fantastisch! Wow! Ich bin überglücklich!" jubelte sie. „Wir holen sie dann ab! Ich spreche mich mit meinem Mann ab und melde mich dann noch einmal, okay?"

Sie stürmte in Felix' Büro, störte sich nicht daran, dass er gerade mit Rafael in einer Besprechung zu sein schien. Sie fiel ihm um den Hals. „Übermorgen können wir Alayas Familie in Athen abholen!"

Rafael zog sich zurück. „Wir sprechen später weiter! Man muss Prioritäten setzen!" erklärte er verständnisvoll.

Felix zog seinen Wirbelwind auf seinen Schoß, küsste sie erst einmal ausgiebig. „Na! Dann fliegen wir übermorgen nach Athen!"

Sie machte mit dem Maire Ort und Zeit klar, Felix kümmerte sich darum, dass der kleine Jet bereitstand.
Julio brachte sie zum Flugplatz. Annika war ganz hibbelig vor Aufregung. Sie hatten Alaya nichts gesagt, wollten sie überraschen.

In Athen wartete die Limousine schon am Rollfeld. Als Annika und Felix ausstiegen, kam ihnen der Vater entgegengelaufen. Sein Gesicht war tränenüberströmt, er hatte noch immer nicht daran geglaubt, dass es Wahrheit werden würde, dass er seine Familie in Sicherheit bringen konnte, dass er seine älteste Tochter wiedersehen würde.

Dass es Menschen gab wie Madame und Monsieur Vanderberg! Er stand vor der schönen jungen Frau, die breitete die Arme aus, und er stürzte sich hinein. Er wusste, das war ganz und gar nicht angemessen, aber im Überschwang der Gefühle konnte er nicht anders.

Die beiden fremden Menschen aus vollkommen anderen Kulturen hielten sich engumschlungen, ein Mann und eine Frau standen auf diesem Flughafen und weinten zusammen. Alle anderen standen bewegungslos um sie herum, ließen ihnen die Zeit, sich wieder zu fassen.

Dann begrüßte das deutsche Ehepaar den Rest der Familie. Die Kinder blickten ernst, zu ernst für ihr Alter, was Felix ins Herz schnitt. Aber sie würden weiter helfen, würden sie ihr Trauma vergessen lassen.

Im Flugzeug flüsterte er seiner Süßen ins Ohr: „Deine erste Kerbe als Engel! Der da oben wird zufrieden sein, dass er dich auf die Erde geschickt hat!"

Das strahlende Lächeln, das sie ihm schenkte, konnte nur das Lächeln eines Engels sein! dachte er. Der aber manchmal auch ein ganz frecher Bengel sein konnte!

Julio brachte sie zur Villa. Sie hatten der Familie erklärt, das Alaya nicht wusste, dass sie heute ankämen, dass sie ein paar Tage freihaben würde, weil sie wegflögen.

Als die Limousine vor dem Haus vorfuhr, sah die junge Syrerin gerade zum Fenster hinaus.
Das große Auto? Das bedeutet meistens Gäste! Man hatte sie gar nicht informiert! wunderte sie sich.

Doch dann blieb ihr Herz stehen, raste gleich darauf los.
Das.... das.... das war ihr Vater, danach stieg ihre Mutter aus, und ihre Geschwister krabbelten aus dem Wagen!
Nein! So schnell! Sie waren da! Sie hatten es geschafft! Madame Vanderberg hatte es geschafft!

Allah segne sie! dachte sie und stürzte sich in die Arme ihres Vaters.

Ein syrisch-französischer Redeschwall brach los, Küsse, Umarmungen, Zärtlichkeiten wurden ausgetauscht.
Annika und Felix zogen sich zurück.
Schließlich brachte Marcel alle Kimanis in die Wohnung über dem Hotel. Dort sollten sie erst einmal zur Ruhe kommen, sich eingewöhnen in ihrem neuen Leben. Alaya würde sich um alles kümmern, Marcel würde sie unterstützen. Das hatte Felix mit seinem Sicherheitschef so vereinbart.

Dann stand der Flug nach Regensburg an. Annika war vor Freude, den Freund und sein Mädchen zu treffen, außer Rand und Band.
Seltsamer Weise wurde Felix immer stiller. Beim Packen schien er abwesend zu sein, blickte immer wieder in Gedanken versunken zum Fenster hinaus.

Annika sah ihm eine Weile zu. „Hast du Sorgen?" fragte sie dann. Vielleicht war ja in der Firma ein Problem aufgetaucht?

Er versuchte ein Lächeln, aber sie sah, dass es falsch war. „Nein, nein, Süße alles ist in Ordnung!" wiegelte er ab.

Auf dem Weg zum Flughafen knetete er seine Finger nervös, atmete immer wieder tief ein und aus, als ob er schwer Luft bekäme.
Annika machte sich ernsthafte Sorgen.
In der Cessna hielt er zwar zärtlich ihre Hand, sie spürte aber, wie seine Finger leicht zitterten. Er hielt den Kopf weggedreht von ihr, sah sie nicht an. Als sie eine Träne seine Wange hinunterrollen sah, wischte sie sie weg, und blitzartig verstand sie.

„Du willst da nicht hin, nicht wahr?" fragte sie leise.
Er schüttelte nur den Kopf, die unterdrückten Tränen schnürten seinen Hals zu.
„Warum? Ist es diese Wohnung, weil ich da mit Philip war?"

„Nein! Ja! Nein! Nicht die Wohnung! Die Stadt! Der Name!" Dann brach ein Damm, und er redete sich alles von der Seele.

„Regensburg! Das war das letzte Mal! Danach habe ich dich mit dem Messer verletzt! Immer, wenn ich diesen Namen höre, läuft dieser Film vor mit ab! Sehe ich das Blut, sehe deine Augen, die mich so verletzt ansehen, spüre ich den Schmerz in dir und in mir! Du wirst die Mutter meines Kindes sein, und ich habe ein Messer in die Hand der Mutter meines Kindes gerammt! Von sinnloser Wut getrieben! Unbeherrscht! Und irgendwann werde ich diesem Kind einmal erzählen müssen, was sein Vater getan hat!"

„Aber das warst nicht du! Das war das Monster, das von dir Besitz ergriffen hatte!" versuchte sie ihm noch einmal klar zu machen.

„Nein, Nicki! Das ist eine praktische Ausrede! Natürlich war ich das! All die blauen Augen, die gebrochenen Rippen, das gebrochene Handgelenk, die geplatzten Lippen! Das war ich! Seit ich weiß, dass ich Vater werde, kann ich das nicht mehr verdrängen. Ich muss mich meinen Taten stellen, ich muss mich damit auseinandersetzen! Ich muss eine Therapie machen, um dieses Trauma aufarbeiten zu können, und du musst mir dabei helfen. Du musst da mitmachen, damit ich sicher sein kann, dass du es auch verarbeitest hast. Wir müssen diesen Weg gemeinsam gehen! Ich muss sicher sein, dass so etwas nie wieder passieren wird. Erst dann kann ich vergessen. Bisher habe ich nur verdrängt!"

Sie nahm ihn in die Arme, um ihn zu trösten, wie er sie im Badezimmer vor ein paar Tagen getröstet hatte. Sie hatte nicht gedacht, dass es ihn so aufwühlen würde, in diese Stadt zu kommen.

„Ich rufe Philip an. Wir holen sie einfach mit zu uns!" sagte sie.

Dankbar sah er sie an. Sie war die Beste, sie verstand - wieder einmal.
„Ja! Versuche es! Das wäre gut!" Er küsste sie. „Danke, Nicki!"

Sie ging nach hinten in das abgeteilte Büro.
„Hallo, Madame Vanderberg!" begrüßte Philip sie fröhlich. „Seid ihr schon gelandet?"

Sie begann, umständlich zu erklären, dass ihre Pläne sich geändert hatten, aber der Freund unterbrach sie schnell.
„Stop! Erzähl mir keine Märchen! Felix hat Probleme mit dieser Stadt! Wundert mich auch nicht wirklich. Fabienne ist hier, wir kommen zum Flughafen und fliegen mit euch zurück, okay?"

Sie atmete erleichtert auf. „Darum wollte ich euch bitten, ja!"

„Gut! In einer halben Stunde?" fragte er.
„Danke!" sagte sie nur und legte auf.

Felix sah sie erwartungsvoll an, als sie sich wieder neben ihn setzte. Sie lächelte ihn offen an. „Kein Problem! Er hat sofort verstanden!"

Er nahm sie wortlos in die Arme, schniefte die letzten Tränen weg. Sie holte aus ihrer Jacke ein Taschentuch, hielt es ihm hin.


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