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„Also", schließt Nathan an ihre Mutmaßungen über die betrogene Schauspielerin an. „Denkst du, sie hat durch die Ehe mit dem lügenden Mann wirklich ihre Chance minimiert, ihren Seelenverwandten zu finden?"

John wiegt den Kopf hin und her. „Das ist schwer zu sagen. Eigentlich denke ich, dass das Schicksal alles so hinbiegt, dass es passt. Also wäre ihr der Seelenverwandte vermutlich in dieser Zeit auch dann nicht begegnet, hätte sie die Lüge direkt durchschaut. Vielleicht ist diese Episode ihres Lebens sogar notwendig, um der anderen Person zu begegnen, vielleicht ist es ein Scheidungsanwalt oder... Naja. Aber ich bin mir da nicht so sicher."

„Wieso nicht?"

Natürlich fragt Nathan nach und John ist sich nicht ganz sicher, ob er die Wahrheit sagen soll. Nathan hat dieses empfindliche Gemüt und sie sind gerade beim Essen... Er räuspert sich und gibt sich Mühe, es so schlicht wie möglich zu formulieren.

„Ich bin einmal Zeuge gewesen, bei einem Autounfall auf einer Landstraße. Der Unfallverursacher war sofort tot und ich war noch da, als die Sanitäter kamen. Ich habe seine Arme gesehen und es war kein Name da. Deswegen..." Er beobachtet Nathans Reaktion genau, der mit der Gabel vor dem Mund innegehalten hat, wohl mehr vor Gespanntheit denn aus Ekel, und nun sichtbar schluckt.

„Deswegen habe ich mich gefragt, ob manche Menschen überhaupt keinen Seelenverwandten zugewiesen bekommen oder ob er noch jemanden gefunden hätte, wäre ihm der Unfall nicht dazwischen gekommen."

Nathans Brauen zucken zusammen. John ahnt, was er fragen will. Wie John das glauben kann, wo er doch der Ansicht ist, das Schicksal stecke hinter alldem. Ob nicht das Schicksal den Unfall in seine Planung einkalkulieren hätte müssen. Dann sagt Nathan aber doch etwas anderes.

„Wäre der erste Fall denn so schlimm?"

„Wenn manche Menschen niemanden haben...? Ähm, naja. Eigentlich nicht, nur... Wenn die ganze Umgebung die ganze Zeit auf nichts anderes wartet als darauf, dass irgendein Name auf deinem Arm steht... Dann wartest du doch irgendwie selbst darauf, oder? Und hoffst, dass du dieses Gefühl erleben darfst." Da räuspert sich John. Er kennt dieses Gefühl immerhin nicht, nur aus Beobachtungen Dritter. Die meisten scheinen glücklich damit.

„Und im zweiten Fall?"

John läuft ein Schauer über den Rücken. Wenn er ehrlich ist, macht der erste Fall ihm keine Angst. Wenn manche Menschen niemanden haben, der für eine Seelenverwandtschaft mit ihnen vorgesehen ist? Dann wäre das unfair. Schade für die Betroffenen. Und er würde sicher keiner von ihnen sein wollen. Aber das ist nichts, das John für sich selbst Sorgen bereitet. Immerhin gibt es Esra. Irgendwo da draußen.

Der zweite Fall aber...

„Wenn man durch einen Unfall sterben kann, bevor man der Person begegnet? Das..." Johns Stimme verliert zum Satzende hin an Kraft, sodass er verstummt. Er findet kaum die Worte für die schiere Angst, die dieses ausgemalte Szenario in ihm auslöst. Die Vorstellung, sein Leben lang auf diese eine Person zu warten und dann-

„Stell dir vor, du hast einen Namen auf deinem Arm und du wartest, weil du der Person begegnen willst, aber sie ist gestorben und vielleicht erfährst du niemals davon, weil du sie ja nicht kennst, also wartest du weiter. Du verbringst dein ganzes Leben in Gedanken an eine fremde Person, die du nie treffen wirst, und verpasst deswegen jede Möglichkeit, intensive Bindungen zu Menschen aufzubauen, die da sind."

Nathan blinzelt. Trotz des ablenkenden Unwohlseins, von dem sich die Haare an Johns Armen und seinem Nacken aufstellen, sieht er Nathans Blick genau an, wie der ihn mustert. Wie er wissen will, wieso John dieser Gedanke so mitnimmt.

„Man könnte es sich zur Maxime machen, im Jetzt zu leben, die Beziehungen zu genießen, die man eingehen kann, und die Begegnung mit der für einen vorgesehenen Person mehr als Option zu betrachten, weniger als ein Muss.", schlägt Nathan dann leichthin vor.

John versucht, sich das vorzustellen. Das Jetzt zu genießen, nun gut: Er spaziert auf seinem Arbeitsweg durch einen Park und er nimmt sich viel Zeit, seine Umgebung dort zu sondieren, bemerkt kleine Veränderungen auf seiner Route, empfindet Freude am Entdecken der ersten Forsythienblüte im Frühjahr oder eines Eichhörnchens im Baumwipfel im Herbst. Er ist achtsam, er mag das Leben an sich, das ist nicht das Problem. Aber die Beziehungen auszukosten, die er hat?

Er denkt an seine Eltern. An Anna. Sogar an Marcie und William und seine Schüler. Irgendwie kommt ihm nichts davon so vor, als wäre es ausreichend für ein Leben. Als könne er damit jemals genug Glück erfahren, um das Ganze als lohnenswert zu bezeichnen.

Sein Blick flackert zurück zu seinem Gegenüber und John überkommt der Gedanke, dass es vielleicht genug sein könnte. Mit Nathan. Wenn nur sein verdammter Name auf Johns Arm stehen könnte.

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