Kapitel 14

 ,,Geh den Gang lang. Hinten ist eine kleine Empore von der du alles sehen kannst. Versuch gar nicht erst abzuhauen!", zischte er und verschwand wieder durch die Tür. Seufzend ging sie den Gang entlang und konnte schon von weiten drei andere Personen auf der Empore ausmachen.

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Eigentlich war es ja gut, dass Liv hier saß. Immerhin besser als da unten. Sie hatte immer gedacht, dass so ein Laden von fetten Schweinen geführt würde, doch Jeff war das Gegenteil. Er war groß, schlank und recht ansehbar. Wäre sie ein bisschen älter, würde nicht hier leben und wüsste nicht was Jeff für Geschäfte treibt, hätte sie vielleicht sogar an ihm Interesse. Doch er, Marcell, Milo, Gerome und die ganzen Untergrundleute, die eigentlich ziemlich erfolgreich sind, sind wie Spinnen. Ganz fein und fast unsichtbar für die Ahnungslosen spinnen sie ein Netz in deinen Weg. Sobald du auch nur ein bisschen zu weit gehst verfängst du dich in ihren Netz und während sie langsam auf dich zu krabbeln, jeder Zeit bereit dich zu töten wird dir klar, dass du in einer Lügenwelt gelebt hast. Jeder einzelne Faden zählt für eine weitere Lüge. Sie haben dich ausgetrickst und erfreuen sich jetzt an deiner Schande. An der Enttäuschung in deinem Blick. An den Verfluchungen die dir auf der Zunge liegen. Doch du kannst nicht raus damit. Würdest du sie verärgern, würden sie noch schneller dein Leiden herbei führen. Du vermeidest also das Unvermeidbare und das tust du so lange du kannst. So lange es klappt versuchst du still in ihrer Falle zu verharren, nur um darauf zu hoffen, dass sich ein verwirrter Mensch in diese Gegend bewegt und das Netzt zerstört. Dich aus den Fängen befreit. Es muss kein Mensch sein, es können auch andere verwirrte Geschöpfe sein, die ebenfalls in dieses Lügennetz gefallen sind. Und das würde Liv machen. Sie würde solange still verharren und versuchen mit anderen Opfern ihre Zeit zu verlängern. Sie würde kämpfen. Sie würde nicht aufgebe- ,,Hey, Kleine! Du sollst auf passen!" Jemand schnipste vor ihrem Gesicht rum und ließ sie aus ihrem kleinen Nickerchen aufschrecken. Noch etwas benommen sah sie sich um und setzte sich dann gerade hin. ,,Noch mal so etwas und du kriegst Stress!", drohte ihr ein glatzköpfiger Stiernacken. ,,Lass gut sein Dom. Die Kriegt eh für alles Ärger, obwohl sie gerade erst zwei Tag dabei ist", nahm André sie in Schutz und sie lächelte dankend. Da sie aber nicht sicher war, was dieser Dom noch machen würde, sah sie wider auf das Geschehen hinab. Jetzt wusste sie auch was Selina gemeint hatte. Die Kunden begrabschten  die Kellnerinnen oft und waren gleichzeitig gefesselt von den Akrobatischen Künsten der Mädchen, die auf eine Weise sehr erotisch wirkten. Ihre Gedanken selbst kreisten jedoch um Dom. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass Christina so jemanden mag. Er wirkte brutal, pervers und nicht anders als Jeff und seine Leute. Da sie seinen eindringlichen Blick auf sich spürte, wand sie sich wieder dem Geschehen zu. Dom wirkte zwar von außen so, doch eigentlich war er durch ein Missgeschick in dieses Geschäft hinein geraten. Er stand unter Vertrag, so wie viele Andre auch. Sein Handy vibrierte, was zeigte, dass er eine Nachricht bekommen hatte. Marcell wollte ihn sprechen. Schnell sagte er Pier Bescheid und ging. Liv atmete erleichtert aus, da sie sich in seiner Nähe unwohl fühlte. Irgendeins der Mädchen stellte einem Kunden gerade ein Getränk auf den Tisch, als er sie packte und auf seinen Schoß zog. Als er sie auch noch begrabschte, fuhr Liv erschrocken zurück und hielt den Atem an. ,,André", flüsterte sie und sah wieder hinab. Der Kunde hatte ihr das Kleid fast ausgezogen und man sah, dass sie sich wehrte, es aber nicht hin bekam. ,,André!", sagte sie jetzt lauter. Er und Pier sahen sie wütend und fragend an, doch sie deutete nur nach unten. Sofort waren die beiden am Geländer und sahen hinab. ,,Kommt schnell. Ich verständige Marcell, damit kommt der Mistkerl nicht durch!", sagte er wütend und schon waren sie weg. Liv verstand nicht genau warum es soooo schlimm war. Natürlich tat ihr das Mädchen leid, wer auch immer es war, aber warum machten sie so ein Drama drum? Was Liv nicht wissen konnte ist, das dieser Kunde eigentlich nicht hier sein sollte. Die Türsteher haben wohl ein bisschen geschlampt, denn er hat Hausverbot. Er hatte sich mal ein Mädchen gebucht und ihr tiefe Schnittwunden verpasst, an denen sie gestorben ist. Er steht halt auf Abwechslung und das tut er auch bei den Kellnerinnen. Seit dem gibt es strenge Regeln.

Liv hatte im Moment jedoch nur einen Gedanken. Weg!

So schnell sie konnte huschte sie den Flur entlang und aus der Tür raus. Da alle in heller Aufregung waren, achtete niemand auf sie und sie konnte unbemerkt zum Ausgang schleichen. Dort wurde es ein bisschen schwerer, denn es standen zwei bullige Typen im Türrahmen und Milo stand nicht weit entfernt. Also müsste sie anders rum. Sie flüchtete durch die Tür, die zum Laden hoch führte, blieb jedoch an der Kellertreppe erst mal stehen zum verschnaufen. Dann merkte sie, dass sie noch dieses Schulmädchen Outfit trug. Egal, es wusste eh jeder, dass sie im Verneuil war, also könnte sie auch so raus. Mit jedem Schritt den sie jetzt vorwärts machte wurde ihr immer schlechter. Nicht nur, dass sie die anderen Mädchen im Stich ließ, auch wusste sie was passiert, wenn sie erwischt wird. Eine schwere Aufgabe wird sein, durch den Laden und dann weg zu kommen. So leise wie es mit Absatz halt ging, stolperte sie die Treppe hoch und ging durch den langen Flur. Rechts, im Raum mit den Monitoren, saß einer von Jeff's Männer. Dieser schnarchte aber so laut, dass Liv sicher war, dass er schlief. Der Laden als solches war nicht sehr voll. Wen sie aber sofort entdeckte war George. Panisch ging sie einen Schritt zurück und versteckte sich hinter einer Wand. Dort atmete sie einmal tief durch um sich zu beruhigen. George würde sie verraten. Sei es um Lee zu schützen, er würde schließlich alles für sie tun. Liv konnte es ihm nicht verübeln. Für Dustin hätte sie sich auch geopfert. So wie er für sie... Es ist deine Schuld, dass er tot ist!, hallten Marcell's Worte in ihrem Kopf nach. Schnell schüttelte sie diesen und tat dann etwas was sie schon längst hätte tun sollen. Sie zog ihre Schuhe aus, versteckte diese in einem alten Schrank, atmete nochmal tief durch und rannte dann los. Wie von der Tarantel gestochen sprintete sie aus der Tür in die noch immer warme Abendluft. Erschrocken hatten sich alle zu ihr umgedreht, doch niemand außer George hatte sie wirklich erkannt. Nicht mal er war sich sicher, doch er war wusste, dass es eins der Mädchen aus dem Verneuil waren. Sofort zückte er sein Handy und stand auf. Während er sein Getränk bezahlte rufte er bei Marcell an, denn er musste ihm sofort Bescheid sagen, wenn eins der Mädchen fliehen wollte. ,,Was?", blaffte Marcell in durchs das Telefon an. Jetzt hatte George schon keine Lust mehr und hätte am liebsten aufgelegt. ,,Jetzt sag schon etwas, sonst leg ich wieder auf!" ,,Entweder habt ihr eins der Mädchen gezwungen Sport zu machen, oder sie rennt aus Spaß hier lang", scherzte er. Man hörte Marcell nur fluchen, einen Befehl bellen und dann ein lautes Poltern. Kurz darauf stürmte er aus der Tür die zum Keller führte und steuerte auf den Ausgang zu. George folgte ihm natürlich und sah sich auf der Straße um. ,,Wie sah sie aus?", fragte Marcell und ging nach rechts, obwohl Liv nach links ist. ,,Sie ist hier lang", sagte George und deutete in die andere Richtung. ,,Ich weiß, also?", erwiderte Marcell nur. ,,So ein Schulmädchen Outfit. Aber sie hatte keine Schuhe an, also wird sie ziemlich schnell sein", erklärte er und auf Marcell's Gesicht erschien ein Grinsen. ,,Hätte nie gedacht, dass du Liv verrätst." Somit schloss er eins der Autos auf und stieg ein. Etwas perplex tat George es ihm gleich und schon fuhren sie los. ,,Wohin würde sie als erstes gehen?", fragte er dann drängend. Überfordert sah George sich um. ,,Zum Hochhaus? Keine Ahnung, sie wird bestimmt Lee suchen." Er hatte zwar eben schon einen Verdacht gehabt, doch Liv zu verraten war nicht sein Ziel gewesen. Doch was hätte er sonst tun sollen? Lee in Gefahr bringen? 

Kurz darauf hielten sie vor dem grauen Klotz und sprangen aus dem Wagen. Marcell war jetzt schon auf 180 und kurz davor, jemanden in die Fresse zu schlagen. Schneller als sonst rannten sie die Treppe hoch und er hämmerte gegen die Tür. ,,Macht auf!", schrie er wutentbrannt. Nach knapp fünf Minuten und drei neuen dellen in der Tür, öffnete ein verängstigter Finn und ging sofort zurück, als Marcell hinein stürmte. ,,Wo ist Liv?", fragte er und ging bedrohlich auf Finn los. ,,Ey, lass ihn in Ruhe!", rief Lee und kam aus der Küche. Ohne mit der Wimper zu zucken ging Marcell auf sie zu und klatschte ihr eine. ,,Wenn du sie versteckt hältst, dann wirst du es bereuen!" ,,Halt meine Schwester da raus!", mischte sich George ein und stellte sich beschützend vor sie. Lee hatte inzwischen eine feuerrote Wange und klammerte sich an Finn. ,,Pass auf, dass die beiden oder Liv nicht abhauen. Ich gucke oben!", sagte er noch wütender als zuvor und stürmte die Treppe hoch. Oben warf er einen Blick nach rechts und links, bevor er in das erste Zimmer ging. Es war das alte Zimmer von Liv. Das einzige, welches mit einem Bad verbunden war. Sofort sah er unters Bett, in jedes Fach der Kommode und im Bad nach. Danach machte er sich auf ins nächste Zimmer. Liv hätte nie gedacht, dass er so dämlich wäre und nicht hinter der Tür geguckt hatte. Flach atmend lauschte sie seinen Geräuschen und suchte einen Moment um unbemerkt weglaufen zu können. Als sie das Gefühl hatte, dass er weiter weg war, schlich sie hinter der Tür hervor und lugte nochmal um die Ecken. Keiner in Sicht. Marcell war gerade damit beschäftigt in Lee's Schrank zu wühlen. So leise sie konnte tapste sie die Treppe also runter, als sie plötzlich abrutschte. Mit einem lauten Rums landete sie am Fuß der Treppe und hielt sich schmerzhaft die Hüfte. Das würde einen Blauenfleck geben. Auch ihr Hintern hatte einiges abbekommen. Schnell biss sie die Zähne zusammen und ging auf die Tür zu, als George, Lee und Finn erschienen. ,,Bitte, bitte lass mich gehen", flehte sie leise und sah George an. Innerlich wusste sie, dass er sie nicht gehen lassen würde. ,,Es tut mir leid, er tu-" ,,Wenn du sie nicht aufhältst, George! Ich schwöre dir, dann wirst du deine Schwester nie wieder sehen, weil ich ihr die Gedärme einzeln raus schneide!", schrie Marcell von oben und man hörte wie seine Schritte sich näherten. ,,Es tut mir leid", seufzte er. ,,Mir auch", erwiderte Liv, drehte sich blitzschnell um und packte die schwere Tischlampe, die auf einem kleinen Abstelltisch neben ihr stand. In einer fließenden Bewegung schlug sie das Ding auf George's Kopf und rannte dann an ihm vorbei. Er ging währenddessen in die Knie und fasste sich mit schmerzverzerrten Gesicht an den Kopf. Etwas Blut kam aus der Wunde, aber es war nicht schlimm. ,,Du hast dich nicht ernsthaft von einem Kind überwältigen lassen?!", schrie Marcell wütend auf ihn herab. ,,Wie du schon sagtest, ein Kind. Lass sie in Frieden!", mischte sich Lee wieder ein. Jetzt reichte es Marcell. Mit voller Wucht verpasste er Lee eine Ohrfeige, sodass sie zu Boden sank. George trat er einmal kräftig in den Magen, bevor er ihr hinterher rannte. Finn kauerte sich verängstigt neben Lee und legte ihren Kopf behutsam auf seinen Schoß. George hustete einmal bevor er sich aufsetzte und den Schweiß von der Stirn wischte. ,,Lass es nicht um sonst gewesen sein, Liv", murmelte er und sah zu seiner bewusstlosen Schwester.

Mit vor Angst geweiteten Augen rannte Liv durch die inzwischen dunklen Gassen von Dallas und wich immer wieder Mülleimern und Pennern aus die sie in der Dunkelheit nicht sah. Einmal wäre sie doch wirklich fast in eine Wand gerannt, konnte sich aber noch rechtzeitig mit de Händen abfangen. Jetzt blutete sie jedoch. Als sie nahe an der Erschöpfung war machte sie am Ende der Straße ein paar Lichter aus und rannte nochmal los. Die Straße in die sie traf war belebter  und beleuchteter, doch irgendwie kam sie ihr bekannt vor. Nach nicht mal zwei Metern blieb sie erschrocken stehen. Der Laden. Sie war tatsächlich im Kreis gerannt. Wo sie sich doch sonst so gut in den Gassen auskannte, selbst im Dunklen. Die Angst hatte es jedoch unmöglich gemacht klar zu denken. Nein, nein, nein!, schrie sie dauernd in Gedanken als drei bullige Kerle den Laden verließen. Sie sahen sich suchend um und blieben dann an ihr haften. Hinter ihnen trat ein großer, doch nicht ganz so breiter Mann aus dem Laden und sie erkannte von hier, dass es Milo war. Jetzt war es aus.

,,Dachtest du etwa du kannst uns entkommen?", rief Milo höhnisch. Wie abgesprochen traten hinter ihr zwei weitere Männer aus dem Schatten. Die Stimmung hatte etwas gruseliges, da sie allein unter einer Laterne stand und von allen Seiten umgeben war. Nein, sie hatte nicht nur etwas gruseliges, sie war gruselig. Liv wartete eigentlich nur noch darauf, dass einer seine Waffe zückte und ihr erst in die Beine und dann ins Herz schießen würde, doch sie kamen einfach nur näher. ,,Marcell hatte mich zwischen durch kontaktiert. Hat es dir bei uns etwa nicht gefallen?", fragte er gespielt betroffen. ,,Hör auf mit dem Scheiß! Bringt mich doch einfach um..." Liv wollte schreien, ihre ganze Wut raus lassen, doch ihre Stimme zitterte und wurde zum Ende hin immer leiser. ,,Wie bitte? Ich habe dich leider nicht verstanden?" Er machte sich gerade allen ernstes über sie lustig! ,,Wir haben dir eine Chance gegeben, oder hat dir das etwa nicht gereicht?" Er war nun so nahe, dass er ihr Kinn packen konnte und es zur Seite drehte. Erst sanft und dann plötzlich grob fuhr er über ihre Narbe auf der Wange. Dabei riss er den Schorf auf und es begann zu bluten. Liv kniff ihre Augen zusammen als er ihr auch noch eine Ohrfeige verpasste und etwas Blut auf den Boden spritzte. Schnell blinzelte sie die Tränen weg und sah auf den Boden. ,,Heul nicht rum. Du wirst noch viel mehr Schmerzen in dieser Nacht bekommen!" Ohne ein weiteres Kommentar drehte er sich um und gab seinen Jungs ein Zeichen. Einer packte sie an den Haaren, zog sie ein Stück runter um sie dann an der Hüfte zupacken und über seine Schulter zu werfen. ,,Der Spaß hat gerade erst begonnen, meine Süße!"

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