48 | Blinkende Lichter am Horizont.
┊┊The 1975 - Robbers┊┊
"Daniel", wimmere ich. Aber er stöhnt nur voller Schmerz und verliert immer wieder das Bewusstsein. "Bitte, Daniel, wir müssen hier weg."
Es nützt nichts. Daniel ist zu verletzt und ich zu schwach, als dass ich ihn tragen könnte. Die Schritte werden langsamer, kommen näher. Ich werfe einen kurzen Blick auf Nils, aber er liegt noch immer regungslos am Boden. Habe ich ihn getötet? Oh bitte nicht. So sehr ich ihn auch hasse, aber ich will ihn nicht getötet haben. Bitte nicht. Langsam lasse ich Daniel auf den Boden gleiten. Wir müssen sie hier rausbringen. Wenn es nicht die Schläge sind, die Daniel und Nils umbringen, dann ist es die Kälte. Mir ist schlecht und die Welt um mich herum dreht sich in einem Affenzahn.
Meine Hände sind steif, weil sie die niedrige Temperatur nicht aushalten. Langsam drehe ich mich um. Pit steht vor mir. Bedrohlich. Er wird vom Licht des Hauses beleuchtet, was es mir unmöglich macht, sein Gesicht zu sehen. Aber allein durch seine Statur weiß ich, dass ich keine Chance habe.
"So, meine Süße. Jetzt bist du dran." Seine Stimme ist beängstigend ruhig und er legt den Kopf schief. Ich stelle mich vor Daniel. Er muss aus dem scheiß Schnee raus. Verdammt. Fuck.
"Leck mich, Pit!", spucke ich ihm vor die Füße. Doch innerlich zittere ich wie Espenlaub. Ich habe keine Ahnung, wie ich aus dieser Situation rauskomme.
"Du hast immer noch nicht genug, oder? Du wirst bald vor mir knien, bettelnd und flehen. Und dann bin ich es, der lacht."
Pit überbrückt die kurze Distanz zwischen uns, hebt seine Hand und schlägt mir ins Gesicht. Hart. So hart, dass ich falle und gerade noch verhindern kann, dass ich auf Daniel stürze. Ich keuche vor Schmerz. Mein Kopf pocht, und dort wo er mich getroffen hat, brennt es. Tränen sammeln sich in meinen Augen.
Seit wann ist mein Leben so ein verdammter Scheißfilm? Wie bin ich denn da nur reingeraten? Wo ist Daniel da nur reingeraten? Ich dachte immer, Badboys sind Typen, die außen eine harte Schale haben und innen einen weichen Kern - diese romantische Vorstellung, die man als Mädchen oder Frau halt so hat. Aber die Typen die ich sehe, Daniel ausgenommen, sind für mich wirklich böse Typen. Typen, die über Leichen gehen würden. Und mit ihrer Aggression völlig übertreiben. Mir reicht es. Ich möchte nicht vor ihm liegen. Ich kämpfe mich auf die Knie und sehe Pits Schuhe direkt vor mir stehen. Langsam sehe ich auf.
"Ja, das ist genau die Position, in der ich dich haben will." Er zieht die Nase hoch. "Und in die du gehörst, du vorlautes Miststück."
Er zerrt mich an meinem Arm hoch und schüttelt mich. "Manchmal macht man Fehler und legt sich mit den falschen Personen an. Du hast meinen besten Freund niedergeschlagen. Dafür wirst du büßen!" Er spuckt beim Reden. Wie Nils auch. Dieser beginnt sich zu regen und richtet sich stöhnend auf.
Das Glück ist eindeutig nicht auf meiner Seite. Fuck. Aber andererseits doch, denn Nils ist nicht tot. Und scheinbar habe ich ihn nicht hart genug getroffen. Doch was hat dann so geknackt? Ich dachte, das war sein Genick. Nils rappelt sich langsam unter schmerzverzerrtem und blutigem Gesicht auf. Es ist frisches Blut, das aus einer Wunde tropft. Zu dieser Wunde kommt eine weitere Wunde, die ich nur sehe, als er seinen Kopf dreht. Ich habe ihn am Hinterkopf getroffen. Immer wieder wischt er sich das Blut aus den Augen und sieht mich wütend an. Das war ich. Ich bekomme kaum Luft. Ich werfe Daniel einen Blick zu, aber er ist noch immer weggetreten und langsam wird aus meiner Sorge Panik. Daniel, bitte wach wieder auf. Es war doch gerade alles noch so gut. Es wirkt so absolut surreal, dass Daniel und ich uns vor wenigen Minuten noch küssend und atemlos gegenüberstanden.
"Mal überlegen. Was machen wir denn nur mit dir?" Sein Gesicht formt sich zu einer hässlichen Grimasse, als er die andere Hand an meinen Körper legt. Langsam fährt er meine Taille hinauf, über meine Brüste und legt die Hand schließlich an meinen Hals. Seine andere Hand löst sich von meinem Oberarm und legt sich ebenfalls an meinen Hals.
"Vielleicht hilft dir das, wieder auf die richtige Spur zu kommen." Und er drückt zu. Atme, Hannah. Atme. Mein ganzer Körper kämpft darum, wieder Luft zu bekommen. Meine Lungen schreien. Ich röchle. Schmerz. Ich bekomme keine Luft und sehe Sterne. Und irgendwann kommt die alles erlösende Schwärze. Erleichtert lasse ich mich in sie fallen und heiße die tosende Stille willkommen.
Ich höre ein Rufen und schlage die Augen auf. Das Rufen gleicht eher einem wütenden Brüllen. Aber ich bin zu erschlagen, um meine Augen zu öffnen. Ich genieße lieber die gemütliche Wärme, die meinen Körper umgibt. Mir ist nicht mehr kalt. Mein Kopf ist wie leer gefegt. Fast kann ich nachvollziehen, wie es in Nils' Kopf aussehen muss. Ein Lächeln stiehlt sich in mein Gesicht und dann wird wieder alles schwarz.
Ich erinnere mich noch an den Moment, als ich Daniels Stimme zum ersten Mal gehört habe. Wie er mir zur Seite gesprungen ist und für mich eingestanden ist, als Durchfallauge mich nicht in Ruhe lassen wollte. Schon da wusste ich es irgendwie. Dass er anders ist. Dass er mit Leichtigkeit mein Herz erobern könnte, wenn er wollte. Seine blauen Augen haben im blinkenden Licht des Clubs gefunkelt und geleuchtet. Wie ein fluoreszierendes Meer. In seine Arme konnte ich mich fallen lassen, wie das Meer. Er hat mich immer getragen. Ich würde alles dafür tun, könnte ich mich wieder in seine sanfte Berührung fallen lassen.
"Daniel."
"Hannah. Aber mein Spitzname ist - meistens - Han." Ich deute auf mich und komme mir vor wie bei Tarzan und Jane.
"Han? Wie Han Solo?"
"Wer ist solo?"
Die Erinnerung an unser erstes Gespräch umkreist mich, seine Stimme liebkost mich sanft. Daniels Stimme war es, die mich gerettet hat. Aber es ist leider nicht Daniels Stimme, die mich von den Erinnerungen mit ihm wegzieht und langsam wach werden lässt.
"Fuck. Du sollst sie doch nicht umbringen, verdammte Scheiße!" Ich höre Nils Stimme, die meinen Kopfschmerz nur noch verstärkt.
"Sie hat mich mit diesem beschissenen Eisenteil verprügelt, du Arschloch! Ich wollte es ihr heimzahlen!"
Pit und Nils streiten sich. Scheinbar ist Nils nicht gerade erfreut, dass ich mich nicht mehr rege. Ich werde mir der Kälte des Schnees bewusst, der mich umgibt. Mein Körper versucht, mich zu wärmen und ich fange an zu zittern.
"Sie bewegt sich, chill."
"Chill? Bist du bescheuert? Wir wollten ihnen eine Abreibung verpassen, aber jetzt liegen beide im Schnee und rühren sich nicht."
"Was ist denn los, Nils? Hast du jetzt etwas die Hosen voll? Du hast ja schon ne Fresse gezogen, als wir ihr Auto lahm gelegt haben." Pit spuckt ein ekelhaftes Lachen aus und kurz tut mir Nils leid.
"Nein, natürlich habe ich nicht die Hosen voll. Aber wenn das mein Vater erfährt bin ich tot." Aufgebracht geht er hin und her. Ich habe noch immer meine Augen geschlossen, aber das Knirschen des Schnees verrät es mir.
"Er wird es nicht erfahren, beruhige dich. Wir verschwinden von hier. Warte, er bewegt sich. Das muss ich ändern."
Ein leises Stöhnen neben mir lässt mich zusammenzucken.
"Hannah?"Daniels Stimme ist nur ein Flüstern. Er ist bei Bewusstsein! Ich kann mich nur kurz darüber freuen, dass er wieder wach ist, denn er hat bereits Pits Aufmerksamkeit.
Ich schlage die Augen auf und sehe, wie Pit sich über Daniel beugt. Nils steht hinter ihm, mit einem blutverschmiertem Gesicht, und bewegt sich keinen Millimeter. Von ihm werde ich keine Hilfe erwarten können. Warum auch? Er ist einer der Bösen. Meine Arme zittern, als ich versuche, mich vom Boden aufzustemmen. Es fühlt sich an, als würde ich einen Zehntonner tragen wollen. Mein ganzes Körpergewicht ist zu viel für meine müden Muskeln. Aber ich muss verhindern, dass Daniel noch mehr geschieht als jetzt schon. Deswegen beiße ich wütend die Zähne zusammen und stemme mich hoch. Meine Knochen ächzen und schreien ob der Überanstrengung, die mein von Kälte und Schlägen geplagter Körper ausgesetzt ist. Mein Hals fühlt sich rau an und das Schlucken tut verdammt weh. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis ich endlich auf beiden Beinen stehe. Meine Knie zittern und es erfordert sehr viel Konzentration, dass ich nicht umfalle. Ich werfe einen kurzen Blick zu Nils, der mich jedoch lediglich stumm mustert und meinem Blick nur kurz standhält, ehe er wegsieht und wütend blinzelt. Sein Gesicht ist inzwischen völlig mit Blut verschmiert, weil er es in alle Richtungen gestrichen hat. Er braucht einen Krankenwagen.
"Hey du Primatenarsch! Ich dachte, du kannst und willst niemanden schlagen, der am Boden liegt. Warum versuchst du es dann nicht mit mir?" Meine Stimme ist kratzig und ich muss husten, weil mein Hals so trocken ist.
Pit zuckt kurz zusammen und sieht dann auf den Fleck, auf dem ich gerade noch lag, dann auf mich. Sein Grinsen macht mir Angst, sein Blick ist vollkommen irr. Er legt langsam den Kopf schief und lacht leise. Doch im Gegensatz zu Daniels leisem Lachen lässt Pits Lachen all meine inneren Alarmglocken schrillen.
Er kommt einen Schritt auf mich zu. Ich wanke einen Schritt nach hinten. Zitternd hole ich Luft und mache mich für seinen Angriff bereit.
"Pit, komm schon. Lass sie. Lass uns von hier verschwinden." Nils wirft verzweifelt die Hände in die Luft.
"Halt dein Maul. Du weißt, dass wir einen Deal haben. Du tust was ich sage. Und ich sage, dass wir es beenden. Also halt die Fresse und hilf mir! Bringen wir ihn zu seiner Schwester." Pits Stimme hallt über mich hinweg. Er dreht völlig durch und ich habe keine Ahnung, wie ich mich gegen ihn behaupten soll. Vor allem, wenn Nils ihm jetzt wirklich in den Arsch kriecht und tut was er sagt.
Nils schluckt und ich werfe einen Blick zu Daniel, der gerade seine Augen aufschlägt. Verwirrt sieht er sich um und kann sich scheinbar nicht wirklich orientieren. Seine Lippen sind eisblau und mir wird schlecht, wenn ich daran denke, wie unterkühlt er sein muss. Unsere Blicke treffen sich und da weiß ich, dass alles gut wird. Daniel und ich sind zusammen hier. Das ist das einzige das zählt.
Und gerade, als ich mich mit einem wütenden Kampfschrei auf Pit werfen will, höre ich es. Jeder von uns stockt in seiner Bewegung und sieht sich suchend nach der Quelle des Geräusches um. Ich drehe meinen Kopf wie eine Eule und suche nach der Grund des Geräusches, aber ich finde nichts. Bis Nils mit angsterfülltem Gesicht in den Himmel starrt. Die Männer, die mir gerade noch körperlichen Schmerz zugefügt haben, werden von blinkenden Lichtern beleuchtet. Und jetzt weiß ich auch, was das für ein Geräusch ist. Ein Hubschrauber. Es ist ein verdammter Hubschrauber. Ein Schluchzen entfährt mir, als ich zwei weitere entdecke. Die drei landen in einiger Entfernung von uns und die Luke öffnet sich. Das Geräusch der sich drehenden Rotorblätter wird leiser.
"Fuck, wir müssen hier verschwinden!", ruft Pit und will loslaufen. Doch Nils stellt sich ihm in den Weg und schüttelt den Kopf. "Bist du bescheuert? Lass' uns abhaufen!", schreit Pit und will Nils zur Seite schubsen. Aber dieser verschränkt nur die Arme und bewegt sich nicht. Pit springt an Nils vorbei und setzt zum Laufen an. Doch er hat die Rechnung ohne den Polizeihund gemacht, der ihn gerade mit wütendem Gebell und fletschenden Zähnen anspringt.
Wie benommen beobachte ich, wie Polizisten aus dem Hubschrauber springen und auf uns zulaufen. Und ich höre Schneefahrzeuge, die näher kommen. Als ich mich umdrehe, sitzen auch auf ihnen Polizisten. Ich komme mir vor wie in einem Film. Als würde ich nur im Kino sitzen und einen Actionfilm sehen - und dabei natürlich Popcorn futtern. Nilpferde lieben schließlich Popcorn. Eine sanfte Hand legt sich auf meine Schultern, besorgte braune Augen suchen meinen Blick. Doch er ist auf Daniel gerichtet, der gerade auf eine Trage gehoben wird und endlich der Kälte des Schnees entkommt. Nur nebenbei bekomme ich mit, wie mir eine gold-silberne Decke um die Schultern gelegt wird und Nils sowie Pit von den Polizisten verhaftet werden und zu einem der Rettungshubschrauber geführt werden. Daniel ist ebenfalls in solch eine Decke gewickelt. Mühsam schieben die Sanitäter und der Notarzt ihn zum Hubschrauber. Der Schnee erschwert die Fahrt dorthin. Die Decke wärmt mich etwas, doch mir ist so kalt. So unendlich kalt. Von innen heraus. Ich kann mich nicht bewegen, denn der Schock frisst sich durch meine Adern. Ich bleibe verloren stehen. Inmitten des Chaos. Mein Kopf ist wie leer gefegt. Und ich sehe zu, wie Daniel in dem dunklen Loch des Hubschraubers verschwindet.
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