Groteske Welt
Müde blickte Kakashi in den Spiegel, den er in seinen Spint gehangen hatte. Die ganze Nacht über hatte er kein Auge zu bekommen.
Immer wenn er kurz vorm einschlafen war, sah er seinen Nachbarn vor Auge. Seufzend zog er sich seine Maske bis zur Nase und legte die Augenklappe in seinen Spint.
Wenn er seine missratene Gesichtshälfte erblickte, dachte er automatisch an seinen Partner. Ihm war es egal, das er unansehnlich war, alles was ihm fehlte war Obito.
Hier in seiner neuen Stelle fühlte er sich bei weitem nicht so aufgenommen wie damals. Viele der Polizisten nahmen Abstand von ihm oder sahen ihn schief an, ganz gleich ob er seine Augenklappe trug oder wie gerade nicht.
,,Wir haben zwei Protesen für Sie erstellen lassen. Zur ersten müssen wir nicht viel erklären, sie gleicht sich mit Ihrem vorhandenen Auge. Interessant wird eher die Zweite. Neben einem Träger aus den USA, der diese mitentwickelt hat, sind Sie bis dato der einzige, der diese trägt."
Irritiert stand Kakashi vor seinem Vorgesetzen und dem Leiter der technischen Entwicklung. ,,Kakashi, sei so nett und nimm die Augenklappe ab."
Die Protese drückte ein wenig an den inneren Augenwinkeln, als der technische Leiter fertig war reichte er ihm einen Spiegel.
Mit der Zeit wurde der Grauhaarige geschickter im Umgang mit dem falschen Auge. Gekonnt fingerte er die durchaus realistische Protese aus seiner Augenhöhle. Er verstaute sie in ihrer Box und steckte sich eine weitere in die Brusttasche seiner Jacke. Danach richtete er wieder seine Augenklappe.
Seit er dieses spezielle Auge trug, wurde Kakashi ständig an seine Vergangenheit erinnert. Meist trug er deshalb keine Protese. Der Druck, den sie auf seinen Augenwinkel ausübte, erinnerte ihn zu sehr an damals. In seiner Kommode lagen noch 12 weitere Augen, alles Protesen, die für ihn angefertigt wurden. Beinahe jede kam aus einer anderen Werkstatt, aber keine konnte den Druck lindern. Mittlerweile glaubte Kakashi, er ist psychisch bedingt.
Ihm wurde nach dem Einsatz und im Krankenhaus psychologische Hilfe angeboten, doch er wollte das alles nicht. Er würde es gern verdrängen, doch langsam musste er sich eingestehen, dass die Wunde doch noch klaffte und schmerzte.
Gegen 4 Uhr morgens trafen sich die verschiedenen Gruppen der Spezialeinheiten am vereinbarten Treffpunkt am Rande der Stadt. Die anfängliche Aufregung, die Kakashi kurz nach seiner Ausbildung verspürte war verflogen. Mittlerweile hatte sich eine Routine eingestellt.
,,Kakashi, hast du dein Auge drinne?",fragte sein Befehlsgeber. ,,Augenblick."
,,Leuchtet es rot ist es an und du kannst eine dreißigminütige Filmaufnahme starten. Wir werden sehen, ob und wie sich die Aufnahmen auf die Ermittlungen auswirken. Und unsere Techniker werden deine Prothese versuchen stetig weiterzuentwickeln. Stand jetzt ist, dass die im dunklen fast unbrauchbar ist."
Der Auftrag war klar: die verschiedenen Einheiten waren in der ganzen Stadt verteilt. Es wurden Wohnungen, Geschäfte aber auch Lagerhallen und ähnliches ins Visier genommen. Geldwäsche und Prostitution, was sich so dramatisch anhörte, hatte Kakashi schon zig Male erlebt. Um halb 6 würden sie alle zeitgleich die Gebäude stürmen.
Kakashi als erster Mann vorraus. Ohne Augenklappe. Nur er konnte die Beweise ungeschönt und aus erster Hand bringen, ohne dafür auch nur ein kleines bisschen Extraarbeit zu leisten.
Die kugelsichere Weste legte sich schwer auf seinen Schultern. Manchmal kam er sich vor wie ein Packesel. Die eigentliche "Kleidung" störte ihn wenig, eher das ganze Klimbim was daran hing.
An seiner Brust hing ein Funkgerät, welches mit dem Headset in seinem Helm verbunden war. An seinem linken Oberschenkel trug er einen Gurt indem eine Pistole befestigt war. Dazu kam noch das Sturmgewehr, der Schlagstock an seiner rechten Hüfte, ein Messer, eine Atemschutzmaske, eine Uhr sowie seine Dienstmarke.
Mittlerweile war es kurz vor halb 6, nicht mehr lange und Kakashi würde sich, wahrscheinlich, gewaltsam Zugriff zum Mehrfamilienhaus einige Blöcke weiter schaffen. Es war absurd, wie anonym die Stadt doch sein konnte. Er mochte gar nicht daran denken, wie es wäre wenn Iruka ein Schwerverbrecher wäre und er seine Wohnung raiden müsste.
Das was ihn nach solchen Einsätzen oft beschäftigte war, wie gut manche Leute ihre Gräueltaten vor ihren Mitmenschen verstecken konnten.
Gegen 6 Uhr wurde es auch für den Braunhaarigen am anderen Ende der Stadt Zeit, sich langsam aufzuraffen. Wenn er ehrlich war, verspürte er doch leichte Kopfschmerzen. Kurz ließ Iruka den vergangenen Abend Revue passieren.
Ihm war klar dass er irgendwie irgendwas für den Polizisten empfinden musste. Zu intensiv waren die Gefühle während des Kusses gewesen. Würde er ihm nichts bedeuten, dann würden auch seine Gedanken nicht ständig zu ihm schwappen.
Aber auf der anderen Seite appellierte auch seine Vernunft an ihn. Schließlich wusste er immer noch nicht, warum Kakashi solch eine Geheimniskrämerei um seinen Beruf hegte. Scheinbar war er nicht einer von den zahlreichen Polizisten, die in der Stadt herumfuhren um sich mit Verkehrssündern zu streiten.
Iruka wollte endlich Klarheit. Vertraute Kakashi ihm nicht? War Iruka doch nur eine heiße Nummer für ihn? Er beschloss, Kakashi nach dem Unterricht anrufen.
Während Kakashi sich mit einem kleineren, bulligen Mann rangelte und ihm letztendlich mit einem Teaser außer Gefecht setzte, schwappten auch seine Gedanken zu Iruka. Er war jetzt bestimmt auf dem Weg zur Schule.
Die metallenen Handschellen klickten, auch wenn es aussichtslos für den Kriminellen schien, ließ er es sich nicht nehmen, Kakashi ein letztes Mal zu beleidigen. ,,Ihr elendigen Bullenschweine, sieh zu! Als nächstes vergewaltigen wir deine Frau!",schrie er den Grauhaarigen an. Wie gut das er keine hatte.
,,Ruhe jetzt!",zischte er und schubste den Glatzkopf unsanft nach vorne um ihn zum Wagen zu bringen.
Es war absurd, wie unterschiedlich Irukas und Kakashis Leben verlief. Während der eine gerade sicherlich Arbeitsblätter kopierte, schoss der andere einen weiteren Kriminellen nieder.
Durch sein Auge wurde alles aufgezeichnet, auch Fehler konnten so ausgewertet werden. Der Grauhaarige musste Gefahren schnell analysieren und die passende Maßnahme ergreifen. Sein Kopf war wie ein Hochleistungsrechner. Er durfte keine falschen Entscheidungen treffen, das könnte ihm seinen Job kosten.
Aus dem Oberschenkel des Schwarzhaarigen floss Blut auf den dunklen Lagerhallenboden. Routinemäßig, als hätte er es schon zig mal so gemacht, fixierte Kakashi seinen Feind und versorgte danach die Wunde mit einem Druckverband. Nichts lebensbedrohliches. Vielleicht war es auch einfach nur eine Lehre, dass man nicht mit Waffen auf Polizisten einer Spezialeinheiten zielen sollte.
,,Das Krankenhaus kümmert sich schon um ihn.",dachte Kakashi und fuhr mit seinem Einsatz fort.
Er hatte jemanden angeschossen, während Iruka gerade seine kleinen Schüler begrüßte. Es war so grotesk und falsch.
Auf der Wache verstaute Kakashi sein Auge in der gepolsterten Box. Die leere Augenhöhle verdeckte er wieder mit der altbekannten Augenklappe.
,,Hier bitte.",murmelte er und reichte die Box der Dame aus der IT Abteilung. ,,Ah, Kakashi Hatake, stimmt's?",lachte sie und begutachtete die Box. ,,Interessant, wie lange trägst du es schon?"
Interessant... Interessant war doch nur, wie Kakashi vom System als GoPro ausgenutzt wurde. Wie sehr er dieses Auge hasste, wie sehr er seine Kollegen hasste, wie sehr er seinen Beruf hasste! Wortlos verschwand er, schrieb so schnell es ging seinen Bericht um dann endlich Feierabend machen zu können.
Die Luft in der Wache war wie Zement in seinen Lungen. Als würde der ganze Komplex voll Staub sein und irgendjemand hätte einen Ventilator aufgestellt. Kakashi hatte das Gefühl, mit jeder weiteren Minute würde er ersticken und an der ekelhaften Luft zu Grunde gehen.
Er fuhr auf direktem Weg nach Hause, aß nichts, nichtmal seine Lieblingsromanreihe fasste er an. Er fühlte sich leer, wie fast immer nach größeren Einsätzen.
Ein Gefühl, welches Kakashi schon in und auswendig kannte. Er würde für zwei oder drei Tage nichts essen, würde auf der Couch oder im Bett vegetieren und diese unendliche Leere in sich spüren. Immer wieder würde er an Obito und ihren letzten Einsatz denken, Bilder vor seinen Augen sehen, Luftnot bekommen. Er kannte das, er wusste, dass es vorbeiziehen würde.
Es geht vorbei, und kommt wieder. Vielleicht in Wochen, vielleicht in Monaten. Aber es war sicher, diese Tage kamen immer wieder.
,,Hey, hier ist nochmal Iruka. Ruf mich bitte zurück." Wieder die Mailbox. Entnervt raufte Iruka sich durch das braune Haar. Er hatte Kakashi den ganzen Tag nicht erreicht.
Hatte er so viel zu tun auf der Arbeit? Die meisten Polizisten faulenzten doch vor ihrem PC oder fuhren durch die Gegend?
Es hatte keinen Zweck, sich den Kopf über den Grauhaarigen zu zerbrechen. Wahrscheinlich war er auf Streife oder hatte sein Handy nicht bei sich.
Mit einem Kaffee bewaffnet setzte Iruka sich an seinen Schreibtisch und gestaltete die nächste Erdkundeklausur. Stunden verstrichen, er bemerkte nicht, dass die Abendsonne seine Wohnung bereits in einen honiggoldene Höhle verwandelt hatte.
Anders als Kakashi, brannte der Braunhaarige für seinen Beruf. Die Schreibtischarbeit war zudem ein großartiger Kontrast zur Arbeit mit den Kindern. Im Klassenraum war es laut, hier totenstill. Iruka konnte runter fahren, nicht das ihn die Kinder auslaugten, aber Acht Stunden Kindergeschrei war auch für seine Ohren irgendwann zu viel.
Gegen kurz nach Sieben versuchte er nochmal Kakashi zu erreichen. Erfolglos.
Wütend schloss der Braunhaarige den Laptop und schlüpfte in seine Schuhe. Er hatte keinen blassen Schimmer, was Kakashi für ein Problem hatte, aber so eine feige Abfuhr wollte er sich nicht bieten lassen.
,,Kakashi!",rief Iruka und donnerte mit seiner Faust gegen die Tür. ,,Ich weiß, dass du zuhause bist!" Es dauerte bis sich die Tür öffnete und sich ein Bild bot, welches Iruka blind nach malen konnte.
Kakashi stand, mit müden Blick wie immer, in schwarzen Pullover und schwarzer Jogginghose in der Tür. Die Haare standen zerzaust vom Kopf ab, die Augenklappe saß perfekt, ebenso wie der monotone Blick.
,,Komm rein.",murmelte der Grauhaarige.
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