Kapitel 40
Philip lag in seinem Bett, dachte an Fabienne, was kontraproduktiv war, wenn er heute Nacht noch schlafen wollte.
Dachte an Annika und Felix und das Baby, das sie erwarteten.
Dachte an seine Familie. Sie würden sich wundern, dass er noch nicht vorbeigekommen war. Er würde ihnen Fabienne in den nächsten Tagen vorstellen. Sie würden sie lieben.
An den nächsten drei Tagen konnten sie sich nicht sehen. An der Klinik war die Hölle los. Viele Unfälle mit Kopfverletzungen, bedingt durch das Urlaubsende in Bayern und das daraus resultierende Verkehrsaufkommen überforderten das Personal beinahe.
Philip arbeitete fast rund um die Uhr, er wurde mit Vehemenz ins kalte Wasser geworfen. Er operierte selbstständig leichtere Fälle, profilierte sich durch seine Kompetenz und sein Geschick, verschaffte sich den vollen Respekt von allen Kollegen.
Am Freitagmittag rief ihn sein Chef zu sich. „Hut ab, von Bergen!" kam er gleich zum Punkt. „Viel werden wir Ihnen nicht beibringen können! Was halten Sie davon, wenn wir die Ausbildungszeit auf ein halbes Jahr verkürzen? Sehen Sie sich imstande, in sechs Monaten die Prüfung zu machen? Enttäuschen Sie mich jetzt ja nicht, und sagen: Nein!"
Philip musste sich angesichts dieses Wortschwalls ein Lachen verbeißen. „Ja!" sagte er nur.
„Gut! Ich habe nichts anderes erwartet! Dann verschwinden Sie jetzt, vor Dienstag möchte ich Sie hier nicht mehr sehen! Hier ist Ihr neuer Plan! Sie arbeiten dann vier Tage, haben vier Tage frei. Dann sind wir wieder im Limit!"
Damit entließ er den jungen Mann, lächelte ihm hinterher. Der würde seinen Weg machen!
Philip fühlte sich ein wenig, als hätte ihn ein Bus gestreift. Der Chef war irgendwie eine Naturgewalt! Aber er mochte diese offene, gerade Art! Kein Honig, der ihm um den Mund geschmiert wurde, sondern ein offenes Lob, eine Anweisung!
Er war schon während des Studiums einer der Besten gewesen, sein Professor und Doktorvater hatte ihn sehr gefördert. Und das nicht, weil er der Sohn Markus von Bergens war.
„Bei mir zählt nicht ihr Background, junger Mann, nicht das Geld Ihrer Familie! Bei mir zählt Leistung!" hatte er ihm ziemlich am Anfang klargemacht. „Sie können ein Arzt werden, der viel Kohle scheffelt, oder Sie können ein Arzt werden, der viele Leben rettet! Die Entscheidung liegt bei Ihnen!"
„Mir wäre die zweite Möglichkeit lieber!" hatte Philip geantwortet. „Wenn ich Geld scheffeln wollte, hätte ich BWL studiert und würde ins Familienunternehmen eintreten!"
„Richtige Antwort!" hatte der Proff erklärt. Von da an war er sein Förderer gewesen. Und heute wusste er, dass der Professor stolz auf ihn sein würde, so stolz wie er auf sich selbst!
Er rief vollkommen aufgedreht Fabienne an. Mehr als ein paar kurze Texte hatte er nicht mit ihr wechseln können in den letzten Tagen. „Hallo, Schönheit! Ich habe schon frei! Wir kaufen jetzt das Bett und testen es bis Montag ausgiebig!"
Fabienne lachte glücklich. Sie hatte ihn vermisst, aber sie war nicht am Boden zerstört gewesen. Sie hatte gelernt, war durch die Stadt geschlendert, hatte sich ein neues Kleid gegönnt, hatte Kaffee auf dem wunderschönen Haidplatz gentrunken, hatte die Blicke der Männer auf sich genossen, hatte dabei an Philip gedacht.
Sie war jung gewesen, frei und verliebt!
Sie war glücklich gewesen, dass es den hübschen Deutschen mit den blauen Augen in ihrem Leben gab!
„Gut!" sagte sie bei seinem Anruf nur.
Philip fuhr überglücklich los. Sie hatte ihm keine Vorwürfe gemacht, denn sie verstand! Sie würde selbst Ärztin werden, sie wusste, dass es in diesem Beruf keine geregelten Arbeitszeiten geben würde.
Er dachte an die Worte seiner Mutter, als sich eine gute Freundin scheiden ließ, weil sie sich von ihrem Ehemann, der viel arbeitete, vernachlässigt fühlte.
„Erst wollen sie einen erfolgreichen Mann, dann beschweren sie sich, dass er erfolgreich ist! Diese Frauen kotzen mich an! Warum heiraten sie keinen Beamten? Der kommt nach acht Stunden nach Hause, lässt sich seine Pantoffeln und seine Flasche Bier bringen! Das ist dann besser, oder? Diese Weiber finden keine eigene Beschäftigung! Dabei gäbe es so viel zu tun! Ein Mann ist nicht da, um die Puppen zu bespaßen!"
Sein Vater hatte sie in den Arm genommen und sie geküsst. „Reg dich ab, Ruth!" hatte er dann geantwortet. „Seien wir froh, dass du anders bist! Dass du eine Frau bist, die ihren Mann akzeptieren kann, die ein eigenes Leben führen kann!"
Das war für ihn ein Vulkanausbruch an Gefühlen gewesen! Er war sonst nicht der Mann großer, gefühlsbetonter Worte.
In Philips Gedächtnis hatte sich diese Szene eingeprägt. Und vielleicht war sie auch zum Teil Schuld an seiner Bindungsangst. Er wollte seinen Weg gehen und ein guter Arzt werden, ohne sich ständig dafür rechtfertigen zu müssen! Fabienne war ein Geschenk des Himmels für ihn. Oder einer Sternschnuppe, die über Saint-Tropez vom Himmel gefallen war?
Die Freunde! Nächste Woche hatte er vier Tage frei! Vielleicht klappte es ja!
Fabienne stand schon auf dem Parkplatz und erwartete ihn. Nach einem leidenschaftlichen Kuss fand er das sehr vernünftig von ihr. Sonst hätte vielleicht etwas später das alte Bett seinen Geist aufgegeben, und sie wären ernsthaft verletzt worden. Wahrscheinlich hatte sie ihrer beider Leben gerettet!
Lachend fuhren sie zum Möbelhaus. Sie freute sich, dass er keinen Nobelladen aufsuchte, sondern einen Discounter, in dem er sicher noch nie gewesen war. Sie fanden schnell ein stabiles Bett, 10 Zentimeter breiter als das alte, das nicht allzu hässlich war.
Nachdem er einen größeren Schein über den Schreibtisch des Verkäufers geschoben hatte, war auch eine sofortige Lieferung mit Aufbau und Abtransport des alten Models möglich. Sie suchten noch eine neue Matratze und einen Lattenrost aus.
Eine Stunde später begannen sie, das Möbelstück intensiv zu testen.
„Passt!" stellte er nach einer intensiven Runde fest. „Oder? Was meinst du, Süße? So ganz sicher bin ich mir ja noch nicht!"
Sie schenkte ihm dieses bezaubernde Lächeln, bei dem auf ihrer rechten Wange ein Grübchen erschien.
„Ich sehe, Madame sind meiner Meinung!" stellte er zufrieden fest und liebte sie so, dass sie ihren Entschluss auf keinen Fall bedauern musste.
Dann sprang er aus dem Bett, das als gut befunden worden war. „Jetzt habe ich einen Bärenhunger! Auf Essen!" fügte er grinsend hinzu. „Wir gehen aus! Willst du Alessia und Tonio einladen?"
Er. Musste. Sein. Glück. Teilen!
Kurz hielt er inne. „Kann man vor Glück eigentlich durchdrehen?" fragte er ernsthaft.
„Natürlich! Warum denn sonst?" erklärte sie vollkommen sicher.
„Gut!" meinte er nur und ging zum Duschen.
„Also! Das italienische Pärchen! Und wen sollten wir noch durchfüttern?" fragte er danach scherzhaft. Sie überlegte. „Sergej? James und Meredith? Greta? Paolo? Huang?"
„Passt!" sagte er.
Nachdem sie im Bad gewesen war, telefonierte sie mit den internationalen Mitbewohnern.
Alle waren Feuer und Flamme, wollte natürlich auch den Traummann Fabiennes kennen lernen.
„Guten Tag zusammen! Ich bin Philip, der neue UN-Beauftragte der Stadt! Ich werde euch heute zum Essen einladen, damit ihr eine gute Meinung von uns Bayern bekommt, also, unter anderem. Hauptgrund ist natürlich, dass ich das Glück mit der frechen Französin hier mit euch teilen muss, damit mein Herz nicht platzt!" verkündete er, als sich alle vor dem Haus versammelt hatten.
Die jungen Leute lachten, klatschten sich mit ihm ab.
Da fiel ihm etwas ein. „Süße! Du musst heute Nacht bei mir schlafen! Die Kondome sind aus!" flüsterte er ihr zu.
Lachend lief Fabienne noch einmal nach oben, packte ein paar Sachen zusammen. Er musste ja nicht wissen, dass sie Nachschub besorgt hatte!
Mit drei Autos fuhren sie in die Stadt, zogen lachend und aufgedreht durch die Straßen, fielen in einer Pizzeria ein.
Der Besitzer erkannte Felix von Bergen, das Personal behandelte die jungen Leute ausgesprochen zuvorkommend.
Es wurde einer der fröhlichsten Abende in Felix' Leben. Verliebt sein ist wunderbar! dachte er wieder. Ich liebe sie! Ich liebe das Leben! Ich liebe das Leben mit ihr!
Da meldete sein Handy eine Textnachricht.
Wie sieht es nächstes Wochenende aus? Annika.
Perfekt! Ich habe ab Samstag vier Tage frei! Philip.
Bis dann! Felix.
Mehr Glück kann ich fast nicht mehr verkraften! dachte er.
„Annika und Felix kommen nächstes Wochenende!" flüsterte er Fabienne zu.
Sie strahlte ihn an. „Ich freue mich!"
Nach dem Essen gingen noch alle in den Club.
Seine Verehrerinnen machten lange Gesichter.
Philip kam mit einem Mädchen im Arm an?
War das nicht dieselbe, die er vor ein paar Tagen abgeschleppt hatte?
Was. War. Passiert?
Es handelte sich schließlich um Philip von Bergen!
Den Mann, der nie zweimal hintereinander mit derselben Frau gesehen wurde!
Den Mann, der den Nachnamen: Nur für eine Nacht! trug.
Den Mann, der charmant, charismatisch, verdammt gutaussehend war und das auch genau wusste!
Den Mann, für den Sex ein Spiel war, das nicht das Geringste mit Liebe zu tun hatte!
Den Mann, den jede Frau im Club schon versucht hatte zu erobern!
Und er hielt ein Mädchen in seinem Arm, als er den Club betrat!
Und er sah sie an, mit einem Blick, den sie noch nie bei ihm gesehen hatten!
Und er tanzte engumschlungen mit ihr, schien die Welt um sich zu vergessen!
Das Gerücht raste los, verbreitete sich wie ein Buschfeuer: Philip von Bergen hat sich verliebt!
Die Männer atmeten erleichtert auf. Ihr Hauptkonkurrent war ausgeknockt!
Die Frauen waren gelähmt vor Enttäuschung. Andererseits bedeutet eine knappe Woche auch noch nicht das Ende! Für Philip von Bergen schien es zwar eine Ewigkeit zu sein, aber man musste einfach abwarten!
Er sah die Blicke, ahnte die Gedanken, lächelte vor sich hin.
Ja! Glotzt nur und wundert euch! dachte er amüsiert. Ich wundere mich ja selbst am meisten!
Fabienne wunderte sich ein wenig über die bösen Blicken so mancher Dame, wunderte sich, warum sie andauernd angerempelt wurde, dachte sich nach einer Weile ihren Teil.
Sie hatte den Platzhirsch erlegt, und die anderen Jägerinnen waren stinksauer!
Ab da trug sie ihren Kopf hoch, erwiderte die Blicke lächelnd, schmiegte sich besonders eng an Philip.
Schaut nur her, ihr Tussis! Ich, Fabienne, das Mädchen aus den Banlieues, die Halbalgerierin, ich habe ihn bekommen! Und nicht eine von euch, die ihr mit dem goldenen Löffel im Mund geboren worden seid! dachte sie.
Philip sah ihren selbstbewussten Blick, er tat ihm gut!
Ja! Sei stolz auf dich, wie ich es auch bin! dachte er.
Als Britta sie gerade wieder einmal mit dem Ellbogen stoßen wollte, hielt er sie am Handgelenk fest.
„Lass das! Verzieh dich!" fauchte er das Mädchen an. „Und sag den anderen, dass es ein Echo von mir gibt, wenn ihr noch einmal eine zu nah kommt!"
Britta sah ihn nur schnippisch an. „Wir müssen nur ein paar Tage warten, dann bist du mit ihr durch! Wenn du alle Stellungen ausprobiert hast, wird's dir sowieso langweilig!"
Fabienne sah die andere fassungslos an. Dann kitzelte sie plötzlich ein Lachen in der Kehle. Sie wollte es verhindern, aber sie konnte nicht!
Sie prustete los. Es war zu komisch, wie dieses blonde Mädchen sich aufplusterte und ihr Gift versprühte!
Philip sah sie an, stimmte mit ein, bis ihnen beiden die Tränen übers Gesicht liefen.
Britta verließ wutschnaubend den Club. Sie hatte ganz vergessen, dass Philip noch nie etwas mir ihr gehabt hatte!
„Was möchtest du trinken?" fragte er, als sie wieder Luft bekamen.
„Ein Wasser, bitte!"
Er beschloss, auch dabei zu bleiben. Ein Pils würde wohl wieder schal werden, wenn er erst einmal weiter mit ihr tanzte.
Sie nahmen eine großen Schluck, machten sich auf zur Tanzfläche. Sie tanzten, bis der Club schloss. Zwischendurch gingen sie in den Vorraum, wo sie etwas knutschten, ein bisschen fummelten, und einmal musste er die Toilette aufsuchen, um sich abzureagieren.
Unter dem blinkenden Sternenhimmel gingen sie zu ihm.
Plötzlich blieb sie stehen. Sie brauchte ein paar Antworten.
Sie wusste, sie sollte diese Fragen nicht stellen, aber sie konnte nicht anders.
„Hast du sie auch in diesem Club kennengelernt?"
Er war mit dem Kopf im siebten Himmel, konnte ihr nicht gleich folgen. „Wen?"
„Bella? Annika?"
Autsch! Er hatte ihr erzählt, dass er eine Nacht mit Bella verbracht hatte! Aber warum war das jetzt auf einmal ein Thema?
Weil sie weiß, dass ich auf diesen Straßen vor ein paar Wochen sie in den Armen gehalten habe! beantwortete er sich die Frage selbst.
„Ja!" sagte er nur.
Eine Weile schwieg sie. „Und dann, die Nacht? War es wie mit mir beim ersten Mal?" Sie erstickte fast an diesen Worten, konnte sie aber auch nicht zurückhalten.
Er nahm sie in die Arme, legte sein Kinn auf ihren Kopf. Was sollte er darauf antworten?
„Sie war ein Phantom, Fabienne! Du bist echt! Sie hat mich belogen und verlassen! Du bist geblieben, du bleibst!"
„Und wenn sie geblieben wäre?"
Er dachte nach. Ja, was wäre gewesen, wenn sie geblieben wäre? Gut! Er hatte gewollt, dass sie blieb, das ließ sich nicht verleugnen! Aber er hatte nichts gewusst von ihr! Sie war die geheimnisvolle fremde Schönheit gewesen, das hatte ihn angeturnt!
Sie hatte sich in die Leidenschaft fallen lassen, weil sie gewusst hatte, dass es kein Morgen gab!
Wenn sie ein ganz normales Mädchen gewesen wäre, das er aufgerissen und abgeschleppt hatte, wären diese verrückten Gefühle in ihm überhaupt entstanden?
„Ich weiß es nicht!" antwortete er schließlich wahrheitsgemäß. „Ich glaubte, sie zu lieben, aber ich habe ein Bild geliebt, das ich mir gemacht hatte. Und ich war sauer, weil sie mich reingelegt hatte. Deshalb habe ich mich wohl in etwas reingesteigert, aber das hatte nichts mit der Realität zu tun! Mein Ego war verletzt, und ich dachte, mein Herz wäre es!"
Er lächelte sie an. „Zufrieden?"
„Fast!" antwortete sie. „Und wenn sie jetzt hierher kommt? Kommen dann Erinnerungen zurück?"
Aha! Da liegt der Hase begraben! dachte er.
Sein Lächeln vertiefte sich. „Nein, um Gottes Willen, Süße! Das hat sich schon in Saint Tropez gegeben! Bis auf ein klitzekleines bisschen vielleicht! Weißt du, ein wenig habe ich mir auch in der Rolle des leidenden Philip gefallen! Weil das neu für mich war!" Er küsste sie. „Aber seit ich dich kenne, gefalle ich mir nur noch in der Rolle des verliebten Philip! Und das ist genau so neu für mich!"
Fabienne konnte wieder befreit atmen und lächeln. Er war ehrlich gewesen! Er hatte ihre Fragen nicht abgetan! Er hatte ihr seine Gefühle offen erklärt!
Sie war froh, dass sie gefragt hatte!
Tanzend und küssend erreichten sie seine Wohnung. Sie fanden wenig Schlaf, aber sie fanden Leidenschaft ohne Ende.
Irgendwann schliefen sie quer im Bett liegend auf total zerwühlten Laken ein.
Gefühlte Minuten später läutete es an der Türe Sturm. Er schlüpfte in seine Jeans, tapste unwillig brummelnd in den Flur und öffnete.
Seine Mutter sah ihn ängstlich an. Hatte er sich schon wieder betrunken? Hatte er immer noch Probleme mit dieser Frau?
Er bemerkte den Blick, musste lachen.
„Nein, Mamutschka! Keine Sorge! Ich bin zwar betrunken vor Glück, aber stocknüchtern! Kommt rein, wenn ihr schon mal da seid!" sagte er ein bisschen unhöflich.
„Wir haben uns Sorgen gemacht! Du bist nicht sehr auskunftsfreudig gewesen, seit du zurück bist! An dein Handy gehst du auch nicht!" erklärte sie ihm.
Seinem Vater war alles ein bisschen unangenehm. Der Junge war 25! Da tauchte man nicht unangemeldet auf! Aber gegen das Muttertier an seiner Seite war er machtlos gewesen! Wenigstens hatte er die Töchter davon abhalten können, mitzukommen.
„Ich... ich zieh mir schnell was über!" stammelte er. So ganz wach war er auch noch nicht.
„Meine Eltern!" klärt er seine Süße auf.
„Autsch!" Sie verzog das Gesicht.
„Nichts autsch!" Er lachte sie an. „Ich bin 25! Da darf man eine Freundin haben!"
Eine Freundin! Das hörte sich gut an! Er hatte tatsächlich und wahrhaftig eine feste Freundin!
Er schlüpfte in ein frisches Shirt. „Ziehst du dich bitte an? Ich wollte dich ihnen sowieso vorstellen!"
„Meine Sachen sind noch in deinem Auto!" Sie hatte ihre Sprache wiedergefunden.
„Und wo ist mein Auto?" fragte er etwas benebelt.
„Im Parkhaus?" vermutete sie.
„Ei ei ei! Das müssen wir noch besser in den Griff kriegen!" Er überlegte. „Dann musst du eben die Sachen von gestern anziehen! Wir müssen unsere Haushalte mal etwas verteilen!"
Sie sammelte ihre Klamotten ein, er überlegte kurz, ob es seine Eltern sehr stören würde, wenn er noch ein bisschen mit ihr rummachte, als sie ganz nackt und so wunderschön vor ihm herumtanzte.
Da war sie schon ihm Bad verschwunden, und er seufzte schwer.
„Kaffee?" fragte er, als er wieder zurückkam.
Ruth hörte die Dusche, machte es sich bequem.
„Ja, gerne!" antwortete sie.
„Ich hab's fast befürchtet!" brummte er, lächelte sie aber an.
Sein Vater grinste. Gut, es schadete ja nichts, einen Blick auf die Frau zu werfen! Sein Sohn war schließlich eine gute Partie!
Philip schaffte es irgendwie, der Maschine drei Tassen mit irgendetwas zu entlocken.
Es roch wie Kaffee, sah aus wie Kaffee, es war wohl auch Kaffee.
Irgendwoher kramte er eine Packung Kekse, schob sich einen in den Mund. Sein Magen knurrte heftig.
Da öffnete sich die Türe, mit ein paar Schritten war Philip bei seiner Kleinen, legte den Arm um sie, führte sie in die Höhle der Löwenmutter.
„Das ist also Fabienne, meine Freundin – meine Mutter Ruth, mein Vater Markus." Ein wenig seltsam kam ihm die Situation schon vor, irgendwie wie einem Film!
Verdammt, er war 25 Jahre alt, hatte erfolgreich Medizin studiert! Warum kam er sich unter den Blicken seiner Mutter vor wie ein Schuljunge?
Fabienne gab beiden die Hand, setzte sich auf den Stuhl neben Philip.
Dann begann die Inquisition.
Frage 1:„Fabienne? Sie sind nicht von hier?"
Antwort 1: „Nein, ich komme aus Paris!"
Eine hochgezogene Augenbraue. Nun, gegen die französische Hauptstadt konnte sie jetzt nicht direkt etwas haben.
Frage 2: „Was hat Sie denn von Paris nach Regensburg verschlagen?"
Hatte die Kleine sich in Saint-Tropez an ihren Jungen gehängt?
Antwort 2: „Ich habe an der Sorbonne vier Semester Medizin studiert und habe dann ein Vollstipendium für Ihre wunderbare Stadt erhalten!"
Nicht schlecht! Medizinstudentin!
Frage 3: „Leben Sie hier bei meinem Sohn?"
Antwort 3: „Nein! Ich habe hart für meine Unabhängigkeit gearbeitet, mit gefällt es im Wohnheim sehr gut!"
Ein zuckender Mundwinkel, das Lächeln konnte sie gerade noch zurückhalten.
Frage 4: „Und Ihre Eltern?"
Antwort 4: „Mein Vater kommt aus Algerien, arbeitet als Stellwerksleiter am Gare du Nord. Meine Mutter ist Deutsche, hatte Physik studiert, als sie der Liebe nach Frankreich folgte. Sie arbeitet als freie Übersetzerin, vor allem für Fachliteratur in Mathematik und Physik."
Verdammt! Irgendetwas musste doch faul sein an diesem Mädchen!
Frage 5: „Haben Sie Geschwister?"
Davor hatte Fabienne Angst gehabt. Die Geschichte ihres Bruders hatte sie noch nicht einmal Philip erzählt! Sie könnte Bernard einfach verleugnen. Ein „Nein" wäre schnell ausgesprochen!
Doch sie konnte es nicht!
Antwort 5: „Ja, ich habe einen Bruder, Bernard. Er ist 23. Vor zwei Jahren haben Freunde von ihm, also falsche Freunde, ihm erklärt, dass sie mich vergewaltigen würden, wenn er nicht Drogen für sie dealte. Mein Bruder hatte Physik studiert, um den Lebenstraum seiner Eltern zu erfüllen. Er hatte panische Angst um mich, hat sich auf den Pakt mit dem Teufel eingelassen und wurde natürlich prompt erwischt! Wir konnten uns keinen guten Anwalt leisten, und er wurde zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren verurteilt. Auch weil er die Typen nicht verraten hat. Es geht ihm schlecht im Knast, meinen Eltern geht es auch schlecht! Er hat ihnen nicht gesagt, warum er das gemacht hat, damit sie sich nicht auch noch Sorgen um mich machen müssen! Ich hoffe, dass er nun redet, weil ich außer Gefahr bin. Mit der Polizei und mit Papa!"
Tränen liefen über ihr Gesicht.
Philip fasste nach ihrer Hand, drückte sie fest! Er hatte keine Ahnung von diesem Bruder gehabt!
Ruth hatte feuchte Augen. Sie sah Markus eindringlich an. „Können wir da was machen?" fragte sie.
„Ich rufe heute gleich unseren Anwalt an!" versprach er.
Und in diesem Moment wusste Philip, warum er seine Eltern so liebte!
Sie fackelten nicht lange, sie halfen!
Seine Mutter hatte das schon hundertfach getan, hatte sich bei Ungerechtigkeiten einfach eingemischt!
Ihr Vater hatte die Kohle und die Anwälte beigesteuert, hatte nie ihren Weg angezweifelt.
Was sie für richtig gefunden hatte, war es auch.
Fabienne sah ungläubig von einem zum anderen. „Was wollen Sie tun?" fragte sie.
„Wir werden sehen! Wir haben so unsere Beziehungen, wir haben gute Anwälte und wir haben Geld! Das sollte reichen, um den Jungen da rauszuholen! Auch aus seinem Umfeld!" Für Ruth war die Sache glasklar und schon halb erledigt.
Sie strich dem Mädchen, dessen Schönheit sie jetzt bemerkte, da der Argwohn weggewischt war, übers Haar. „Komm her, Kleine! Lass dich in die Arme nehmen! Ich bin Ruth, das ist Markus! Wir sind der Meinung, unser Junge hat sich zurecht in dich verliebt!"
Fabienne lachte unter Tränen, Philip nahm Mutter und Freundin in die Arme, heulte und lachte ein wenig mit.
Sein Vater stand verlegen auf, beschloss, lieber frischen Kaffee zu kochen! Nicht, dass er auch noch zu heulen begann!
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