Kapitel 23

Philip lag in der riesigen Gästesuite, die die Ausmaße seiner nicht gerade kleinen Wohnung hatte, im Bett.
Was er heute alles erlebt und gehört hatte, passte eigentlich gar nicht in einen einzigen Tag.
Er hatte Antworten bekommen, und er war nicht sicher, ob er alle hatte hören wollen.

Wenn er sich vorstellte, was sie in diesen Jahren hatte aushalten müssen, würde er Felix am liebsten umbringen.

Wenn er aber dann die Liebe in den Augen des anderen sah, konnte er keinen Groll mehr ihm gegenüber empfinden.
Jeder verdient eine zweite Chance! hatte seine Mutter ihm immer gepredigt.
Seine Mutter! Er hätte sie anrufen sollen! Sagen, dass er wegfahren würde!
Morgen! Mit dankbaren Gedanken an seine Familie schlief er endlich ein.

Julio verabschiedete sich von Marcel, der Nachtschicht hatte. Aber die Dienste waren ja eigentlich nicht mehr anstrengend.
Es musste niemand mehr rund um die Uhr bewacht werden, um den Zorn des Chefs nicht auf sich zu ziehen.
Es musste niemand mehr mitten in der Nacht zu ihm, weil er jemanden zu Abreagieren brauchte.

Es musste niemand mehr mitten in der Nacht eine schöne junge Frau ins Krankenhaus bringen, weil sie ein falsches Wort gesagt hatte, den Chef falsch angesehen hatte, ein Glas umgeworfen hatte oder was sonst ausgereicht hatte, um ihn gewalttätig werden zu lassen.

Marcel war erst nach dem Unfall zu ihnen gekommen, verstand noch weniger als die anderen, warum die Frau bei dem Monster blieb.
Julio hatte ihm immer wieder von der Liebesgeschichte der beiden erzählt, doch er hatte das ein wenig für ein Märchen gehalten.
Doch seit heute glaubte er jedes Wort. Die Liebe hatte man beinahe fassen können! dachte der romantische junge Mann.

Er drehte seine Runde ums Haus, sprach ein paar Worte mit dem Wachmann am Tor. „Achte vor allem auf Ben!" wies er ihn an. „Ich traue dem Typen nicht!"

Zurück im Haus schaltete er die Alarmanlage an und setzte sich in den Überwachungsraum. Die Kameras im Haus waren seit ein paar Tagen aus, es gab nur noch die fünf Bildschirme von den Außenkameras zu beobachten.

Felix hielt sein Mädchen im Arm. Heute hatte er zwei Runden geschafft, Philip sei Dank.
Philip! Nur eine Sekunde lang war der Gedanke in ihm aufgeblitzt, dass der junge Mann sie da berührt hatte, wo nur er sie berühren sollte.
Aber schnell verbat er sich das. Nie wäre sie ins Bett eines anderen Mannes gegangen, wenn er sie nicht dazu gezwungen hätte!

Dann tauchte der Ausspruch Philips wieder in seinem Kopf auf: „Alter Mann!" Er wusste, dass er ihn nicht hatte verletzen wollen, aber es zwickte doch. Er ging schließlich auf die 50 zu!
Und er wollte Kinder!

„Süße? Schläfst du schon?" fragte er leise.

„Nein!" Sie drehte sich zu ihm um, er fühlte, dass sie lächelte.
Da nahm er seinen ganzen Mut zusammen. Er wusste, es war eigentlich noch zu früh - er hatte sie erst seit ein paar Tagen zurückbekommen.
Aber, andererseits waren sie sich so nah, wie sie es damals gewesen waren. Früher!

„Könntest du.... könntest du dir vorstellen, ein Kind mit mir zu haben? Ein Baby zu machen?"

Sie lachte leise. „Wir sind doch mittendrin!"
Er stützte sich auf einen Arm, machte die Nachttischlampe an, um sie ansehen zu können.
„Du meinst..... du meinst vom Zyklus her......?"

„Ist es sehr gefährlich!" vollendete sie seinen Satz.
Er riss sie in seine Arme. Damals hatte er immer genau gewusst, wann sie ihre Tage haben würde. Er wollte sie nicht in Verlegenheit bringen, hatte auch alle Unternehmungen außerhalb ihrer Periode geplant. Es sollte ihr immer gut gehen, sie sollte sich immer wohlfühlen!

Deshalb hatte er auch gewusst, dass ihr 19. Geburtstag perfekt gewesen wäre, ein Kind zu zeugen.

Jetzt zog er sie auf sich. Es fiel ihm leichter, wenn sie ihn ritt, und er wusste, dass sie das sehr mochte, unter anderem!
Seine Hände glitten an ihrem wunderschönen Körper hinab, umschlossen ihren Po, hoben sie auf seine Erektion.

„Dann lass uns mal mutig sein und der Gefahr ins Augen sehen!" flüsterte er. „Vielleicht machen wir eine kleine Vanderberg oder einen kleinen Vanderberg!"

„Wenn es sein muss!" stöhnte sie, und er war sicher, dass dieser Laut der Lust geschuldet war.

Beim Frühstück traf sich ein gut ausgeschlafener Philip mit einem übernächtigten Liebespaar. Julio versuchte sich als Koch, die Eier gelangen leidlich.
Der Gast grinste das Paar an. „Schlecht geschlafen?" fragte er süffisant.
„Aber gut geliebt!" antwortete Annika.

„Da hat meine fachliche Kompetenz wohl nicht nur deine Beine auf Trab gebracht!" zog er ihren Mann auf.

Der sah ihn gespielt entrüstet an, warf seine Serviette nach ihm. „Frech ist der Kerl!"

Alle ließen es sich schmecken, Julio setzte sich auf einen Kaffee zu ihnen. Dann musste er dringend Marcel ablösen.
„Soll ich was mit einer neuen Haushälterin unternehmen?" fragte er den Freund.
„Ja! Unbedingt!" stimmte Felix ihm zu. „Aber prüfe sie auf Herz und Nieren!"
Julio verdrehte die Augen. „Na, wenn du mir das jetzt nicht gesagt hättest, hätte ich gleich die Erstbeste genommen." Er machte sich davon.
„So!" Philip klatschte in die Hände. „Trainingssachen anziehen! An die Arbeit!"

Felix verzog das Gesicht. „Sklaventreiber!" schimpfte er.
Philip grinste. „Es macht mir einen riesengroßen Spaß, ihren Mann zu quälen!" sagte er anzüglich mit einem Blick auf Annika. „Denk an die Nächte und huldige mir!"

Lachend rollte Felix zum Umziehen. Heute war er noch ein wenig wacklig auf den Beinen.
Der Typ ist echt gut drauf! dachte er vollkommen wertfrei.
Irgendwie war das Schicksal schon schräg unterwegs gewesen!
Sie hätte ja auch irgendeinen Idioten an Land ziehen können!

Sein Hals wurde wieder etwas eng.
Nein! ermahnte er sich selbst.
Du. Wirst. Nicht. Darüber. Nachdenken!
Nie!
Das. Ist. Deine. Buße.

Und es war eine sehr milde Buße für seine Sünden, das wusste er genau.

Er zog aus irgendwelchen Tiefen seines Schrankes etwas hervor, was sicher einmal Trainingsklamotten gewesen waren.
Die Hose schlotterte um seine Beine, das Oberteil verschluckte ihn fast. Er drückte die Sprechtaste.
„Julio? Besorge mir bitte ein paar Garnituren Sportklamotten!" bat er.
„Wird erledigt, Chef!" kam als Antwort aus dem Lautsprecher.

Felix dachte wieder an die Zeit, als er mit Annika gejoggt war. Sie hatte ihn regelmäßig abgehängt, der leichte Floh, halb so alt wie er!

Dafür hatte er sie beim Schwimmen besiegt!

Beim Radfahren waren sie durchaus ebenbürtig.
Mein Gott! Hatten sie Spaß zusammen gehabt!
Ob beim Sport, beim Shoppen, auf Bällen! Sie hatten so viel gelacht zusammen!
Und dann waren nur noch Tränen übrig geblieben

Er schüttelte die schlimmen Erinnerungen ab und machte sich auf den Weg. Sicherheitshalber blieb er im Rolli, er wusste nicht, wie belastbar er nach dem Training war.
Eine Stunde später ahnte er es.
Philip wusste wirklich, was zu tun war. Zuerst legte er ihn auf die Massageliege, drückte und knetete an seinem Rücken herum. Es kribbelte in seinen Beinen, als wären Ameisenarmeen unterwegs auf ihnen.

Manchmal johlte er vor Schmerzen auf. Aber er fühlte die Wirkung der Griffe direkt.

Dann kommandierte Philip ihn aufs Rad. Anfangs waren die Bewegungen etwas unkoordiniert, aber schnell fand er den richtigen Rhythmus.
„Warum hast du deinen Körper eigentlich so vernachlässigt?" fragte sein Wärter nach einer Weile.
„Ich wollte ihn nicht mehr!" gestand er offen. „Ich wollte mich nicht mehr! Ich wollte dieses Leben nicht mehr!"

„Okay!" antwortete Philip. Er maßte sich kein Urteil an. Er war noch nie in einer ähnlichen Situation gewesen, wusste nicht, wie er reagieren würde.

Danach ging es aufs Laufband, bis der Schweiß in Strömen floss.
Als Felix glaubte, kurz vor dem absoluten Zusammenbruch zu stehen, ging es erst richtig los: An den Gewichten! Er hatte es immer geliebt, seinen Körper hier zu stählen, war stolz darauf, kein Gramm Fett angesetzt zu haben, vor allem, nachdem er Annika kennengelernt hatte.
Da musste er noch fitter sein als früher!

Aber heute war es eine entsetzliche Quälerei - jede Muskelfaser in ihm schmerzte.
Nach einer Stunde schickte ihn Philip ins Schwimmbad, danach in die Sauna.
„Aber ich lasse Julio die Kameras einschalten!" scherzte Felix, obwohl er unterhalb des Zahnfleisches daherkam. „Nicht, dass du mich fertig machst, in der Sauna parkst und mein Mädchen anbaggerst!"

Philip grinste nur.
Nach der Schwitzkur fühlte sich Felix seltsamer Weise wie neugeboren. Er hätte Bäume ausreißen können. Seine Beine trugen ihn so gut, dass er den Rollstuhl vergaß.
Wow! Der Junge würde ein fantastischer Arzt werden!

Er flog unter die Dusche, flog in die Arme seiner Süßen.

Philip hatte das Haus auf der Suche nach einer Apotheke verlassen. Als er zurückkam, hatte er zwei Salben dabei.

„Diese hier musst du direkt nach dem Sportprogramm und der Sauna auftragen, wenn die Haut gut durchblutet ist!" wies er Annika an. „Und klotze ruhig, die Fläche ist ja nicht klein! Ich habe genug für ein paar Wochen besorgt, dann kriegst du sie ohne Rezept. Die zweite ist für die Nacht. Sie muss kräftig einmassiert werden, das kannst du gleich als Vorspiel ansehen!" zog er sie auf.

„Dann sollte er noch einmal in der Woche zu einem Chiropraktiker gehen, der die großflächigsten Stellen dehnt, vor allem, wenn er jetzt wieder Muskeln aufbaut. Ich meine, du könntest das auch lernen, aber lieber wäre es mir, es würde ein Fachmann übernehmen. Oder, wäre dir eine Fachfrau lieber?" Er blinzelte Felix verschwörerisch zu.
Die Professionalität Philips machte beide sprachlos. Wieder dachte Felix daran, wie das Schicksal doch so spielte.
Manchmal war es eine verdammt Hure, manchmal eine streichelnde Geliebte!

Nach einem Mittagimbiss, als Felix sich gerade auf dem Sofa entspannen wollte, trommelte Philip zur zweiten Runde. „Los! Auf! Du hast nur einen Körper! Mach ihn wieder zu deinem!"
„Warst du in einem früheren Leben ein Sklaventreiber?" fragte Felix.
„Sklaventreiber! Diktator! Triathlon-Trainer! Masochist! Ehemann-Mörder! Ich hatte schon viele Leben!" konterte Philip.

Felix musste sich wieder über die Schlagfertigkeit des jungen Mannes wundern. Fuck! dachte er. Die beiden hätten wirklich zusammengepasst!
Aber. Sie. Gehörte. Ihm!

Als er sich auf dem Fahrrad abstrampelte, musste er Philip eine Frage stellen. „Warum bist du eigentlich noch nicht in festen Händen?"

Der sah ihn lächelnd an. „Weil es keine zwei Annikas auf dieser Welt gibt, ganz einfach! Ich habe mich all die Jahre mit Händen und Füßen und erfolgreich gegen eine Beziehung gewehrt. Und die erste Frau, mit der ich mir eine hätte vorstellen können, ist deine!"

Felix schwieg eine Weile. Dann schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf.
„Ich möchte mein Eheversprechen mit Annika erneuern. Das erste habe ich ja ordentlich in den Sand gesetzt! Würdest du uns die Ehre erweisen und unser Trauzeuge sein?"

Jetzt musste Philip doch lachen. „Um der Ironie des Schicksals noch eins draufzusetzen? Ich führe die einzige Frau, die ich je für länger wollte, ihrem Ehemann zu? Ja, Klar! Warum nicht!"

Felix schluckte schwer an diesen Worten. „Schau, ich musste 40 werden, bis ich sie gefunden habe! Du hast noch ein paar Jahre!" sagte er schließlich.
Philip grinste. „Also, du meinst, noch 15 Jahre Jagd auf freier Wildbahn, und dann: Wow? Auch nicht schlecht!"

Dann sah er Felix offen in die Augen.
„Es ist gut, wie es gekommen ist, Felix! Ich weiß nicht, wie lange ich gut für sie gewesen wäre. Eine Woche, ein Jahr, ein Leben lang? Vielleicht hätte ich ihr weh getan, mehr als du. Weil ich vielleicht aufgehört hätte, sie zu lieben. Etwas, das du nie getan hast. Ich hätte sie nicht verletzt wie du, aber hätte ich sie auch so lieben können wie du? Ich war hin und weg von ihr, das ist klar, aber wäre Liebe daraus geworden? Sie hat gefühlt, dass es das Risiko nicht wert war, es mit mir zu versuchen. Sie hat genau gewusst, dass sie die Liebe schon gefunden hatte."

Er war überrascht von seinen eigenen Worten, aber er wusste, dass sie wahr waren. Er war verrückt nach diesem Mädchen gewesen, die Nacht war berauschend gewesen, aber hätte die Nacht für ein Leben lang gereicht?
Es hatte ihn fertig gemacht, als sie verschwunden war, aber konnte er deshalb von Liebe sprechen?
Liebe, wie die beiden sie hatten?

Er hatte Antworten gesucht, hatte verstehen wollen! Und seit er verstanden hatte, war es eigentlich gut. Sein Herz hatte sie frei gegeben, zu hundert Prozent!
Sie würde nie zu ihm gehören, und es war gut so.

Oder?
Aber sie gehörte zu einem Mann, der sie liebte, wie sie es verdiente.
Zu einem Mann, der ihm ein Freund geworden war, innerhalb weniger Stunden.

„Ja! Ich wäre sehr geehrt, euer Trauzeuge zu sein!" sagte er aus seinen Gedanken heraus. „Aber nur, wenn du in 15 Jahren meiner wirst!"

Felix schlug ihn ab. „Versprochen!" antwortete er.


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