38 | Weihnachtselfe Daniel.
┊┊Kaleida - Think ┊┊
Es ist Sonntag und Ida und ich sitzen auf dem Boden meines Zimmers, inmitten unserer Bullet Journal-Utensilien.
"Wie ist denn dein Colour-Coding?", möchte Ida wissen und kramt in ihrem Federmäppchen nach irgendeinem Stift.
"Äh, was?", frage ich dümmlich und ziehe eine Linie mit meinem schwarzen Stift.
"Na, wie dein Colour-Coding ist?" Ida wird endlich fündig und hört mit dem Kramen auf.
"Ida, ich habe die Frage bereits beim ersten Mal nicht verstanden. Warum stellst du sie denn jetzt exakt nochmal so?" Grinsend ziehe ich eine weitere Linie und drücke schließlich die Kappe auf den Stift.
Sie verschränkt die Arme und sieht mich schmollend an. "Hast du dir nicht das YouTube-Video angeguckt, das ich dir geschickt habe?"
Da ich in den letzten Tagen eher mit Heulen beschäftigt war - und mit der Frage, wie ich das Ganze Daniel beibringen soll, ohne, dass er mich gleich umbringt - hatte ich nicht wirklich Zeit um mir irgendwelche YouTube-Videos anzusehen. Also schüttle ich den Kopf.
"Boah, Hannah. Wozu schicke ich es dir dann?"
"Weil dir langweilig war?", platze ich heraus.
Ida bewirft mich als Antwort mit ihrem Radiergummi und tippt auf ihrem Handy herum, welches sie mir schließlich vor die Nase drückt. Es fehlt noch, dass sie mich am Nacken packt, damit ich ja nicht wo anders hingucken kann. Mit großen Augen betrachte ich das Video.
"Achso, das ist also Colour-Coding", äußere ich und betrachte Ida. Sie hat schon wieder dieses Glitzern in den Augen, als sie auf ihr Display starrt.
"Na, Nachricht von Max?" Ich piekse sie in die Seite, woraufhin sie quietscht.
"Ja, stell dir vor: Unsere Hütte ist gebucht."
Mir wird flau im Magen. "Oh, super."
Ida legt den Kopf schief. "Hannah, das wird gut. Und das mit dir und Daniel bekommen wir schon wieder hin. Vertrau mir." Sie streicht mir über den Arm und drückt diesen dann kurz.
"Wo genau fahren wir denn dann hin?", erkundige ich mich.
Erneut hält sie mir ihr Handy vor die Nase und ich betrachte die Fotos. Zu sehen ist eine Hütte auf einem Berg, eher in einem rustikalen Stil und klein. Aber sie sieht sehr einladend und gemütlich aus. Und ich bin mir sicher, dass es selbst schön aussieht wenn es schneit - oder gerade dann, weil alles in Puderzucker getaucht ist.
"Das ist im Nationalpark Eifel, ein paar Stunden von uns weg. Die genaue Entfernung weiß ich nicht, da musst du Max fragen. Aber wir haben auf jeden Fall genug Betten und Zimmer für uns sechs."
"Sechs?", möchte ich wissen.
"Naja, Felix nimmt wohl noch Tom mit. Er hat ihn im Bücherladen kennengelernt und sie scheinen sich sehr gut zu verstehen. Ich habe ihn einmal getroffen und er macht einen sympathischen Eindruck."
"Ich hab echt was verpasst, schätze ich." Ich widme mich wieder meinem Bullet Journal und überlege. "Okay, also ich würde mitfahren. Wann starten wir?"
"Nach Weihnachten. Am ersten Feiertag geht es los. Und ich freu mich schon so!" Auch Ida widmet sich wieder ihrem Journal.
"Ich glaube, das mit dem Colour-Coding probiere ich jetzt auch aus." Ich suche mir die entsprechenden Farben zusammen und mache eine Übersicht. Blau ist für Freizeit. Und in dieser Farbe trage ich auch schon den Ausflug in die Eifel nächste Woche ein.
Nicht zu glauben, dass das schon nächste Woche ist. In nur wenigen Tagen ist Weihnachten und ich habe immer noch nicht mit Daniel gesprochen. Ich bin so scheiße.
"Hannah, warum hast du es ihm noch nicht gesagt?", möchte Ida wissen. Also könnte sie meine Gedanken lesen. Wer weiß, vielleicht kann sie das auch.
"Ich hatte noch nicht den Mut, es anzusprechen", antworte ich und lasse meine Haare ins Gesicht fallen.
"Aber damit machst du es nur noch schlimmer, Hannah. Je länger du wartest, desto größer wird der Bruch in seinem Herzen."
"Ich weiß, Ida. Ich weiß." Ich atme tief durch und streiche mit wieder meine Haare hinter die Ohren. Verstecken bringt ja doch nichts.
Die wenigen Tage verfliegen nur so und ich kann es kaum glauben, als der Morgen des 24. anbricht. Es ist wirklich Weihnachten. Morgen fahren wir zur Hütte und ich habe es Daniel immer noch nicht gesagt. Mir wird schlecht. Wie soll ich das machen? Wann? Ich kann es ihm ja wohl schlecht auf der Hütte sagen. Und nächstes Jahr erst? Dann verkackst du das zwischen euch endgültig, Hannah. Ich werfe mir die Bettdecke über den Kopf und kneife die Augen zu. Als könnte ich meine Gedanken und die Realität so besser aussperren.
Meine Zimmertür wird aufgerissen und ich höre leises Trampeln, natürlich ist es Nelli. Diese zerrt mir die Decke vom Kopf und grinst mich an.
"Heute ist Weihnachten. Steh doch endlich mal auf, du Schlafmütze!", quiekt sie mir in mein sensibles Ohr und versucht, mich mit ihren eiskalten Fingern im Nacken zu kitzeln.
"Geh bitte weg, Nelli", murre ich und schlage mir wieder die Decke über den Kopf. Aber Nelli wäre nicht meine Schwester, wenn sie nicht noch eine andere Möglichkeit finden würde, mich aus dem Bett zu bekommen. Es dauert keine fünf Sekunden, da kitzelt sie mich an den Fußsohlen und ich kann gerade noch verhindern, dass ich reflexartig austrete.
"Nelli!", rufe ich gespielt sauer und springe aus dem Bett.
Sie quietscht vergnügt und läuft aus meinem Zimmer. Ich warte einige Sekunden und laufe ihr dann hinterher. Ich höre es aus ihrem Zimmer leise kichern und betrete dieses grinsend. Ihre Bettdecke ist gewölbt und ich weiß sofort, dass sie darunter steck. Aber ich gönne ihr den Spaß und suche sie zuerst in anderen Ecken ihres Zimmers. Immer wieder höre ich sie kichern und mir wird warm ums Herz.
Schließlich reiße ich die Bettdecke in die Höhe. "Buh!", rufe ich und Nelli quiekt erneut.
"Hab ich dich endlich, du Hausgeist!" Ich werfe mich zu ihr auf das Bett und kitzle sie. Nelli lacht und versucht, sich zu wehren. Nach einigen Minuten habe ich Mitleid und lasse von ihr ab. Stattdessen schließe ich meine Arme um sie und drücke sie an mich.
"Bäääh, lass das, Hannah. Ich mag jetzt nicht kuscheln." Sie versucht, mich mit ihren kleinen Händen von sich zu schieben und ich lasse von ihr ab.
"Komm, Nelli, wir gehen frühstücken." Ich halte ihr meine Hand hin und ziehe sie hoch.
"Huckepack, Huckepack!", ruft diese und ich tue ich natürlich den Gefallen. Heute ist schließlich Weihnachten!
Es schneit und ich hätte nicht gedacht, dass das dieses Jahr der Fall sein wird. Weiße Weihnachten, wer hätte das gedacht? Wir machen nachmittags einen kleinen Weihnachtsspaziergang durch die Stadt und den Schnee. Aachen sieht mit all dem Schnee aus wie eine kleine Zauberstadt. Sie hat durch das pudrige Weiß etwas absolut Magisches.
Zurück zu Hause bereiten Mama und ich das Abendessen vor, während Papa mit Nelli den Baum schmückt. Diese Arbeitsaufteilung hat sich in den letzten Jahren so eingebürgert und ich bin wirklich sehr zufrieden damit. So kann ich an diesem Tag auch ein wenig mehr Zeit mit meiner Mama verbringen.
Es gibt Rinderfilet mit Brokkoli und selbstgemachtem Kartoffelpüree. Dazu noch Salat, den ich zubereite. Das Messer knallt immer wieder auf das Schneidebrett, weil die Möhrchen sich nicht schneiden lassen wollen. Grummelnd halte ich die Möhre fester und bezwinge sie mit dem Messer. Der Rest des Gemüses ist bereits geschnitten und wartet auf das Dressing.
Das Essen schmeckt köstlich und ich betrachte meine Familienmitglieder glücklich, wie sie alle mit mir am Tisch sitzen. Ich bin dankbar, dass ich noch alle habe - wieder habe. Nach dem Essen findet die Bescherung statt und Nelli und ich warten in ihrem Zimmer darauf, dass Mama mit der Glocke läutet. Schon seit Ewigkeiten ist das eine Tradition für uns. Wir dürfen das Wohnzimmer erst betreten, wenn die Glocke geläutet hat. Als die Glocke schließlich erklingt, springt Nelli auf die Füße und sprintet in einem Affenzahn ins Wohnzimmer. Ich komme ihr kaum hinterher, vor allem, weil ich so lachen muss. Ich bin glücklich.
Als ich das Wohnzimmer betrete, stehen alle um den Weihnachtsbaum herum. Papa und Nelli haben ihn dieses Jahr mit roten und goldenen Kugeln verziert. Die Lichterkette leuchtet und wirft ein warmes Licht auf uns. Nelli beginnt mit einem Weihnachtslied und wir stimmen ein. Es ist absolut kitschig. Zu kitschig. Irgendwie habe ich kein gutes Gefühl, wenn alles so kitschig ist und ich glücklich bin. Ich ahne nichts Gutes. Wir packen unsere Geschenke aus und unterhalten uns über diese. Gerade bin ich dabei, in ein Buch hineinzulesen, das mir Papa geschenkt hat, als es an der Tür klingelt. Nelli springt sofort auf, um sie zu öffnen. Mama folgt ihr und Papa und ich sind alleine. Die Weihnachtsmusik schallt aus den Lautsprechern und hüllt uns in Weihnachtsstimmung. Papa sieht mich an und lächelt.
"Ich hab dich lieb, mein Schatz."
"Ich hab dich auch lieb, Papa."
Wir lächeln uns an, werden dann jedoch von Mama unterbrochen.
"Hannah, es ist für dich. Vielleicht bittest du ihn rein? Es ist sehr kalt draußen." Sie zwinkert und Nelli kommt ebenfalls in das Wohnzimmer und trägt eine Tüte aus der Geschenkband herausragt.
Ich runzle die Stirn. Wer soll das sein? Mir fällt ein, dass Nils Nelli bereits vor einigen Monaten etwas geschenkt hat und mir wird schlecht. Bitte lass' es nicht Nils sein. Bitte nicht.
Mit wackeligen Knien wanke ich durch den Flur und hole nochmal tief Luft, bevor ich zur Haustür trete. Aber meine Angst war umsonst. Es ist Daniel. Und meine Angst verändert sich. Wird dunkler, meine Brust schnürt sich zu und mein Herz droht mir zwischen den Rippen hindurch zu springen. Du hast es ihm immer noch nicht gesagt.
Als er mich sieht, stiehlt sich ein Lächeln auf sein Gesicht und seine Grübchen treten zum Vorschein. Meine sowieso schon wackeligen Knie werden zu Wackelpudding.
"Hey", sagt er leise.
"Hallo", quieke ich. Heute wird aber viel gequiekt.
"Ich habe etwas für dich. Fröhliche Weihnachten." Er drückt mir einen Kuss auf die Wange und ein Geschenk in die Hand.
"Oh Gott, danke. Komm' doch bitte rein, Daniel. Es ist arschkalt. Und dir natürlich auch fröhliche Weihnachten."
Er schmunzelt. "'Arschkalt' und 'Weihnachten' in einem Satz zu verwenden, das ist einfach typisch Hannah."
Ich rolle mit den Augen und betrachte ihn verstohlen, als er seine Jacke und Schuhe auszieht. Daniel steht direkt vor mir und ich lege meinen Kopf in den Nacken um sein hübsches Gesicht anzusehen. Er nutzt die Nähe und küsst mich sanft auf den Mund. Mein Herz schlägt mir in der Brust.
"Ähm. Also, ich habe auch noch was für dich. Vielleicht kommst du kurz ins Wohnzimmer und dann kommst du kurz mit hoch in mein Zimmer?" Nervös drücke ich sein Geschenk für mich an die Brust.
Daniel lächelt und nickt.
Papa und er schütteln die Hände und begrüßen sich freundlich. Nelli hüpft aufgeregt vor ihm auf und ab.
"Danke, Daniel. Du bist der beste Freund den Hannah je hatte. Das Geschenk habe ich mir schon immer gewünscht. Bitte heirate Hannah, ja?"
Mama und Papa lachen und sehen Nelli mit funkelnden Augen an. Doch Papa wirft mir sogleich einen fragenden Blick zu, den ich so deute: Hast du schon mit ihm gesprochen? Da ich es noch nicht getan habe, schüttle ich unauffällig den Kopf. Sofort zieht Papa eine Augenbraue hoch und beißt sich auf die Lippen. Verdammt. Ich bin echt scheiße.
Wir sitzen auf meinem Bett und ich drücke ihm sein Geschenk in die Hand. Es ist eine selbstgebrannte CD mit den Liedern, die ich mit ihm verbinde, seine Lieblingssüßigkeiten und einem kleinen selbstgemachten Büchlein mit Gründen, warum er in meinen Augen ein guter - okay, toller - Mensch ist.
Gleichzeitig packen wir unsere Geschenke aus und ich kann nicht verhindern, dass ich kurz aufschreie, als ich seines in der Hand halte. Es ist ein wunderschönes Notizbuch mit leeren Seiten und einer goldenen Feder auf dem Cover. Die Feder spiegelt und ich kann mich ein kleines bisschen darin sehen. Es ist wunderschön. In dem Notizbuch finde ich Fotos von uns, die er beschriftet hat und mit persönlichen Nachrichten verziert hat. Ich freue mich so sehr, dass ich ihm um den Hals falle und ihn küsse. Daniel erwidert meinen Kuss.
"Danke für deine Geschenke, Hannah. Sie sind perfekt. Du bist so ein wundervoller Mensch." Sein Lächeln ist warm und herzlich. Seine Worte wirken echt.
Und plötzlich kann ich es - mal wieder - nicht aufhalten. Ich muss es ihm sagen. Jetzt.
"Daniel, ich muss mit dir reden", kotze ich ihm vor die Füße und sehe Sterne.
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