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John war überaus gerührt, als vor etwa vier Jahren William von der Geburt seiner Enkelin erzählte. Der ehemalige Kollege kam noch ab und an nach der Verrentung bei seinem alten Arbeitsplatz vorbei, für einen kleinen Plausch. Er wirkte immer ein wenig einsam, nachdem er seine innig geliebte Frau an eine Krankheit verloren hatte, doch nicht an dem Tag. Sein faltiges Gesicht leuchtete, er zeigte mit stolzem Lächeln ein Foto des Babys herum, und als der Ärmel seines weißen Hemdes hochrutschte, stand dort der Name des kleinen Mädchens.
In dem Moment hatte John sich unheimlich für den alten Mann gefreut. William hatte diese großartige Ehe gehabt, ungeachtet dessen, dass er und seine Frau nicht zur Seelenverwandtschaft auserkoren waren. Er hatte drei Kinder bekommen, die er alle aufrichtig liebte, ganz gleich, wie er manchmal über sie geächzt hatte, als er im Lehrerzimmer noch am Schreibtisch neben John gesessen hat. Und nun würde er endlich dieses unbeschreibliche, das womöglich alles überbietende Gefühl erfahren.
Und da wurde John traurig. Denn wenn William seine Enkelin mehr lieben würde als jeden anderen, was bedeutet das dann für all die anderen, die er liebt? Man freut sich für seine Mitmenschen, wenn sie ihre Seelenverwandten finden, doch was kostet es die? Williams Frau muss (zumindest den Regeln gemäß) selbst eine Seelenverwandtschaft erlebt haben, bevor sie starb. Vielleicht mit einem Elternteil oder einem früheren Partner, der sie ebenfalls allein zurückgelassen hat. So war sie sicher froh, genau wie William, diese Liebe erleben zu dürfen, obwohl sie vielleicht nicht exakt vorgesehen war. Doch was ist mit Williams Kindern, wie fühlen die sich, wenn sie nun wissen, dass ihr Vater sie niemals so hat lieben können, wie er nun das gerade geborene Kind liebt? Ist das nicht absonderlich? Unfair? Verletzend? Oder übergehen die Menschen derlei einfach, in dem Wissen, selbst eine solche Bindung genießen zu dürfen?
John wurde auch traurig, weil es ihn an die Beziehung mit seinen Eltern erinnerte. Keiner von beiden liebt ihn wie einen Seelenverwandten und - obwohl er das in gewisser Weise erleichternd findet, denn es kommt ihm irgendwie lohnenswerter vor, diese spezielle Bindung mit einem Partner erleben zu können, wie es dann doch den meisten Menschen passiert – er findet es seit seiner Kindheit unheimlich traurig, zu wissen, dass sie einander mehr lieben als ihn und Anna.
Außerdem machte John traurig – und das war vielleicht der schlimmste Gedanke daran – dass er seiner seelenverwandten Person noch nicht begegnet war. Seit William war ihm bewusst, dass diese Begegnung durchaus noch lange auf sich warten lassen könnte.
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