Kapitel 12 Bd.4

5. Im Zwielicht der Zweifel

Emilia erwachte mit einem Gefühl der Leere. Die Nacht hatte ihr kaum Ruhe gebracht; die Gedanken an die vergangenen Tage, die Stille zwischen ihr und den Jungs, nagten an ihrem Herzen. Sie zog sich schnell an, ihre Bewegungen mechanisch. Heute war der letzte Trainingstag, bevor sie aufbrechen würden. Sie trat in den Garten hinaus, wo der Wintermorgen sie mit schneidender Kälte begrüßte. Die Luft war klar, doch die Stimmung fühlte sich schwer an. Felix wartete bereits auf sie, wie immer fokussiert. Er sprach nicht, kein neckender Kommentar, kein spöttisches Lächeln - nur ein Nicken, das bedeutete, dass sie anfangen konnten.
Felix führte sie durch die gewohnten Übungen, seine Anweisungen waren klar und scharf. Emilia folgte stur, ihre Gedanken dabei nur auf den nächsten Schlag, den nächsten Schritt gerichtet. Ihr Körper gehorchte, aber ihr Herz fühlte sich wie in Ketten gelegt.

Am Rande des Gartens standen Alex, Jake, Chaid, Gray und Ash. Die fünf hatten sie in letzter Zeit distanziert behandelt, genau wie sie es verlangt hatte. Kein Lächeln, keine Berührungen - nichts, was ihre Nähe betonte. Es war ein respektvolles, aber kühles Miteinander, und Emilia spürte, wie sehr es sie alle belastete.
Während sie mit Felix übte, trafen sich ihre Blicke manchmal kurz mit denen der Jungs. In ihren Augen lag Schmerz, der sie tief traf. Es war, als hätten sie beschlossen, ihre eigenen Gefühle komplett zurückzunehmen, um ihr Raum zu geben, und doch fühlte sie, wie viel es sie kostete.
Gray war der Einzige, der ihr hin und wieder ein sanftes Lächeln schenkte. Er wirkte, als wollte er ihr sagen, dass er sie verstand, auch wenn er nichts sagte. Doch auch er hielt sich zurück, seine sonst so lockere Art war gedämpft.
Ash hingegen saß mit verschränkten Armen da und schien gedankenverloren in die Ferne zu starren, während Chaid unruhig eine Münze zwischen seinen Fingern kreisen ließ. Alex blätterte in einem Buch, ohne wirklich zu lesen, und Jake stand stumm daneben, seine Augen fixierten Felix und Emilia, als würde er jeden ihrer Schritte bewachen.
Als das Training zu Ende ging, lehnte Felix sich gegen einen Baum und beobachtete sie kritisch. „Nicht schlecht, Amy. Du machst Fortschritte."
„Danke", murmelte sie und strich sich den Schweiß von der Stirn.
Felix schnaubte leise, sein Blick blieb auf ihr haften. „Also, was ist der Plan für morgen?"
Emilia hob den Kopf, überrascht von der Frage. „Wir brechen auf. Nach Eversum."
„Das dachte ich mir", sagte Felix, seine Stimme ruhig, aber mit einem Hauch von Herausforderung. „Ich komme mit."

„Was?" Emilias Augen weiteten sich.
„Du hast richtig gehört. Ihr werdet jemanden brauchen, der euch den rauen Winter überleben lässt und dafür sorgt, dass ihr nicht von Nox Vigilia oder anderen Gestaltwandlern überrascht werdet."
„Felix, das..." Sie suchte nach Worten, doch er unterbrach sie.
„Das ist nicht verhandelbar, Amy. Du kannst zwar inzwischen kämpfen, aber du bist noch weit davon entfernt, wirklich vorbereitet zu sein. Und ich habe keine Lust, meinen Gefährtenkurator-Ruf zu riskieren, weil du dich überschätzt."
Sie wollte protestieren, aber Felix schüttelte den Kopf. „Wir reden später darüber. Jetzt gönn dir etwas Ruhe."
Als Emilia in das Haus zurückkehrte, spürte sie die Spannung in der Luft. Die Jungs saßen im Wohnzimmer, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Alex las ein Buch, Jake schärfte ein Messer, Chaid wirbelte eine Münze zwischen seinen Fingern, Gray starrte aus dem Fenster, und Ash saß am Kamin und rührte gedankenverloren die Glut um.
Sie schaute zu ihnen, ihre Kehle schnürte sich zu. „Ich wollte nur sagen... danke, dass ihr mich so unterstützt habt", sagte sie leise, ihre Stimme zitterte leicht.
Jake hob den Blick, und in seinen Augen lag ein Schmerz, den sie nur schwer ertragen konnte. „Wir haben nur getan, was du wolltest", sagte er ruhig, aber die Schwere seiner Worte ließ sie zusammenzucken.
„Ich weiß", murmelte sie, während sie sich auf einen Sessel sinken ließ. „Es war... nicht einfach für mich. Aber ich weiß, dass es für euch auch schwer war."
„Schwer?" Chaid hob eine Augenbraue und lächelte schwach, doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht. „Das ist eine Untertreibung, Amy."

Ash, der immer noch am Kamin saß, warf ihr einen kurzen, verständnisvollen Blick zu.
„Wir wollten dir Raum geben, Emilia. Aber du solltest wissen... es tut weh. Dich auf Abstand zu halten, als wärst du uns fremd."
Ihre Brust zog sich zusammen, und sie konnte die Tränen kaum zurückhalten. „Ich wollte euch nicht verletzen. Ich wollte nur... Klarheit."
Alex schloss sein Buch und sah sie an, sein Blick voller Verständnis, aber auch Trauer. „Klarheit ist wichtig. Aber wir müssen wissen... was kommt danach?"
„Ich weiß es nicht", flüsterte sie, ihre Stimme brach.
Jake lehnte sich vor, seine Augen bohrten sich in ihre. „Das heißt, du liebst uns nicht?"
Die Frage war ein Stich in ihr Herz, und sie spürte, wie die Tränen über ihre Wangen liefen. „Ich... ich weiß es nicht. Meine Gefühle fühlen sich manchmal so fremd an, so... aufgezwungen. Ich weiß nicht, was echt ist und was von meinen vergangenen Leben beeinflusst wird."
Die Jungs schwiegen, und die Stille war erdrückend.
Nach einigen Sekunden räusperte sich Felix, der unbemerkt hereingekommen war, und ließ sich mit verschränkten Armen gegen die Wand sinken. „Ihr seid alle ein Haufen Idioten, wisst ihr das?"
Alle Blicke richteten sich auf ihn.

„Was bringt es, darüber zu streiten, ob ihre Gefühle echt sind oder nicht? Am Ende zählt doch, was sie jetzt fühlt und wie sie sich entwickeln. Gebt ihr Zeit, verdammt noch mal. Ihr seid doch nicht nur wegen eurer Egos hier, oder?"
Emilia sah ihn überrascht an, während die Jungs einander ansahen. Schließlich nickte Alex langsam. „Er hat recht. Wir sollten uns nicht darauf versteifen, was wir verloren haben, sondern darauf, was wir aufbauen können."
Jake atmete tief durch und lehnte sich zurück.
„Also gut. Du hast recht, Felix. Aber eines solltest du wissen, Emilia... egal, wie viel Zeit du brauchst, wir sind hier. Wir bleiben hier."
Ash, der bisher geschwiegen hatte, nickte ebenfalls und stand vom Kamin auf. „Egal, wie schwer es ist, Emilia. Wir wollen, dass du weißt - du bist nicht allein."
Emilia fühlte sich von ihren Worten überwältigt, ein kleiner Knoten in ihrem Herzen löste sich.

„Danke", sagte sie leise, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
Felix schnappte sich einen Apfel von der Kommode und biss herzhaft hinein. „Na, jetzt, wo das geklärt ist, können wir ja über die Reise reden.
„Und keine Sorge, Amynchen, ich bin der perfekte Babysitter."
Chaid hob eine Augenbraue und schnaubte leise. „Nenn sie nicht so."
Felix' Grinsen wurde noch breiter, als er Chaid einen unschuldigen Blick zuwarf. „Was? Klingt doch süß."
Jake verschränkte die Arme und sah Felix warnend an. „Jetzt übertreib's nicht."
„Ach, komm schon," entgegnete Felix mit einem amüsierten Funkeln in den Augen. „Ein bisschen Charme hat noch niemandem geschadet."
Emilia lächelte schwach, während der Raum sich langsam wieder mit Wärme füllte. Es war nicht perfekt, aber es war ein Anfang.
~ ~ ~ ~
Felix stand in der Mondpfoten-Klinik und ging sorgfältig durch seine Bestände, während er einige Kräuter und Tränke in eine robuste Tasche packte. Die Regale, die zuvor mit Büchern und Fläschchen gefüllt waren, wirkten nun deutlich leerer. Er hatte beschlossen, seine Praxis für eine Weile zu schließen, um mit Emilia und den anderen zu reisen - eine Entscheidung, die er in seinem typisch lakonischen Stil getroffen hatte.
Am anderen Ende des Raums saß Emilia auf der gepolsterten Liege, Saphira eng an sich gedrückt. Der kleine Gefährte hatte sich zusammengerollt, ihre schwachen Pfoten ruhten auf Emilias Schoß. Saphira sah besser aus - ihre Atmung war ruhig, und sie hatte etwas von ihrer Farbe und Lebhaftigkeit zurückgewonnen. Auch wenn sie noch weit davon entfernt war, vollkommen gesund zu sein, hatte sie wieder begonnen zu fressen und sich zu bewegen.

Emilia strich Saphira sanft über das Fell, während ihre Augen Felix beobachteten, der mit erstaunlicher Präzision arbeitete. Nach einer Weile brach sie die Stille. „Danke, Felix."

Felix drehte sich zu ihr um, eine Augenbraue hochgezogen. „Wofür genau?"
„Für Saphira", sagte sie leise. „Und dafür, dass du dich entschieden hast, mit uns zu kommen. Ich weiß, das ist nicht selbstverständlich."
Er schnaubte und legte einen Beutel voller Kräuter in seine Tasche. „Das sollte es aber sein. Saphira ist nicht nur ein Gefährte, sie ist deine Gefährtin. Und wenn ich meine Arbeit mache, dann mache ich sie richtig. Aber, Amy..." Er hielt kurz inne, seine goldenen Augen bohrten sich in ihre. „Denk daran: Sie ist zwar auf dem Weg der Besserung, aber das bedeutet nicht, dass sie alles überstanden hat. Du musst auf sie aufpassen, besonders unterwegs."

Emilia nickte ernst, ihre Finger streichelten weiterhin das weiche Fell. „Ich weiß. Ich werde alles tun, um sicherzustellen, dass es ihr besser geht."
Felix schüttelte den Kopf und grinste leicht. „Das will ich hoffen. Sonst kannst du dir meinen ganzen Spott auf dem Weg nach Eversum anhören."
Saphira bewegte sich langsam und blickte zu Felix auf, ihre großen Augen wirkten dankbar, auch wenn sie immer noch müde waren. Emilia folgte ihrem Blick und lächelte leicht.
„Du bist besser, als du dir selbst eingestehst, Felix", sagte sie nach einer Weile, ihre Stimme war ruhig, aber aufrichtig.

Felix blieb stehen, musterte sie kurz und zuckte dann mit den Schultern. „Ich bin nicht besser. Ich mache einfach nur das, was ich kann. Das ist alles."
Emilia erwiderte nichts, doch ihr Blick blieb auf ihm haften. In diesem Moment verstand sie, dass hinter seiner rauen Fassade viel mehr steckte, als er jemals zugeben würde.
„Komm jetzt, Amy", sagte Felix schließlich, während er die Tasche schloss und sie über die Schulter warf. „Wenn du mit der Kuschelei fertig bist, müssen wir los. Wir haben einen langen Weg vor uns, und ich will nicht, dass du dich wie ein Eisblock fühlst, weil wir zu spät aufbrechen."

Emilia lachte leise, während sie Saphira sanft zurück in ihre warme Kuscheldecke legte. „Du bist wirklich unmöglich, weißt du das?"
„Ach, ich versüße dir nur den Tag." Felix zwinkerte ihr zu, während er zur Tür ging, um die Praxis endgültig zu verschließen.
Mit einem letzten Blick auf den Raum zog Felix die Tür zu und drehte den Schlüssel um. Der Klang des schließenden Schlosses schien eine Art Abschluss zu markieren - ein vorübergehendes Ende, bevor ein neues Kapitel begann.
„Also, Amy", sagte er, als sie zusammen in die Kälte hinaustraten. „Bereit für den Wahnsinn, der uns erwartet?"
Emilia zog ihren Mantel enger um sich, ihre kastanienbraunen Augen funkelten entschlossen. „Mehr als je zuvor."
Felix grinste, ein Hauch von Respekt blitzte in seinem Blick auf. „Gut. Dann lass uns das tun."
Mit diesen Worten machten sie sich auf den Weg, die ersten Schritte in ein neues Abenteuer, bei dem sie nicht nur Saphira schützen, sondern auch neue Herausforderungen meistern mussten.
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Die Reise hatte ihren Lauf genommen, und die Gruppe war bereits seit Tagen unterwegs. Die kühle Luft des beginnenden Winters trug nicht nur den Hauch von Schnee mit sich, sondern auch die schwere Stille, die zwischen ihnen lag. Emilia fühlte sich zunehmend verloren in dieser Distanz, die sie selbst geschaffen hatte.

Jack sprach kein Wort mit ihr, sein Blick war hart, und er schien sich bewusst zu bemühen, sie zu ignorieren. Alex hielt sich in ihrer Nähe auf, aber seine Worte waren selten, fast mechanisch. Ash und Gray antworteten nur, wenn es nötig war, und ihre Stimmen waren nüchtern, ohne die Wärme, die sie sonst ausstrahlten. Selbst Chaid, der sonst immer eine spielerische Leichtigkeit mitbrachte, schien sich zurückzuhalten. Seine Sätze begannen oft humorvoll, doch brachen ab, als er nicht die richtigen Worte fand.
Felix blieb der Einzige, der sie fast normal behandelte, aber auch bei ihm fehlte die Schärfe seiner früheren Kommentare. Kein Spott, kein bissiger Humor - nur eine sachliche, neutrale Freundlichkeit, die sie beinahe noch mehr verletzte.

Ich habe das alles selbst verursacht. Diese Distanz... diese Kälte... das ist mein Werk. Was habe ich nur getan?
Ihr Herz schmerzte, und sie spürte eine bedrückende Leere in sich aufsteigen. In den letzten Nächten hatte sie alleine in ihrem kleinen Wärmezelt geschlafen, ohne die vertraute Nähe, die ihr sonst Trost spendete. Die Tage zogen sich dahin, und die Reise wurde nicht leichter. Die Jungs halfen ihr, wenn sie stolperte oder den Halt verlor, aber es fühlte sich anders an - mechanisch, ohne die vertraute Zuneigung. Emilia wusste, dass sie es bereute. Sie bereute jedes ihrer Worte, die ihnen das Gefühl gegeben hatten, dass ihre Liebe zu ihnen nicht echt sei. Doch sie wusste nicht, wie sie es wiedergutmachen konnte.

Nach Stunden weiteren Wanderns erreichte die Gruppe eine kleine Lichtung. Emilia ließ sich auf einen Baumstamm fallen, ihre Beine wollten nicht mehr. Sie atmete schwer, den Kopf gesenkt, während ihre Gedanken sie erneut überrollten.
Die Jungs bemerkten ihren Zustand, doch statt wie früher zu ihr zu eilen, hielten sie sich zurück. Alex warf ihr einen kurzen Blick zu, seine Stirn in Sorgenfalten gelegt, doch auch er zögerte, sich zu nähern. Schließlich trat Felix an sie heran, seine Arme verschränkt.
„Du musst durchhalten, Amy", sagte er schlicht, seine Stimme fest, aber nicht unfreundlich. „Die Reise wird nicht einfacher, wenn du aufgibst."
Emilia hob den Blick, und in ihren Augen glitzerten Tränen, die sie verzweifelt zurückhielt. „Ich gebe nicht auf", murmelte sie. „Ich... ich brauche nur einen Moment."

Felix betrachtete sie lange, sein Blick durchdringend. Schließlich seufzte er leise und setzte sich neben sie, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Die anderen hielten sich weiterhin auf Abstand, doch ihre Präsenz war spürbar.
Emilia fühlte die Schwere in ihrer Brust wachsen. Sie konnte nicht länger schweigen, nicht länger all die aufgestauten Emotionen und das Chaos in sich ignorieren. Doch wie sollte sie anfangen? Wie sollte sie das zerbrochene Vertrauen wiederherstellen?
Die Gruppe blieb eine Weile stehen, die Stille nur vom leisen Rascheln der Blätter unterbrochen. Schließlich sammelte Emilia ihre letzten Kräfte, um sich aufzurappeln. Ich muss einen Weg finden, dachte sie entschlossen. Ich muss... etwas tun.
Die Reise sollte weiter gehen doch Emilias Herz fühlte sich schwerer an denn je.
Felix stand bereits auf und ging voran.
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Emilia wollte gerade aufstehen, ihre Knie beugten sich, und ihre Hände stützten sich vom Baumstamm ab, als ein eigenartiges Kribbeln ihren Nacken hinaufkroch. Es war, als ob kleine, unsichtbare Nadeln über ihre Haut tanzten. Zuerst ignorierte sie das Gefühl, doch dann sah sie es.
Eine Aragne. Groß, haarig, mit einem schimmernden, schwarzen Körper, der im schwachen Licht der Abenddämmerung bedrohlich glänzte. Ihre vielen Augen reflektierten das spärliche Licht und schienen tief in ihre Seele zu starren. Die Beine der Kreatur, lang und spindeldürr, bewegten sich mit einer unheimlichen Präzision, während sie langsam näher kroch.

Ein Schrei durchbrach die Stille der Lichtung. Ein Schrei, wie ihn die Jungs noch nie von Emilia gehört hatten - ein Klang aus reiner Panik und Angst, die tief aus ihrem Innersten kam. Ihr Körper bebte, und sie stieß die Aragne hastig von sich ab, ihre Bewegungen hektisch und unkoordiniert. Ohne nachzudenken, ohne zu sehen, wo sie hinlief, rannte sie, direkt auf Jake zu.
Ihre Wucht war so groß, dass er, überrascht und nicht vorbereitet, rückwärts in den Schnee fiel. Emilia landete auf ihm, ihre Arme schlangen sich wie ein verzweifelter Sturm um seinen Oberkörper. Ihr Kopf vergrub sich in seiner Brust, und ihr ganzer Körper bebte unkontrolliert.

„Emilia, was zum-?" begann Jake, aber als er ihre zitternde Gestalt spürte, hielt er inne. Er hob seine Hände, wollte sie sanft von sich lösen, doch ihr Griff war eisern. „Nicht loslassen... bitte... nicht loslassen!" Ihre Stimme war ein Flüstern und Flehen, gebrochen von Panik. Jake spürte, wie sich ihre Angst wie eine Welle auf ihn übertrug. Sein Herz zog sich zusammen, und er legte vorsichtig eine Hand auf ihren Rücken, als wollte er sie beruhigen.
Alex war der Erste, der sich näherte, doch er hielt abrupt inne, als er Emilias zittrige Stimme hörte. Ash und Gray blieben ebenfalls stehen, ihre Gesichter voller Sorge. Chaid hatte seine üblich lockere Haltung verloren und sah sie mit ernster Miene an. „Was... war das?" fragte Gray, seine Stimme leise, fast ehrfürchtig.

„Aragne", sagte Felix trocken und deutete mit einem Nicken auf das Ungeziefer, das nun langsam näher kroch. Es war noch größer als gedacht, ihre Beine spannten sich bei jedem Schritt bedrohlich.
Als Emilias Kopf auf Jakes Brust ruckartig nach oben schnellte und ihre Panik erneut ausbrach, drückte sie ihn unbewusst noch tiefer in den Schnee. „Jake, bitte! Mach es weg! Ich... ich kann nicht...!"
Jake seufzte tief, hob eine Hand und erzeugte mit einer kleinen Bewegung seiner Finger eine Flamme. Die Jungs beobachteten, wie die Flamme elegant durch die Luft tanzte, bevor sie die Aragne erfasste. Ein zischendes Geräusch ertönte, und die Kreatur verschwand in einem Hauch von Rauch.

„Es ist weg, Emilia. Alles gut", sagte Jake sanft, seine Stimme ruhiger, als sie es verdient hätte. Doch ihre Umarmung lockerte sich nicht.
Alex brach die Stille, seine Stimme schwer vor Nachdenklichkeit. „Sie hat in jedem Leben Angst vor diesen Viechern." „In jedem Leben?" wiederholte Ash, der sich nun langsam neben Alex stellte.
Felix verschränkte die Arme und nickte.
„Das ist eine Angst, die tief in ihrer Seele verankert ist. Es geht zurück auf eines ihrer früheren Leben. Damals..." Er hielt kurz inne und sah zu Jake, der Emilias zitternde Gestalt immer noch in seinen Armen hielt. „Damals wurde sie von einer Aragne im Aragnenwald gebissen. Und was dann geschah... hat ihre Seele nachhaltig traumatisiert."
„Was ist damals passiert?" fragte Gray leise.
Chaid seufzte. „Es war nicht nur ein Biss. Diese Aragne war... besonders. Ihr Gift hatte etwas Verfluchtes, etwas, das sie fast getötet hätte. Sie hat überlebt, aber..." Er machte eine kurze Pause. „...das hat Spuren hinterlassen."
Ash nickte langsam. „Das erklärt, warum sie so panisch reagiert hat. Diese Angst sitzt tief."

Jake hatte aufmerksam zugehört, doch seine gesamte Konzentration lag bei Emilia. Sie hatte sich leicht gelockert, aber ihr Kopf lag immer noch auf seiner Brust. Ihre Atmung war immer noch flach und zitternd, und Jake konnte nicht anders, als seine Hand beruhigend über ihren Rücken gleiten zu lassen. „Es tut mir leid", flüsterte Emilia plötzlich, ihre Stimme kaum hörbar. „Ich wollte nicht... so schwach sein." „Schwach?" Jakes Stimme war fest, fast tadelnd. „Das hat nichts mit Schwäche zu tun, Emilia. Angst ist kein Zeichen von Schwäche."

Emilia hob ihren Kopf leicht, ihre kastanienbraunen Augen schimmerten feucht, als sie zu ihm aufsah. „Aber... ich habe euch doch enttäuscht. Ich bin doch-"
Jake legte einen Finger auf ihre Lippen und schüttelte den Kopf. „Du bist nicht perfekt, Emilia. Niemand von uns ist das. Aber das macht dich... echt." Seine Worte waren leise, aber sie trafen tief.
„Er hat recht", sagte Alex und trat nun näher. „Diese Angst gehört zu dir, Emilia. Wir haben dich nie anders gesehen."
„Und selbst wenn wir dich jetzt trösten, heißt das nicht, dass wir dich weniger bewundern", fügte Ash hinzu, seine Stimme warm. „Du bist mutig, selbst wenn du dich nicht so fühlst."
Felix, der bislang geschwiegen hatte, seufzte leise. „Du bist nicht die Erste, die so eine Angst hat, Amy. Aber der Unterschied ist, dass du dich nicht von ihr beherrschen lässt. Das zählt."
Emilia löste ihre Arme langsam von Jake und richtete sich auf. Sie fühlte sich erschöpft, aber auch... ein wenig leichter. Die Jungs standen um sie herum, und für einen Moment fühlte sie sich wieder von ihrer Nähe umgeben.
Jake stand ebenfalls auf, klopfte sich den Schnee von der Kleidung und hielt Emilia eine Hand hin. Sie zögerte kurz, doch dann ergriff sie sie.
„Also, weiter?" fragte Felix trocken, aber ein leichtes Lächeln spielte um seine Lippen.

Emilia nickte. „Weiter."
Die Gruppe setzte ihre Reise fort, und obwohl die Distanz zwischen ihnen noch nicht ganz verschwunden war, hatte dieser Moment etwas bewegt. Emilias Herz war immer noch schwer, aber sie fühlte sich nicht mehr allein. Sie wusste, dass sie Zeit brauchte - und vielleicht hatten sie diese Zeit alle verdient.

~ ~ ~ ~

Die Gruppe setzte ihren Weg fort. Die eisige Kälte des Winters schien Emilia weniger zu stören als die innere Kälte, die sie in den letzten Tagen gespürt hatte. Doch nach dem Vorfall mit der Aragne hatte sich etwas verändert. Es war subtil, wie ein erstes Auftauen nach einem langen Frost.
Jake war immer noch vorsichtig mit seinen Worten, aber es war nicht mehr die distanzierte Vorsicht. Es war, als wolle er sicherstellen, dass Emilia sich in seiner Nähe wohlfühlte. Eines Abends, als sie am Lager saßen, bemerkte Emilia, wie Jake ihr Mantelband, das sich gelöst hatte, wortlos fester zog.

„Danke," murmelte sie, fast schüchtern.
Jake zuckte mit den Schultern. „Du wirst dich erkälten, wenn du nicht besser aufpasst." Doch in seinen Augen lag ein Hauch von Wärme, den Emilia nicht übersehen konnte.
Alex hatte sich ebenfalls geöffnet, auch wenn er das kaum zeigen wollte. Während einer Rast sah Emilia, wie er die schwere Ausrüstung von einem der Schlitten alleine trug, und sie eilte ihm zur Hilfe.

„Ich helfe dir," sagte sie, während sie sich neben ihn stellte.
Alex hielt inne und sah sie prüfend an. „Das ist schwer, Emilia."
„Ich weiß. Aber ich bin stark." Sie griff nach einem der Seile und zog mit.
Alex schmunzelte, ein winziges Lächeln. „Das hast du eben bewiesen." Und für einen Moment spürte sie die Vertrautheit, die sie so sehr vermisst hatte.
Mit Ash war es etwas schwieriger. Er war schweigsam geworden, was nicht seine Art war. Doch eines Nachts, als die Sterne über ihnen funkelten, setzte sich Emilia neben ihn, während er die Flammen hütete.
„Du hast in letzter Zeit nicht viel gesagt," begann sie vorsichtig.
Ash sah sie an, sein Blick ruhig. „Ich habe nachgedacht."

„Worüber?"
„Ob wir jemals wieder so sein können wie früher," antwortete er ehrlich.
Emilia schluckte, doch sie nickte. „Ich will, dass wir es versuchen."
Ash warf einen kleinen Zweig ins Feuer, das daraufhin heller aufflackerte. „Ich auch." Und dann schob er ihr eine Tasse heißen Tee zu, ein kleines Zeichen, dass er bereit war, ihr wieder näherzukommen.
Gray schien Emilia immer noch auszuweichen, doch an einem verschneiten Morgen, als sie stolperte und beinahe hinfiel, war es Gray, der sie auffing.

„Pass besser auf," sagte er, seine Stimme rau, aber nicht kalt.
Emilia sah ihn an, während sie sich abstützte. „Danke, Gray."
„Vergiss es," murmelte er und half ihr, ihre Tasche wieder zu schultern. Doch als er ging, warf er ihr einen kurzen Blick zu, der zeigte, dass auch er bereit war, ihr eine Chance zu geben.
Chaid war derjenige, der am meisten zurückhaltend geblieben war, doch eines Nachmittags, als Emilia zu einer Klippe hinaufstieg, um die Aussicht zu genießen, folgte er ihr.
„Das ist gefährlich, weißt du?" sagte er und lehnte sich neben ihr an einen Baum.
„Ich wollte nur etwas Ruhe."
„Hm. Ruhe ist manchmal überbewertet," antwortete er, wobei ein kleines Lächeln seine Lippen umspielte.
Emilia lächelte zurück. „Vielleicht. Aber danke, dass du gekommen bist."
„Du solltest mir nicht danken," sagte Chaid und schüttelte den Kopf. „Ich passe nur auf, dass du nicht runterrutschst. Stell dir vor, ich müsste dich retten." Doch sein Ton war nicht mehr so hart wie vorher, und Emilia spürte, dass er langsam auftaute.
Felix blieb die meiste Zeit in ihrer Nähe, wie ein stiller Schatten. Eines Abends, als sie erschöpft von einer langen Etappe am Feuer saß, legte er ihr wortlos eine Decke um die Schultern.

„Ich dachte, ich wäre stark genug, ohne Hilfe," sagte sie leise. „Stark zu sein bedeutet nicht, keine Hilfe anzunehmen," entgegnete Felix ruhig. „Es bedeutet zu wissen, wann man sie braucht."
Emilia sah ihn an, überrascht von der Sanftheit in seiner Stimme. Und für einen Moment waren die bissigen Worte und die Distanz vergessen.
Die Reise war noch lang, aber diese kleinen Momente gaben Emilia Hoffnung. Sie wusste, dass es Zeit brauchte, um das, was sie zerbrochen hatte, wieder aufzubauen. Doch sie war entschlossen, es zu versuchen - mit jedem von ihnen. Schritt für Schritt.
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Die Luft war eisig, und die Dunkelheit des frühen Morgens wich langsam einem blassen Grau. Emilia öffnete ihre Augen, noch bevor der erste Flügelschwinger sein Lied sang. Die letzten Tage hatten ihren Tribut gefordert, nicht nur bei ihr, sondern bei allen in der Gruppe. Die Kälte, der Schnee und die endlose Reise hatten ihre Kameraden sichtbar erschöpft. Die Jungs schliefen dicht beieinander im warmen Zelt um das Feuer. Emilia hingegen hatte ein eigenes Zelt etwas abseits, doch sie konnte die regelmäßigen Atemzüge der anderen hören.
Selbst Jake, der normalerweise unerschütterlich wirkte, sah müde aus, seine Stirn in Falten gelegt, als ob selbst seine Träume von der Anstrengung belastet waren. Sie fühlte, wie etwas in ihr sich regte - eine Mischung aus Mitgefühl und Entschlossenheit. Es war Zeit, etwas zu tun.

Leise erhob sie sich, um niemanden zu wecken, und bewegte sich ein Stück vom Lager entfernt. Mit geschlossenen Augen konzentrierte sie sich, spürte die Energie in ihrem Inneren und ließ die Transformation zu. Ihr Körper veränderte sich, wuchs, bis sie in ihrer Bestiengestalt stand: ein majestätischer, weißer Tiger mit kräftigen Schultern und einem sanften, doch kraftvollen Ausdruck in ihren Augen. Ihr Atem kondensierte in der kalten Luft, und ihr Fell schimmerte leicht im schwachen Licht des beginnenden Morgens.

Langsam kehrte sie zurück zum Lager und ließ ein tiefes, kehliges Brummen erklingen, um die anderen zu wecken. Ihre Kameraden rührten sich träge, blinzelten verschlafen und brauchten einen Moment, um zu begreifen, was sie sahen. Alex war der Erste, der sprach. „Emilia?" fragte er, seine Stimme noch rau vom Schlaf.
Emilia senkte ihren Kopf, eine Geste der Einladung. Mit einem sanften Brummen deutete sie an: Steigt auf. Ich trage euch.
Jake war der Erste, der verstand, doch er schüttelte sofort den Kopf. „Emilia, das ist nicht nötig. Du musst dich nicht so anstrengen."
„Ihr seid erschöpft," antwortete Emilia in Gedanken, ihre tigerhafte Stimme ruhig, aber bestimmt.
„Ihr habt genug für mich getan. Jetzt bin ich an der Reihe."

Alex schnaubte und schüttelte den Kopf, doch sein Blick war von Zuneigung erfüllt. „Du bist unglaublich, weißt du das?"
Ash und Chaid hingegen sahen sich an und schwiegen, bis Chaid schließlich lachte. „Na gut, wenn das nicht der Moment ist, auf einem majestätischen Tiger zu reiten, weiß ich auch nicht."
Felix, der die Szene aufmerksam beobachtete, stand schließlich auf, streckte sich und murmelte: „Du kannst uns nicht alle tragen, Mieze. Aber ich bin ja kein Problem." Noch bevor jemand etwas sagen konnte, begann auch er, sich zu verwandeln. Seine Werwolfgestalt war imposant, mit kräftigen Gliedmaßen und einem pelzigen, dunklen Fell, das in der Morgensonne leicht glänzte.
„Ash, Chaid, ihr könnt auf mir reiten," sagte Felix knapp, während er sich leicht bückte. „Bevor ihr meckert: Das ist eine Ausnahme, also genießt es nicht zu sehr."
Alex, Gray und Jake stiegen vorsichtig auf Emilias Rücken. Alex ließ ein leises Lachen hören. „Ich kann nicht glauben, dass ich das wirklich mache."

„Halte dich gut fest," murmelte Jake trocken, bevor er einen Blick auf Emilia warf. „Pass auf dich auf, Emilia. Sag Bescheid, wenn es zu viel wird."
Emilia brummte als Antwort, ein sanfter Ton, der Zuversicht ausdrückte. Sie wartete, bis alle sicher saßen, und setzte sich dann in Bewegung. Ihr kraftvoller Körper glitt durch den Schnee, jeder ihrer Schritte sicher und bedacht, selbst auf den unebenen Pfaden. Felix folgte neben ihr, und Ash und Chaid hielten sich mit sichtlicher Erleichterung an seinem dichten Fell fest.
Die morgendliche Stille wurde nur vom leisen Knirschen des Schnees und gelegentlichen Atemzügen durchbrochen. Die Jungs, die noch vor kurzem müde und erschöpft waren, wirkten langsam entspannter. Alex, der hinter Jake saß, bemerkte plötzlich: „Weißt du, Emilia... das ist eine große Geste."
Gray, der vor ihm saß, nickte leicht. „Ich denke, sie will uns etwas sagen. Oder zeigen."

Jake warf einen Blick über die Schulter, konnte aber Emilias Gesicht nicht sehen. „Es ist ihre Art, uns zu zeigen, wie wichtig wir ihr sind," sagte er leise, fast mehr zu sich selbst als zu den anderen.
Als sie eine schmale Passage erreichten, hielt Emilia kurz inne. Alex schüttelte den Kopf und verwandelte sich in seine Schattenflügelform. Dunkle, fledermausartige Flügel breiteten sich aus, und er schwebte leichtfüßig über den engen Pfad. „Ich komme zurück, sobald wir durch sind," sagte er und landete wieder bei ihnen, als der Weg breiter wurde.
Während der gesamten Reise war jedem der Jungs bewusst, wie viel diese Geste bedeutete. Sie hatten Emilias Entschlossenheit immer bewundert, aber heute fühlten sie die Wärme und Zuneigung, die hinter ihrer Tat lag. Selbst Felix, der normalerweise bissige Kommentare nicht zurückhielt, blieb ungewöhnlich still. Als sie schließlich an einer Raststelle ankamen, setzte Emilia die Jungs sanft ab. Alex klopfte ihr dankbar auf die Schulter. „Du bist wirklich etwas Besonderes, Emilia."
Jake nickte ernst. „Du hättest das nicht tun müssen, aber... danke."
Ash grinste leicht und fügte hinzu: „Es war ehrlich gesagt das bequemste Reisen seit Tagen."

Felix hingegen verwandelte sich zurück und streckte sich, bevor er sagte: „Na gut, das war beeindruckend, Mieze. Aber übertreib es nicht."
Emilia verwandelte sich ebenfalls zurück und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Sie sah zu den Jungs und bemerkte, wie ihre Blicke weicher geworden waren. „Ich wollte nur... zeigen, dass ich auch für euch da bin," sagte sie leise.
Jake trat näher und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Das hast du. Und wir schätzen es."

Die Reise war noch lange nicht vorbei, aber in diesem Moment fühlte Emilia, dass sie einen kleinen Schritt nach vorne gemacht hatten. Ein Schritt, der ihre Bande wieder ein Stück stärker machte.
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Die Reisegruppe bewegte sich stetig voran durch den verschneiten Wald, als sie plötzlich auf ein kleines, provisorisches Lager stießen. Inmitten der Kälte saß ein Paar - ein hochgewachsener Mann mit einer kräftigen, leicht schimmernden Haut wie poliertes Kupfer und eine zierliche Frau mit silbrigem Haar, das im Licht der tiefstehenden Sonne funkelte. Der Mann war ein Erdwandler, eine Rasse, die für ihre Stärke und Standhaftigkeit bekannt war. Die Frau, ein Mondschimmerling, stammte von einem Stamm, der mit dem Licht des Mondes in Verbindung stand. Beide schienen sichtlich erschöpft, die Frau in offensichtlichen Wehen.
„Wir brauchen Hilfe," sagte der Mann mit fester, aber besorgter Stimme, als die Gruppe sich näherte. Seine bernsteinfarbenen Augen suchten verzweifelt nach Unterstützung. Emilia war die Erste, die nähertrat, gefolgt von Alex, der die Lage mit einem ruhigen, professionellen Blick erfasste.

„Wir müssen ein warmes Zelt aufstellen," sagte Alex knapp und sah zu Jake, der ohne zu zögern damit begann, ein geschütztes Areal zu schaffen. Ash entzündete schnell ein Feuer, während Gray und Chaid die Vorräte durchsuchten. Felix stand mit verschränkten Armen abseits, doch seine Augen verrieten seine Aufmerksamkeit. Er würde helfen, falls es nötig war, auch wenn er sich unauffällig hielt.
Emilia kniete sich neben die Frau und ergriff sanft ihre Hand. „Wie ist dein Name?" fragte sie leise.
„Myra," antwortete die Frau mit schwacher Stimme, während sie den Schmerz zu unterdrücken versuchte. „Und das ist mein Mann, Kalin."
„Keine Sorge, Myra," sagte Emilia mit sanfter Entschlossenheit. „Wir helfen dir. Dein Baby wird sicher sein."

Alex nahm die Rolle des Bluttheilers ein, wie es seiner Natur entsprach, und übernahm die medizinische Leitung. „Emilia, ich brauche dich als meine Assistentin," sagte er, seine Stimme ruhig, aber bestimmt. „Halte ihre Hand, sprich mit ihr und gib mir die Werkzeuge, wenn ich sie verlange."
Emilia nickte und folgte seiner Führung, auch wenn ihr Herz raste. Sie hatte so etwas noch nie erlebt, und die Intensität des Moments ließ sie innehalten. Doch sie konzentrierte sich und sprach beruhigend auf Myra ein, während die Wehen stärker wurden.

„Das ist kritisch," sagte Alex, während er Kalin anwies, warmes Wasser und Decken bereitzuhalten. „Ein Baby auf dem Weg durch die verwilderte Zone im Winter... aber wir schaffen das."
Die Stunden zogen sich hin, und die Anstrengung war Myra ins Gesicht geschrieben. Doch dank der Zusammenarbeit der Gruppe - und Alex' Kompetenz - war es schließlich soweit. Ein kräftiger Schrei erfüllte das Zelt, und Alex hob das Neugeborene hoch, das in Decken gehüllt war.
„Ein Mädchen," sagte er lächelnd und reichte es Myra, die Tränen in den Augen hatte. Kalin, der bisher seine Fassung bewahrt hatte, brach schließlich in Erleichterung zusammen und umarmte seine Frau und das Baby.
Emilia saß da, ihre Hände zitterten leicht von der Anstrengung und der Aufregung. Sie beobachtete das Paar, wie sie ihr Neugeborenes ansahen, als wäre die Welt stehengeblieben. Etwas regte sich tief in ihr, ein warmes, unerwartetes Gefühl.
Ihre Gedanken wanderten zu den Jungs. Sie hob den Blick, ließ ihn über Alex gleiten, der gerade Werkzeuge reinigte, dann zu Jake, der das Feuer schürte, und schließlich zu Felix, der am Zelteingang lehnte, mit einem ausdruckslosen Gesicht, das doch tiefe Gedanken verbarg. Ein leises, fast unmerkliches Lächeln legte sich auf ihre Lippen, und ihre Wangen färbten sich rosa.

Wie wäre es... eines Tages... ein Kind zu haben? Vielleicht von einem von ihnen? Oder... Der Gedanke brachte ihr Herz aus dem Takt, und sie schüttelte leicht den Kopf. Doch das Gefühl ließ sie nicht los. Die Gruppe blieb bei Myra und Kalin, um sicherzustellen, dass es Mutter und Kind gut ging. Felix hatte seine übliche bissige Art zurückgehalten und kümmerte sich sogar darum, Holz für das Feuer zu sammeln. Ash summte eine leise Melodie, die er einmal von einem alten Weisen gelernt hatte, und Gray spielte mit einer kleinen Wasserkugel, um das Baby zu unterhalten. Myra sah zu Emilia hinüber, als sie das Baby in ihren Armen hielt. „Du warst unglaublich," sagte sie leise. „Hast du selbst Kinder?"

Emilia stockte und sah die Frau überrascht an. Sie schüttelte den Kopf, doch die Frage hallte in ihr nach. „Nein, noch nicht," sagte sie schließlich mit einem leichten Lächeln.
„Aber... vielleicht eines Tages."
Die Jungs hörten die Worte, auch wenn keiner von ihnen etwas sagte. Doch ihre Blicke verrieten, dass der Gedanke sie alle tief berührt hatte.
Als die Nacht tiefer wurde und alle sich ausruhten, setzte sich Jake neben Emilia ans Feuer. „Du hast das gut gemacht," sagte er schlicht, ohne sie anzusehen. Seine Stimme war ruhig, fast sanft.
„Danke," antwortete Emilia leise. „Aber ohne euch hätte ich das nicht geschafft."

Jake sah sie an, seine Augen suchten nach etwas, das er nicht in Worte fassen konnte. Schließlich nickte er nur und legte eine Hand auf ihre Schulter. Es war eine kleine Geste, doch für Emilia fühlte es sich an wie ein Versprechen - ein Schritt in die richtige Richtung. Am nächsten Morgen verabschiedeten sich die Reisenden von Myra, Kalin und ihrem Neugeborenen. Emilia hielt das Baby ein letztes Mal in den Armen, spürte die Wärme und das Leben, das sie mit in die Welt gebracht hatten.
„Vielen Dank," sagte Kalin tief bewegt. „Ihr habt nicht nur unser Baby gerettet, sondern auch uns."
Die Gruppe setzte ihren Weg fort, doch die Begegnung mit dem Paar hatte Spuren in ihren Herzen hinterlassen. Für Emilia war es mehr als ein Zwischenstopp - es war eine Erinnerung daran, was Liebe und Leben wirklich bedeuten konnten. Und vielleicht, nur vielleicht, war es der erste Schritt, ihre eigenen Gefühle zu verstehen.

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