Tag 3

Tag 3

Es war spektakulär mit anzusehen, wie viel Arbeit hinter kleinen Szenen steckte. Allein die Vorbereitungen waren von einem Ausmaß, wie ich es nicht einmal in Youtube Videos gesehen hatte. Nachdem mein Roman ein Fantasy-Buch war, gab es dementsprechend jede Menge Greenscreen. Auch ein kleiner Kran war vor Ort. Er ließ sich schnell und einfach auf und abbauen.
Als wir dann endlich die ersten Szenen drehten, konnte ich kaum fassen, was ich da gerade tat. Ich hatte Spaß und durch den Heimvorteil fühlte ich mich keineswegs unwohl. Es lag aber teilweise daran, dass die Crew und die Schauspieler sehr nett waren. Tom hatte mir einen Tee gebracht, kaum dass ich die Hütte verlassen hatte.
Wie wir die Spezialeffekte drehten, fand ich etwas gewöhnungsbedürftig. So musste ich teilweise mit grünen Kissen sprechen, wenn mystische Wesen anwesend waren. Zu Anfang hatte ich kaum gemeinsame Treffen mit Tom. Lediglich kurze Aufeinandertreffen der Charaktere. Gegen 19 Uhr hatten wir Feierabend und die ersten Szenen erfolgreich im Kasten.
„Keinen Hunger?", fragte Henrik mit vollem Mund, woraufhin ich den Kopf schüttelte.
„Nervöser Magen", erklärte ich seufzend, während ich mein Skript durchsah.
„Nervös vor gewissen Szenen?", fragte Henrik grinsend, nachdem er geschluckt hatte.
Ich schnaubte, nickte aber. „Immerhin kommt ... eine Sexszene vor", raunte ich leise.
„Ist richtig. Ich wollte schon lange wissen, wie so etwas gedreht wird", sagte Henrik aufgeregt. Er brachte mich damit zum Lachen.
„Aber ich nicht", entgegnete ich brummend.
„Na los. Geh hin zu ihm und frag ihn um Rat!", meinte er und schubste mich in die Richtung von Tom, welcher etwas abseits mit zwei aus der Crew lachte.
„Spinnst du?!", zischte ich.
„Was ist denn schon dabei?", fragte Henrik gespielt unschuldig. „Du sagtest doch, er wäre nicht dein Typ. Also gibt es nichts, weswegen du verlegen sein solltest."
Ich seufzte lautstark, gab mich aber geschlagen. „Fein.", brummte ich, nahm mir ein Rosenwasser in der Flasche und ging auf Tom zu. Warum raste mein Herz wie verrückt?
„Hey. Stör ich?", fragte ich. Tom schüttelte ohne zu zögern den Kopf und lächelte mich charmant an.
„Alles in Ordnung?", fragte er. Sein Blick war hilfsbereit, offenherzig und freundlich, wodurch mein Herz beinahe schmolz.
„Naja, es gibt da ein paar Szenen, bei denen ich deine Hilfe gebrauchen könnte, wenn es okay ist.", antwortete ich heißer.
„Wir wollten eh los. Bis dann", meldete sich einer der zwei von der Crew, bevor die beiden uns verließen.
„Also?", fragte Tom. „Um welche Szenen geht es?"
Henrik hatte Recht. Warum sollte ich mich schämen? Er war nicht mein Typ. Ich räusperte mich und zeigte ihm die Sexszene im Skript. „Wie wird so etwas, naja, vorgetäuscht? In den Filmen sieht es ja meistens extrem echt aus."
Tom war kurz verdutzt, schmunzelte dann aber wieder und sah mir in die Augen. Seine Iris war blauer als jeder Ozean und Himmel, den ich je gesehen hatte.
„Ich bin froh, dass du einfach fragst. So etwas ist mir zu Anfang ebenfalls schwer gefallen", sagte er und deutete mir fragend, mit ihm ein Stück zu gehen. Natürlich nahm ich das Angebot an und spazierte neben ihm her. Es war nichts dabei.
„Du kannst darüber allerdings mit Rick, dem Regisseur sprechen", versicherte er mir. „Vielen Schauspielerinnen ist es egal, wie viel man von ihnen sieht. Mach es so, wie es für dich am angenehmsten ist. Es heißt ja, Frauen können es besser vortäuschen als Männer." Den letzten Satz fügte er scherzend hinzu, woraufhin wir beide lachten.
„Kann ich bestätigen", seufzte ich. „Meine Ex Freunde waren ziemlich egoistisch. Ich bin in meinem Leben noch nie durch Sex gekommen, geschweige denn, dass ich Spaß dabei gehabt hätte."
Tom blieb abrupt stehen und sah mich nahezu entgeistert an. „Wirklich?", fragte er ungläubig. Ich blieb ebenfalls stehen und nickte, ohne ihn dabei anzusehen.
„Wirklich...", bestätigte ich und ließ meinen Blick über die Landschaft wandern.
„Ich verstehe es nicht", brummte er kopfschüttelnd. „Man kann Frauen doch nicht wie ein Stück Fleisch behandeln. Stattdessen sollte man seine Frau wie eine Königin auf Händen tragen."
Ich sah ihn mit einem flüchtigen Lächeln an, das Traurigkeit mit sich zog. „Ich wünschte, es wären mehr wie du.", seufzte ich und nahm anschließend einen Schluck von meinem Wasser. Tom lachte leise auf - den Blick auf seine Schuhe gerichtet. Dabei berührte seine Zungenspitze für den Bruchteil einer Sekunde seine Oberlippe. „Ich habe auch etliche Fehler, glaub mir", entgegnete er.
„Die hat doch jeder...", sagte ich. „Ohne Fehler wären wir zu perfekt und perfekt ist scheisse."
Sein sanftes Lachen drang in meine Ohren. Wohl wegen meiner Ausdrucksweise. Wir setzten uns kurzerhand auf einen Felsen und starrten auf die hohen Berge.
„Erzählst du mir von deinen Fehlern?", fragte er nach einiger Zeit. Seine Frage überraschte mich, wodurch ich im ersten Moment perplex innehielt. Ich gab mir einen Ruck und erzählte ihm von meinen Panikattacken und Depressionen. „Meine Eltern konnten nie so wirklich für mich da sein, wie ich es gebraucht hätte. Mein Dad ist im Umgang mit Emotionen nicht sehr vertraut, und meine Mom... Sie ist eigen. Naja. Aber ich hatte Henrik. Wir zogen in die Fischerhütte von seinem Großvater und haben uns unser Leben so gestaltet, wie wir es uns erträumt haben.", erzählte ich. „Ich hab allen anderen stets etwas vor gemacht. Bis heute. Ich trage nahezu immer eine Maske. Henrik meinte, genau deswegen würde ich die Sache hier hinbekommen und er schien ja Recht zu behalten."
Tom schwieg eine ganze Weile. Eine Weile, in welcher wir einfach da saßen und die traumhaft schöne Landschaft bewunderten.
„Ich weiß, wie das ist", raunte er plötzlich. „Millionen von Augen sind auf dich gerichtet. Was du sagst, was du anziehst, tust, isst, egal was. Man liebt seine Fans, aber man fühlt sich zeitgleich wie eine leere Hülle."
Ich hatte gespürt, dass wir auf dieser Ebene den jeweils anderen verstehen konnten. Es war natürlich dennoch nicht angenehm, es zu hören. Ich konnte seinen Schmerz zu gut nachvollziehen und das machte mir zu schaffen.
„Lass uns gemeinsam durch dieses Loch", sagte ich, ohne darüber nachzudenken. Dabei sah ich ihm mit einem warmen Lächeln in die Augen. „So wie Henrik mir die Hand gereicht hat, biete ich sie dir nun an. Keiner von uns sollte da allein durch."
Tom sah mich zunächst konfus an, dann umspielte ein leichtes Lächeln seine Lippen. „Okay. Lass uns das von jetzt an machen", meinte er.
Ich holte instinktiv mein Handy raus, öffnete Snapchat, suchte einen doofen Filter raus, lehnte mich an ihn ran und schoss ein dummes Foto von uns beiden, was uns gleichermaßen zum Lachen brachte. Im nächsten Augenblick nahm er sein Handy zur Hand und wir tauschten Nummern aus. Ich schickte ihm das Bild auf seinen Wunsch hin und wir machten noch ein normales, das so süß aussah, dass ich es am liebsten als Hintergrund eingestellt hätte.
Von der Sonne fehlte längst jede Spur. Stattdessen erhellten Nordlichter die Erde, während wir einfach da saßen und rumalberten wie Kinder. Als er hörte, dass mich nie ein Mann zum Tanz aufgefordert hatte, stand er auf, zog mich hoch und fing an, mit mir einen Walzer zu tanzen. Ich lachte so viel, wie sonst nur bei Henrik, während wir über das Gras tanzten und er einen Walzer vor sich hin summte.
„Können wir die längeren Szenen noch einmal Proben, bevor wir sie drehen?", fragte ich Tom auf dem Rückweg.
„Natürlich.", sagte er. „Wenn alles nach Plan läuft, dann sollten die ersten längeren Szenen mit uns beiden übermorgen dran kommen. Wir können sie gerne morgen Abend proben, wenn du möchtest."
Ich bedankte mich bei ihm und als würden wir uns seit Jahren kennen, umarmten wir uns zum Abschied, bevor jeder in seine Hütte ging. Henrik wartete bereits mit einer heißen Schokolade vor dem Kamin auf mich und grinste mich breit an.
„Naaaa?", fragte er mit seiner Singstimme. Ich zog mich lachend um und setzte mich dann zu ihm auf den Boden, wo ich mir eine Decke um die Schultern warf und ihm erzählte, was passiert war.
„Das ist sowas von Hollywood reif", kicherte er. „Hat es geknistert? Habt ihr euch geküsst?", wollte er sofort wissen.
„Nein. Wir sind Freunde geworden", entgegnete ich sofort. Henrik brummte sichtlich unzufrieden. „Freunde. Naja, immerhin etwas", seufzte er, was ich mit einem Augenrollen erwiderte. Immerhin war da nichts zwischen mir und Tom. Zugegeben mit schwarzen Haaren sah er sehr attraktiv aus. Aber was sollte er von jemanden wie mir wollen?
„Ich bin einfach froh, endlich das ganze Make Up und Kostüm los zu sein", wechselte ich das Thema.
„Ihr habt richtig heiß ausgesehen", entgegnete Henrik und fächerte sich theatralisch Luft zu. „Tom mit seinen roten, langen Haaren. Die Frisur. Wie sie Strähnchen geflochten haben. Er sollte die Extensions definitiv behalten, oder sich die Haare genauso lang wachsen lassen. Schreib am Besten einen historischen, skandinavischen Roman. Dazu passen solche Haare perfekt!"
Ich musste lauthals lachen bei seiner Schwärmerei. „Ich dachte, du hättest nur Augen für einen hier am Set", entgegnete ich keck. Henrik grinste wieder wie ein Schuljunge und fing sofort an über den Mann seiner Begierde zu schwärmen. Es freute mich, ihn so zu sehen. Ich selbst war ewig nicht mehr verliebt gewesen. Zugegeben hatte ich Angst davor. Nach allem, was mir widerfahren war, mied ich Männer, wo es ging. Generell Menschen. Man konnte sich heutzutage auf niemanden verlassen. Obwohl Henrik stets bei mir geblieben war. Wir hatten uns sogar einst das Versprechen gegeben, falls wir niemanden finden sollten, dass wir einfach heiraten würden. Ich war mehr als froh, ihn meinen besten Freund nennen zu dürfen. Jeder sollte jemanden wie ihn an seiner Seite wissen.

Henrik schlief tief und fest neben mir, nur ich lag wach, starrte aus dem Fenster, durch das man die wundervolle Landschaft und die Aurora betrachten konnte, und dachte nach. Wieso fühlte ich mich einsamer als sonst? Weil Henrik verliebt war? Hatte ich Angst, ihn zu verlieren und allein zu enden? Ich fand keine Antwort. Mein Nachdenken wurde durch das Aufleuchten meines Handybildschirmes unterbrochen.

Noch wach? Es war Tom.
So schnell wie in diesem Moment, hatte ich noch nie zum Handy gegriffen. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen tippte ich eifrig meine Antwort, wobei meine langen, spitzen Fingernägel - die nebenbei bemerkt, echt waren - gegen den Bildschirm klackerten.
Yep. Kannst du auch nicht schlafen? Es war nach Mitternacht.
Doch. Ich schreibe im Schlaf ;) Ein leises Lachen kam mir über die Lippen.
Unser Gespräch hat mich zum Nachdenken gebracht.
Im ersten Moment wusste ich nicht, was ich darauf erwidern sollte. Also tippte ich: Wieso denn das?
Seine Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Ich habe lange nicht mehr auf diese Art mit jemanden gesprochen. Nur mit wenigen kann man reden wie wir heute. Es ist ein gutes Gefühl, dass du diesbezüglich anders bist.
Bevor ich etwas schreiben konnte, kam eine weitere Nachricht hinterher. Du bist durch und durch anders als die anderen.
Meine Reaktion war: Ich sagte doch, Standard ist nicht bei mir ;) Normal ist doch langweilig.
Da hast du Recht :), stimmte er zu.
Nachdem ein paar Minuten vergangen waren, schrieb ich: Wir sollten schlafen gehen...
Sollten wir...
Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass keiner von uns schlafen wollte. Nichtsdestotrotz hatten wir Arbeit vor uns. Schauspielerei war kein Kinderspiel. Das wusste ich jetzt. Immerhin hatten wir am Abend Privatstunden vereinbart... Mal sehen, was auf mich zukommen würde.

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