Kapitel 8 Band 4
Kapitel 8 Band 4
3. Splitter der Wahrheit
Die Gruppe war bereits seit einigen Stunden unterwegs. Die kühle Herbstluft zog durch die kahlen Äste der Bäume, und das Rascheln der Blätter unter ihren Füßen erfüllte die Stille. Emilia lief zwischen Ash und Alex, während Jake vorausging, stets wachsam, und Gray hinten die Nachhut bildete. Sie hatte die ganze Zeit über nachgedacht, doch die drückenden Sorgen um Saphira machten sie nur noch neugieriger auf das Ziel ihrer Reise.
Emilia blieb kurz stehen, was Ash sofort bemerkte. Er sah sie aus dem Augenwinkel an, bevor sie schließlich mit den Worten die Stille durchbrach: „Ash... ich hab eine Menge Fragen."
Ash lächelte leicht und hob die Augenbrauen. „Oh, wirklich? Das ist neu," sagte er mit einem schelmischen Unterton.
Jake drehte sich um, sein Blick ernst. „Dann frag. Wir haben schließlich Zeit. Und ich bin sicher, es wird besser, wenn du nicht alles nur in deinem Kopf zerdenkst."
Die anderen Jungs nickten zustimmend, und Emilia begann, leise, aber bestimmt.
„Also... was bedeutet es eigentlich, die Sünde der Völlerei zu sein? Ich meine... ist er ständig hungrig? Oder... zeigt sich das auf eine andere Weise?"
Ash hielt inne und lächelte schief. „Gute Frage. Aber nein, Völlerei ist nicht so simpel wie ‚ständig essen wollen'. Es geht um... eine Art endlosen Drang, alles intensiv zu erleben. Hunger, ja, aber auch Gier nach Leben, nach Gefährten, nach Erfahrungen. Es ist ein Verlangen, das niemals gestillt wird. Aber er hat gelernt, das zu kontrollieren - meistens."
Alex fügte nachdenklich hinzu: „Er sucht immer nach dem Extremen, nach dem, was ihn erfüllt. Aber das macht ihn auch unglaublich wertvoll. Wenn er etwas tut, dann gibt er alles. Seine Essenz ist nicht nur ein Fluch, sondern auch eine Kraft. Aber... das kann natürlich schwierig sein."
Jake nickte langsam. „Er ist ein Perfektionist in allem, was er tut. Seine Sünde treibt ihn an, das Beste zu geben - nicht nur für sich selbst, sondern für andere. Das macht ihn zu einem verdammt guten Gefährtenkurator. Aber es macht ihn auch... anstrengend."
Gray lachte trocken. „Anstrengend ist untertrieben. Er ist ein störrisches Biest, und wenn er was will, dann holt er es sich. Egal, wie oft du ihm sagst, dass es unmöglich ist."
Emilia hörte aufmerksam zu, ihre Stirn gerunzelt. „Das klingt... intensiv. Aber auch bewundernswert, denke ich. Wie ist er denn so? Kommt er mit allen klar?"
Ash zögerte, bevor er antwortete: „Fel... äh, er hat eine starke Persönlichkeit. Er ist direkt, manchmal zu direkt. Und er liebt es, zu provozieren - besonders, wenn er merkt, dass es jemanden aus der Fassung bringt. Aber tief in seinem Inneren... ist er loyal. Er würde alles tun, um zu helfen, auch wenn er es nie zugeben würde."
„Also eher schwierig?" fragte Emilia vorsichtig, woraufhin Alex schnaubte. „Das ist noch milde ausgedrückt. Aber glaub mir, wenn es um Gefährten geht, gibt es keinen Besseren. Er wird Saphira helfen können."
Jake nickte ernst. „Deswegen gehen wir zu ihm. Nicht, weil er angenehm ist - sondern weil er effektiv ist."
Nach einer Weile des Schweigens sah Emilia in die Ferne. Die kahle Landschaft ließ sie sich wieder auf ihre Sorgen besinnen. „Kennt er mich überhaupt? Oder wird es eine Überraschung für ihn, mich zu sehen?"
Die Jungs tauschten Blicke, und Ash sprach schließlich: „Er kennt dich, natürlich. Oder zumindest das, was du früher warst. Er liebt dich, aber... wie er darauf reagieren wird, wenn er dich sieht, ist schwer zu sagen. Er ist nicht der Typ, der mit seinen Gefühlen offen umgeht."
Emilia seufzte. „Das klingt... kompliziert. Aber warum lebt er nicht bei euch? Warum ist er nicht Teil eurer Gruppe?"
Jake sah sie scharf an, bevor er erklärte: „Er lebt nicht mit uns, weil wir alle unterschiedlich sind. Jede Essenz hat ihren eigenen Weg, wird im festgelegten Stamm geboren, jeder von uns hat seinen eigenen Kampf. Und er war nie jemand, der sich gut in Gruppen mit anderen Dämonen-Rassen einfügt. Das liegt an seiner... Natur."
Gray lachte leise. „Das ist nett ausgedrückt. Er mag es, allein zu sein, aber er ist immer da, wenn es darauf ankommt. Nur - er würde nie zugeben, dass er uns vermisst."
Emilia schüttelte leicht den Kopf. „Aber... wenn er so kompliziert ist, warum seid ihr euch so sicher, dass er Saphira helfen kann?"
Alex sprach diesmal, seine Stimme ruhig: „Weil er nicht nur ein Meister in seinem Bereich ist, sondern weil er sich mit verfluchter Energie auskennt. Er hat Gefährten aus Zuständen gerettet, die wir für hoffnungslos hielten. Seine Methoden sind einzigartig, und... er ist einfach der Beste."
Ash fügte hinzu: „Vertrau mir, Emilia. Er wird Saphira helfen. Auch wenn es vielleicht nicht einfach wird."
Emilia sah sie alle an, ihre Augen schimmerten leicht. „Ich hoffe es. Ich will einfach nicht, dass sie weiter leidet..."
Nachdem Emilia sich wieder beruhigt hatte, richtete Jake seinen Blick auf Ash. „Also, wie oft bist du eigentlich in Kontakt mit ihm?"
Ash zuckte mit den Schultern. „Oft genug. Er ist nicht der Typ für lange Briefe oder Gespräche, aber wenn ich ihn brauche, meldet er sich. Das reicht."
Gray schnaubte. „Und hat er sich verändert? Oder ist er immer noch derselbe arrogante Bastard?"
Ash grinste. „Oh, er hat sich kein bisschen verändert. Aber das macht ihn auch so zuverlässig. Du weißt immer, woran du bei ihm bist."
Die Gruppe marschierte weiter, und Emilia ließ die Worte der Jungs in ihrem Kopf nachhallen. Sie konnte sich immer noch kein klares Bild von dieser neuen Sünde machen, aber eines wusste sie: Wenn er wirklich so war, wie sie sagten, würde er Saphira retten können - und das war alles, was zählte.
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Der Schnee begann langsam, die Umgebung in eine weiße Decke zu hüllen. Die kalte Luft biss in Emilias Wangen, und sie zog ihren Mantel enger um sich. Die Jungs gingen dicht bei ihr, und sie alle rückten ein wenig näher zusammen, um die Wärme zu teilen. Emilia schaute nach oben, wo die Schneeflocken lautlos auf sie herabfielen, und seufzte leise.
„Seltsam, oder?" murmelte sie, während sie ihre Finger in den Manteltaschen vergrub. „Vor ein paar Tagen war es noch Herbst, und jetzt fühlt es sich an, als hätte der Winter beschlossen, uns auf einen Schlag zu überholen."
Jake, der vorneweg ging, drehte sich zu ihr um. „Das ist die Natur dieser Welt. Sie macht, was sie will. Und wir passen uns an."
Gray, der rechts von Emilia ging, zog grinsend die Schultern hoch. „Oder wir beschweren uns darüber, wie chaotisch das Wetter ist, während wir es trotzdem ignorieren."
Die leichte Stimmung brachte Emilia ein sanftes Lächeln, doch ihre Gedanken waren immer noch bei den Gesprächen zuvor. Sie hob den Kopf und sah die Jungs nachdenklich an.
„Darf ich euch etwas fragen?" begann sie vorsichtig. Die Jungs warfen sich kurze Blicke zu, bevor Alex sanft nickte.
„Du kannst uns alles fragen, Emilia," sagte er ruhig.
Sie holte tief Luft und stellte ihre Frage: „Habt ihr jemals gedacht, dass wir eines Tages wieder normal leben könnten - ohne Flüche, ohne ständige Prüfungen?''
Die Worte hallten in der eisigen Stille nach, und für einen Moment sagte niemand etwas. Schließlich war es Jake, der mit einer ernsten Stimme antwortete: „Normal..." Er wiederholte das Wort, als würde er es kosten. „Das ist ein Traum, den wir uns manchmal erlauben. Aber wir wissen, dass er nicht realistisch ist."
Emilia sah ihn an, ihre Stirn leicht gerunzelt. „Aber... wieso nicht? Irgendwann muss es doch ein Ende geben, oder?"
Alex legte eine Hand auf ihre Schulter, sein Blick voller Wärme. „Das hoffen wir alle, Emilia. Aber ‚normal'... das ist nichts, was wir je hatten. Nicht in diesem Leben und auch nicht in den anderen."
Ash sprach, seine Stimme etwas rauer als sonst: „Wir sind, wer wir sind - Flüche, Prüfungen und alles. Ohne das wären wir nicht wir. Und doch..." Er hielt inne und lächelte sie schief an. „Manchmal wünsche ich mir ein Leben, in dem wir einfach nur... wir sein können. Ohne die Last von allem."
Gray lachte trocken. „Aber was würden wir dann mit all der freien Zeit machen? Normal klingt langweilig."
Jake schnaubte und schlug Gray leicht auf den Hinterkopf. „Blödsinn. Aber er hat nicht ganz Unrecht. Wir wissen nicht, was ‚normal' ist. Vielleicht... vielleicht ist unser ‚normal' einfach anders."
Emilia senkte den Blick, ihre Stimme leise: „Das klingt... traurig."
„Nicht traurig," sagte Alex schnell. „Nur anders. Und solange wir zusammen sind, Emilia, ist es das, was zählt."
Die Gruppe marschierte weiter, der Schnee knirschte unter ihren Füßen. Emilia dachte über ihre Worte nach und wagte eine weitere Frage.
„Was war das Schwerste, das ihr je durchmachen musstet, ohne dass ich es wusste?"
Die Jungs hielten für einen Moment inne, ihre Schritte verlangsamten sich, und die Stille wurde schwer. Schließlich sprach Gray, seine Stimme ungewohnt ernst: „Es gibt viel, Emilia. Mehr, als du dir vorstellen kannst. Aber... wenn ich eines nennen müsste..." Er seufzte tief. „Es war, dich zu verlieren."
Emilia blieb stehen, ihre Augen weiteten sich. „Mich... verlieren?"
Alex nickte langsam, sein Blick melancholisch. „In einem deiner früheren Leben. Du warst immer bei uns, Emilia. Aber in einem Leben... haben wir dich verloren, bevor wir dich richtig schützen konnten. Du warst... jung. Zu jung."
Jake sprach weiter, seine Stimme voller Bitterkeit: „Und wir konnten nichts tun. Es war, als hätte die Welt beschlossen, uns zu bestrafen. Uns zu zeigen, wie zerbrechlich alles ist."
Ash fügte leise hinzu: „Das war der Moment, in dem wir geschworen haben, dass es nie wieder passieren darf. Egal, was es kostet."
Emilia schluckte schwer, ihre Kehle schnürte sich zu. „Ich... ich wusste nicht, dass das passiert ist."
Jake legte ihr eine Hand auf die Schulter und sah ihr direkt in die Augen. „Und du musst es auch nicht wissen, Emilia. Nicht mehr. Wir sind hier, um sicherzustellen, dass du diesmal bei uns bleibst. Immer."
Emilia musste die Tränen zurückhalten, während sie wieder zu laufen begann. Nach einer Weile stellte sie eine weitere Frage, um die bedrückende Stimmung zu vertreiben.
„Gibt es etwas, das ihr mir unbedingt zeigen wollt? Etwas, das euch in all den Wiedergeburten besonders wichtig war?"
Alex lächelte, ein Hauch von Nostalgie in seinen Augen. „Es gibt viele Orte, die ich dir zeigen möchte, Emilia. Aber einer davon... ist der Ort, an dem wir uns das erste Mal begegnet sind. Gemeint ist der Ort nach deiner ersten Wiedergeburt.''
Gray lachte leise. „Der Ort, an dem du mir ein Glas Wasser ins Gesicht gekippt hast, weil ich dich angeblich genervt habe."
Ash schmunzelte. „Oder der Ort, an dem du versucht hast, Jake zu besiegen, obwohl du keine Ahnung hattest, wie stark er war."
Jake rollte die Augen. „Oder der Ort, an dem du versucht hast, Alex aus Versehen zu verfluchen. Du warst so tollpatschig."
Emilia lachte, obwohl ihr Gesicht rot wurde. „Das klingt alles... ziemlich nach mir."
Alex nahm ihre Hand, sein Blick warm. „Es gibt viele Orte, Emilia. Orte, die mit Erinnerungen gefüllt sind - traurige, glückliche, und alles dazwischen. Und wir werden sie dir alle zeigen. Irgendwann."
Der Schnee wurde dichter, und die Gruppe rückte noch enger zusammen, um die Kälte abzuwehren. Emilias Herz war schwer, aber auch voller Wärme. Trotz all der Schwierigkeiten fühlte sie sich mit den Jungs geborgen. Und während sie weiter durch den verschneiten Wald liefen, wusste sie, dass sie mit jedem Schritt nicht nur ihrem Ziel, sondern auch neuen Erinnerungen näher kamen.
...
Die Gruppe wanderte weiter durch den knirschenden Schnee, der in einer gleichmäßigen Schicht den Boden bedeckte. Die Luft war eiskalt, aber die Nähe der Jungs und der helle Klang von Emilias Stimme machten die Kälte erträglicher. Sie hatte Alex' Hand in ihrer linken und Grays Hand in ihrer rechten, die Wärme ihrer Gefährten ließ sie lächeln.
„Also", begann sie mit einem verspielten Ton, „wer von euch hat eigentlich die meisten Fehler in früheren Leben gemacht?"
Die Jungs sahen sich an, und ein verschmitztes Grinsen breitete sich bei Chaid aus. „Das ist doch keine Frage, Emilia. Natürlich Alex."
„Was?!" Alex sah empört aus, aber ein belustigtes Funkeln blitzte in seinen Augen. „Was meinst du mit ‚natürlich Alex'?"
Chaid zuckte mit den Schultern. „Du bist einfach... zu perfektionistisch. Und weißt du, wer die meisten Fehler macht? Diejenigen, die versuchen, perfekt zu sein."
„Das stimmt nicht!", protestierte Alex. „Ich habe immer mit besten Absichten gehandelt."
Jake schnaubte. „Die besten Absichten sind der schnellste Weg ins Chaos. Glaub mir, Alex. Du bist nicht allein. Ich habe auch meine Liste von Fehlern. Aber im Gegensatz zu dir gebe ich sie zu."
„Und was war dein schlimmster Fehler?", fragte Emilia neugierig.
Jake grinste leicht düster. „Lass uns einfach sagen, dass es mit Feuer, einem wütenden Dorf und einem verfluchten Artefakt zu tun hatte."
Ash hob die Hand. „Das warst du? Ich dachte, das wäre meine Schuld gewesen."
„Oh, du hast auch deinen Anteil gehabt", murmelte Jake und die Gruppe lachte.
Emilia sah Alex mit einem schelmischen Blick an. „Na gut, Alex, du kannst mir später deine ganze Liste zeigen. Vielleicht helfe ich dir ja, sie aufzuarbeiten."
Alex errötete leicht, aber lächelte warm. „Vielleicht lasse ich dich."
Sie liefen ein Stück weiter, als Emilia eine ernstere Frage stellte: „Wie habt ihr euch das erste Mal erinnert, wer ihr seid? Was habt ihr dabei gefühlt?"
Die Jungs wurden still. Es war Gray, der schließlich sprach. „Es kommt schubweise. Anfangs weißt du, dass etwas nicht stimmt. Du bist ein Fremder in deinem eigenen Leben. Und dann... bricht es wie eine Flut über dich herein. Die Erinnerungen, die Gefühle, alles auf einmal."
Ash nickte. „Das erste Mal, als ich mich erinnerte, fühlte ich mich... verloren. Wie ein Kind, das plötzlich begreift, dass es erwachsen ist."
Chaid lächelte schwach. „Für mich war es wie ein Schlag in die Magengrube. Ich habe immer geglaubt, dass ich frei wäre, mein Leben zu leben. Und dann erinnerte ich mich daran, dass ich nicht nur ich bin. Ich bin... ein Teil von etwas Größerem."
Emilia drückte ihre Hände fester. „Das muss so schwierig gewesen sein... Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, so etwas zu durchleben."
„Es war schwer", sagte Alex leise, „aber wir hatten einander. Aber auch das mussten wir erst begreifen und erfahren. Und jetzt haben wir dich."
Die Gruppe wurde wieder still, bis Emilia eine weitere Frage stellte: „Habt ihr mir damals schon Geschichten erzählt - als ich mich noch nicht erinnern konnte?"
Jake grinste. „Oh ja. Wir haben dir viele Geschichten erzählt. Du hast sie geliebt, selbst wenn du keine Ahnung hattest, dass sie von uns handeln."
Ash lachte leise. „Ich habe dir immer Geschichten über einen störrischen Drachen und eine mutige Valkyrie erzählt. Du hast mich immer gebeten, den Drachen nicht sterben zu lassen."
„Und was ist mit dir, Alex?", fragte Emilia neugierig.
„Ich habe dir Geschichten über verlorene Welten und Helden erzählt. Geschichten, die ich dir nie wirklich erzählen konnte, bis jetzt."
Emilia spürte Tränen aufsteigen, aber sie lächelte. „Danke... danke, dass ihr immer bei mir wart, auch wenn ich es nicht wusste."
Ihre letzte Frage war zögerlich: „Gibt es bei euch auch eine Art... innere Verbindung, wenn ich nicht bei euch bin? Spürt ihr, wenn ich in Gefahr bin?"
Die Jungs nickten einstimmig, und Jake antwortete zuerst. „Ja. Es ist nicht wie eine Stimme, aber... ein Gefühl. Wenn du leidest, spüren wir es. Wenn du glücklich bist, gibt es uns Frieden."
„Es ist, als wäre ein Teil von dir immer bei uns", fügte Alex hinzu. „Selbst wenn wir getrennt sind, bist du immer in uns."
Emilia fühlte sich von ihren Worten überwältigt. Sie blieb stehen und ließ ihre Hände aus ihren Griffen gleiten, nur um jeden von ihnen der Reihe nach zu umarmen. „Ich liebe euch", flüsterte sie. „Mehr als alles andere."
Der erste Schnee der Jahreszeit fiel leise um sie herum, und für einen Moment schien es, als ob die Welt still stand, nur für sie.
Die Gruppe stapfte weiter durch den frisch gefallenen Schnee, der bei jedem Schritt unter ihren Stiefeln knirschte. Die Bäume, deren Blätter längst gefallen waren, reckten ihre kahlen Äste in den grauen Himmel. Der Wind war eisig, aber Emilia fühlte sich von der Wärme der Jungs beschützt, selbst wenn sie dicht beieinanderliefen.
Sie sah zu Alex hinüber und fragte neugierig: „Könnt ihr eigentlich miteinander... reden? Ich meine, so telepathisch oder so? Ich hab manchmal das Gefühl, ihr versteht euch, ohne ein Wort zu sagen."
Alex schmunzelte. „Du meinst, ob wir in deinem Kopf lesen können? Keine Sorge, das können wir nicht."
„Zumindest nicht, ohne dass du es erlaubst", ergänzte Gray mit einem schelmischen Grinsen. „Aber untereinander... ja, wir können auf eine Art telepathisch kommunizieren."
Emilias Augen weiteten sich vor Überraschung. „Echt jetzt? Wie funktioniert das? Könnt ihr das einfach immer?"
Jake schüttelte den Kopf. „Es gibt Grenzen. Die Verbindung funktioniert nur, wenn wir nah genug beieinander sind. Es ist keine Art magischer Kommunikator, das wir immer nutzen können. Es funktioniert nur, wenn wir uns kürzlich gesehen haben und die Verbindung aufrechterhalten bleibt."
Ash fügte hinzu: „Und wenn etwas wirklich Schlimmes passiert, etwas... Gravierendes, dann können wir es spüren. Es ist wie ein Schlag in die Seele, der durch alle Barrieren bricht."
„Aber das ist selten", sagte Chaid, der Emilia einen sanften Klaps auf den Rücken gab. „Also keine Sorge, wir lesen nicht ständig unsere Gedanken."
Emilia war fasziniert. „Das ist so unglaublich... Ich meine, ich hätte nie gedacht, dass das möglich ist. Könnt ihr das auch mit den anderen Todsünden?"
„Nicht, wenn sie zu weit weg sind", antwortete Alex. „Es ist, als ob die Verbindung verblasst, je weiter wir voneinander entfernt sind. Aber wenn etwas wirklich Wichtiges passiert, dann... fühlen wir es. Das passiert aber nur, wenn die Emotionen so stark sind, dass sie Wellen schlagen."
Emilia nickte nachdenklich. „Das klingt irgendwie beruhigend... und gruselig zugleich."
Sie gingen eine Weile schweigend weiter, bis Emilia wieder zu sprechen begann. „Wie war ich eigentlich so in meinen früheren Leben? War ich da auch schon Schamanin? Oder bin ich jetzt irgendwie... anders?"
Die Jungs tauschten einen vielsagenden Blick, und es war Ash, der als Erster antwortete. „Du warst in jedem Leben du, Emilia. Aber dein Charakter war oft unterschiedlich. Es hängt davon ab, wie dein Leben verlaufen ist. Ob du behütet oder voller Herausforderungen aufgewachsen bist... solche Dinge prägen die Seele."
„Manchmal warst du stärker, selbstbewusster", fügte Jake hinzu. „Und manchmal... hast du mehr Zuwendung gebraucht. Aber eines war immer gleich: dein Herz. Es war immer rein und voller Liebe."
„Und tollpatschig", warf Chaid lachend ein. „Das bist du in jedem Leben."
Emilia schnaufte empört. „Ich bin nicht tollpatschig!"
„Oh, glaub uns", sagte Alex grinsend. „Manchmal bist du wirklich... charmant verpeilt."
Emilia seufzte und wechselte das Thema. „War ich eigentlich immer Schamanin?"
Gray antwortete: „Nicht immer. Du hattest schon immer eine Verbindung zur spirituellen Welt, das stimmt. Aber eine richtige Schamanin warst du nur ein- oder zweimal. Du hast dich immer für diese Dinge interessiert, aber es war nicht in jedem Leben deine Berufung."
„Und jetzt zu meiner wichtigsten Frage", sagte Emilia mit einem schelmischen Grinsen, ihre kastanienbraunen Augen funkelten neugierig. „Bin ich eigentlich eure Favoritin?"
Die Jungs hielten inne, sichtbar überrascht von der plötzlichen Frage. Alex war der Erste, der lächelte. „Emilia... du bist keine Favoritin. Du bist du. Niemand sonst könnte so sein wie du."
Jake nickte zustimmend, seine Stimme war ruhig, aber eindringlich. „Es geht nicht darum, ob du unsere Favoritin bist. Du bist... alles für uns."
Ash warf sich mit einem spielerischen Lächeln ein: „Was sie zu sagen versuchen, ist, dass du einzigartig bist. Und ja, manchmal brauchen wir dich mehr als du uns, aber das ist in Ordnung. Es ist eine Balance."
Doch Emilia war nicht zufrieden. Sie schnaubte leise, zog ihre Hände aus ihren Manteltaschen und verschränkte sie vor der Brust. „Nein, das meine ich nicht! Ich will wissen, ob ich - im Vergleich zu meinen früheren Leben - jetzt anders bin. Bevorzugt ihr mich so, wie ich jetzt bin?"
Die Jungs tauschten Blicke, und Chaid seufzte mit einem amüsierten Lächeln. „Oh, kleine Sonne... du willst einfach nur Süßholzgeraspel hören, oder?" Er beugte sich zu ihr hinüber und zwinkerte schelmisch. „Na gut. Emilia, du bist wirklich einzigartig."
„Und unglaublich bezaubernd", fügte Gray mit einem leichten Grinsen hinzu, als er sich näher zu ihr stellte.
„Nicht zu vergessen, die tollpatschigste und verpeilteste Hüterin, die wir jemals hatten", ergänzte Ash, wobei seine Stimme warm und liebevoll klang.
Jake legte schließlich eine Hand auf Emilias Schulter und sah sie ernst an. „Wir alle lieben dich, Emilia. Egal, wie du bist - ob du nun stärker, selbstbewusster oder verletzlicher bist. Es ist egal, in welchem Leben, wir haben dich immer geliebt. Aber jetzt... jetzt ist es anders. Du bist nicht nur unsere Hüterin. Du bist auch unsere Familie. Vielleicht macht das dieses Leben so besonders."
Emilia wurde rot, während sie die Wärme in ihren Worten spürte. Sie war sprachlos, doch Alex ergriff sanft ihre Hand und drückte sie. „Du bist unsere Emilia. Egal, wie du dich selbst siehst, wir sehen immer die Beste Version in dir. Das hat sich nie geändert."
Chaid beugte sich leicht vor und flüsterte in ihr Ohr: „Aber, wenn du es unbedingt wissen willst... ja, du bist gerade unsere Favoritin. Zufrieden?"
Emilia lachte leise, auch wenn ihre Augen vor Rührung glitzerten. Sie fühlte sich umarmt von ihrer Liebe, nicht nur körperlich, sondern auch mit einer Bindung, die ihr Herz tief erreichte.
Emilia wurde rot und lenkte schnell sichtlich zufrieden ab. „Okay, okay... Letzte Frage: Waren wir immer so ziemlich gleich alt, als wir uns getroffen haben? Oder gab es da Unterschiede?"
Chaid lachte. „Oh, das war unterschiedlich. Manchmal haben wir zusammen als Kinder gespielt, manchmal haben wir uns erst getroffen, als wir erwachsen waren."
„Aber unser Altersunterschied war nie groß", fügte Gray hinzu. „Es war immer so, dass wir ungefähr im gleichen Lebensabschnitt waren. Es gab nie Probleme."
„Es sei denn, du zählst die Zeit, als ich älter war als du", murmelte Jake und grinste. „Da warst du ziemlich eingeschüchtert." Emilia wusste nicht, ob das ein halber Scherz oder ernst gemeint war.
„Ich? Eingeschüchtert?" Emilia sah ihn herausfordernd an. „Das kann ich mir nicht vorstellen."
Die Gruppe lachte, und Emilia fühlte sich von ihrer Nähe umgeben. Die Jungs gaben ihr das Gefühl, dass sie immer geliebt und beschützt war, egal in welchem Leben.
Die Gruppe hatte einen geeigneten Platz für eine Pause gefunden. Eine kleine Lichtung, umgeben von schneebedeckten Bäumen, bot Schutz vor dem kalten Wind. Alex entzündete ein kleines Feuer, während Gray geschickt eine Decke ausbreitete, auf der sich alle setzen konnten. Die Kälte kroch langsam in ihre Knochen, aber das warme Knistern der Flammen brachte ihnen ein wenig Trost.
Emilia kuschelte sich zwischen Alex und Ash, ihre Hände ausgestreckt, um die Wärme des Feuers zu spüren. Ihre Gedanken waren immer noch bei den vorherigen Gesprächen, doch die Pause gab ihr Raum, weitere Fragen zu stellen. Ihre Neugier ließ sie nicht los.
„Die anderen acht Todsünden..." begann sie schließlich zögernd. „Was genau macht sie so anders? Und wie stehen sie zu euch?"
Die Jungs tauschten einen Blick, und es war Jake, der schließlich antwortete. „Die anderen sind wie wir - und doch nicht wie wir. Jede Todsünde trägt einen einzigartigen Aspekt der Dunkelheit in sich, der sie prägt. Aber ihre Erfahrungen und ihre Art, damit umzugehen, unterscheidet sich stark von unseren."
„Zum Beispiel?" drängte Emilia, während sie sich etwas aufrichtete.
Chaid lehnte sich zurück und zählte mit den Fingern auf. „Es gibt noch die Habgier welche auch Wahnsinn verkörpert, die Peinigung auch als Verdamniss gesehen. Die Bekehrung auch als List. Dann sind da noch Gräuel getragen von der Verzweiflung , Unnachsicht, Unzucht- wie die Begierde. Jede dieser Sünden hat ihre eigene Dynamik."
„Habgier", murmelte Gray. „Das ist eine Sünde, die einen an alles klammern lässt, ohne Rücksicht auf Verluste."
Ash nickte nachdenklich. „Und Wahnsinn... das ist nicht nur ein Geisteszustand. Es ist eine verzerrte Realität, die alles um sich herum beeinflusst.''
„Sind sie gefährlich?" fragte Emilia leise.
Jake warf einen Blick ins Feuer. „Jeder von uns ist gefährlich, Emilia. Aber das macht uns nicht zu Feinden. Die anderen stehen uns nicht feindlich gegenüber - zumindest nicht direkt. Sie haben ihre Essenzen ziemlich gut in einander vereint, hin und wieder kann es aber intensiv werden. Doch jede Sünde hat ihre eigene Art, zu überleben und ihren Weg zu finden. Wir haben uns aneinander gewöhnt, und schätzen uns gegenseitig aber das Vertrauen kommt nicht von allein."
Emilia schluckte schwer, die neuen Informationen in sich aufnehmend. Doch sie war noch nicht fertig mit ihren Fragen. „Was ist das größte Hindernis, das noch vor uns liegt? Oder denkt ihr, wir haben das Schlimmste schon hinter uns?"
Alex schnaubte leise und lächelte dann. „Das Schlimmste hinter uns? Emilia, wir haben gerade erst angefangen."
„Das größte Hindernis", fügte Jake hinzu, „ist nicht das, was vor uns liegt. Es ist das, was in uns liegt. Unsere Kämpfe, unsere Ängste, unsere Zweifel. Wenn wir diese nicht überwinden, dann wird alles andere nur noch schwerer."
Ash nickte zustimmend. „Aber die Bedrohungen da draußen sind nicht weniger real. Nox Vigilia, die gesetzlose Zone, die Gefahr, die von den verfluchten Energien ausgeht... all das ist Teil dessen, was uns erwartet."
Emilia fröstelte und zog ihren Mantel enger um sich. „Werdet ihr jemals müde davon, immer wieder geboren zu werden? Was hält euch am Leben fest?"
Die Frage ließ eine plötzliche Stille über die Gruppe fallen. Es war Chaid, der schließlich leise antwortete: „Es ist nicht einfach, Emilia. Manchmal fühlt es sich an wie ein Fluch, immer wieder zu beginnen. Aber es gibt immer etwas, das uns festhält. Hoffnung. Liebe. Und vielleicht der Gedanke, dass wir eines Tages Frieden finden."
„Und du?" fragte sie leise und sah Jake an.
Jake blickte in die Flammen, bevor er antwortete: „Es ist die Pflicht, Emilia. Die Verantwortung. Wir haben eine Aufgabe, und solange wir diese nicht erfüllt haben, können wir nicht einfach aufgeben."
„Gibt es etwas, das ihr noch bereut? Etwas, das ihr anders machen würdet?"
Diesmal war es Gray, der sprach. „Bereuen? Ja, viele Dinge. Entscheidungen, die wir getroffen haben, Dinge, die wir gesagt oder nicht gesagt haben. Aber die Vergangenheit können wir nicht ändern. Alles, was wir tun können, ist, daraus zu lernen und es in der Zukunft besser zu machen."
Ash fügte hinzu: „Vielleicht hätten wir dir früher mehr von all dem erzählen sollen, Emilia. Es tut uns leid, dass du dich so oft verloren gefühlt hast. Das ist etwas, das ich bedaure."
Emilia sah die Jungs an, ihre Augen voller Wärme und Verständnis. „Ihr habt nichts falsch gemacht", sagte sie leise. „Ihr seid alles, was ich brauche. Und gemeinsam schaffen wir alles, was vor uns liegt."
Die Gruppe schloss die Pause in einer ruhigen, nachdenklichen Stimmung ab, bevor sie weiterzog. Der Schnee fiel leise um sie herum, während sie sich auf den Weg zu ihrer nächsten großen Herausforderung machten.
Emilia setzte vorsichtig ihre nächste Frage an. Sie schien sich den richtigen Moment dafür zu suchen, bevor sie schließlich leise sprach: „Gab es... gab es je ein Leben, in dem ich mich an alles erinnern konnte? An euch, an unsere Verbindung, an unsere Aufgabe?"
Die Jungs hielten inne, und eine Schwere legte sich über die Gruppe. Der Schnee fiel leise, das Knistern der Flammen war das einzige Geräusch. Es war Alex, der zuerst antwortete, mit einer Sanftheit in seiner Stimme, die Emilia selten hörte: „Ja, Emilia. Es gab ein Leben, in dem du dich erinnert hast. Es war... besonders. Aber es war auch eines der schmerzhaftesten Leben für uns alle."
Emilia zog ihren Mantel fester um sich und wartete, dass er weitersprach.
Jake übernahm, seine Worte waren klar und direkt: „Du warst damals Ari, vollständig Ari. Nicht nur die Seele, sondern auch der Geist. Du wusstest alles, Emilia. Aber..." Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr, „diese Erinnerungen haben dich gebrochen. Es war zu viel. Zu viele Leben, zu viele Verluste, zu viele Schmerzen. Du hast uns geliebt, so wie du es jetzt tust, aber es war anders. Damals warst du auch... müde. Es war das einzige Mal, dass du uns verlassen hast. Aus freien Stücken."
Emilias Augen wurden groß, und sie flüsterte: „Ich... habe euch verlassen? Warum?"
Chaid lehnte sich zu ihr, legte seine Hand sanft auf ihre. „Nicht, weil du uns nicht geliebt hast, kleine Sonne. Sondern weil du es nicht ertragen konntest, uns immer wieder zu verlieren. Du wolltest uns schützen, indem du Abstand gehalten hast. Aber es hat nicht funktioniert. Unsere Schicksale sind zu eng miteinander verbunden."
Ash fügte hinzu, seine Stimme voller Bedauern: „Nach diesem Leben... haben wir uns alle geschworen, dass du dich nie wieder vollständig erinnern sollst. Nicht, wenn es dich zerstören könnte. Wir haben lieber die Herausforderung, dir jedes Mal wieder näherzukommen, als dich jemals wieder so leiden zu sehen."
Emilia nickte langsam, Tränen in ihren Augen. Sie verstand die Tragweite ihrer Frage jetzt. „Ich danke euch... für alles. Aber ich will euch nie wieder verlassen. Egal, wie schwer es ist."
Die Jungs lächelten und zogen sie näher zu sich, während Jake murmelte: „Das werden wir auch nicht erneut zulassen."
Einige Momente später, als sie sich darauf vorbereiteten, weiterzugehen, ließ Emilia die letzten Gespräche Revue passieren. Plötzlich richtete sie sich auf und begann laut zu zählen: „Also, die anderen Sünden, die fehlen... ihr habt mir vorhin schon von- Gräuel, erzählt, welcher die Verkörperung der Dunkelheit und Träger der Essenz der Verzweiflung.
Die Peinigung und Verdammnis. Dann gibt es noch die Unzucht und Begierde. Und...Bekehrung und List, und die Unnachsicht richtig?"
Die Jungs nickten, während sie fortfuhr: „Vergiss nicht die Habgier zusammen mit seinem Wahnsinn. Und natürlich die Völlerei..." Sie sah die Jungs an und fragte: „Habe ich jemanden vergessen?"
Alex schüttelte den Kopf. „Nein, Emilia. Das sind sie alle. Die zwölf Todsünden - oder wie wir uns selbst nennen, die Essenzen."
Jake ergänzte mit einem ernsten Ton: „Und jede einzelne von uns wird gebraucht, um die Unterwelt in ihrer Balance zu halten. Ohne sie... ohne dich... würden wir zerbrechen."
Emilia fühlte eine Mischung aus Stolz und Verantwortung. Sie nickte entschlossen. „Dann werden wir alle finden. Wir werden alles tun, um die Balance zu bewahren."
Die Jungs sahen einander an, ihre Entschlossenheit spiegelte sich in ihren Gesichtern wider. Gemeinsam machten sie sich bereit, ihren Weg fortzusetzen - zu ihrer nächsten Begegnung mit einer der fehlenden Sünden und den Herausforderungen, die vor ihnen lagen.
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Die Gruppe war schon eine Weile unterwegs, der Schnee knirschte unter ihren Schritten, während der kalte Wind um sie herumwirbelte. Emilia lief zwischen den Jungs, dicht an Alex und Chaid, die links und rechts von ihr gingen. Der Winter war härter geworden, und sie zog ihren Mantel enger um sich, während die Jungs darauf achteten, dass sie in ihrer Mitte geschützt war.
Plötzlich blieb sie stehen, ihre Hände zitterten leicht, und sie blickte zu Alex hinüber. Die Jungs hielten ebenfalls an und schauten sie fragend an. Emilia holte tief Luft und sprach leise: „Alex... ich verstehe jetzt, warum du so viel Angst hattest, am Anfang."
Ihre Worte ließen ihn aufsehen, seine Augen fixierten sie aufmerksam. Emilia schluckte schwer, aber sie fuhr fort: „Du hast immer wieder gesagt, es würde mich zerreißen. Und jetzt... jetzt begreife ich, wie schwer es für dich gewesen sein muss. Es tut mir leid, dass ich immer wieder darauf beharrt habe, mehr zu erfahren. Das muss dich so sehr gestresst haben."
Sie griff nach seiner Hand, hielt sie fest zwischen ihren eigenen und suchte seinen Blick. „Wenn ich irgendwas ändern könnte, dann wäre es das. Ich hätte dir mehr vertraut, statt dich zu drängen."
Alex war sichtlich gerührt. Er ließ ihre Hand nicht los, sondern zog sie näher zu sich. Sein Griff war warm und beruhigend. „Emilia, du musst dich nicht entschuldigen", sagte er schließlich mit einer Stimme, die vor Zärtlichkeit bebte. „Du bist so, wie du bist - und genau deshalb liebe ich dich."
Er hielt inne, bevor er weitersprach. „Ich hatte Angst, ja. Aber nicht vor dir. Sondern davor, dass wir dich verlieren könnten - an die Verzweiflung, an die Dunkelheit. Und ehrlich gesagt... ich würde diese Angst immer wieder durchleben, wenn es bedeutet, dass ich dich an meiner Seite habe."
Emilia konnte die Wärme seiner Worte spüren, und sie drückte seine Hand noch fester. Ohne ein weiteres Wort lehnte sie sich vor, drückte ihm einen langen, liebevollen Kuss auf die Lippen und schlang die Arme fest um ihn. „Danke, Alex. Für alles."
Die anderen Jungs schauten schweigend zu, jeder von ihnen schien den Moment auf seine eigene Weise zu fühlen. Schließlich war es Chaid, der das Schweigen mit einem schiefen Grinsen brach: „Alex, du hast uns alle ein bisschen schlecht aussehen lassen. Vielleicht sollten wir uns alle bei Emilia für unsere Sorgen entschuldigen."
Jake schnaubte leise und lehnte sich zurück. „Entschuldigen? Wofür? Dafür, dass wir dafür gesorgt haben, dass sie überhaupt hier ist und diese Umarmungen austeilt?" Sein Ton war trocken, aber ein Hauch von Wärme schwang mit.
Ash hob eine Augenbraue. „Jake, du bist ein Romantiker. Du tust nur so, als wärst du keiner."
Jake verzog kurz die Lippen, bevor er Emilia direkt ansah. „Ich mag viele Dinge an dir, Emilia. Aber eins steht fest - egal wie oft du uns herausforderst, wir bleiben hier. Weil du es wert bist."
Emilia ließ Alex langsam los, ihr Blick wanderte über jeden einzelnen von ihnen. Sie konnte in ihren Augen dieselbe Wärme sehen, die sie umgab, wann immer sie bei ihnen war. Es war, als würde ihre Liebe sie vollständig einschließen, ein Schutzschild gegen alles, was auf sie zukommen würde.
„Ihr seid so schrecklich kitschig", murmelte sie schließlich mit einem Lächeln. Doch das Lächeln wurde weicher, und sie griff nach Chaids Hand, während ihre andere nach Jake ausgestreckt war. „Aber ich bin froh, dass ihr es seid."
Chaid lachte. „Immer gern, kleine Sonne." Er drückte ihre Hand leicht, während Jake nur nickte, als sie seine Finger umschloss.
Gray, der in der Nähe einen Baumstumpf gefunden hatte, setzte sich darauf und schürte das kleine Lagerfeuer, das sie gerade entzündet hatten. „Also gut, wenn wir mit all den emotionalen Reden fertig sind - was haltet ihr von einer Tasse heißer Schokolade?"
Ash lehnte sich zurück und grinste. „Ich wusste, dass Gray das sagen würde."
„Du magst meine heiße Schokolade genauso sehr wie alle anderen, also beschwer dich nicht", konterte Gray mit einem Grinsen.
Emilia lachte, ein heller Klang, der die Anspannung zwischen ihnen vollständig löste. Sie ließ sich von Alex zurück zu den anderen führen, setzte sich zwischen Chaid und Gray und nahm die dampfende Tasse entgegen, die Gray ihr reichte. Sie fühlte die Wärme durch ihre Finger strömen und beobachtete, wie der Dampf in den kalten Abend aufstieg.
Die Gruppe saß dicht beieinander, die kühle Nachtluft mischte sich mit der wohligen Wärme des Feuers. Ihre Gespräche wurden leiser, fast wie ein flüsternes Band zwischen ihnen, das alles miteinander verband.
Emilia wusste, dass die Tage vor ihnen voller Herausforderungen waren. Aber in diesem Moment - mit dem warmen Licht des Feuers und den Dämonen, die ihr Herz ausfüllten - fühlte sie sich zum ersten Mal seit Langem vollkommen sicher.
Kapitel 8 - Ende erste Hälfte
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