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An dem Morgen klopft Johns Herz irgendwie zu doll und zu holprig. Er spürt es ganz deutlich in seiner Brust, kann sich an ein, zwei Male erinnern, in denen er etwas ähnliches bemerkt hat, allerdings viel schwächer. Er wird ein bisschen nervös und überlegt, nach der Arbeit einen Arzttermin zu machen. Vielleicht muss er sich einen Kardiologen suchen. Es hat geheißen, der Herzfehler habe sich verwachsen, aber was, wenn das nicht stimmt?

Kurz überlegt er sogar (er ist noch sehr müde, denn im Wachzustand erlaubt John sich derlei romantische Träumereien nicht), wie ironisch es wäre, fände er einen Kardiologen, der den Namen trägt, der bei seiner Geburt auf seinem Arm erschienen ist.

Als John dann an diesem ersten Montag nach den Ferien bei der Arbeit eintrifft, unterhalten sich Marcie und Jennifer mit einem Mann, den er nicht kennt. Er sieht nur seine Rückseite, hört eine warme, tiefe Stimme, und muss sich abgelenkt abwenden und an die Brust fassen, denn wieder galoppiert sein Herz. Ihm kommt der Gedanke, Mutter anzurufen und nach der genauen Diagnostik von damals zu fragen, als die Stimmen der Kolleginnen und des Neuen doch wieder zu ihm durchdringen.

Jennifer lacht. Nein, sie kichert. Als John hinsieht, erkennt er das Profil des Neuen: Etwas Erhabenes ist in seinem Gesicht und er sieht ernst aus, nicht, als habe er mit einem Scherz eine solche Reaktion bezweckt. Gleichzeitig ist der Fremde aber so schön, dass John buchstäblich die Knie weich werden und er sich gezwungener Maßen auf den nächsten Stuhl fallen lassen muss.

Marcie streicht sich in einer eindeutig flirtenden Geste die Haare aus der Stirn und zeigt dem Neuen beim Lächeln ihre Zähne. John ist ein bisschen froh, dass Jenny es ist, die fragt, denn er mag Marcie und hätte ihr so eine Forschheit wohl nicht gut verziehen, obwohl ihm klar ist, dass er genauso auf die Antwort lauert. „Und bist du noch... unbeschrieben?"

Von seinem Platz aus verdreht John die Augen, aber er ist nicht genervt, eigentlich ist ihm irgendwie unwohl. Sein Herz klopft noch beschleunigt, aber nun ist da ein flaues Gefühl in seinem Magen, und obwohl er den Neuen weder von nah noch von vorne gesehen hat, ist die Vorstellung von ihm und einer der beiden Frauen als Paar ihm unangenehm.

Es könnte daran liegen, dass John ihn schön findet und bis dahin noch nie jemanden schön gefunden hat. Auf objektive Schönheitsmaßstäbe hin überprüft und hoch bepunktet, das ja. Aber nicht so, ganz intuitiv. Was wiederum daran liegen könnte, dass der Mann einfach schön ist, schlicht und ergreifend auch auf objektiven Schönheitsmaßstabsskalen die höchstmögliche Punktzahl übertrifft. Es hat also nichts mit John zu tun: Es ist eine völlig normale Reaktion, dass er augenblicklich darauf hofft, der Neue möge sich als Esra vorstellen. Es macht ihm Angst, aber es ist völlig normal. Genau so, wie Jenny vermutlich gerade darauf hofft, zu dem Fremden zu gehören, oder wie Marcie spekuliert, ob er wie sie mit einem Verwandten verbunden ist und darum frei für eine romantische Beziehung, in die das Schicksal sich nicht einmischt.

Der Mann schüttelt den Kopf, sein dunkles Haar umtanzt dabei federleicht seine Stirn. „Oh, nein. Ich bin verbunden mit..." Er pausiert nur ein bisschen zu lange und zieht die Brauen zusammen. „... meiner Mutter."

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