43 | Das Duschmissgeschick, Schneebälle und die Axt.

┊┊ Era Istrefi - Redrum feat. Felix Snow ┊┊


Fieberhaft suche ich nach meiner Kulturtasche aber sie ist unauffindbar. Ich drehe mich langsam im Kreis und sehe mich um. Die anderen sind bereits in ihrem Zimmer oder im Badezimmer. In dem habe ich aber schon nach meiner Kulturtasche gesucht. Seufzend setze ich mich auf mein Bett, die Matratze quietscht leise. Vorsichtig schnuppere ich an dem Kopfkissen und erwarte einen schimmeligen Geruch. Aber der Geruch von frischer Wäsche umhüllt mich. Ich schlüpfe in Shorts und ein langes T-Shirt und mache mich weiter auf die Suche nach meiner Kulturtasche. Duschen würde ich morgen. Welcher Mensch duscht denn abends? Eine Dusche am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen!

Deine bescheuerte Kulturtasche ist mit Sicherheit in dem Bad in dem Daniel gerade unter der Dusche steht. Es gleicht einer Kurzschlussentscheidung, als ich aufstehe und unser Schlafzimmer verlasse. Aber ich weiß, dass man diese Tür nicht abschließen kann und wenn ich mich vielleicht ganz doll beeile, dann bemerkt er mich nicht mal. Dann weiß Daniel nicht mal, dass ich im Bad bin. Und ich werde ganz starr auf den Boden gucken. Vorsichtig drücke ich die Türklinke und bete, dass sie keine Geräusche macht. Das Wasser plätschert und ich fühle mich sicher genug, einen Fuß in das Badezimmer zu setzen. Die Dusche wird von einem schwarzen Duschvorhang verdeckt. Der Wasserdampf füllt das Badezimmer und Spiegel sowie Fenster sind beschlagen. Ich könnte ihm eine gruselige Nachricht hinterlassen. Gerade noch kann ich verhindern, dass ich wie bescheuert kichere. Das wäre fast schief gegangen, Hannahlein! Leise setze ich einen Fuß vor den anderen und sehe schließlich, was ich so schmerzlich vermisst habe: Meine gepunktete Kulturtasche. Ich greife nach ihr und möchte gerade wieder den Rückzug antreten, als das Wasser abgedreht und der Duschvorhang in einem Atemzug verschoben wird. Langsam drehe ich meinen Kopf in Daniels Richtung und habe Angst. Wie ein Reh im Scheinwerferlicht bleibe ich stehen und hoffe ein kleines bisschen, dass ich unsichtbar bin. Auch Daniel erstarrt in seiner Bewegung und reißt den Duschvorhang wieder vor sich. So, dass man nichts Geheiminisvolles mehr sehen kann. Seine Augen sind aufgerissen und das Wasser tropft aus seinen Haaren.

"Hannah", flüstert er nur und stockt.

Er sieht wahnsinnig attraktiv aus, mit den Wasserperlen im Haar und am Körper - an dem Teil den ich sehen kann. Am liebsten würde ich ihn jetzt küssen. Und so. Hör auf, sowas zu denken. Diese Möglichkeit bekommst du nie wieder!

Es dauert ein bisschen, bis er seine Stimme wiederfindet und ich gehe langsam einige Schitte zurück. Ich halte mich an meiner Kulturtasche fest, als könnte sich mich vor ihm beschützen.

"Was zur Hölle hast du hier zu suchen?", bellt er.

Als Antwort halte ich meine schwarz-weiße Kulturtasche in die Luft und lächle entschuldigend. Daniel sieht mich verständnislos an.

"Und das konnte jetzt nicht warten?"

"Nein. Ich wollte vor dir im Bett sein, damit ich deine hasserfüllte Visage nicht mehr sehen muss", fauche ich und knalle die Tür hinter mir zu.

Es dauert nur wenige Sekunden, da wird eine andere Tür aufgerissen. Felix streckt mit hochgezogenen Augenbrauen den Kopf hinaus und sieht mich mahnend an.

"Sorry, Felix", murre ich und gehe in mein Zimmer. Wie ein Kind, das Hausarrest bekommen hat. Mir fällt ein, dass ich ja eigentlich Zähne putzen wollte, deswegen ja der ganze Aufstand.

Augenrollend reiße ich die Tür wieder auf und laufe - natürlich, wie soll es sonst anders sein - gegen Daniels nackte Brust. Automatisch lege ich eine Hand darauf, genau auf sein Herz, um ihn sanft von mir zu schieben. Aber meine Hand möchte sich danach leider so gar nicht von seiner Brust lösen. Sie bleibt dort liegen, als würde sie gar nicht mehr zu mir gehören. Daniel nimmt meine Hand - sanft, entgegen aller Erwartungen, - und entfernt sie wieder. Er schiebt sich an mir vorbei und ich stehe kurz verloren im Türrahmen. Nachdem ich ihm einen weiteren Blick zugeworfen habe, den er nicht bemerkt, weil er mir den Rücken zugedreht hat, gehe ich nun doch wieder in unser Badezimmer. Dort putze ich mir die Zähne, wasche mein Gesicht und Creme es ein. Meine Haare kämme ich und binde sie zu einem Dutt, denn ich mag es nicht, mit offenen Haaren zu schlafen. Irgendwelche doofen Knotengötter verknoten meine Haare andernfalls im Schlaf und ich muss mich unter größten Schmerzen durch den Knotendschungel kämpfen. Und darauf habe ich wirklich keine Lust.


Als ich unser Zimmer betrete, ist das große Licht bereits aus. Daniels Nachttischlampe brennt und er ist in ein Buch versunken. Leider kann ich den Titel nicht lesen. Die Stimmung ist angespannt und ich wünsche mich augenblicklich wieder nach Hause. In mein sicheres Bett. In mein Zimmer, in dem ich alleine schlafe. Ohne einen wütenden Daniel. Suchend krame ich in meinem Rucksack nach dem Buch, welches ich für den Urlaub mitgenommen habe. Als ich es finde, schlage ich es auf und versuche, zu lesen. Doch ich kann mich nicht so recht konzentrieren. Immer wieder muss ich zu Daniel schielen. Es tut so weh, ihm so nah zu sein und ihm nicht wirklich nah sein zu können. Mein Herz drückt und schmerzt, als ich an unseren Weihnachtsmarktausflug zurückdenke. Nie hätte ich gedacht, dass es sich derartig zwischen uns ändert. Aber was hast du erwartet, Hannah? Was bitte hast du erwartet? Dass er dir verzeiht? Du hast ihn verletzt und du hast es verbockt. Wie immer.

Wütend klappe ich mein Buch zu und werfe es zu meinem Rucksack. Daniel löscht das Licht und ich tue es ihm gleich.


"Weißt du, es ist irgendwie unfair, dass du mir Unehrlichkeit vorhältst. Immerhin warst du es, der mir seine Jungfräulichkeit vorgespielt hat", rufe ich in die dunkle Stille und werfe verzweifelt die Hände auf die Bettdecke.

"Gut, der Punkt geht an dich. Ich habe auch gelogen. Aber ich habe dir im Gegensatz nicht das Herz gebrochen und bin eine bescheuerten Deal eingegangen."

"Ich wünschte, ich hätte einen anderen Weg gefunden. Aber es gab keinen. Dass es für mich auch nicht leicht ist, das kannst du dir natürlich nicht vorstellen. Dafür müsstest du Empathie besitzen und die sehe ich bei dir gerade überhaupt nicht." Ich werfe mich in meine Kissen und lausche meinem aufgebrachtem Herzschlag.

Daniel seufzt. "Das zwischen uns ist ... einfach so kompliziert, Hannah. Und ich weiß nicht, ob ich noch will, dass das zwischen uns besser wird. Ganz ehrlich."

Ich höre, wie er sein Kissen aufklopft und sich hinlegt. Dann schweigt er und drückende Stille legt sich über uns. Stille, die ich nicht aushalten kann.


"Gute Nacht, Daniel."

Schweigen. Kaltes, drückendes Schweigen. Traurig drehe ich mich um und starre aus dem Fenster. Wir haben Vollmond und die Nacht ist so klar, dass ich Sterne sehen kann. Meine Augen werden schwerer und ich bin kurz davor, einzuschlafen.

Fast hätte ich es gar nicht gemerkt, aber ein leises Flüstern tanzt zu mir.

"Gute Nacht, Hannah."

Ich bin in dem Moment so glücklich, dass ich weinen möchte. Und diese verräterischen Tränen brennen bereits wieder hinter meinen geschlossenen Lidern. Aber ich lasse sie nicht in die Freiheit. Und irgendwann sind es auch sie müde zu kämpfen und geben auf.


Die Sonne kitzelt meine Nase und ich strecke mich, bevor ich meine Augen öffne. Ich liege auf dem Rücken und genieße es, dass das warme Licht durch das Fenster scheint. Tief Luft holend öffne ich die Augen und sehe nach links - nichts. Das Bett neben mir ist leer.

Sehr gut, dann kann ich in Ruhe duschen. Langsam richte ich mich auf und suche dann nach frischer Kleidung. Die Zimmertür öffnet sich und Daniel betritt das Zimmer. Und sofort ist meine angespannte Grundstimmung wieder da. Er sieht mich aus wachen Augen an und augenscheinlich wird mir warm. Müde und schweigend drücke ich mich an ihm vorbei. Kurz überlege ich, die Badezimmertür irgendwie zu verschließen. Aber ich lasse es, denn Daniel ist ja schon aus dem Bad heraus. Warum sollte er nochmal reinwollen? Außerdem hört er ja, dass ich dusche.

Das warme Wasser löst mein angespanntes Gefühl ein wenig und ich beginne, mich etwas zu entspannen. Ich schließe die Augen, genieße das Gefühl des warmen Wassers und versuche, alles andere zu verdrängen. Manchmal hilft Verdrängen. Manchmal hilft einfach nichts anderes. Als ich mich wieder bereit genug fühle, mich dem Chaos außerhalb meiner Duschblase zu stellen, drehe ich das Wasser ab und schiebe den Vorhang ein kleines Stück zur Seite. Man kann ja nie wissen! Aber das Badezimmer ist leer und ich atme erleichtert auf. Schnell trockne ich mich ab und wickle mich in mein Handtuch. Ich bin gerade dabei, mein Gesicht einzucremen, als die Tür aufgerissen wird und niemand geringeres als Daniel in der Tür steht. Er grinst. Ich erschrecke so sehr, dass ich quieke und nach dem nächstbesten Gegenstand greife, der mir in die Finger kommt und diesen nach ihm werfe.

Ein Wattestäbchen. Ein verdammtes bescheuertes Wattestäbchen. Verdutzt fängt Daniel es auf, betrachtet es und bricht dann in schallendes Lachen aus. Verflogen ist der Schock, denn ich kann ihn nun endlich wieder lachen sehen. Verdammt, Hannah, und du bist der Grund dazu. Mein Herz springt in der Brust und ich muss lächeln. Doch scheinbar wird auch Daniel gerade bewusst, dass ich der Grund für sein Lachen bin und er hört abrupt damit auf. Er mustert mich. Zuerst fällt sein Blick auf meine Hand, an der noch immer sein Ring steckt, den er mir auf dem Weihnachtsmarkt geschenkt hat. Ich wünsche mich augenblicklich wieder dorthin zurück an seine Seite. Daniel runzelt die Stirn und atmet hörbar ein. Sein Blick wandert zu meinen Haaren, fährt über mein Gesicht, meinen Körper und landet schließlich wieder bei meinen Haaren. Er sieht mich kurz an und verlässt anschließend das Badezimmer, als wäre nie irgendetwas gewesen. Mir ist schwindelig und heiß. Daniels Blick war so ganz anders als Nils'. Zumindest fühlte ich bei Nils Ekel, puren Ekel, und bei Daniel pures Verlangen.

Zitternd mache ich mich fertig und setze mich dann einen kurzen Moment auf den Klodeckel. Hannah, du musst dringend deine Gefühle kontrollieren. Nicht, dass du ihn nachts nicht doch mal bespringst, wie ein wildgewordenes Känguruh. Nur mit dem Unterschied, dass du ein Nilfperd bist.


Wir verbringen den Tag damit, die Umgebung zu erkunden. Tom und Felix gehen voraus und bewerfen uns immer wieder mit Schneebällen, denen Ida und ich gekonnt ausweichen. Doch Daniel und Max sind leider alles andere als so elegant wie wir und bekommen den ein oder anderen Schneeball ab. Und bald startet eine chaotische Schneeballschlacht und ich habe keine Ahnung, auf wessen Seite ich mich stellen soll. Doch in der einen Gruppe ist Daniel, also fällt mir die Entscheidung irgendwann sehr leicht.

"Da, Hannah, Ida versteckt sich hinter dem Baum!" Felix zerrt an meiner Jacke und zeigt auf einen Baum. Ich sehe ihre rote Jacke, die für ein Versteckspiel nicht wirklich geeignet ist. Glück für mich. Konzentriert bücke ich mich und forme einen Schneeball. Gerade als ich mich wieder aufrichte, höre ich Felix und Daniel laut rufen, bin aber nicht schnell genug und spüre einen großen Schmerz an meiner linken Kopfhälfte. Ich sehe Sterne und falle um. Felix versucht, mich aufzufangen, doch er ist zu langsam. Oder ich zu schnell. Ich weiß es nicht. Mir ist irrsinnig schwindelig und ich habe Kopfschmerzen. Verdammt, ich wusste, dass das keine gute Idee ist. Schmollend schließe ich die Augen. Aber der Schwindel wird nur schlimmer, also reiße ich sie wieder auf - und sehe direkt in Daniels wunderschöne Augen. Besorgt sieht er mich an. Und genau dieser Ausdruck in seinem Gesicht, diese Sorge, treibt mir die Tränen in die Augen. Ich bin es nicht wert, dass du dir Sorgen um mich machst.

"Es tut mir leid, Hannah. Der war eigentlich für Tom gedacht, der hinter dir stand. Du hast dich gebückt und hast da unten geknetet und dann hastdu dich so schnell wieder aufgerichtet." Er streicht mir über den Kopf und sucht nach einer Wunde, wie mir scheint.

Plötzlich muss ich kichern.

Daniel legt den Kopf schief. "Was zur Hölle war daran jetzt zweideutig?" Aber er muss grinsen und schüttelt den Kopf. Und es tut so gut, in der Wärme seines Blickes zu baden. "Du bist echt unmöglich." Wir starren uns an, ich kann den Blick nicht von ihm nehmen. Bis Felix sich räuspert.

"Ich unterbreche dieses Gestarre ja nur ungern, aber Hannah muss ins Haus. Der kalte Schnee ist nicht gut für sie. Nicht, dass sie eine Blasenentzündung bekommt. Das wollen wir ja nicht, nicht wahr?"

Also helfen die beiden mir auf und zur Hütte. Ida bringt mir Tee und wickelt mich auf der Couch in eine Decke. Felix und Tom holen wieder Holz, das wir für den Kamin verwenden werden. Der Herd in der Küche ist mit Strom betrieben. Anders könnte ich gar nicht kochen, da ich überhaupt nicht einschätzen kann, wie heiß das Feuer ist. Ich brauche wirklich meine Knöpfe zum Drehen, untalentiert wie ich bin.


"Hey, Leute. Hat jemand von euch die Axt gesehen? Tom und ich haben jetzt alles abgesucht, aber sie ist nicht auffindbar." Felix steht in der Haustür und fährt sich durch die Haare, in denen sich noch einige Schneeflocken befinden.

Ich schüttle den Kopf und sehe den Rest an, der sich nun auch im Wohnzimmer befindet, auch Daniel. Aber auch sie schütteln den Kopf.

"Das ist doch komisch", äußert sich Ida und spielt mit einer Strähne ihres blonden Haares. Das Licht der Kerzen schimmert in ihren Haaren und lässt es noch schöner glänzen.

"Mach dir keine Sorgen, Schatz. Vielleicht war die Vermieterin hier und hat sie sich geholt." Max streicht ihr beruhigend über den Rücken.

Auch ich versuche mich zu beruhigen und glaube Max' Aussage. Was sollte es denn sonst sein? Allerdings bemerke ich die Blicke, die sich die Jungs - versucht - heimlich zuwerfen und ich werde doch unruhig. Nein, Hannah. Beruhige dich. Es ist nichts. Herrgott, du und deine beschissenen Horrorfilme.


Max und Daniel stehen in der Küche und kochen. Ida seufzt und legt sich eine Hand auf die Brust.

"Männer die kochen können - ein Traum."

Kaum zu glauben, dass es aus ihren Augen keine rosa Herzchen regnet.

"Ja, ist ganz okay."

Erschrocken reißt sie ihre Augen auf. "Ganz okay? Du bist doch bescheuert. Ein Mann der kochen kann, das ist ein Geschenk."

"Naja, wenn es schmeckt, dann schon."

"Oh, glaub mir, es schmeckt." Sie grinst.

"Ida!", rufe ich.

"Boah, Hannah. Ich kann nichts dafür, dass du ständig so zweideutig denken musst." Sie schlägt mir auf den Oberarm und lacht.

Ihr Lachen ist ansteckend und so schließe ich mich ihr an. Daniel betritt das Wohnzimmer und sieht mich an. Entgegen aller Erwartungen, ist sein Blick nicht voller Ekel oder Zorn, Wut oder Verletztheit. Nein, er lächelt sogar kurz. Und für einen kurzen Augenblick fühle ich mich gut, glücklich.



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Hallo ihr Lieben!

Wegen der Lesenacht: Morgen Abend bin ich leider unterwegs, deswegen habe ich mir gedacht, wir machen das am Montag.

Montage sind meistens nicht so toll - dann wird er vielleicht ein biiiissssschen besser.

Wäre Montag gut?

Andere Vorschläge?

Ich freu mich auf euch! ♥



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