Kapitel 9

Am nächsten Tag saß ich schon kurz nachdem das Gespräch hätte beginnen sollen wieder auf dem Flur. Charlotte redete gerade mit dem Polizisten, welcher sich als Donald Anderson vorgestellt hatte. Er hatte eigentlich einen ziemlich netten Eindruck auf mich gemacht. Er wirkte wie ein netter, alter, herzensguter Mensch, aber ich hatte dennoch die ganze Zeit über kein Wort gesagt. Das Gespräch hatte also letztendlich nur er geführt, und er hätte mich dafür auch gar nicht gebraucht. Jetzt wartete ich draußen, während Charlotte mit einer Therapeutin und Herrn Anderson redete. Ich sollte nicht, wollte es aber genauso wenig, dabei sein und hatte mich deswegen vor die Tür auf einen dort stehenden Stuhl gesetzt. Da die kahlen, weißen Wände nicht sonderlich interessant, oder aber hübsch, waren, hatte ich schon nach kurzer Zeit angefangen, mein neues Handy einzurichten. Wir hatten es heute morgen in einer kleinen Schachtel im Briefkasten gefunden. Alina musste es also ziemlich früh heute morgen, oder ziemlich spät gestern Abend, hergebracht haben.
Neben den Standardnummern, wie Pannenhilfe, Jugendschutz oder dem Anbieter, stand nur noch die Nummer von Alina drinnen. Währenddessen übertrug ich die Nummer von Charlottes Handy auf mein neues, welches eigentlich älter war als mein letztes. Fertig damit schickte ich noch eine kurze Nachricht an ihr Handy, und das von Marcus, um ihnen auch gleich meine neue Nummer zu geben. Bei Charlottes Handy speicherte ich mich gleich ein, Marcus war auf der Arbeit und sah die Nachricht wahrscheinlich nicht bevor er Schluss machte.
Als ich fertig mit den Einstellungen des Handys war, tippte ich noch eine Nachricht an Alina, um mich erneut für das Handy zu bedanken. Eigentlich wollte ich mich kurz fassen, aber irgendwie schrieb ich dann doch einen beachtlichen Text, welchen ich auch sofort bereute. Ein einfaches Danke hätte gerecht, wieso musste ich es so übertreiben. Das war ja fast schon peinlich.
Ich wartete einen Moment lang auf eine Antwort welche allerdings ausblieb. Aber ich sollte wohl auch nicht erwarten das sie sofort aufspringt wenn ich ihr schreibe. Sie hat sicher noch viel mehr Freunde, mit welchen sie auch viel lustigere Sachen machen kann, als mit mir in der Küche sitzen und Brote essen.
Als ich dann hörte wie die Tür geöffnet wurde, und Charlotte in dieser erschien, sah ich auf und wartete darauf das sie etwas sagte.
„Komm Mila, wir gehen.“ war alles was von ihr kam, wobei sie mich jedoch nicht mal ansah und ich folgte ihren schnellen Schritten nach draußen. Sie war sowieso noch sauer auf mich, Charlotte konnte ihre Gefühlswelt nicht so gut verstecken, weshalb ich es auch nicht auf irgendwas anlegen wollte. Sie hielt mir die Eingangstür auf und ich schlüpfte schnell unter ihrem Arm durch, um sie nicht warten zu lassen.
„Wollen wir noch irgendwo hin? Ein Café oder so?“ fragte sie und ich nickte. Ich war heute morgen ziemlich nervös gewesen, da ich nicht wusste, was die Polizisten von mir wollten und wie sie dazu stehen würden, dass ich über alles was passiert war dicht hielt. Aber da Herr Anderson, welcher selber gesagt hatte, dass er schön öfters solche Fälle miterlebt hatte, dem gegenüber ziemlich ruhig und locker war hatte sich meine Gewohnheit mit dem Nervös sein und dementsprechend wenig essen als ziemlich unnötig rausgestellt. Jetzt hatte ich Hunger.
„Wollen wir da vorne zum Bäcker? Da ist es nicht so voll und ich hab auch gehört das der ganz gut sein soll.“ schlug Charlotte vor und ich stimmte zu. Wir wechselten die Straßenseite und liefen die paar Meter bis zum Bäcker. Charlotte wies mich an, mich schon hinzusetzen und zu warten, sie würde rein gehen und bestellen. So schaffte ich es, knapp vor zwei Büroarbeitern, derer Kleidung nach zu urteilen von einer Bank, den letzten Platz draußen in der Sonne zu ergattern.
Plötzlich hatte ich das Gefühl beobachtet zu werden und drehte mich wie paranoid um. Egal wo ich hin sah, niemand war zu sehen, der mir irgendwie verdächtig vorkommen würde. Ich versuchte das Gefühl zu ignorieren und sah auf die große, gläserne Eingangstür, in der Hoffnung, dass Charlotte schon auf dem Weg zu mir war. Ich konnte sie aber nicht sehen. Um mich von diesem Gefühl abzulenken schaltete ich mein Handy ein und merkte jetzt auch, dass ich eine Nachricht von Alina hatte.
Sie schrieb das sie sich freute, wenn mir das Handy gefiel, auch wenn es schon ziemlich alt war und fragte, ob ich Lust hätte, heute Nachmittag was zu unternehmen.
So sehr ich mich auch freute, dass sie mich fragte und es anscheinend aus eigenem Stück wollte, so verneinte ich dennoch und entschuldigte mich auch gleich. Ich wollte heute lieber zuhause bleiben und noch ein bisschen in meinem Zimmer hockend nachdenken, anstatt etwas zu unternehmen. Und sie zu zwingen sich wieder mit mir hinzusetzen und einfach nur wie zwei alte Damen beim Kaffee trinken zu unterhalten wollte ich ihr auch nicht antun.
Natürlich formulierte ich den Text etwas anders, um sie nicht denken zu lassen, dass ich keine Lust auf sie hatte, doch es schien sie nicht zu stören. Im Gegenteil, kurz bevor ich die Nachricht abgeschickt hatte schrieb sie mir auch eine, welche jedoch etwas später ankam als meine. Sie entschuldigte sich in dieser und meinte, dass sie ganz vergessen hätte, dass sie einen Ferienjob angenommen hätte und heute arbeiten müsste. Schmunzelt über diese Situation schrieb ich ihr, dass sie einen schönen Arbeitstag haben sollte und schaltete mein Handy dann wieder aus, da Charlotte mit einem Tablett wiederkam, auf welchem eine Tasse Kaffee, ein Becher mit Orangensaft und zwei belegte Brote lagen.
Sie stellte alles vor uns und setzte sich dann neben mich. Sie nahm einen großen schluck von ihrem Kaffee, was sich in den kleinen Tassen die sie hier ausgaben mehr als nur bemerkbar machte, und seufzte dann laut auf.
„Man, diese Leute auf der Wache machen ein auch fertig. Was bekommen die eigentlich auf die Reihe?“ Da ich nicht wirklich Lust hatte mich jetzt mit ihr zu streiten, indem ich sage das wir auch gar nicht hätten zur Polizei gehen müssen, und auch gar nicht genau wusste was ich sonst sagen sollte, blieb ich einfach stumm und biss stattdessen in mein Brötchen.
Charlotte nahm noch einen Schluck von ihrem Kaffee und sah dann in die bereits leere Tasse. Mit einem grummeln stand sie auf und meinte, dass sie sich kurz eine zweite Tasse holen geht. Kaum war sie weg wurde das Gefühl beobachtet werden wieder präsent, aber wenn ich darüber nachdachte, was es wahrscheinlich gar nicht weg gewesen.
„Mila?“ unter der plötzlichen Stimme welche zu mir sprach zuckte ich zusammen und sah in die Richtung, in welcher ich sie vermutete.
Mark? Der große, schlaksige Junge mit den hellbraunen Haaren und dem Streetstyle stand, zusammen mit zwei weiteren, ehemaligen Mitschülern von uns nur wenige Meter entfernt und hatten wohl auch als Ziel, diesem Bäcker einen besuch abzustatten. „Mila!“ rief er erneut aus, als er sich sicher war das ich es war, welche hier saß und das Dreierteam kam auf mich zu. Ich wurde von Mark sofort in eine Umarmung gezogen, aber auch Stacy und Jaydan umarmten mich kurz.
„Was ist passiert? Du warst nach dem Jahrmarkt auf einmal verschwunden. Ich hab bestimmt tausend Mal versucht dich anzurufen. Und auf einmal hieß es in den Nachrichten du wurdest entführt.“ Ich nickte nur, nicht wissend was ich antworten sollte. Es war ja so, ich wurde entführt.
„Du weißt gar nicht was wir uns in der Klasse alle für Sorgen gemacht haben. Du hast ja sogar unseren Abschlussball verpasst.“ stocherte Stacy weiter in der Wunde, auch wenn ich mit ziemlicher Sicherheit sagen konnte, das sie es nicht mit Absicht tat. So jemand war sie nicht. Jaydan schien sie jedoch mit einem Stoß in die Seite zur Vernunft zu bringen, denn sie hatte dazu angesetzt noch etwas hinterher zu werfen, was sie jedoch nicht tat.
Nach einem kurzen Moment, in welchem die anderen noch ein wenig erzählten und immer wieder genau sowas sagten, was ich nicht hören wollte, kam Charlotte dann wieder. Mark hatte sich währenddessen gegenüber von mir hingesetzt, Stacy und Jaydan standen wie Wachhunde hinter ihm.
„Huch, was ist den hier los?“ fragte meine Pflegemutter und stellte den Kaffee vor sich, bevor sie sich dann auch setzte und auch Jaydan zu erkennen schien, das das Gespräch noch etwas zu gehen schien. Er setzte sich auf den letzten freien Stuhl und deutet Stacy an sich auf seinen Schoß zu setzten. Waren die beiden jetzt zusammen? Hatte ich so viel verpasst?
„Hallo, freut mich Sie wiederzusehen.“ meinte Mark freundlich und ich sah zu Charlotte, als sie nicht antwortete. Sie schien zu überlegen, bis ihr dann wieder einfiel, wo und wann sie und Mark sich getroffen hatten. Für einen kurzen Moment war etwas in ihrem Blick zu erkennen, was ich jedoch nicht ganz deuten konnte und deswegen auch nicht weiter darauf einging.
„Ach, Mark, stimmt ja! Ihr wart gemeinsam auf dem Jahrmarkt, richtig?“ er nickte und presste dabei die Lippen aufeinander. Er sollte sich jeden Kommentar zu dem Abend verkneifen. Ich konnte gut damit rechnen, dass Charlotte ihm sonst noch die Schuld gibt.
„Es tut mir Leid was passiert ist. Ich bereue zutiefst das ich Mila an dem Abend nicht nach Hause begleitet habe.“ Ich zog die Luft ein und sah vorsichtig zu Charlotte. Er hätte sich den Kommentar verkneifen sollen. Sie schien wütend zu werden und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ist sowas nicht normalerweise selbstverständlich? Der Typ hat das Mädchen nach Hause zu bringen! Besonders wenn es schon dunkel ist! Oder sind sich die Herren von heute zu fein für einen Umweg!“ Mark schien von dem plötzlichen Umschwung von Charlottes Art überrascht zu sein und nicht wirklich zu wissen was er sagen sollte.
„Ich- Also- Mila wollte ja nicht das ich sie begleite. Sie meinte, dass es nicht so weit ist und ich lieber selber nach Hause kommen sollte.“ Sein Versuch das ganze auf mich zu übertragen schien zu funktionieren, denn Charlotte drehte sich zu mir und sah jetzt mich mit dem Blick an, welchen zuvor schon Mark ertragen musste.
„Ach, ist das so? Und wieso wenn ich fragen darf.“
„Ich wollte es nicht.“ murmelte ich, den Blick starr auf den Boden gerichtet, und fühlte mich dabei leicht bloßgestellt. Charlotte seufzte und als ich vorsichtig auf sah, konnte ich sehen, wie sie sich schon leicht verzweifelt guckend durch die kurzen, braunen Locken fuhr.
„Mila, was ist in letzter Zeit mit dir? Du erzählst so vieles nicht.“ meinte sie dann und klang dabei schon um einiges sanfter.
„Ich wollte nicht das er es rausfindet.“ murmelte ich, sah dabei aber lieber auf mein angebissenes Brötchen als das Gesicht von Charlotte.
„Was herausfindet?“ fragte sie und wirkte so, als wenn sie es wirklich nicht wusste, anstatt, dass sie es nur fragte, damit ich es vor den anderen sagte. Aber, auch wenn es so wirkte, glaube ich doch, dass sie mindestens eine Vermutung hatte. Wie auch nicht, es war unser Geheimnis. Ich wollte es geheim halten, also wussten es nicht mal unsere Nachbarn.
„Das ihr nicht meine echten Eltern seit, verdammt!“ platzte es dann aus mir raus und ich atmete erleichtert aus, als es endlich über meine Lippen gekommen war.
Die anderen komplett ausblendend lehnte sie sich zu mir und nahm mich in den Arm. „Mila, Schatz, wir wissen doch, das wir niemals deine Eltern ersetzen können, aber versuch uns doch wenigstens als Eltern zu akzeptieren, und uns nicht die ganze Zeit wie entfernte Verwandte zu behandeln. Vielleicht ist das ja das Problem, weswegen du nicht mit uns reden willst.“
„WIE SOLL ICH EUCH BITTE ALS ELTERN AKZEPTIEREN! MEINE ELTERN SIND TOT! SOLL ICH MIR DA EINFACH NEUE SUCHEN UND SO TUN ALS OB NICHTS PASSIERT WÄRE? ICH HABE MIT EIGENEN AUGEN IHRE LEICHEN GESEHEN! AUßERDEM IST DAS DOCH GERADE GAR NICHT DAS PROBLEM!“
Das war schon mein zweiter Wutausbruch innerhalb kürzester Zeit. Ich hatte mal gelesen, dass wenn man seine Probleme und Leiden immer nur verdrängt und nie redet, es irgendwann, und wenn es zehn Jahre später ist, aus einem rausplatzt. Wie bei einem überlaufenden Fass. Ich denke genau das passiert gerade.
„Mila! Hör auf hier so eine Szene zu machen! Wir sind hier nicht alleine! Und jetzt setz dich wieder hin.“ zischte Charlotte und erst jetzt wo sie es sagte merkte ich, dass ich wohl aufgestanden war. Hingegen ihrer Aufforderung blieb ich jedoch stehen und bewegte mich kein Stück.
Erst jetzt wurde mir klar, dass ich vor meinen ehemaligen Mitschülern und recht guten Freunden von mir gesagt hatte, das Charlotte und Marcus meine Pflegeeltern waren. Und zudem auch noch das meine echten Eltern nicht mehr am Leben waren.
„Mila! Jetzt setz dich!“ meinte sie und klang dabei um einiges strenger wie zuvor. Die ganze Situation erinnerte mich an vorgestern, wo das ganze nicht unbedingt stimmig ausgegangen war.
Auch dieses Mal hörte ich nicht auf sie und schüttelte stattdessen mit dem Kopf, um mich dann wegzudrehen und mit schnellen Schritten den Bäcker zu verlassen.
Ich brauchte meine Ruhe. Ich musste in Ruhe nachdenken und an einen Ort, wo mich niemand stören würde. Da mittlerweile meine Sicht verschwamm und ich schon die ersten Tränen auf meiner Wange spürte, lief ich mit schneller werdenden Schritten in eine Seitengassen und hoffte auf nicht zu viele Passanten zu treffen.
Das Gefühl beobachtet zu werden ignorierte ich dabei so gut es ging.
Ich sah kurz nach Hinten, aber dort sah ich niemanden. Genauso wenig wie vor mir. Kaum war ich mir sicher, das ich meine Ruhe hatte, brach dann auch der Rest des Dammes und ich fing an zu heulen. Ich schlürfte weiter durch die Straßen und wusste schon gar nicht mehr wirklich wo ich war, als ich plötzlich jemanden meinen Namen rufen hörte.
Verwirrt sah ich mich um. Ich konnte die Stimme niemanden zuordnen und wollte jetzt bloß nicht mit Mark oder so reden.
Die Person die mir hinterher lief, war allerdings nicht männlich, aber auch nicht in einem Alter, wo ich sie als Charlotte erkennen würde. Es war Alina.
„Hey, was machst du denn hier?“ fragte sie kurz bevor sie mich erreichte und dann die Tränen bemerkte. Sie atmete erschrocken ein und kam näher zu mir. „Was ist denn passiert? Wieso weinst du?“ Ich konnte nicht antworten. Ich schluchzte bloß und versuchte an das regelmäßige atmen zu denken. Alina lenkte mich an den Schultern nach hinten und deutete mir dann an, mich zu setzten.
Weit und breit war keine Bank zu sehen, oder auch nur ein Gelände oder eine Mauer. Aber da der Boden von den Sonnenschein, welchen wir die letzten Tage hatten, trocken und auch auf angenehme Temperatur angewärmt war, setzte ich mich letztendlich einfach auf die Bordsteinkante. Alina setzte sich neben mich und strich mir über den Rücken, bis ich mich beruhigt hatte.
Auch wenn ich eigentlich alleine sein wollte, tat ihre Anwesenheit wahrscheinlich noch besser und ich hatte das Gefühl, ich könnte ihr alles erzählen.
„Willst du darüber reden?“ fragte sie irgendwann und ich schüttelte den Kopf. Ihre bloße Nähe und die Tatsache das ich wusste, sie wäre für mich da, reichten komplett. Sie nickte, aber keine halbe Minute später fing ich dennoch an ihr alles zu erzählen.
„Ich weiß nicht ob du es wusstest, wahrscheinlich nicht, aber Charlotte und Marcus sind nicht meine leiblichen Eltern. Ich wurde mit sechs Jahren von ihnen adoptiert, da Charlotte selber kein Kind bekommen konnte und die beiden der Meinung waren, wenn sie schon selber kein Kind in die Welt setzen können, dann möchten sie wenigstens einem Kind ohne Familie die Möglichkeit geben wie jedes andere Kind mit Eltern aufzuwachsen und für dieses eine Familie sein.“ Sie sah mich stumm an und schien sich alles anzuhören, was ich erzählte. „Ich habe auch immer versucht ein tolles Kind zu sein. Ich habe auf die beiden gehört, fleißig für die Schule gelernt und alles getan um das Kind zu sein, das sich jede Familie wünscht.“ Sie nickte leicht, sagte aber dennoch kein Wort. „Aber jetzt, nach der Entführung, irgendwas ist anders. Ich versuche weiter so zu bleiben und ihnen keine Probleme zu machen, aber egal was ich mache, irgendwas scheine ich falsch zu machen. Ich hatte gerade zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit einen Gefühlsausbruch, und dabei ist sowas gar nicht meine Art. Vor allem nicht in der Öffentlichkeit wie gerade eben.“
„Und deswegen fühlst du dich jetzt schlecht?“ Ich nickte. „Und weil ich mich die ganze Zeit bemüht habe, das niemand weiß, das ich bei Pflegeeltern lebe, und jetzt drei ehemalige Mitschüler von mir bei dem Gespräch dabei waren und ich Angst habe, dass sie es weitererzählen. Oder das es nie wieder so wird wie es mal war.“
„Das kann es sowieso nicht mehr. Du wirst von einem verrückten Stalker verfolgt und warst Opfer eine Entführung. Das klingt wie der Beginn eines Thrillers.“ Sie lachte, aber mir war danach nicht zu Mute.
Ich hatte nie etwas von einem Stalker erzählt. Ich hatte nie gesagt das er gesagt hat das er mich beobachtet, ebenso wenig wie ich jemanden von dem Zettel erzählt hatte.
Aber ich schien gar nichts sagen zu müssen. Mein Blick reichte aus, um ihr eine Begründung zu entlocken.
„Als ich gestern bei dir war hab ich zuerst in dein Zimmer geguckt. Der Zettel lag nicht ganz unter deinem Kissen und ich wurde etwas neugierig. Sorry.“ Ich schüttelte den Kopf. „Schon in Ordnung.“
„Ich sage es auch niemanden. Du wirst selber wissen müssen wann es soweit ist dich jemanden anzuvertrauen. Und wenn du soweit bist aber nicht weißt wo hin, ich hab weder ein Studium noch eine Ausbildung und in diesem scheiß Laden wo ich momentan bin werde ich auch so schnell wie möglich wieder kündigen. Ich hätte also immer Zeit.“ Sie lachte und steckte ihre Hände in die Taschen ihrer Jeansjacke. Dann zog sie eine Schachtel mit Zigaretten aus dieser und sah zu mir. „Stört dich das?“ fragte sie und meinte damit wohl, wenn sie jetzt eine rauchen würde, was ich mit einem Kopfschütteln verneinte. Wenn sie ihre Sucht befriedigen musste, dann wollte ich sie nicht davon abhalten.
Sie zog noch ein Feuerzeug aus der Tasche und steckte die Ecke, welche nicht in ihrem Mund steckte, an. Fertig damit zog sie genüsslich an dieser, während ich stumm daneben saß. So paradox es auch war, ich war froh nicht alleine sein zu müssen, wenn ich alleine sein wollte, während sie ihre Zigarette rauchte.
Wir schwiegen beide, bis plötzlich Alinas Handy klingelte. Sie blickte kurz drauf, zuckte dann zusammen und sprang auf. „Fuck, meine Pause ist vorbei! Ich muss los, wir schreiben.“ Und schon sprintete sie, die Zigarette achtlos auf den Boden geworfen, los. Ich trat diese für sie aus und sah ihr dann hinterher. Sie wich gerade einen Typen aus, welcher mich vom Aussehen her stark an Mark erinnerte. Er kam mir näher und irgendwann stellte er sich dann als genau dieser heraus.
Als er mich erkannte wurde sein Gang schneller und zielsicher, bis er letztendlich vor mir stehen blieb.
„Mila?“ fragte er, aber ich drehte mich weg. Ich wollte ihn nicht sehen. Und erst recht nicht mit ihm reden.
Er ignorierte meine abweisende Haltung jedoch und setzte sich neben mich.
„Wir haben uns eben noch kurz unterhalten. Charlotte wollte dir eigentlich folgen, aber ich dachte das du jetzt kurz etwas Ruhe brauchst.“
Ich murmelte ein leises „Danke“, sah ihn aber immer noch nicht an.
„Wir werden das mit Marcus und Charlotte nicht herumerzählen. Ich habe Jaydan und Stacy deutlich gemacht, dass sie es für sich behalten sollen. Und seien wir ehrlich, morgen wissen die beiden das sowieso nicht mehr.“ Er lachte.
„Und wir haben uns überlegt für dich eine Art Abiball aka Willkommensparty zu machen. Wir laden unsere Mitschüler ein, die Lehrer, natürlich nur die Coolen, und dann feiern wir extra für dich den Abiball nach. Nur, klar, kleiner und kostengünstiger. Wir sind keine Millionäre. Was hältst du davon?“
Das klang toll. Ich nickte und lächelte ihn an. „Ich freue mich.“
Er klatschte in die Hände. „Super. Dann geh du jetzt mal wieder zurück zu Charlotte, bevor diese noch einen Panikanfall bekommt weil du weg bist, und ich fahre nach Hause um alles zu organisieren. Irgendwelche Wünsche?“ Ich schüttelte den Kopf. Ich fand es schon toll, das er sowas vor hatte. „Mach es so ähnlich wie möglich. So wie der Abiball war.“ Er nickte und stand auf.
„Gut. Ich geh dann mal. Charlotte hat mir deine Nummer gegeben, wir schreiben in Ordnung.“ Ich nickte und erhob mich ebenfalls.
„Mila,“ Ich sah zu ihm und sah ihn mit einem herzlichen Lächeln vor mir stehen. „ich bin froh das du wieder da bist.“ Er zog mich in eine feste Umarmung, welche ich nicht lösen konnte, so fest hielt er mich. Aber ich wollte es auch gar nicht. Es fühlte sich schön an.

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