Kapitel 6 band 4

Kapitel 6 band 4

Emilia stand neben Jake und Alex, die konzentriert über ihre Liste gebeugt waren. Beide überprüften gewissenhaft jeden Punkt, während sie sich leise über die bevorstehende Reise berieten. Die Luft war kühl und klar, ein feuchter Herbstwind wehte durch die Straßen, und die Blätter der Bäume raschelten in den kräftigen Böen. Der Sommer war endgültig vorbei, und die ersten Anzeichen des nahenden Winters waren spürbar.
Die Reise nach Eversum würde lange dauern - mindestens einen Monat, wenn das Wetter gnädig war. Aber mit dem herannahenden Winter und möglichen Schneestürmen rechneten sie damit, dass es länger dauern könnte. Emilia fühlte eine Mischung aus Aufregung und Nervosität in sich aufsteigen. Die Welt vor ihr war so groß und unberechenbar, und Eversum klang wie ein Ziel voller Herausforderungen und Möglichkeiten.

„Kann ich euch irgendwie helfen?" fragte sie schließlich und trat näher, während sie einen Blick auf die Papiere zu erhaschen versuchte, die Jake in der Hand hielt.

Alex hob den Blick und lächelte sanft. „Du hast schon genug getan, Emilia. Alles, was wir jetzt noch brauchen, ist, die Liste ein letztes Mal zu überprüfen. Wir haben es fast geschafft."

Jake nickte zustimmend, ohne den Blick von den Notizen abzuwenden. „Mach dir keine Sorgen. Wir haben alles im Griff."

Emilia verschränkte die Arme und trat einen Schritt zurück, ließ aber nicht locker. „Es muss doch irgendetwas geben, das ich tun kann. Ich fühle mich so nutzlos, während ihr alles plant."

Jake warf ihr einen kurzen Blick zu, der zugleich amüsiert und beruhigend war. „Wenn du uns wirklich helfen willst, sorg dafür, dass du ausgeruht bist. Diese Reise wird lang und anstrengend - und wir brauchen dich in Bestform."

Emilia seufzte, ließ sich aber schließlich überzeugen. Sie wusste, dass die Jungs überaus sorgfältig waren, wenn es um die Planung ging, und jede Kleinigkeit durchdachten. Das war eine ihrer Stärken - sie arbeiteten zusammen wie ein gut eingespieltes Team, während sie selbst oft impulsiver handelte.

Ein weiteres Thema war bereits entschieden worden: Sie würden die Reise zu Fuß und mit traditionellen Transportmitteln antreten, anstatt Ashs Drachenform zu nutzen. Es war eine stillschweigende Übereinkunft zwischen ihnen allen gewesen. Emilia hatte mehr von der Welt sehen und die Reise wirklich erleben wollen - keine Abkürzungen, kein Flug, es sei denn, es war absolut notwendig. Sie wusste, dass Ash dazu bereit gewesen wäre, sie zu tragen, doch keiner von ihnen wollte seine Kräfte überbeanspruchen oder ihn wie ein bequemes Transportmittel behandeln. Es war eine Frage des Respekts.

„Wir werden auf dem Boden bleiben", hatte Jake klar gesagt, als das Thema aufkam. „Es ist sicherer, und es gibt uns die Gelegenheit, die Welt wirklich zu erleben."

Ash hatte nur mit einem nachsichtigen Lächeln genickt. „Das bedeutet aber auch, dass ich den schwersten Rucksack trage, richtig?" Seine Worte waren halb Scherz, halb Ernst, doch niemand hatte ihm widersprochen. Schließlich war es Ash selbst, der sich freiwillig angeboten hatte, das Gewicht zu übernehmen, das die anderen weniger tragen konnten. Das meiste blieb in seinem Demensionsraum verstaut.

Jetzt, da die Vorbereitungen fast abgeschlossen waren, blieb Emilia nichts anderes übrig, als sich auf die Reise zu freuen - und vielleicht ein wenig nervös zu sein. Sie hatte sich ein Leben lang nach Freiheit gesehnt, und nun lag sie direkt vor ihr. Eversum, das Herz ihrer Welt, wartete auf sie - mit all seinen Geheimnissen, Herausforderungen und Wundern.

Jake klappte das Notizbuch zu, das er in der Hand hielt, und wandte sich an Alex. „Ich denke, das war's. Wir haben alles, was wir brauchen. Es wird Zeit, die anderen zu holen und loszulegen."

Alex nickte, warf Emilia jedoch einen Blick zu. „Du solltest dich vielleicht noch ein letztes Mal entspannen, bevor wir aufbrechen. Wer weiß, wann wir das nächste Mal so eine Pause haben."

„Entspannen?" fragte Emilia mit einem schelmischen Lächeln. „Ich bin bereit. Es wird Zeit, dass wir aufbrechen und endlich Eversum erreichen."

Jake grinste, während er sich den Rucksack über die Schulter warf. „Gut, dann hoffen wir, dass du diese Energie noch hast, wenn wir den dritten Tag im Regen marschieren."

Emilia lachte und fühlte, wie die Aufregung in ihr wuchs. Der Weg nach Eversum lag vor ihnen, und sie war bereit, ihn an der Seite ihrer Gefährten zu gehen - durch Wind und Wetter, über Berge und Täler, hin zu einem neuen Kapitel in ihrer Reise.

Letztendlich hatten die Jungs alles sorgfältig verstaut. Alex und Ash sorgten dafür, dass das Gepäck in der Endlostasche und Ashs dimensionalem Raum sicher untergebracht war, sodass sie nur leichtes Gepäck bei sich trugen. Es war ein perfekt geplantes System, das die Reise erheblich erleichterte.

Währenddessen kniete Emilia sich zu Saphira, die sich auf einem weichen Kissen zusammengerollt hatte, und strich ihr sanft über das schimmernde Fell. „Bist du bereit, kleine Mieze?" fragte sie mit einem sanften Lächeln. Saphira hob den Kopf und gab ein leises, zufriedenes Summen von sich, als würde sie die bevorstehende Reise ebenso gespannt erwarten wie Emilia.

In den letzten Tagen hatte Emilia viele Gedanken an Saphira und ihren Komfort verschwendet. Sie hatte ihr warmes Spielzeug, weiche Decken und sogar einige kleine Manakristalle als Leckereien gekauft und alles in ihrer neuen Dimensionstasche verstaut. Diese Tasche war nicht nur ein praktischer Reisegegenstand, sondern auch Saphiras eigener kleiner Lebensraum für unterwegs.

Orvan hielt sich meist in Jakes Schatten verborgen und tauchte daraus auf, wann immer er wollte. Für die Reise jedoch hatte Ash ein praktisches Tool entwickelt: einen Beutel, der Orvan ein tragbares und zugleich komfortables Heim bot, die von Jake getragen wurde.

Emilia betrachtete die Tasche liebevoll, während sie sie in der Hand wiegte. „Weißt du, Saphira, ich finde, diese Tasche verdient einen Namen. Sie ist schließlich dein Zuhause auf Reisen." Nach kurzem Überlegen erhellte ein schelmisches Lächeln ihr Gesicht. „Wie wäre es mit... Kuscheloase?"

Saphira gab ein weiteres, zufriedenes Summen von sich, als hätte sie den Namen sofort akzeptiert. Emilia kicherte. „Kuscheloase also. Na gut, dann ist das jetzt offiziell dein kleines Reich."

Mit einem letzten sanften Streichen über Saphiras Fell hob Emilia sie hoch und platzierte sie vorsichtig in der Tasche. Die Einrichtung war perfekt für Saphira - warm, weich und voller Dinge, die sie mochte. Emilia fühlte sich zufrieden. Egal wie anstrengend die Reise werden würde, Saphira würde es an nichts fehlen.

Die Jungs kamen zu Emilia, die gerade Saphira in die Kuscheloase verstaut hatte, und sie sahen alle äußerst zufrieden aus. Chaid trat als Erster vor, ein charmantes Lächeln auf den Lippen. „Emilia, gib mir deine Hand", sagte er spielerisch.

Emilia hob die Augenbrauen und antwortete ebenso verspielt: „Warte, Chaid, ich stelle mir einen Antrag viel romantischer vor. Wo sind die Blumen? Die Musik? Der dramatische Sonnenuntergang?"

Die Jungs brachen in Gelächter aus, und Alex schüttelte amüsiert den Kopf. „Chaid, du solltest an deiner Romantik arbeiten."
Gray nickte zustimmend. „Definitiv. Das ist eine völlige Katastrophe als Antrag."
Ash warf ein: „Vergiss nicht, Chaid, die richtige Frage zu stellen. Das ist entscheidend."

Chaid hob die Hände in gespielter Kapitulation. „Okay, okay, ich verspreche, dass ich beim nächsten Mal mir mehr Mühe gebe. Aber das hier ist kein Antrag - also hör auf, mich zu ärgern, Kleine Sonne."

Nachdem das Gelächter langsam verklungen war, wandte sich Chaid wieder an Emilia. „Jetzt mal im Ernst, Emilia - bekomme ich deine Hand?" fragte er erneut mit einem sanften, aber ernsthaften Ton.

Emilia sah ihn neugierig an, bevor sie lächelte. „Nur weil du es bist." Sie streckte ihre Hand aus, und Chaid zog aus seiner Tasche einen kleinen Armreif hervor. Er war flexibel und bestand aus einem Material, das wie mattes Gummi wirkte, doch die Oberfläche war mit fein gravierten Runen verziert, die leicht schimmerten. Die Magie des Reifs war spürbar, ein leises Prickeln, als er ihn um Emilias Handgelenk legte.

Emilia betrachtete den Armreif, der sich perfekt an ihr Handgelenk schmiegte, direkt neben ihrem Bindungsarmreif aus Lantaris. Ihr Blick wanderte kurz zu dem Ring, den sie damals von Alex erhalten hatte, und ein sanftes Gefühl von Nostalgie überkam sie. „Das waren Zeiten..." murmelte sie leise, bevor sie sich wieder auf den neuen Armreif konzentrierte.

„Was ist das?" fragte sie neugierig und sah Chaid und die anderen an, die alle schelmisch grinsten.

„Kurz gesagt," begann Chaid, „das ist ein Verhütungsarmreif."

Emilias Augen weiteten sich, ihre Wangen färbten sich augenblicklich tiefrot. „Ein... was?" stammelte sie.
Gray trat vor und erklärte mit einem amüsierten Lächeln: „Ein magischer Armreif, den wir speziell für dich angefertigt haben. Er enthält ein Verhütungssiegel und einen Zirkel, der dafür sorgt, dass... nun ja... nichts Ungeplantes passiert."

„Ungeplantes?" wiederholte Emilia, ihre Stimme überschlug sich fast.
„Du weißt schon, Emilia," fügte Ash grinsend hinzu. „Wenn es mal... hitzig wird. Es ist ein Schutz, damit du nicht ständig an Tränke denken musst oder irgendwelche Siegel erneuern musst. Der Reif erledigt das alles für dich - dauerhaft, solange du ihn trägst."

„Es ist kein Standardarmreif", ergänzte Alex, der ihren verwirrten Blick bemerkte. „Wir stellen ihn in jedem Leben nur für dich her. Er ist einzigartig, genau wie du."

„Und... warum... genau...?" Emilia war völlig überfordert. Ihre Wangen glühten, während sie die Jungs ansah. „Was denkt ihr bitte, was auf dieser Reise passieren wird?" Sie warf die Hände in die Luft und rief verzweifelt: „Das wird doch keine... keine..." Sie suchte nach Worten, bevor sie schnaufte. „Das wird doch keine Wanderlust-Tour!"

Die Jungs konnten sich nicht mehr halten und brachen in schallendes Gelächter aus. „Wanderlust-Tour?" wiederholte Chaid, Tränen in den Augen. „Das ist brillant, Emilia. Vielleicht sollten wir das offiziell machen."

Emilia sah sie alle an, ihre Röte wandelte sich langsam in ein herausforderndes Lächeln. „Seid ihr alle verrückt geworden?" Fragte sie, ihre Stimme eine Mischung aus Empörung und Amüsement. „Das ist eine ernsthafte Frage."

Chaid grinste breit. „Hey, Kleine Sonne, wir wollen nur vorbereitet sein. Denk an die Dachterasse."

„Die Dachterasse?" Wiederholte Emilia, bevor es ihr einfiel. Ihre Röte vertiefte sich. „Oh... Chaid... das war... das war ein Unfall!"

„Trotzdem, wir lernen aus unseren Fehlern." Gray zwinkerte ihr zu. „Also trag den Reif bitte und leg ihn nur ab, wenn du mit uns redest, okay? Wir alle wollen sicherstellen, dass nichts schiefgeht."

„Das ist so peinlich..." murmelte Emilia und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. „Aber danke... glaube ich?"
Ash trat näher und legte eine beruhigende Hand auf ihre Schulter. „Es ist nichts, worüber du dich schämen musst. Wir wollen nur, dass du sicher bist. Und außerdem..." Er zwinkerte ihr zu. „Er sieht doch ziemlich schick aus, oder?"

Emilia betrachtete den Armreif noch einmal und seufzte. „Ihr seid unmöglich."

Chaid grinste wieder breit. „Also, willst du ihn mal ausprobieren?"

„Waaas?" Emilia sah ihn entsetzt an, aber bevor sie antworten konnte, klatschte Ash ihm spielerisch auf die Schulter. „Hör auf, sie zu ärgern, Chaid. Sie ist schon rot genug."

Die Gruppe lachte erneut, und Emilia konnte nicht anders, als schließlich mit ihnen zu lachen. Der Moment war peinlich, ja, aber er war auch warm und liebevoll - ein Beweis dafür, wie sehr die Jungs sich um sie kümmerten.

Nachdem alles verstaut war und die Jungs sicherstellten, dass nichts Wichtiges vergessen worden war, trat Emilia mit Saphira an ihrer Seite aus der Wohnung. Die Luft war kühl und der Herbst hatte die Stadt in leuchtende Farben getaucht. Die Blätter raschelten unter ihren Füßen, und ein Hauch von Frost kündigte die nahende Winterzeit an.

Alex war der Erste, der sich nach draußen begab, dicht gefolgt von Ash. Chaid zog die Tür hinter sich zu und grinste. „Also, Emilia, bist du bereit? Oder willst du nochmal zurück und überprüfen, ob wir die Zahnbürste vergessen haben?"
Emilia schnaubte belustigt. „Ich bin bereit. Aber ich hoffe, ihr seid auch bereit, denn ich werde euch auf dieser Reise ordentlich auf Trab halten."

Gray hob eine Augenbraue und sah sie schmunzelnd an. „Du hältst uns auf Trab? Kleines, wir sollten wetten, wie lange du durchhältst, bevor du dich beschwerst, dass deine Füße weh tun."

„Oh, das werden wir ja sehen, Gray!" konterte Emilia und verschränkte spielerisch die Arme. „Ich bin stärker, als du denkst."

Jake schritt mit langsamen, bestimmten Schritten hinter der Gruppe her. Sein Blick war ruhig, aber wachsam, als würde er bereits mögliche Gefahren am Horizont sehen. „Wir sollten los. Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es vor Einbruch der Dunkelheit aus der Stadt."

„Echt, Jake?" murmelte Chaid grinsend. „Schon wieder der Ernsthafte in der Runde. Könntest du nicht wenigstens so tun, als würdest du dich auf den Weg freuen?"

Jake warf ihm einen trockenen Blick zu. „Ich freue mich immer, Chaid. Aber anders als ihr genieße ich das Reisen, ohne unnötig zu trödeln."

Die Gruppe setzte sich in Bewegung, und die Straßen von Origin lagen still vor ihnen. Die kühle Morgenluft war frisch und klar, und nur wenige Dämonen waren bereits unterwegs. Emilia zog ihren Mantel enger um sich und lächelte leicht, während sie zu den Jungs sah, die wie eine feste Einheit um sie herum liefen.

„Es fühlt sich merkwürdig an, die Stadt zu verlassen," sagte Emilia leise, mehr zu sich selbst als zu den anderen. „Ich habe das Gefühl, dass ich hier mehr hätte tun können... mehr erleben können."

Ash legte eine Hand auf ihre Schulter und lächelte sanft. „Du wirst noch so viel mehr erleben, Emilia. Und denk daran - das hier ist nur ein weiterer Schritt auf deinem Weg. Es gibt keine Grenzen für das, was du entdecken kannst."

„Ja, und sobald wir in Eversum ankommen," fügte Alex hinzu, „wirst du staunen. Die Stadt ist großartig, und wer weiß - vielleicht finden wir dort Antworten auf einige deiner Fragen."

„Und vielleicht auch ein paar neue Fragen," ergänzte Gray, wobei er schmunzelte. „Das gehört dazu."

Die Gruppe erreichte das Stadttor von Origin, wo einige Wachen postiert waren. Sie warfen den Abenteurern einen kurzen, prüfenden Blick zu, bevor sie nickten und die Tore öffneten. Die Welt jenseits der Stadtmauern war weit, die Felder erstreckten sich bis zum Horizont, wo die Bäume des nahen Waldes in sanftem Herbstgold glitzerten.

Emilia hielt kurz inne und betrachtete die Landschaft. „Also gut," sagte sie schließlich und lächelte die Jungs an. „Eversum, wir kommen."

„Das nenne ich mal Motivation!" rief Chaid und streckte seine Arme in die Luft. „Aber warte ab, bis wir den ersten Sturm überstehen müssen. Dann werden wir ja sehen, wie lange die gute Laune anhält."

Die Gruppe lachte, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Der Pfad vor ihnen war lang, die Reise ungewiss, aber sie waren zusammen - und das war alles, was zählte.

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Die Stadt Origin war längst ein kleiner Punkt am Horizont, der langsam in der kühlen Herbstdämmerung verschwand. Der Weg führte die Gruppe durch offene Felder, deren Gras unter dem ersten Frost des Jahres knirschte. Die kahlen Bäume am Rand des Weges warfen lange Schatten, während vereinzelte Blätter vom Wind über den Pfad getragen wurden.

„Ich liebe ja den Herbst," murmelte Chaid und zog den Schal fester um seinen Hals. „Aber wer hat uns eigentlich eingeredet, dass es eine gute Idee ist, ausgerechnet jetzt eine Langstreckenwanderung zu machen?"

„Vielleicht waren wir einfach alle zu romantisch," erwiderte Gray trocken, während er die dichten Wolken am Himmel beobachtete. „Ich meine, goldene Felder, kühle Luft... klingt doch idyllisch. Bis man feststellt, dass es nachts friert."
Emilia lachte leise und trat näher an Ash heran, der obwohl er alles in seinem Dimensionsraum verstaut hatte dennoch eine Dimensionstasche auf der Schulter trug. „Ich hätte nie gedacht, dass du so wetterempfindlich bist, Gray. Du hörst dich an, als wärst du schon nach einem Tag reif fürs Aufgeben."
„Aufgeben? Ich? Niemals," entgegnete Gray und verdrehte die Augen. „Ich sage nur, dass ich denjenigen umbringen könnte, der mir die Idee von romantischen Herbstreisen verkauft hat."
Jake warf Gray einen Blick zu. „Da musst du früher aufstehen, um mich zu erwischen." Mit einem Schmunzeln sah er zu, wie Gray die Augen verdrehte.

...
Die Gruppe erreichte eine alte Weggabelung, an der ein knorriger Baum mit einem verwaschenen Wegweiser stand. Darunter war eine provisorische Feuerstelle, vermutlich von vorherigen Reisenden, und Alex beschloss, dass es ein guter Ort war, um Rast zu machen.

„Wir haben schon einige Meilen hinter uns," sagte Alex und begann, Feuerholz zu sammeln. „Lasst uns hier eine Pause machen, bevor es zu dunkel wird."

Jake nickte knapp und half dabei, die Feuerstelle in Gang zu bringen. „Emilia, möchtest du helfen, die Schlafplätze vorzubereiten?"

„Natürlich," sagte sie, während sie Saphira aus ihrer Tasche ließ. Die Vierpfote streckte sich mit einem Gähnen und begann neugierig, den Rastplatz zu erkunden.

Ash richtete den kleinen Kessel auf, den er immer dabei hatte, und begann, Wasser für Tee aufzusetzen. „Es wird kalt werden heute Nacht," sagte er beiläufig, während er in den Himmel schaute. „Ich wette, wir bekommen bald den ersten Schnee."

Emilia schüttelte den Kopf. „Ihr habt euch wirklich eine großartige Jahreszeit ausgesucht," murmelte sie halb belustigt, halb frustriert. „Aber ich muss zugeben... irgendwie mag ich diese Kälte. Es fühlt sich... lebendig an."
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Am nächsten Morgen war die Welt in dichten Nebel gehüllt, und der Wald, durch den sie wanderten, wirkte wie eine andere Welt. Die kahlen Bäume ragten wie Skelette in den Himmel, und der Nebel dämpfte jedes Geräusch.

„Das ist gruselig," murmelte Chaid, während er Emilia näher an sich zog. „Ich schwöre, ich habe gerade etwas gehört."

„Das war nur der Wind," sagte Jake ruhig, obwohl sein Blick wachsam blieb. „Bleibt nah beieinander."

Nach einigen Stunden lichtete sich der Wald, und sie erreichten einen stillen See, dessen Oberfläche von einer dünnen Eisschicht überzogen war. Emilia kniete sich an das Ufer und betrachtete das klare Wasser, in dem sich der Himmel spiegelte.

„Es ist so ruhig hier," flüsterte sie, und Alex trat zu ihr. „Ja," sagte er leise. „Vielleicht zu ruhig. Wir sollten weitergehen."
...
Später in der Woche stießen sie auf ein verlassenes Dorf, dessen Häuser längst von der Natur zurückerobert worden waren. Die Dächer waren eingestürzt, und das Unkraut wucherte über die ehemaligen Straßen.

„Was ist hier passiert?" fragte Emilia, während sie einen alten Brunnen betrachtete, der von Moos überwuchert war.

„Vermutlich ein Überfall," sagte Alex ernst. „Oder die Bewohner sind geflohen. Es ist schwer zu sagen."
Jake trat neben sie und betrachtete die Umgebung mit scharfem Blick. „Wir sollten nicht zu lange hier bleiben. Verlassene Orte ziehen oft ungebetene Gäste an."
Die Gruppe durchquerte das Dorf schnell, doch Emilia spürte einen Hauch von Traurigkeit, als sie die leeren Häuser hinter sich ließ.
Die Tage wurden kürzer, und bald fiel der erste Schnee. Die weiße Decke verwandelte die Landschaft in eine atemberaubende Kulisse, doch der Weg wurde rutschig und beschwerlich.

„Das ist... weniger romantisch, als ich gehofft hatte," murmelte Gray, während er versuchte, sein Gleichgewicht auf einem eisigen Pfad zu halten.

„Aber es ist wunderschön," sagte Emilia und sah zu den schneebedeckten Bäumen. „Es fühlt sich an wie ein Märchen."

Jake warf ihr einen kurzen Blick und schnaubte. „Ein Märchen, in dem die Helden erfrieren, wenn sie nicht vorsichtig sind."

Chaid grinste. „Ach komm, Jake. Wo bleibt dein Sinn für Abenteuer?"

Jake erwiderte nichts, aber ein leichtes Schmunzeln huschte über sein Gesicht.
Am Ende einer anstrengenden Woche erreichten sie eine alte Hütte, die verlassen schien, aber noch intakt war. Alex klopfte an die Tür, bevor er sie öffnete. „Es sieht aus, als könnten wir hier übernachten," sagte er. „Zumindest, bis der Sturm vorbei ist."

Die Gruppe machte es sich in der Hütte gemütlich, und Ash und Gray bereiteten eine Mahlzeit vor, während die anderen sich am Feuer wärmten. Emilia lehnte sich an Alex, während Saphira sich auf ihrem Schoß zusammenrollte.

„Das ist genau das, was wir gebraucht haben," sagte Emilia und lächelte müde. „Ein Moment der Ruhe."

„Genieße es," sagte Alex leise. „Denn ich habe das Gefühl, dass unsere Reise noch lange nicht vorbei ist."

Die Gruppe nickte zustimmend, und für einen Moment herrschte Frieden, während der Schnee leise gegen die Fenster fiel.

~ ~ ~ ~ ~

Die Gruppe hatte sich in der kleinen Hütte nahe des knisternden Feuers gemütlich gemacht. Sie waren fertig mit essen, die Flammen warfen ein warmes Licht auf die Gesichter der Freunde, und das sanfte Knistern des Holzes füllte den Raum mit einer beruhigenden Atmosphäre. Emilia, eingekuschelt unter einer weichen Decke, sah zu Alex auf, dessen Arm schützend um sie lag.
„Wie oft wart ihr eigentlich schon in Eversum?" fragte sie plötzlich und sah in die Runde. „Waren wir dort in der Vergangenheit schon? Sind wir dort schon mehrmals hin gereist?"

Die Jungs wechselten Blicke, und Jake, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnte, schnaubte leise. „Emilia, interessierst du dich etwa für unsere Vergangenheit?" Fragte er mit einem amüsierten Unterton.

Emilia nickte und rückte noch näher an Alex heran. „Ja, ich würde wirklich gerne mehr über unsere Vergangenheit hören - über die Leben vorher. Wie wart ihr so? Wie war ich?"

Die Jungs schwiegen kurz, als würden sie die richtigen Worte suchen. Schließlich sprach Alex als Erster. „Eversum..." begann er und dachte nach. „Wir waren schon oft dort, aber nicht in jedem Leben. Es hängt davon ab, was in dem jeweiligen Leben unsere Aufgabe war. In manchen Leben war es ein zentraler Ort, in anderen haben wir ihn nie betreten."

Jake nickte zustimmend. „Es ist ein Ort voller Wissen und Macht. Aber auch voller Politik und Intrigen. Kein einfacher Ort, um sich zu behaupten, besonders wenn man nicht bereit ist, ein Teil dieses Spiels zu sein."

Emilia runzelte die Stirn. „Politik? Intrigen? Das klingt nicht gerade... einladend."

„Es ist beides," warf Gray ein und stützte das Kinn auf die Hand. „Eversum ist beeindruckend und gleichzeitig anstrengend. Aber man lernt, damit umzugehen."

Emilia sah nachdenklich in die Flammen. „Ich würde gerne wissen, wie ihr alle wart... früher. Generell möchte ich mehr von euch erfahren. Wir reden so wenig über eure Leben. Habt ihr Eltern? Geschwister? Wie fühlt es sich an, jedes Mal in einem anderen Körper zu sein, aber die Erinnerungen an das vorherige Leben zu behalten? Ist das nicht... verwirrend?"

Chaid lachte leise und streckte sich entspannt aus. „Kleine Sonne, du stellst eine Frage nach der anderen. Sollten wir jetzt in Reihenfolge antworten, oder einfach wild drauf losreden?"

„Fang doch an," schlug Ash vor. „Das wird interessant."
Jake schnaubte und lehnte sich ein Stück nach vorne. „Eltern? Nein. Geschwister? Auch nicht. Zumindest in den meisten Leben nicht. Ich war schon immer eher... unabhängig."

Emilia zog eine Augenbraue hoch. „Warst du wirklich?"

Jake grinste schief. „Vielleicht ein bisschen weniger, als ich zugeben will. Aber was die Körper angeht... es ist, als würde man ein neues Haus beziehen. Manchmal passt es sofort, manchmal fühlt es sich an, als würde alles zwicken und drücken, bis man sich daran gewöhnt hat. Die Erinnerungen? Die sind der schwierige Teil. Es gibt immer Dinge, die einen verfolgen."

Emilia sah ihn aufmerksam an, bemerkte aber, dass er nichts weiter dazu sagen wollte.
„Ich hatte Eltern in einem Leben," sagte Gray leise. „Sie waren gut zu mir. Aber sie sind gestorben, bevor ich mich wirklich an sie binden konnte. Einmal ich hatte einen Vater, er war mein Vorbild, der mir den Umgang mit der Wasserklinge lehrte. Geschwister? Nein, nie. Was die neuen Körper betrifft... ich finde es faszinierend. Jeder bringt etwas Neues mit sich. Eine andere Stärke, eine andere Schwäche. Es ist, als würde man jedes Mal ein neues Kapitel in einem Buch schreiben."

Emilia nickte, beeindruckt von seiner ruhigen Betrachtung.

„Ich hatte ein Leben, da war ich der älteste von fünf Brüdern," begann Chaid und grinste. „Und ja, ich war eindeutig der Favorit meiner Eltern. Natürlich, ich war auch der schönste."

Die anderen stöhnten kollektiv, und Emilia lachte. „Das überrascht mich nicht."

„Was die Körper betrifft," fuhr Chaid fort, „ich genieße die Abwechslung. Es wäre doch langweilig, immer gleich zu sein. Aber die Erinnerungen? Sie können ziemlich nerven. Besonders, wenn man Dinge wieder erlebt, die man eigentlich vergessen wollte."

„Ich hatte nie Eltern oder Geschwister, soweit ich mich erinnern kann," sagte Ash leise. „Ich war meistens allein, bis ich euch getroffen habe. Was die Körper betrifft... es ist nicht einfach. Manchmal fühlt es sich an, als würde man einen Teil von sich selbst verlieren, wenn man wechselt. Aber gleichzeitig bleibt man doch irgendwie derselbe."

Er sah Emilia an. „Es ist schwer zu erklären. Aber mit euch fühlt es sich weniger verwirrend an. Ihr seid der Anker, der alles zusammenhält."

„Eltern hatte ich nie," sagte Alex bestimmt. „Aber Geschwister... auf eine Weise, ja. Euch." Er sah in die Runde und dann zu Emilia. „Du. Es fühlt sich an, als würde sich alles um uns drehen, egal in welchem Leben. Und was die Erinnerungen betrifft... sie sind manchmal ein Segen, manchmal ein Fluch. Aber sie machen uns aus."

Emilia sah ihn nachdenklich an. „Das klingt... überwältigend."

„Ich weiß nicht, ob ich das schaffen könnte," murmelte Emilia. „All diese Leben, all diese Erinnerungen. Es klingt so... schwer. Ihr seid wirklich stark.''

Jake sah sie mit einem durchdringenden Blick an. „Es ist schwer, Emilia. Aber es ist auch das, was uns verbindet. Und was uns stärkt."
Die Gruppe verfiel in eine nachdenkliche Stille, während das Feuer knisterte und der Wind draußen gegen die Wände der Hütte heulte. Schließlich sprach Chaid: „Also, was denkst du, Kleine Sonne? Immer noch neugierig auf unsere Vergangenheit?"

Emilia lächelte leicht. „Mehr denn je."

Emilia ließ die Worte der Jungs einen Moment sacken. Die warme Atmosphäre im Raum schien plötzlich kühler zu werden, und ein eisiger Schauer kroch ihren Rücken hinauf. Sie hatte die Bedeutung ihrer Worte endlich begriffen - ihre liebsten hatten fast nie Eltern gehabt, niemanden, der sie wie eine Familie umsorgt hatte. Aber das konnte doch nicht sein. Jeder hat Eltern, dachte sie. Sie müssen doch welche gehabt haben. Oder... wurden sie als Todsünden verstoßen?

Dieser Gedanke traf sie wie ein Schlag. Emilia spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog, und griff instinktiv an ihre Brust. Ein unangenehmer Druck legte sich auf sie, ein Schock, der durch ihre Seele hallte. Sie war selbst eine Waise - ein Kind, das allein gelassen und ohne Familie aufgewachsen war. Hatte man sie etwa auch verstoßen? War sie ein ungewolltes Kind, ausgesetzt und vergessen?

Die Wucht dieser Gedanken ließ ihr Blut gefrieren. Sie wollte nicht schwach erscheinen, wollte nicht, dass die Jungs ihre innere Traurigkeit bemerkten. Also bemühte sie sich, die Welle der Emotionen in den Griff zu bekommen. Doch wie sollte sie das schaffen, wenn der Schmerz so tief in ihrer Brust brannte?

Natürlich entging den Jungs Emilias plötzlicher Stimmungswechsel nicht. Alex, der seinen Arm noch immer um sie gelegt hatte, spürte, wie ihre Schultern zitterten. „Emilia?" fragte er leise und sah besorgt zu ihr hinunter.
Chaid, der ihr gegenüber saß, lehnte sich nach vorne und musterte sie mit gerunzelter Stirn. „Kleine Sonne, was ist los? Du bist so still geworden."
Jake, der mit verschränkten Armen an der Wand gelehnt hatte, richtete sich auf und ging ein paar Schritte auf sie zu. Seine Miene war ernst, aber seine Augen zeigten eine leise Besorgnis. „Emilia, sag es. Was geht dir durch den Kopf?"
Emilia sah auf, ihre kastanienbraunen Augen glänzten verdächtig, aber sie zwang ein Lächeln auf ihre Lippen. „Es... es ist nichts. Wirklich."

Gray, der sie am besten verstand, seufzte leise und nahm ihre freie Hand. „Du kannst uns nichts vormachen, Emilia. Wir kennen dich. Rede mit uns."

Emilia öffnete den Mund, wollte etwas Beruhigendes sagen, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken. Stattdessen flüsterte sie leise: „Hattet ihr wirklich nie Eltern?"
Die Frage hing schwer in der Luft. Die Jungs schauten sich an, aber keiner sprach. Schließlich fuhr Emilia fort, ihre Stimme bebend: „Ich meine... ihr müsst doch Eltern gehabt haben, oder? Sonst wärt ihr doch nicht hier. Aber wenn ihr keine Familie hattet... wurden... wurden wir alle verstoßen? Wegen dem, was wir sind?"
Alex zog sie sanft näher an sich, seine Hand streichelte beruhigend über ihren Rücken. „Emilia..."

Doch sie ließ ihn nicht ausreden. „Und ich... war ich auch ein ungewolltes Kind? Bin ich deswegen allein aufgewachsen?" Ihre Stimme brach, und sie sah zu Jake, als suche sie bei ihm nach einer Antwort. „Wurden wir alle einfach weggeworfen, weil wir anders sind?"

Jake kniete sich vor sie, sein Blick durchdringend und ruhig. „Hör mir zu, Emilia. Wir wissen nicht, warum wir in manchen Leben ohne Familie waren. Vielleicht war es Schicksal, vielleicht Zufall. Aber eines weiß ich sicher: Du bist nicht allein. Und du bist nicht weggeworfen worden."

„Aber-" begann Emilia, doch Chaid unterbrach sie.

„Kleine Sonne," sagte er mit einem sanften Lächeln, „was auch immer passiert ist - du bist jetzt hier, bei uns. Und das zählt. Wir können nicht ändern, was war, aber wir können entscheiden, was kommt."

Gray, der noch immer ihre Hand hielt, fügte hinzu: „Und du hast uns. Wir sind deine Familie. Vielleicht sind wir nicht perfekt, aber wir sind hier, um dich zu unterstützen. Immer."

Emilias Lippen zitterten, und schließlich ließ sie die Tränen zu, die sie zurückgehalten hatte. „Ich... ich will einfach nicht glauben, dass niemand uns wollte," flüsterte sie. „Dass wir alle nur... allein sind."

Alex zog sie enger an sich und küsste sanft ihre Stirn. „Du bist nicht allein, Emilia. Nie wieder."

Jake legte eine Hand auf ihre Schulter, seine Stimme war sanft, aber bestimmt. „Und selbst wenn wir ohne Eltern oder Familie gestartet sind - wir haben uns. Wir haben einander gefunden. Und das macht uns stärker, als jede Familie, die uns hätte ablehnen können."
Emilia atmete tief ein, ihre Tränen versiegten langsam. „Danke," flüsterte sie. „Danke, dass ihr da seid."

Die Jungs schwiegen, aber ihre Blicke sagten alles. Sie würden alles tun, um Emilia zu beschützen - nicht nur vor äußeren Gefahren, sondern auch vor den inneren Dämonen, die sie quälten.

Chaid schnipste schließlich mit den Fingern und brach die ernste Stimmung. „Okay, Kleine Sonne, genug von traurigen Gedanken. Lass uns was anderes denken - zum Beispiel daran, wie furchtbar kalt es draußen ist und wie wunderbar warm es hier drinnen ist."

Emilia kicherte leise und schniefte. „Das klingt nach einem Plan."
Jake stand auf und grinste schief. „Gut. Dann lasst uns schlafen, morgen wartet die nächste Etappe unserer Reise. Und Emilia - mach dir keine Sorgen. Du hast uns. Und das bleibt so."

Ein leises, warmes Lächeln erschien auf Emilias Gesicht, und sie fühlte sich ein wenig leichter. Die Jungs hatten recht. Sie war nicht allein. Und egal, was ihre Vergangenheit war - ihre Gegenwart war hier, mit ihnen.

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