Kapitel 1 Band 3

Band 3 Kapitel 1
Der Atem des Verderbens

Zerstörung und Zorn stand inmitten der kargen Landschaft, sein Blick scharf wie die Klinge eines Schwertes. Die Luft war stickig, durchzogen von einer bedrückenden Stille, die das Miasma mit sich brachte. Er beobachtete die Bewegungen der Organisation, die ihm seit langem ein Dorn im Auge war. Ihre Mitglieder huschten geschäftig zwischen Steinformationen und Knotenpunkten, aus denen beunruhigende Energien strömten. Diese uralten Mana-Knotenpunkte, die einst das Gleichgewicht der Unterwelt schützten, waren unter der Hand der Organisation zu Quellen des verfluchten Miasmas verkommen.
Mit einem leichten Zischen entglitt Jakes Atem, seine roten Augen glühten vor Zorn, als er die Gestaltwandlerin musterte, die sich als Anführerin der ruchlosen Gruppe ausgab. Er hatte Tage damit verbracht, ihre Verwandlungen zu beobachten - mal als strenge Führerin, mal als sanfte Beraterin. Jede Maske diente einem Zweck, jede Verwandlung war Teil ihres raffinierten Spiels, und Jake spürte, wie sich die Verachtung in ihm aufbaute.
„So viele Gesichter, aber kein wahres darunter. Ein Konstrukt aus Lügen...", dachte er und ballte die Hände zu Fäusten. Der Drang, alles niederzubrennen, überkam ihn, doch er wusste, dass er mit Bedacht handeln musste. Seine Ungeduld war eine Schwäche, die er sich hier nicht leisten durfte.
Seine Beobachtungen führten ihn zur Grenzzone - einst ein stabiler Übergang zwischen freien Zonen und den verbotenen Gebieten der Unterwelt, jetzt von Miasma durchdrungen. Dunkle, schattenhafte Ströme zogen sich wie Ranken über den Boden, und die Luft war schwer und drückend. Jake kniete nieder, nahm eine Handvoll der dunklen Erde und ließ sie durch seine Finger rieseln. „Wie konnte es nur so weit kommen?", fragte er sich, während Zorn und Enttäuschung in ihm tobten.
Das Miasma begann, in seine Sinne zu kriechen, wie eine kalte Hand, die nach seinem Verstand griff. Stimmen flüsterten, Schatten zuckten am Rand seines Blickfeldes. Die verzerrte Energie spielte mit seinem Geist, lockte ihn, zerrte an seinen Überzeugungen. Jake spürte, wie seine Kontrolle nachließ, und das Feuer in ihm, die zerstörerische Nuclear Magie, pochte in seinen Adern und drohte, auszubrechen. „Nicht jetzt. Nicht hier", knurrte er, während er verzweifelt gegen den Einfluss ankämpfte.
Er konzentrierte sich, ließ das innere Feuer in ihm auflodern, um die Dunkelheit abzuwehren. „Du bist stärker als das, Zorn", erinnerte er sich selbst. Doch die giftige Atmosphäre ließ die Worte verhallen, und das Miasma zerrte unnachgiebig an seinem Geist. Erinnerungen an brennende Schlachten und verlorene Kameraden flackerten vor seinem inneren Auge. Der Boden bebte unter seinen Füßen, oder war das nur Einbildung? Er kniff die Augen zusammen und kämpfte gegen die Panik. Panik bedeutete Niederlage.
Ein schwaches Flüstern durchdrang den Tumult in seinem Kopf. „Halt durch, Jake", hallte es, und er wusste nicht, ob es Einbildung war oder ein Überbleibsel seines einstigen Selbst. Doch es reichte, um ihn daran zu erinnern, warum er kämpfte. Mit einem letzten Kraftakt bündelte er seine Mana. Ein rotes Leuchten umgab ihn, als er seine Energie sammelte, und für einen Moment wich das Miasma zurück. Der Kampf forderte seinen Tribut, aber er würde nicht aufgeben.
„Chaid, verdammt noch mal, ich hoffe, du hast meine Nachricht verstanden", murmelte er, während er seinen Blick auf die ferne Grenze richtete, wo das Miasma am dichtesten war. Die Dunkelheit um ihn herum pulsierte, als ob sie auf ihn wartete. „Es ist Zeit, diesem Schrecken ein Ende zu bereiten... oder selbst daran zu zerbrechen."
Mit entschlossenen Schritten wandte er sich ab, seine Gedanken geordnet und sein Ziel klar. Der Kampf hatte gerade erst begonnen.

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Die Gruppe hatte sich durch den dicht vernebelten Wald gekämpft, der von einer Schwere erfüllt war, die jeden Atemzug zu einer Herausforderung machte. Die Bäume, einst lebendig und von Mana erfüllt, wirkten nun verdreht und düster. Schatten krochen über den Boden und schienen die Ankömmlinge mit Argwohn zu betrachten. Jeder Schritt war anstrengend, jede Bewegung schwerfällig, und selbst die Luft schien das Leben aus ihren Lungen zu saugen.

Emilia blieb stehen, stützte sich kurz auf ihren Stab und holte tief Luft. Ihre kastanienbraunen Augen glitten über die Gesichter ihrer Begleiter. Alex, Ash, Gray und Chaid wirkten erschöpft, die Müdigkeit zeichnete sich auf ihren Zügen ab. Besonders aber Merlo, der Flammenmagier mit den glühenden Adern, Livia, die geschmeidige Schattenläuferin, und Korren, der imposante Eisenwächter, schienen am Ende ihrer Kräfte. Das Miasma, das sie durchquert hatten, zerrte an ihrer Energie und machte selbst einfache Handlungen zu einer Qual.

„Wir sind da," sagte Alex schließlich und deutete auf eine verfallene Ruine in der Ferne. Die alte Festung war zerfallen, von Ranken und Spuren des Zerfalls überwuchert. Was einst Schutz geboten haben mochte, war jetzt nur noch ein Schatten seiner selbst. Steine lagen verstreut, und das einstige Tor hing schief in den Angeln. Doch es war ein Unterschlupf - ihr erster Zwischenstopp, der ihnen zumindest eine kurze Rast versprach.

Während die Gruppe sich in der Ruine niederließ und provisorisch ein Lager aufschlug, fiel Emilias Blick auf die dunklen Schatten, die in den Ecken lauerten. „Dieser Ort... war früher passierbar," murmelte sie. „Ohne das Miasma, ohne... das alles." Die Verwandlung war unübersehbar, und sie konnte nicht anders, als sich zu fragen, wie viel mehr zerstört werden würde, wenn sie scheiterten.

Die Stille wurde nur von müden Atemzügen und dem leisen Rascheln von Stoff durchbrochen. Emilia sank auf einen halb zerbrochenen Stein und legte den Kopf in die Hände. Sie dachte an Lythara - die Erinnerungen kamen in Wellen, jede stärker als die letzte. Sie hatte Lythara nicht gemocht, das stimmte, aber das Schicksal, das sie ereilt hatte... „Ich habe nichts getan. Ich habe zugesehen..." Die Reue nagte an ihr, eine Last, die sie kaum tragen konnte. Tränen stiegen ihr in die Augen, und bevor sie es verhindern konnte, liefen sie über ihre Wangen. „Wie konnte ich nur so gleichgültig sein?" Das Gefühl der Nutzlosigkeit, des Versagens, ließ sie zusammenbrechen.

Alex bemerkte ihre stille Verzweiflung, doch er hielt sich zurück. Es war Chaid, der zu ihr trat. Sein Gang war ruhig, fast schwebend, und er setzte sich neben sie. Der Untote, dessen grüne Augen in der Dämmerung leicht schimmerten, sprach mit einer Ruhe, die nicht von dieser Welt schien. „Der Tod... ist eine Befreiung von dem Leid, das sie erlitt," sagte er leise. „Ich habe Lythara zu Ruhe gebettet. Sie hat einen würdigen Abschied erhalten." Seine Stimme war sanft, und für einen Moment schien es, als könnte er die Dunkelheit um sie herum durchbrechen.
Emilia hob den Blick und sah ihn an. Seine Worte waren tröstlich, aber der Schmerz blieb. „Wieso fühle ich mich dann so schuldig?" flüsterte sie. Chaid legte eine Hand auf ihre Schulter, leicht, aber bestimmt. „Weil du noch lebst, Emilia. Und weil du fühlst. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Beweis dafür, dass du noch kämpfst."
Der Rest der Gruppe hatte die Szene beobachtet, hielt sich jedoch zurück. Korren, Livia und Merlo tauschten Blicke und nickten, als ob sie ein stilles Einverständnis erreicht hätten. Merlo sprach leise, aber seine Worte waren klar. „Ohne dich, Emilia, wären wir nie so weit gekommen. Dein Mana hat uns geschützt... du hast mehr geleistet, als du denkst." Livia nickte zustimmend, während Korren, wortkarg wie immer, nur ein Brummen von sich gab. Doch in diesem Brummen lag Anerkennung.
Emilia wischte sich die Tränen weg. Sie fühlte die Erschöpfung und den Schmerz, aber auch das Gewicht der Worte ihrer Gefährten. Sie blickte auf ihre Hände, die vor Müdigkeit zitterten, und fühlte eine kleine Flamme der Hoffnung in sich auflodern. Sie würde weiterkämpfen, egal wie schwer es wurde.
Im Hintergrund, fast unbemerkt, drehte sich eine Gedanke durch ihren Kopf: „Saphira ist sicher... in der Gefährtenhandlung in Origin." Der Gedanke war ein kleiner Trost. Ihr Gefährte war in Sicherheit, und das bedeutete mehr, als sie zugeben wollte.
Die Nacht legte sich über die Ruine, und die Dunkelheit schien noch dichter zu werden. Was auch immer vor ihnen lag - dieser Kampf war noch lange nicht vorbei.
...

Während die Nacht hereinbrach saß Emilia weiterhin auf einem großen, flachen Stein, der sich wie ein einsamer Hüter am Rande des Lagers erhob.
Sie schloss die Augen und legte die Hand auf ihren Brustkorb. Tief in ihrem Inneren spürte sie ein Beben, ein Zittern, das sie nur zu gut kannte. Es war die Stimme ihres inneren Mana, die auf die verzerrten Energien um sie herum reagierte. „Warum jetzt...?", murmelte sie und fühlte, wie sich ihre Finger unwillkürlich verkrampften. Ihre Verbindung zum Mana, die sie als Schamanin auszeichnete, hatte sich immer als Gabe gezeigt - doch hier, an diesem verfluchten Ort, drohte sie, ihr zur Last zu werden.

Ein kalter Hauch streifte ihre Wange, als ob die Dunkelheit sie direkt berührte. Sie schauderte und öffnete die Augen. Plötzlich überfluteten sie Bilder von früheren Leben, Fragmente, die sich wie Scherben vor ihrem geistigen Auge formten - eine junge Schamanin, die in einem alten Ritual tanzte, ein Kreis aus Manaflammen, der die Dunkelheit verbannte. Sie fühlte, wie sich das Mana in ihrem Inneren regte, als ob es auf einen Ruf antwortete, den sie selbst nicht verstand.

„Das Mana lebt hier... es reagiert", flüsterte sie und spürte, wie ihre Hände zu zittern begannen. Der Stein unter ihr schien plötzlich zu pulsieren, als ob er von einer uralten Energie durchzogen war. Sie wusste nicht, ob es Einbildung war oder ein Echo der alten Kräfte dieser Welt, aber es fühlte sich echt an - und gefährlich. Ihr Atem beschleunigte sich, und die Last auf ihrer Brust nahm zu. Doch anstatt die Panik zuzulassen, zwang sie sich, tief durchzuatmen und in die Leere um sie herum zu lauschen.

Ein leises, kaum hörbares Summen erreichte ihre Ohren - ein Flüstern, das nur für sie bestimmt war. Es war, als ob die Umgebung selbst sie rief, als ob das Mana sie prüfte. Sie musste sich ihrer Rolle stellen, musste begreifen, dass die Grenzen ihrer Kräfte hier nicht nur geprüft, sondern weiter entfaltet wurden. „Es gibt kein Zurück", dachte sie und erinnerte sich an Theresas Worte: „Eine Schamanin hört die Stimmen des Mana nicht nur - sie formt sie mit jedem Atemzug."

Mit einem erneuten Atemzug schloss sie die Augen und ließ das Mana durch sich fließen. Ihre Verbindung zur Welt verstärkte sich, bis sie die verzerrten Ströme des Miasmas spüren konnte. Sie griff vorsichtig nach den Energien, die sie einst abgelehnt hatte. Es war ein Balanceakt, wie auf einem dünnen Seil über dem Abgrund. Das Miasma war verlockend - wie eine brennende Klinge, die alles zerstören konnte. Doch sie war hier, um zu heilen, zu schützen und zu führen.

Plötzlich tauchte Ash neben ihr auf, seine Präsenz leise, aber beruhigend. „Emilia, alles in Ordnung?" Seine Stimme drang durch die Dunkelheit wie ein Lichtstrahl, und sie öffnete die Augen. Für einen Moment sah er die Anspannung in ihren Zügen und das Leuchten in ihren Augen, das weit über das Natürliche hinausging.

„Ich... spüre alles stärker", sagte sie, die Worte zitternd, aber entschlossen. „Es ist, als ob dieser Ort mich dazu zwingt, mehr zu werden - mehr zu geben." Sie atmete tief durch. „Aber es fühlt sich auch... falsch an."

Ash kniete sich zu ihr, legte eine Hand auf ihre Schulter und sah sie mit einem ernsten Ausdruck an. „Vielleicht zwingt er dich nicht, Emilia. Vielleicht entfaltet sich das, was du schon immer warst. Manchmal braucht es die Dunkelheit, um das Licht in uns zu erwecken."

Emilia blickte ihn lange an, bevor sie nickte. Die Wahrheit lag irgendwo zwischen den Worten, doch sie wusste, dass sie sich der Dunkelheit stellen musste - nicht nur, um sie zu bekämpfen, sondern um zu verstehen, was sie aus ihr machte. Die Umgebung mochte sie zu mehr drängen, aber sie würde entscheiden, wie sie diese Kräfte nutzte.

Mit einem erneuten Atemzug richtete sie sich auf, das Zittern in ihren Händen verebbte. Das Mana um sie herum pulsierte und pochte, und sie war bereit, es zu formen - nicht aus Angst, sondern aus der Entschlossenheit heraus, die sie als Schamanin und Hüterin ihrer Gefährten auszeichnete. Die Prüfung mochte hart sein, aber sie würde daran wachsen.
~ ~ ~
Emilia zog sich in das Zelt zurück, das sie sich mit den anderen teilte. Der Stoff des Zelts schützte sie kaum vor der kühlen Nachtluft, aber es bot zumindest einen Hauch von Geborgenheit inmitten dieser unwirtlichen Ruine. Sie hatte gerade gemeinsam mit den anderen gegessen. Gray hatte sich, wie schon die letzten Tage, um die Versorgung der Gruppe gekümmert. Seine sorgfältig zubereiteten Mahlzeiten enthielten nicht nur Nährstoffe, sondern auch magische Zutaten, die ihr Mana schneller regenerierten. Gray wusste, was er tat - und das war in Momenten wie diesen ein Segen.

Nach und nach begaben sich alle in ihre Zelte. Die drei Begleiter, Merlo, Livia und Korren, hatten sich in einem separaten Zelt zurückgezogen. Emilia, Alex, Gray, Ash und Chaid blieben beisammen. In den letzten Tagen waren sie enger zusammengerückt, nicht nur aus Kameradschaft, sondern auch, um sich gegenseitig besser schützen zu können. Die Dunkelheit und das Miasma draußen ließen niemanden zur Ruhe kommen, und es war die Nähe zueinander, die ihnen wenigstens ein wenig Wärme gab.

Emilia saß mit angezogenen Knien auf ihrer Unterlage und starrte ins Leere. Die Tage hatten sie ausgelaugt. Nachts hatte sie oft eine Barriere aufrechterhalten, um das Lager vor dem Miasma und möglichen Bedrohungen zu schützen. Doch das ständige Halten dieser magischen Schutzschilde, selbst tagsüber, zehrte an ihrer Kraft. Es wurde zu viel - und sie hatte beschlossen, die Barriere in der Nacht fallen zu lassen. Ash hatte sich bereit erklärt, den Schutz nachts zu übernehmen, auch wenn seine Fähigkeiten nicht mit ihren vergleichbar waren. Es war besser als nichts.
Sie beobachtete, wie Gray mit geübten Bewegungen die letzten Reste des Essens wegräumte. Sein Blick war ernst, aber seine Bewegungen ruhig. Sein Wissen über Ernährung und die regenerativen Eigenschaften von Mana war in diesen Zeiten ein unbezahlbarer Vorteil. Doch selbst er, der normalerweise eine gewisse Leichtigkeit an den Tag legte, wirkte erschöpft. Die Müdigkeit hatte jeden von ihnen eingeholt, selbst wenn sie es zu verbergen versuchten.
Das Zelt war erfüllt von einer trüben, bedrückten Stimmung. Jeder hing seinen Gedanken nach, und die Schwere des Tages lastete auf ihren Schultern. Emilia spürte den Kloß in ihrem Hals, der sich wieder zu bilden begann. Sie hatte sich in den letzten Tagen nur auf ihre eigene Trauer konzentriert - auf den Verlust von Lythara, den sie nicht verhindern konnte. Die Reue und das Gefühl der Nutzlosigkeit fraßen sie innerlich auf. Doch jetzt, als sie ihre liebsten ansah, brach es ihr das Herz. Sie hatte nicht bemerkt, wie erschöpft und ausgelaugt die anderen waren. Ihre Glieder fühlten sich schwer an, und das Wissen, dass sie nicht die Einzige war, die litt, machte die Last nicht leichter.
„Es tut mir leid..." flüsterte sie, mehr zu sich selbst als zu den anderen. Ihre Finger umklammerten den Stoff ihrer Kleidung, und die Tränen, die sie so lange zurückgehalten hatte, drohten erneut zu fließen. Doch sie schluckte sie hinunter. Jetzt war keine Zeit für Schwäche. Die anderen brauchten sie - und sie würde nicht zulassen, dass ihre Trauer sie zerbrach.
Alex legte eine Hand auf ihre Schulter, sanft, aber fest. Sein Blick sprach Bände. Keine Worte waren nötig, denn jeder in diesem Zelt wusste, was auf dem Spiel stand und wie tief der Schmerz reichte. Gemeinsam, trotz aller Erschöpfung, würden sie einen Weg finden, weiterzumachen.
~~ ~
Emilia sah in die erschöpften Gesichter ihrer engsten Vertrauten und fühlte einen scharfen Stich in ihrer Brust. Sie hatte Lythara nicht retten können, sie war tatenlos geblieben, während die Welt um sie herum zerfiel. Doch jetzt, in diesem Moment, wusste sie, dass sie sich zusammenreißen musste - für diejenigen, die noch bei ihr waren und die sie mehr liebte, als sie in Worte fassen konnte. Der Gedanke an ihre Schuld und Reue schmerzte, aber sie würde nicht zulassen, dass dieser Schmerz sie weiter lähmte.

Mit einem plötzlichen, entschlossenen Atemzug klatschte sie sich mit beiden Händen gegen die Wangen. Der Aufprall brannte auf ihrer Haut, und es fühlte sich wie eine Strafe für ihre Selbstvorwürfe an, aber auch wie ein Weckruf. Sie musste handeln, nicht schmollen. Langsam richtete sie sich auf, ihre Bewegungen voller Anmut, die in ihr tief verankert war. Sie griff in ihre Tasche und holte Salben und Tinkturen hervor - Dinge, die sie vor ihrer Reise sorgfältig zusammengestellt hatte. Sie war eine Schamanin, und das würde sie immer bleiben.

Ohne ein Wort zu sagen, bewegte sie sich zu ihren Kameraden. Sie kniete sich zuerst vor Chaid nieder, dessen Augen einen Hauch von Überraschung und Neugier widerspiegelten. Emilia nahm die Salbe und begann mit bedächtigen, sanften Bewegungen, ein Symbol auf seiner Stirn zu malen - ein Zeichen des Schutzes, des Friedens. Chaid, der sonst immer einen scherzhaften oder provokanten Kommentar auf den Lippen hatte, sagte nichts. Er ließ sie gewähren, und seine grün leuchtenden Augen schimmerten kurz, als würde er die Ruhe, die sie ihm schenkte, aufsaugen.
Nacheinander wandte sich Emilia Ash, Gray und schließlich Alex zu. Sie zeichnete dieselben Symbole auf ihre Stirnen, jede Geste durchdrungen von Sorgfalt und Hingabe. Die Jungs beobachteten sie still, verwundert über das, was sie tat. Ihre Hände zitterten ein wenig, als sie Alex berührte, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Als sie fertig war, beugte sie sich zu jedem Einzelnen und drückte ihnen einen sanften Kuss auf die Stirn. Selbst Chaid, der sonst ihre Gesten mit einem spöttischen Lächeln bedacht hätte, ließ es geschehen. Sie hatte in letzter Zeit das Gefühl, ihn immer besser zu verstehen. Seine Aura war silber, doch in den letzten Tagen hatte sie begonnen zu flackern - ein Zeichen von Stress, Unsicherheit, vielleicht sogar Angst. Emilia wollte ihm Frieden schenken, ebenso wie den anderen.
„Das ist alles, was ich im Moment geben kann...", flüsterte sie kaum hörbar, während sie sich wieder aufrichtete.
Einige Herzschläge lang herrschte Stille im Zelt. Dann schloss Emilia die Augen. Ein Lied, das tief in ihr verborgen lag, stieg in ihr auf - ein Lied, das Theresa ihr beigebracht hatte, um die Seelen zu beruhigen und Wunden zu heilen. Sie atmete ein, ließ die Melodie in ihrem Inneren wachsen und begann zu singen. Die Worte waren sanft, wie ein Flüstern des Windes, doch ihre Stimme erfüllte den Raum mit einer unerklärlichen Wärme. Es war das erste Mal, dass sie für die Jungs sang. Ihre Stimme klang wie ein ferner Traum, eine Melodie, die von Hoffnung und Trauer gleichermaßen erzählte.
Die Jungs starrten sie an, überrascht und bewegungslos. Sie hatten nie geahnt, dass Emilia so singen konnte. Es war, als ob die Last der Welt für einen Moment von ihnen genommen wurde. Die Dunkelheit um sie herum wich ein Stück zurück, und der Schmerz, den sie alle fühlten, wurde für diesen kurzen Augenblick erträglicher.
Emilias Lied war ein Geschenk, und es war alles, was sie in diesem Moment geben konnte.

Lied der Heilenden Flamme

In der Nacht, so tief und kalt,
wo Schatten flüstern, laut und alt,
brech ich das Schweigen, sanft und rein,
für die Seelen, die in Dunkelheit sein.

Tränen fließen, schwer und stumm,
doch aus Schmerz wird Hoffnung, stumme Trauer.
Lasst mich tragen eure Last,
bis der Morgen uns neu umfasst.

Schutz aus Licht und Mana rein,
möge Friede euer Herz befrei'n.
Wunden heilen, Narben schwach,
auf dass Kraft euch trägt - bis in den Tag.
Jeder Schmerz, der euch zerbricht,
verliert sich hier im warmen Licht.
Zusammen sind wir stärker noch,
Schritt für Schritt, bis ans Ende, doch.

Ruh' nun aus und finde Frieden,
mein Lied sei dein Schutz, tief und innig beschieden.
Bis die Schatten weichen, einsam, leer,
bin ich hier - und halte dich mehr.
--
Die Jungs starrten Emilia mit großem Erstaunen an. Die Melodie ihres Liedes war verklungen, doch der Nachklang hallte in ihren Herzen nach und ließ den Raum in einer ungewohnten Stille zurück. Chaid öffnete den Mund, um etwas zu sagen, vielleicht einen seiner typischen spöttischen Kommentare abzugeben oder etwas Leichtes zu erwidern, doch Emilia legte ihm sanft einen Finger auf die Lippen.
„Es sind jetzt keine Worte nötig, Chaid", flüsterte sie mit einer Wärme, die seine restlichen Einwände zum Schweigen brachte. Behutsam nahm sie seine Wange und zog seinen Kopf zu sich hinunter, bis er an ihre Brust sank. Die Überraschung wich aus seinen Augen, als sie begann, seinen Kopf sanft zu streicheln, ihre Finger fuhren durch sein schneeweißes Haar.
Für einen Moment wirkte Chaid, der sonst immer eine Aura der Kontrolle und Gelassenheit ausstrahlte, verletzlich. Er schloss die Augen und ließ die Anspannung in seinen Schultern nach, während er sein Gesicht in ihrer Brust vergrub. Die anderen sahen zu, wie die Stille sich in etwas verwandelnde, etwas Beruhigendes ausdehnte. In Emilias Armen konnte er für einen Augenblick vergessen - vergessen, dass die Welt zerfiel, dass Dunkelheit lauerte und dass das Miasma drohte, alles zu verschlingen.

Keiner der Anwesenden wagte es, Emilias Entschlossenheit infrage zu stellen oder die Stille mit Worten zu zerbrechen. Sie warteten geduldig, fast ehrfürchtig, während Minuten vergingen und Emilia sich weiterhin um Chaid kümmerte. Ihre sanfte Berührung, das leichte Streicheln über sein Haar und die Nähe, die sie ihm schenkte, waren wie ein stilles Versprechen, das ihm die Last von seinen Schultern nahm.

Chaid atmete tief ein, seine Umarmung wurde fester, und für diesen einen Moment ließ er die Maske des sorglosen Spötters fallen. Niemand in diesem Zelt sagte etwas; es war nur die stille Berührung, die Zuneigung und Fürsorge in den Vordergrund rückte. Die Minuten verstrichen, bis Chaid schließlich ein leises, kaum hörbares „Danke - ich denke, ich habe das gebraucht" hauchte. Seine Stimme war gebrochen, aber ehrlich.
Emilia lächelte leicht und löste sich von ihm, nur um ihm einen sanften Kuss auf die Wange zu drücken. „Und ich denke, du hattest das mehr als verdient", sagte sie leise. Ihre Blicke trafen sich, und für einen Augenblick schien die Dunkelheit um sie herum vergessen. Beide strahlten sich an, und in diesem Moment schien die Welt ein wenig heller.
Emilia stand auf und wandte sich den anderen zu. Sie setzte sich sanft neben Ash und zog ihn behutsam in ihre Arme. „Jetzt bist du dran", flüsterte sie und strich ihm über das Haar. Seine Schultern entspannten sich unter ihrer Berührung, und sie nahm sich die Zeit, ihm die Fürsorge zu schenken, die er so dringend brauchte.
Sie widmete sich liebevoll jedem ihrer liebsten Gefährten, einer nach dem anderen.
Sie strich durch Grays dunkles Haar, küsste seine Stirn und sprach ihm ohne Worte Mut zu. Bei Alex verweilte sie einen Moment länger, legte sanft ihre Hand auf seine Wange und ließ ihm die Nähe spüren, die er in diesen Zeiten brauchte. Ihre Berührungen waren sanft, jeder Kuss ein Zeichen ihrer Zuneigung und Stärke. Sie schenkte ihnen das, was Worte nicht ausdrücken konnten - Trost, Wärme und die Hoffnung, dass sie morgen stärker sein würden.
Die Erschöpfung war noch da, aber für einen kurzen Moment spürten sie, dass sie nicht allein waren. Und das war genug, um die Dunkelheit für eine Nacht in Schach zu halten.

Das Zelt war erfüllt von einer warmen, ruhigen Energie, als Emilia nacheinander jedem ihrer Gefährten die Zuwendung schenkte, die sie so sehr brauchten. Die Dunkelheit draußen und die bedrückende Last des Miasmas schienen für einen Moment weiter weg, als ob die Mauern ihres kleinen Unterschlupfs eine unüberwindbare Barriere gegen das drohende Chaos bildeten. Die Erschöpfung war nicht verschwunden, aber sie war etwas leichter zu tragen.

Ash, der sonst immer einen leicht verschmitzten Ausdruck trug, legte seinen Kopf auf Emilias Schulter. Seine Augen schlossen sich, und für einen Augenblick wirkte er wie jemand, der endlich die Last eines Krieges hinter sich lassen konnte. „Du hast dir das wirklich verdient, Emilia", murmelte er leise, seine Stimme brüchig vor Müdigkeit. „Mehr als wir alle."
Gray, der sich im Schneidersitz hingesetzt hatte, beobachtete die Szene mit einem sanften Lächeln. Seine meerblauen Augen spiegelten die Müdigkeit wider, aber auch eine tiefe Dankbarkeit. „Was für ein Anblick", sagte er mit einem Hauch von Neckerei in der Stimme. „Unsere Emilia, der Fels in der Brandung. Wer hätte das gedacht?" Seine Worte trugen eine Wärme in sich, die sie spürte - keine spöttische Bemerkung, sondern echte Zuneigung.
Emilia lächelte schwach, legte aber den Finger auf die Lippen, um sie zur Ruhe zu bringen. „Reden könnt ihr morgen, jetzt lasst euch einfach fallen", flüsterte sie, und ihre Stimme klang beruhigend und sanft.

Alex, der die Szenerie aus der Nähe betrachtete, lehnte sich gegen die Zeltwand. Sein Blick ruhte auf Emilia, und seine Augen waren voller unausgesprochener Worte. Als Emilia sich ihm zuwandte, schien er kurz zu zögern, doch dann griff sie nach seiner Hand. „Du brauchst das genauso wie die anderen", sagte sie leise und zog ihn näher. Ihre Stirn berührte die seine, und sie schlossen für einen Moment die Augen. In diesem stillen Augenblick floss eine Art unausgesprochenes Versprechen zwischen ihnen.

„Es tut gut...", sagte Alex schließlich, die Worte kaum hörbar, fast als hätte er Angst, den Moment zu zerstören. Emilia erwiderte nichts, ließ aber ihre Hand auf seiner verweilen, bevor sie sich wieder an die Gruppe wandte.

Chaid, der sich in der Zwischenzeit neben Ash und Gray niederließ, wirkte entspannter als zuvor. Er ließ die Finger durch sein weißes Haar gleiten und beobachtete Emilia mit einem nachdenklichen Ausdruck. „Es ist schon seltsam, wie jemand wie du uns alle zusammenhält", sagte er, mit einem Hauch von Sarkasmus, aber sein Tonfall war sanfter als sonst. „Als würdest du die Risse mit deinem bloßen Willen verschließen."

Emilia lächelte ein wenig müde. „Vielleicht tue ich das. Aber ich denke, wir halten uns gegenseitig zusammen. Ohne euch... wäre es nicht möglich."

Ein sanftes Schweigen kehrte ein, während jeder die Worte auf seine Weise aufnahm. Das Miasma, die Dunkelheit und die Bedrohungen, die auf sie warteten, fühlten sich für einen Moment weiter entfernt an. Es gab nur sie und diesen kurzen Augenblick des Friedens, der ihnen die Kraft für den nächsten Tag gab.

Nach einer Weile drehte sich Emilia zu den anderen um und sprach mit leiser, aber fester Stimme. „Schlaft jetzt. Morgen wird nicht einfacher, aber zusammen werden wir es schaffen." Sie setzte sich, zog die Decke über sich und schloss die Augen. Für einen Moment fühlte sie die Wärme ihrer Gefährten um sich und ließ die Anspannung des Tages los.
Die Dunkelheit draußen war immer noch da, aber im Zelt war es warm, sicher und voller Verbundenheit.

Die Stille im Zelt wurde nur vom leisen Rascheln der Decken und dem gleichmäßigen Atem der Anwesenden durchbrochen. Einer nach dem anderen rückten sie näher, suchten die Wärme, die Trost versprach, und kuschelten sich aneinander. Die Nähe zueinander schuf eine kleine Insel der Geborgenheit inmitten einer Welt voller Gefahren.
Emilia spürte, wie Ash seinen Kopf an ihre Schulter lehnte und leise seufzte. Gray legte sanft seinen Arm um sie, während Alex an ihrer anderen Seite ihre Hand hielt. Für einen kurzen Augenblick schien die Last des Tages vergessen, und sie fühlte sich nicht mehr ganz so allein. Sie hatte sich diese Nähe nicht erträumt, und doch war sie jetzt hier - und so echt wie das Schlagen ihres Herzens.
Chaid, der seine lockere Fassade für diesen Moment abgelegt hatte, beugte sich vor und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Wange. „Danke", flüsterte er mit einer Wärme, die sie noch nie von ihm gehört hatte. Emilia erwiderte sein Lächeln und legte ihre Stirn für einen Moment gegen die seine. Keine Worte waren nötig; sie spürte die Dankbarkeit und das Vertrauen, das in diesen Gesten lag.

Emilia schloss die Augen, während sie die Umarmungen und Küsse spürte. Der Frieden, den sie in diesem Augenblick fanden, war flüchtig, aber kostbar. Gemeinsam, so wusste sie, konnten sie auch den dunkelsten Momenten trotzen. Langsam ließ sie sich zurücksinken, umgeben von ihren liebsten Gefährten, und erlaubte sich für diese eine Nacht, einfach nur zu sein - beschützt und schützend zugleich.

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