36 | Kitsch im Überfluss.

Morten Harket - Can't take my eyes off you ┊┊


Um Punkt 18:00 Uhr stehe ich vor dem Rathaus und kann nicht verhindern, es bewundernd zu betrachten. Ich komme nicht sehr oft hier vorbei, was ich sehr schade finde, denn es ist wunderschön. Und es ist die perfekte Kulisse für einen zauberhaften Weihnachtsmarkt. Es ist windig, ich ziehe fröstelnd den Schal enger um den Hals und vergrabe meine Hände tief in den Taschen meines schwarzen Wintermantels. Suchend drehe ich mich um und betrachte dabei  gebannt die Buden und Lichter. Lichter haben mich schon immer fasziniert und ich starre auch heute noch wie ein kleines Kind, wenn es irgendwo leuchtet und blinkt. Im Straßenverkehr ist das natürlich alles andere als förderlich. Aber hier, auf dem Weihnachtsmarkt, wo jeder mit sich beschäftigt ist und niemand sich an einer starrenden Person stört, hier kann ich gucken. Ein Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht, als ich die ersten Schneeflocken bemerke. Ich strecke mein Gesicht in die Luft und schließe die Augen. Weich, kalt und nass fallen die ersten Flocken auf meine Haut.

Ich höre ein leises Lachen und weiß sofort, wer neben mir steht. Daniels Geruch nach seinem Aftershave und ihm selbst hüllt mich ein, wie eine Wolke. Und ich kann nicht verhindern, dass mein Lächeln noch breiter wird. Es ist immer noch windig, aber mir wird warm ums Herz, als ich ihn inmitten der Lichter und dem Schnee sehe. Sein Lächeln lässt mein Herz stolpern und irgendwie habe ich das Gefühl, als wären meine Knie aus Pudding, als ich mich komplett zu ihm umdrehe.

"Hey", sagt er leise und drückt mir einen leichten Kuss auf die Wange. Nein, küss' mich richtig! Verlangen baut sich in mir auf und ich bin kurz davor, ihn einfach zu küssen. Aber ich traue mich nicht, weil ich nicht weiß, ob er es möchte.

"Hallo", antworte ich und starre ihn an. Als wäre er auch ein Licht. Mein ganz eigenes Licht.

Alle aufpassen, Hannah hat die Kitschschokolade gegessen und badet nun in dem Kitschsprudelbad mit Glitzer!

Daniel grinst mich schief an und lacht schließlich.

"Was? Was ist so lustig?", möchte ich wissen.

"Du starrst", antwortet er, sein Grinsen wird immer breiter.

"Entschuldigung, dann sei halt nicht so schön", murmle ich und verstecke meine Nase in meinem Schal.

"Wie bitte?"

"Nichts", sage ich schnell und drehe mich um. Aber Daniel ist schneller und dreht mich wieder zu sich. Plötzlich steht er direkt vor mir. Seine Augen sind dunkel und sein Blick springt zwischen meinem Mund und meinen Augen umher. Ich will nicht mehr länger warten, also lege ich meine Hände in seinen Nacken und ziehe ihn zu mir. Daniels Grinsen ist entwaffnend und ansteckend. Als sich unsere Lippen berühren, flattert mein bescheuertes Herz aufgeregt in meiner Brust. Dummes Herz. Du Verräter. Er küsst mich sanft, aber bestimmt und ich wünschte, nichts und niemand könnte diesen Kuss unterbrechen. Ich würde ihn andauernd küssen, ginge es nach mir. Tja, Hannah. Fragt sich nur, wie lange du das noch kannst. Aprupt löse ich mich von ihm. Sein fragender Blick entgeht mir nicht.

"Was hast du? So schlimm? Oder ist es, weil du Angst hast, dass du gleich nicht mehr an dich halten kannst, hier mitten auf dem Weihnachtsmarkt?" Er grinst und streicht mir eine lose Strähne hinter das Ohr. Diese kleinen Gesten bedeuten mir so viel, dass ich es gar nicht in Worte fassen kann.

Kichernd schlage ich ihm auf den Arm. "Es ist nichts. Mir ist nur kalt."

"Ich wüsste schon, wie ich dich wärmen kann." Daniel grinst und legt seinen Kopf leicht schief.

Verlegen mustere ich höllisch interessiert den Boden. Ich kann ihm jetzt nicht in die Augen sehen. Verlegen? Hannah - du bist verlegen? Diese Reaktion wiederrum macht mich verrückt, so habe ich noch nie wirklich einem Mann gegenüber gefühlt. Daniel trägt mein Herz in seinen Händen und er hätte die Macht, es mit einer Bewegung komplett zu zerstören.

Leise lachend nimmt er meine kalte Hand und zieht mich mit sich. Wir schlendern langsam über den Markt und ich genieße das Gefühl von Wind, Schnee und seiner warmen Hand in meiner. Als wäre er mein Anker, an dem ich mich inmitten des Windes klammern kann. Stimmungsvolle Weihnachtsmusik schallt aus den großen Lautsprechern, die auf dem ganzen Markt verteilt stehen. Es riecht nach Glühwein und gebrannten Nüssen. Neben all den gebrannten Nüssen, die es inzwischen auf solchen Märkten zu kaufen gibt, mag ich die gebrannten Mandeln nach wie vor am liebsten. Die Luft ist gefüllt mit Weihnachtsstimmung, leckeren Düften und Fröhlichkeit. Fröhlichkeit, die man fast greifen kann. Vor einem Stand mit handgefertigten Holzfiguren bleiben wir stehen. Daniel betrachtet die Figuren eingehend und unterhält sich kurz mit dem Verkäufer. Mich interessieren die Figuren nicht sonderlich, deswegen gehe ich zu dem nächsten Stand. Dort wird Schmuck verkauft und es gibt Kisten über Kisten gefüllt mit Ringen, die mit bunten Steinen verziert sind. Ein goldener Ring mit tiefblauem Stein sticht mir direkt ins Auge. Die Farbe erinnert mich an Daniels Augenfarbe und ich weiß sofort, dass ich ihn haben möchte. Als ich ihn anprobiere, passt er perfekt. Ich krame nach meinem Portemonnaie, als ich von einer mir bekannten Stimme unterbrochen werde.

"Lass das Portemonnaie stecken. Ich schenke ihn dir." Daniels Stimme, so direkt an meinem Ohr, verursacht mir Gänsehaut und Nervosität.

"Nein, das kann ich nicht annehmen", widerspreche ich energisch und möchte um ihn herum gehen, um näher am Verkäufer zu sein.

"Doch, kannst du." Daniel schiebt mich sanft, aber bestimmt, zur Seite und bespricht mit dem Verkäufer den Preis. Er bezahlt den genannten Betrag und winkt dem Verkäufer zum Abschied, der sich gleich dem nächsten Kunden zuwendet.

"Danke, Daniel. Das wäre wirklich nicht nötig gewesen."

"Sehr, sehr gerne, Hannah. Weißt du, du kannst dich einfach schon mal an das Gefühl eines Ringes gewöhnen. Wenn wir später heiraten, dann musst du nämlich jeden Tag einen tragen." Daniel grinst verschmitzt und mein Herz flattert erneut aufgeregt herum.

"Du bist so bescheuert!", rufe ich aus. Ich überspiele meine Nervosität mit einem dämlichen Lachen und ziehe ihn an mich um ihn zu küssen.

"Ich könnte das die ganze Zeit machen", murmelt er an meinen Lippen.

"Mich küssen?", frage ich dümmlich.

"Nein, dich ärgern." Daniel weicht meinem Hand aus, die ich ihm erneut auf den Oberarm hauen wollte. Er lacht und zieht mich wieder an sich.

"Es macht einfach so viel Spaß. Fast so viel Spaß wie das hier", raunt er leise und küsst mich wieder.

Ich will das hier. Genau das hier. Und noch viel mehr. Ich will ihn. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals so werde, so empfinde. Verliebtheit. Kitsch.

"Komm, ich habe Hunger." Er zieht mich wieder mit sich und bleibt vor einem Stand mit herzhaftem Essen stehen. Es gibt Bratwürstchen mit Brötchen - oder ohne, je nachdem. Wir stellen uns in die Schlange. Sein Daumen fährt immer wieder sanft über meinen Handrücken und das ist eine weitere kleine Geste, die mich einfach verrückt nach ihm macht. Wir sind immer in Kontakt, er unterbricht ihn nie. Selbst wenn es nur kleine Dinge sind, wie wenn er mir eine Strähne aus dem Gesicht streicht.

"Danke, dass du mit mir heute hier bist, Daniel."

"Danke, dass du mit mir heute hier bist, Hannah." Er drückt mir einen Kuss auf den Scheitel und ich schmiege mich an seine Brust. Es ist kälter und der Wind stärker. Mir ist kalt, aber ich wäre dennoch nirgendwo lieber als hier bei ihm.

"Heute habe ich mich mit Max getroffen. Das ist der Freund von deiner besten Freundin, oder?"

Erstaunt sehe ich ihn an. "Ja, genau. Wie kommt es dazu?"

"Max hatte den Vorschlag, dass wir in den Winterferien vielleicht zu viert zu einer Hütte fahren könnten. Wir haben uns in der Disco kennengelernt, als du und Ida wie zwei verrückte Hühnchen getanzt habt. Da sind wir ins Gespräch gekommen. Er ist echt sehr nett."

"Ja, das ist er. Andernfalls wäre er auch nicht mit Ida zusammen."

Die Schlange bewegt sich und wir schließen die Lücke.

"Weil du es sonst verhindert hättest?" Er stößt mir sachte seinen Ellbogen in die Rippen.

"Genau", grinse ich.

"Ich sehe schon, mit dir legt man sich besser nicht an", stellt er fest.

"Das hast du komplett richtig erkannt. Wenn nur alle so schlau wären wie du", sage ich seufzend und gespielt genervt.

"Das wäre nicht gut, dann hätte ich ja viel Konkurrenz. Das gefiele mir nicht."

"Gut, dass du so bescheiden bist, Daniel."

"Ich kenne halt einfach meine Stärken. Eine davon ist überaus toll und schlau zu sein. Musst du wissen."

Ich schüttle den Kopf und sehe weg, damit er mein dümmliches Grinsen nicht sehen muss.

"Du gibst mir doch Recht, Hannah, oder?"

"Ja, äh, klar. Natürlich."

Daniel lacht. "Sehr gut. Ansonsten müsste ich Darth Vader holen und das ginge nicht gut aus für dich."

"Stimmt gar nicht. Han Solo ist viel zu stark!" Ich stemme meine Hände in die Hüften, was Daniel erneut lachen lässt.

Wir sind die nächsten, bestellen uns zwei Würstchen im Brötchen - die ich bezahle, weil ich darauf bestanden habe - und warten bis unser Essen fertig ist. Das Essen schmeckt lecker und ich genieße jeden Bissen der warmen Mahlzeit. Inzwischen ist mir richtig kalt und ich zittere, was auch Daniel nicht entgeht.

"Dir ist kalt. Komm', ich bring dich nach Hause."

"Nein, ich möchte noch gebrannte Mandeln!"

"Gut, die kaufen wir noch und dann fahre ich dich heim. Ich möchte nicht, dass du krank wirst."

Wir machen uns auf den Weg zu besagtem Stand.

"Achso. Du weißt schon, dass du mich auch in schlechten Tagen pflegen musst, wenn wir heiraten?"

"Ja, aber ich bin auch dazu verpflichtet, zu verhindern, dass du schlechte Tage hast", entgegnet er zwinkernd und bestellt zweimal gebrannte Mandeln für uns.


Die Mandeln knirschen in meinem Mund, als ich darauf beiße. Genießerisch schließe ich die Augen. Bei Daniel im Auto fühle ich mich sicher, auch wenn ich die Augen geschlossen habe. Er bleibt vor meinem Haus stehen und stellt den Motor ab.


"Das war ein sehr schöner Abend. Danke dafür."

"Danke dir, Daniel. Aber wir haben gar nicht mehr über die Hüttensache gesprochen."

"Das macht nichts, ich kläre das erstmal mit Max. Er meinte, er kenne jemanden, der eine Hütte in der Eifel hätte. Das fände ich ideal. Und ich würde mich freuen, wenn du dabei wärst."

"Auf jeden Fall. Ich würde sehr gerne mit, weil ich mir das wirklich schön vorstelle. Mit euch. Mit dir", füge ich hinzu und werde rot.

"Gleichfalls." Ein Gefühl huscht über sein Gesicht, das ich nicht deuten kann. Doch als seine Augen dunkel werden, weiß ich, was es ist. Verlangen. Ein Ziehen durchfährt meinen Unterleib und ich schlucke. Langsam, Hannah. Langsam. Wer weiß, ob das wirklich alles dazu kommt. Vor allem, ob es dazu kommt.

Daniels Grübchen erscheinen, als er mich sanft anlächelt.

"Ich mag dich sehr, Hannah. Sehr. Sehr. Und ich hoffe, wir sehen uns vielleicht morgen wieder?"

Seine Worte machen mich verlegen. "Ich... ich mag dich auch sehr, Daniel. Und ich würde mich freuen, wenn wir uns morgen sehen. Du fehlst mir, wenn du nicht da bist."

Peinlich berührt schlage ich die Hände an meinen Mund und möchte am liebsten im Boden versinken.

Daniel nimmt meine Hände in seine und beugt sich zu mir.

"Du fehlst mir auch, Han", sagt er leise und küsst mich zum Abschied.


Der Abend war schön und irrsinnig kitschig. So kitschig, als wäre ich Teil eines Liebesfilmes. Ich sehe seinem Auto hinterher, ehe ich mich auf den Weg zu unserem Haus mache. Es hat aufgehört zu schneien, und, entgegen aller Erwartungen, ist doch etwas liegen geblieben. Der Schnee knirscht unter meinen Schuhen, als mir etwas bewusst wird. Ich glaube, ich könnte ihn lieben. Aber ich werde alles zerstören. Alles.  Und als mir diese Gedanken in den Kopf schießen, eiskalt wie ein Eiszapfen, kommen die Tränen. Mein Blick verschwimmt und ich stolpere mehr ins Haus, als dass ich gehe. Direkt in Papas Arme.

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