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Lieben ist einfach. Wenn das Schicksal einem sagt, wen man lieben soll. Wenn das Schicksal es einem wortwörtlich vorschreibt.

Jeder Mensch (Regeln  sagt man nach, mit ihrer Allgemeingültigkeit von Zeit zu Zeit etwas  nachlässig zu sein) hat einen Seelenverwandten. Irgendwann im Laufe  seines Lebens materialisiert sich ein Schriftzug auf seinem Unterarm, der den Namen derjenigen Person preisgibt, mit der er auf die innigst mögliche Weise verbunden ist.

Dazu ist zu sagen, dass das Schicksal mit seinen Machenschaften (in der Regel) sehr ordentlich ist: Die Namen erscheinen gut sichtbar in schwarzem oder weißem Farbton  und immer in der gleichen serifenfreien Schriftart. Keine Schnörkel, denn das Schicksal ist, wie sich noch zeigen wird, nicht unbedingt romantisch veranlagt.

Die meisten Menschen erfahren den Namen ihres Seelenverwandten im Alter zwischen 15 und 20 Jahren. Nehmen wir ein Beispiel:

Johns Eltern waren Nachbarn, als sie Kinder waren. Beide wohnten in niedlichen  Vorstadthäuschen mit weißem Anstrich, rotem Ziegeldach und sattgrünem Rasen davor. Sie waren altersmäßig zwei Jahre auseinander und ihre Eltern miteinander befreundet, sodass sie einander unausweichlich ständig begegneten. Sie besuchten auch den gleichen Kindergarten, später die gleiche Schule. Niemand auf der nachbarschaftlichen Gartenparty war  besonders verwundert darüber, als sie gemeinsam in der Hängematte schaukelnd im Alter von zwölf und vierzehn Jahren entdeckten, dass von einem auf den anderen Moment der Name des jeweils anderen auf ihrem Arm geschrieben stand.

Sie besuchten wie gewohnt weiter die Schule, ließen sich verschiedene Ausbildungen zu Teil  werden (Johns Vater wurde Buchhalter, seine Mutter Floristin) und bekamen Kinder. Zwei.

Sie sind wohl glücklich, zumindest miteinander. Sie verstehen sich gut, fast ohne Worte, oder vielleicht haben nur beide die gleiche Veranlagung, ihren Unmut  herunterzuschlucken und mit einem sanften Lächeln zu überspielen.

Das Schicksal hat ihnen die Gewissheit geschenkt, zusammenzugehören, und das ist auch schon alles. Es hat ihnen nicht vorgeschrieben, ob sie mit oder ohne ihre  Kinder glücklicher wären, oder wie sie mit der temporären Arbeitslosigkeit von Johns Vater umgehen sollten. Sie bestreiten ihr Leben aus eigener Kraft, arbeiten und wägen ab, lieben und streiten mit ihren Kindern. So gesehen fragt John sich, worin der Vorteil besteht, zu  wissen, zu wem man gehört. Denn dass seine Eltern auf diese Weise zusammenfinden würden, war ihnen gewissermaßen ohnehin in die Wiege gelegt worden.

Nicht jeder erfährt allerdings auf diese furchtbar einfache Weise von seinem  Seelenverwandten. Bei John war es zum Beispiel ganz anders.

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