Tag 2

Tag 2

Am darauffolgenden Tag besprachen wir die letzten Details und trafen alle notwendigen Vorbereitungen. Wir hatten alles schneller durch, als gedacht. Gegen 13 Uhr gab es Lunch und anschließend wurden wir eingeteilt die Skripten durchzugehen. Da mein Charakter hauptsächlich mit dem Antagonisten oder ihrem besten Freund Gespräche führte, gab es nur die entsprechenden Skripten zu proben. Ich musste zugeben, dass der Schauspieler, den Henrik für den besten Freund ausgesucht hatte, perfekt passte. Er war Henrik teils so ähnlich, dass es beinahe beängstigend war. Natürlich hatte Henrik mir ein ideales Vorbild gegeben, als ich damals den Roman geschrieben hatte.
Henrik sah uns beim Proben zu, wobei mir nicht entging, wie er den Schauspieler anhimmelte. Ich musste mich geradewegs zusammenreißen, da ich immer wieder von ihm abgelenkt wurde. Gegen späten Nachmittag kamen dann die Szenen mit dem Antagonisten an die Reihe. Das hieß, die Szenen mit Tom. Warum fing mein Herz nur plötzlich an zu flattern?
Komm schon, Liv. Du kannst das. Solche Sätze sagte ich mir immer und immer wieder. Henriks amüsierte Blicke machten die Situation jedoch nicht gerade einfacher. Er merkte schnell, dass er mich ablenkte und hatte kein Problem damit sich wieder seinem neuen Schwarm und dessen Liebhaber zu widmen. Die neu gewonnene Privatsphäre tat gut und ich wurde etwas lockerer.
„Wie kannst du nur diese erbärmlichen Kreaturen beschützen?", zischte Tom, alias eine männliche attraktive Sphinx.
„Die Menschen sind vielleicht dämlich und arrogant", erwiderte ich, wobei ich einmal kurz auf mein Skript schielen musste. Weniger wegen des Texts, mehr wegen Toms Augen. „Aber nicht alle von ihnen sind schlecht."
„Du törichtes Ding", knurrte Tom, wobei sich unsere Blicke für einen Moment trafen. Auch er spitzelte hin und wieder auf sein Manuskript. „Das Zeitalter der Menschen ward schon lange gewesen! Du kannst diesen Krieg nicht aufhalten!"
So ging es weiter, bis der Regisseur uns eine Pause genehmigte. Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen und es wurden Getränke verteilt. Tom und ich setzten uns auf einen Baumstamm etwas abseits. Die Schauspieler und Crew hatten sich in kleine Gruppen aufgeteilt. Henrik entdeckte ich etwas weiter weg bei seinem Schwarm und zwei anderen, was mich schmunzeln ließ.
„Du schlägst dich gut", hörte ich mit einem Mal Tom neben mir, weswegen ich kaum merklich zusammenzuckte. „Jeder wird denken, du seist bereits seit Jahren erfolgreiche Schauspielerin."
Sein Kompliment ließ mich etwas erröten und leise auflachen. „Ich möchte lieber erfolgreiche Schriftstellerin bleiben", entgegnete ich. „Aber zugegeben es ist aufregend, auch, wenn ich mit diesem Hollywood-Kram nicht viel anfangen kann."
„Zumindest bist du eine Erfahrung reicher", sagte er mit einem charmanten Lächeln, bevor er einen Schluck von seinem Wasser nahm. „Und ich glaube, du wirst dich besser schlagen als die meisten Hollywoodschauspieler."
Schon wieder. Meine Wangen brannten förmlich. Nervös drehte ich die Flasche Eistee in meinen Händen gegen den Uhrzeigersinn. Mir war nie kalt, weswegen mir das kalte Getränk nichts ausmachte. Ich liebte die Kälte.
„Erzählst du mir etwas über dich?", fragte er plötzlich, was mich einen Moment lang irritierte. „Wenn man gemeinsam einen Film dreht, hilft es sehr, sich ein wenig kennenzulernen, um dem unangenehmen Gefühl einen Strich durch die Rechnung zu machen. Bislang weiß ich nur, dass du eine großartige Autorin bist."
Ich lachte wieder verlegen. „Wenn du so weiter machst, grabe ich mir noch vor Verlegenheit ein Loch in die Erde", warnte ich ihn amüsiert, was ihn wiederum zum Lachen brachte. Verdammt. Er war noch süßer und charmanter, wenn er so lachte und ich konnte sehen, dass es aufrichtig war. Kleine Fältchen zeichneten sich an den Rändern seiner Augen ab. Immerzu, wenn ich Bilder im Internet von ihm gesehen hatte, kam es mir so vor, als wäre sein Lachen nur aufgesetzt gewesen, aber wahrscheinlich waren nur die Bildbearbeitungsprogramme und so weiter Schuld.
„Was willst du denn wissen?", fragte ich schließlich und sah wieder nach vorne. Etliche grüne Weite erstreckte sich im Fjord vor uns. Es war einfach zu schön. Noch dazu schlich sich Nebel durch die Baumkronen und Täler und leichter Nieselregen prasselte auf meine viel zu heiße Haut nieder.
„Wie wäre es mit den Standardsachen wie, wo du herkommst, was dich zum Schreiben bewegt hat, ob du verheiratet bist, Kinder hast, so etwas eben.", schlug er vor.
„Standard ist bei mir nicht wirklich", entgegnete ich grinsend und zwinkerte ihm zu. So langsam wurde ich lockerer. Ich wusste gar nicht mehr, was mein Problem gewesen war. „Also ich komme aus einem kleinen Fischerdorf hier in Norwegen", fing ich an, seine Fragen zu beantworten. „Geschichten erfinden konnte ich von klein auf. Ich nutzte es oft, um aus der kalten und harten Realität zu flüchten. Wenn ich mich in meinen Geschichten verlor, dann konnte ich abschalten. In jedem meiner Charaktere steckt ein Teil von mir selbst. Ich kann sein wer und was auch immer ich möchte. Verheiratet bin ich nicht und Kinder habe ich, um Odins Willen, auch keine. Ich kann mit Kindern nicht umgehen und lernte bislang nur Arschloch-Männer kennen, die sich genommen haben, was sie wollten und sich dann verpisst haben. Zudem bin ich 25, im Kopf aber tausende Jahre alt und stehe dementsprechend auch auf ältere Männer. Aber ich bin glücklich. Ich lebe mit Henrik, meinem besten Freund zusammen und wir beide können das machen, was wir lieben."
Nach meiner Erzählung trank ich erstmal einen großen Schluck. So hatte ich lange mit keinem mehr gesprochen. Bislang hatte es immer nur Henrik und mich gegeben und das war völlig okay so. Wir konnten uns immer aufeinander verlassen. Er war mehr Bruder für mich als nur ein simpler Freund. Er war meine Familie.
„Es tut mir leid, dass du keine guten Erfahrungen mit Männern gemacht hast", antwortete Tom schließlich. Er sah kurz auf den Boden zwischen seinen Schuhen, was ihn fast schon schüchtern wirken ließ. „Aber ich bin froh, dass du deinen Traum leben kannst und einen guten Freund an deiner Seite weißt.", fügte er dann mit einem flüchtigen Lächeln auf den Lippen hinzu. Noch ehe ich etwas darauf erwidern, geschweige denn eine Reaktion zeigen konnte, kam vom Regisseur das Zeichen, dass es weiterging. Somit stellten wir unsere Getränke beiseite und nahmen unsere Skripten wieder zur Hand.
„Oh, gut. Die nächste Szene wäre ohnehin im Sitzen. Wir müssen also nicht einmal aufstehen", merkte Tom amüsiert an. Abermals brachte mich sein Lachen, welches eine Reihe weißer Zähne zum Vorschein brachte, aus dem Konzept. Ich räusperte mich verlegen. Ein Blick auf das Papier in meinen Händen zeigte mir, dass es sich um eine der nicht neutralen Szenen handelte.
Es war die erste Kussszene.
//Was ist denn bloß los mit dir?//, dachte ich. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich hatte Angst, er könne es womöglich hören. Er hingegen war ein professioneller Schauspieler, weswegen er sich einmal tief räusperte und dann voll und ganz in seine Rolle sank. Zunächst überflogen seine Augen die nächsten Zeilen, dann sah er mir direkt in die Augen und vor mir saß nicht mehr Tom, der charmante Schauspieler, sondern Sphinx, der unwiderstehliche Bösewicht, den ich erschaffen hatte. Hinzu kamen die Blicke des Regisseurs. Natürlich beobachtete er mich mehr als alle anderen. Immerhin war ich keine professionelle Schauspielerin. Bislang hatte er allerdings lediglich zwei Mal Kritik geäußert.
„Ich will mich nicht länger mit dir bekriegen", raunte Tom mit tiefer Stimme. „Dieser Krieg betrifft uns alle und obwohl ich mich nicht um die Menschen schere ... so bist du mir nicht gänzlich egal."
Auf meinem Körper breitete sich starke Gänsehaut aus, welche man zum Glück dank meines Wollkragenpullovers nicht sehen konnte. Da ich dem Druck des Regisseurs ausgesetzt war, riss ich mich so sehr zusammen, wie es mir nur irgend möglich war.
„Nachdem du mir das Leben gerettet hast und wir jetzt quitt sind", sprach er weiter, wobei seine Augen sinnlich jeden Zentimeter meines Gesichts musterten. „Nehme ich an, dass ich dir ebenfalls nicht egal bin."
//Reiß dich zusammen!//
„Das mag stimmen. Aber wie du selbst unschwer verkennen konntest, habe ich auch Menschen gerettet.", entgegnete ich als mein provokanter und sturer Charakter, dem ein Teil von mir innewohnte. Tom sprang auf und drehte sich zuerst zischend von mir weg, ehe er sich mir halb zuwandte.
„Stellst du mich gerade mit diesen Kreaturen gleich?!", knurrte er.
//Verdammt... So wütend ist er noch...// Mein Blut rauschte in meinen Ohren und Hormone überschwemmten meinen Körper. Trotz allem bewahrte ich meine Maske. Henrik hatte Recht. Ich hatte mein Leben lang jedem etwas vorgespielt. Selbst bei schlimmen Panikattacken. Ich konnte das.
Ich sprang ebenfalls auf und sah Tom direkt in die Augen.
„Nein...", sagte ich sogleich. „So meinte ich das nicht."
Er ging einen Schritt auf mich zu, wodurch wir dicht voreinander standen. Er sah außer sich auf mich herab. „So erkläre es mir.", verlangte er. Das Skript benötigten wir beide nicht länger.
„Du...", raunte ich, ohne den Blick von ihm zu nehmen. Trotz meiner 1,73 überragte er mich um einen Kopf. „Du bist mir wichtig... Nach all dem... Ich denke nicht, dass du bösartig bist. Nein, ich bin überzeugt, dass du nicht so bist, wie andere dich sehen. Tief in dir... Da ist etwas, das keiner sieht."
Einen kleinen Moment lang glaubte ich, Tom würde für den Bruchteil einer Sekunde die Fassung verlieren. Er fing sich schnell wieder und kam mir noch näher. „Und du glaubst, diesen Teil von mir zu kennen?", raunte er mit Verachtung in der Stimme. Meine Augen musterten seine komplette Erscheinung einmal von oben nach unten.
„Vielleicht nicht", hauchte ich und sah ihm wieder in die Augen. „Aber was immer es ist... Ich möchte es verstehen."
Er schwieg für einen Augenblick, in dem er mir noch näher kam, bis unsere Gesichter Millimeter voneinander entfernt waren.
„Man sollte vorsichtig mit seinen Wünschen umgehen", raunte er gefährlich, bevor er mich an den Haaren packte und ...
„Fuck!", brüllte jemand, bevor unsere Lippen sich berühren konnten. Sofort fuhren alle Köpfe in die Höhe. „Ist das eine... Oh Gott, eine Schlange!", rief eine Schauspielerin, bevor sie auf einen Stein sprang. Ich eilte, ohne nachzudenken, hin und entdeckte eine dunkle Schlange mit Kreuzmusterung.
„Eine Kreuzotter", sagte ich und suchte mir schnell einen passenden Stock. „Das Gift ist nicht stark genug, um einen erwachsenen Menschen zu töten", fügte ich schnell hinzu und fixierte die Schlange mit dem Stock am Kopf. Ich kniete mich hin und packte sie gekonnt dort, wo ich sie fixiert hielt.
„Ich bringe sie schnell weg", sagte ich und ließ eine verdutzte Crew und irritierte Schauspieler zurück. Henrik folgte mir, ohne zu zögern.
„Die sind jetzt wohl schwer beeindruckt von dir", kicherte er.
„Wir leben hier. Ist nur verständlich, dass wir uns etwas auskennen", entgegnete ich neutral, während ich einen geeigneten Platz für die Schlange suchte.
„Naja, so verständlich auch wieder nicht", murmelte Henrik. Der Adrenalinkick war genau das Richtige gewesen, das ich in jenem Moment gebraucht hatte. Nachdem wir wieder bei den anderen eintrafen, wurde uns mitgeteilt, dass wir fürs Erste Feierabend hatten. Ein Teil von mir war leicht enttäuscht gewesen. Nur warum?
„Die Proben heute waren wirklich toll, Leute", lobte der Regisseur. „Liv, du hast dich spitze geschlagen. Morgen fangen wir mit den Dreharbeiten an! Entspannt euch bis dahin."
Das Lob freute mich sehr. Henrik sah in mein strahlendes Gesicht und konnte dem Lob nur zustimmen.
„Na dann. Lass uns in die Kabine und aufwärmen. Ich hab Lust auf heiße Schokolade", kicherte er. Ich konnte ihm ohnehin nichts ausschlagen, also folgte ich ihm in unsere Hütte. Dort kümmerte ich mich um das Feuer und er sich um die Schokolade.
„Also, Darling", flötete er und reichte mir meinen Becher, ehe wir uns auf den Boden ins Schaffell kuschelten. „Wie war deine Probe mit Tom?"
„Du hattest wohl nur Augen für einen, was?", lachte ich. Amüsiert nahm ich einen Schluck des Heißgetränks und musterte ihn verstohlen über den Becherrand hinweg. Seine Wangen wurden etwas rot, dazu grinste er wie ein Honigkuchenpferd.
„Lenk hier nicht ab, Darling!", entgegnete er belustigt.
„Es lief gut", antwortete ich mit einem Achselzucken.
„Gut?", schnaubte er. „Wie war denn die Kussszene?"
„Dazu kam es nicht mehr. Die Schlange hatte andere Pläne, als uns beim Knutschen zuzusehen", lachte ich, woraufhin mein bester Freund schmollte.
„Naja. Das kommt noch. Und danach musst du mir aaaaalles erzählen!"
Der Abend wurde mit viel Gelächter beendet. Während Henrik bereits schlief, stahl ich mich nach draußen, um die Nordlichter zu bewundern. Es war die perfekte Zeit dafür und eines der vielen Dinge, die ich an Norwegen so sehr liebte. Zur Zeit hatte man Glück, sie selbst so weit im Süden Norwegens zu sehen.
„Kannst du nicht schlafen?", hörte ich plötzlich eine bekannte Stimme. Tom trat neben mich und deutete fragend und charmant auf den Platz neben mir. „Darf ich?" Auf meine Zustimmung hin, nahm er neben mir am Baumstamm Platz.
„Ich wollte mir nur einen Moment der Ruhe gönnen und die Natur genießen", erklärte ich mit einem Lächeln und sah wieder hoch.
„Es ist wirklich wunderschön", stimmte er zu. „Du hast mich etwas überrascht, als du die Schlange gepackt hast.", fügte er mit einem leisen Lachen hinzu.
„Ich hab nur etwas gegen Insekten und Spinnen", erwiderte ich belustigt, woraufhin wir nun beide lachten. „Keine große Sache, wirklich", fügte ich hinzu. „Ich kenne mich in Norwegen ja aus."
Tom schmunzelte und sog die kalte Nachtluft tief ein. „Ich verstehe, warum du dein Land so liebst."
„Das freut mich", sagte ich ehrlich. „Ich bin einfach nicht der Typ für Sonne, Strand und Sonnenbrand."
Er lachte auf meine Bemerkung hin und sah mich von der Seite aus an. „Ich glaube, Natur ist wichtig, aber es kommt viel auf die Menschen an, mit denen man seine Zeit verbringt."
Mein Blick traf kurz auf seinen, bevor ich meinen Kopf etwas verlegen wegdrehte.
„Ich halte lieber Abstand zu Menschen", sagte ich. „Wenn man sie einmal an sich ranlässt, können sie dir leicht ein Messer in den Rücken rammen."
„Ich verstehe, was du meinst", raunte er nahezu melancholisch. „Aber Ausnahmen bestimmen die Regel", fügte er mit einem leichten Lächeln hinzu. „Denk allein an Henrik."
Nun musste ich wieder etwas lachen. „Wo du recht hast", sagte ich und streckte mich, ehe ich mich erhob. „Schlaf gut, Tom."
Ich ging gerade an ihm vorbei zurück zu meiner Hütte, als er sagte: „Du auch. Ich freue mich auf morgen."

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