34 | Atemnot und Panikattacken.
┊┊twenty one pilots - Heathens┊┊
Felix steht vor uns und mustert nun das Chaos auf unserem Tisch. "Was habt ihr denn veranstaltet?" Er grinst.
"Wir machen Bullet Journals! Setz dich doch!" Ida räumt eine Seite des Tisches frei und schiebt alles zu mir. Innerlich rolle ich mit den Augen, doch eigentlich bin ich zu sehr beschäftigt, Felix zu beobachten. Von seinem Zusammenbruch vor einigen Tagen ist nichts zu sehen. Und auch so wirkt er eher froh als traurig.
Während Ida Felix ausführlich erklärt was ein Bullet Journal ist, widme ich mich meinem lauwarmen Cappuccino und sehe mich im Café um. Jeder der Tische ist besetzt und einige unterhalten sich angeregt, während andere angestrengt in ihre Smartphones starren oder ein Buch lesen. Letzteres freut mich sehr, da viel zu wenig Menschen heutzutage noch ein echtes Buch in die Hand nehmen. Aber es scheint fast so, als wäre ich mit diesen Gedanken alleine. Selbst Ida hat einen E-Book-Reader und nimmt keine Papierbücher mehr in die Hand.
"Hannah?" Felix und Ida sehen mich amüsiert an.
"Habt ihr mit mir gesprochen?", erkundige ich mich dümmlich und lächle entschuldigend.
"Äh ja. Ich habe gefragt, was mit dir los ist und an wen du denkst, wenn du so vor dich hinstarrst. Ist da etwa ein junger Mann im Spiel?" Felix grinst und sieh Ida verschwörerisch an.
Haben die beiden etwa über mich gesprochen?
"Gut, dass Felix ihn dir nie wegnehmen würde, obwohl er auf Männer steht." Ida und Felix stoßen mit ihren Getränken an. Wann zur Hölle hat Felix sein Getränk bestellt?
"Du hast es ihr erzählt?" Neugierig sehe ich ihn an.
"In der Tat, es wird Zeit, dass ich dazu stehe. Denkst du nicht?" Felix rührt in seinem Kaffee und gibt etwas Zucker hinzu.
"Ja, doch, natürlich. Ich finde das super! Denn du hast Recht. Außerdem ist es ja nichts Anteckendes, nichts wofür man sich ja eigentlich rechtfertigen müsste. Eine Schande, dass es immer noch notwendig ist, dass man sich outet, obwohl es eigentlich als völlig normal angesehen werden sollte." Ich schnappe mir einen von Felix' Keksen und beiße hinein.
"So sehe ich das auch. Und ich bin froh, dass du mir davon erzählt hast, Felix." Ida lächelt ihr Idalächeln. Ihre Haare reflektieren das Licht der Lampen über uns und sie sieht aus, als wäre sie ein Engel, der direkt aus dem Himmel gekommen ist, um mich zu ärgern. Vielleicht ist das ein Sport für Engel? Hannah ärgern und in den Wahnsinn treiben. Bei dem Gedanken muss ich grinsen. Felix lächelt und sieht mit einem stolzen Blick zwischen uns hin und her.
Doch sein Lächeln stockt und eigentlich muss ich mich gar nicht mehr umdrehen, um zu wissen, wer gerade eben das Café betreten hat. Es fühlt sich an, als würde sich Eis auf meine Schultern legen, denn plötzlich ist mir sehr kalt. Und das, obwohl alle Fenster und Türen geschlossen sind. Und meine Sinne täuschen mich nie.
"Das gibt es doch nicht. Brutus!" Nils' Gorillastimme stolpert über mich hinweg und bohrt sich mir unangenehm in die Ohren. Am liebsten würde ich mich verstecken, aber so bleibt mir nichts anderes übrig, als mich dem Ganzen auszusetzen.
"Nils", Felix würdigt Nils nur zwei Sekunden eines Blickes und konzentriert sich schließlich auf die Tischplatte.
"Hannah, machst du mir jetzt meinen besten Freund streitig? Was tust du dafür? Bläst du ihm einen? Oder hast du andere besondere Talente, die du mir vielleicht auch mal zeigen möchtest? Hätte ich das gewusst, hätte ich deinen Einsatz erhöht. Schade. Da muss ich mir wohl noch etwas anderes ausdenken für dich. Aber wie ich mitbekommen habe, ist das mit Daniel und dir ja jetzt offiziell. Wie schön." Seine Stimme trieft vor Selbstgefälligkeit und mir wird schlecht.
Schnell werfe ich meinen Freunden am Tisch einen Blick zu und hoffe, dass sie nichts mitbekommen haben. Doch Ida sieht mich bereits mit gerunzelter Stirn an. Ich schlucke. Sie ahnt etwas. Verdammt. Verdammt.
"Warum machst du es nicht wie die Wolken und verziehst dich?", belle ich und wünsche mich sehnlichst an einen anderen Ort. An einen Ort mit Daniel. Am Meer. Mit Daniel am Meer, das wäre perfekt. Seiner Stimme lauschen, dem Meer lauschen, ihn küssen. In seinen Augen versinken. In seinen Armen einschlafen. Ich wünschte, ich könnte mich sofort wegbeamen. Ich wünschte, es wäre so einfach.
"Warum bläst du mir nicht einen, dann mache ich das vielleicht." Nils grinst und ich möchte ihm sein überaus hässliches und ekliges Grinsen aus seinem dummen Gesicht schlagen.
"Verzieh dich, Nils. Bitte." Felix' Stimme ist ein leises Warnen. Nils sieht ihn lange an, nickt und dreht sich dann wortlos um.
Ida hat mich währenddessen kein einziges Mal aus den Augen gelassen. Ich schlucke und weiche ihrem Blick aus.
"Was hat er damit gemeint?", fragt sie leise.
Doch ich schüttle nur den Kopf und packe meine Sachen zusammen. Ich muss hier weg. Schnell.
"Hannah, warte!" Ida packt jetzt auch ein und Felix sprintet zur Kellnerin um anscheinend für uns zu bezahlen. Gut, dann kann ich noch schneller hier weg.
"Willst du denn nicht wenigstens auf Felix warten, wenn du schon nicht auf mich wartest? Immerhin zahlt er gerade deinen Cappuccino." Anhand von Idas Stimme merke ich, dass sie sauer ist. Sie lehnt sich schweigend an die Glasfront des Cafés und zieht ihren Schal enger. Es ist Dezember und eisig kalt. Die Weihnachtsbeleuchtung strahlt und funkelt und taucht alles in gemütlichesLicht.
"Gut, meine Damen. Zeigt ihr mir jetzt den tollen Schreibwarenladen?" Felix hakt sich bei uns beiden unter und ich habe keine Chance, dem Ganzen zu entfliehen. Verdammt. Verdammte Axt. Ich muss hier weg.
Mit großen Augen betritt Felix den Schreibwarenladen und löst seine Arme von uns. Ich bin frei. Schnell weg hier! Aber ich kann mich nicht bewegen und es wäre unfair, mich jetzt einfach zu verkrümeln. Ich bin starr wie ein Stein und habe zu große Angst. Ich kann Ida nicht von dem Deal erzählen. Sie würde es nicht verstehen. Niemand würde es verstehen. Ich muss das alleine schaffen. Es dauert keine fünf Minuten, da habe ich die beiden verloren. Verloren im Schreibwarengeschäft. Das schaffe auch nur ich! Schmunzelnd betrachte ich erneut die Stifte und fahre mit meinen Fingern über jeden einzelnen. Ich höre Schritte und mache mich kleiner, damit die andere Person vorbeigehen kann. Aber das tut sie nicht. Sie bleibt stehen und wirft einen Schatten auf mich und meine Stifte.
"Das kannst du bei mir auch gerne machen", flüstert mir die Person in mein Ohr und ich realisiere erst jetzt, wie nah mir die Person wirklich steht. Denn als ich vor Schreck zurückspringe, falle ich gegen eine harte Brust und ich höre ein Lachen. Ein Lachen, das ich absolut überall wiedererkennen würde. Nils. Nils steht hinter mir. Er presst seinen Körper an mich und ich spüre ihn überall. Ich kann nicht verhindern, dass ich zittere und mir noch schlechter wird. Seine Hand fährt überraschend zärtlich über meine Seite und bleibt auf meiner Hüfte liegen, schwer wie ein Fels. Als ich versuche, mich von ihm zu lösen, hält er mich noch fester.
"Hannah, mein Liebling. Bleib doch noch ein bisschen. Merkst du, wie sehr du mich anmachst?" Er unterstreicht seine Worte, in dem er sich noch mehr an mich presst und ich wirklich alles spüre. Ich würge.
"Woher weißt du das mit mir und Daniel?" Meine Stimme zittert so sehr, dass ich Angst habe, sie zerbricht.
"Weißt du, meine Hübsche", er reibt sich an mir, ehe er weiterspricht, "ich habe meine Augen und Ohren überall. Absolut überall." Er lacht sein hässliches Lachen und ich stoße ihn von mir und knalle dabei so hart gegen das Stifte-Regal, dass einige davon mit einem lauten Poltern auf den Boden fallen.
Erleichtert atme ich auf, denn Nils steht nun mehrere Schritte von mir weg. Doch ich habe mich zu früh gefreut. Innerhalb weniger Sekunden steht er wieder bei mir, direkt vor mir. So nah, dass wir die gleiche Luft atmen und er seinen ganzen Körper wieder an mich presst. Verloren lege ich meine Hände auf seine Brust und versuche, ihn von mir zu drücken. Der Stoff seines Pullis ist rau unter meinen kalten Fingern. Ich zittere und ich habe Angst. Der Ausdruck in Nils' Augen ist irre und schüchtert mich ein. Wer mich kennt, weiß, dass ich eine große Klappe habe, aber gerade jetzt, in diesem Moment? Nein. Ich bin starr und kann mich nicht bewegen.
"Was zur Hölle machst du da, Nils?" Felix' Stimme poltert durch den ganzen Laden und mein Herz macht einen Sprung der Erleichterung. Ich bin so unendlich froh, seine Stimme zu hören, dass ich es nicht in Worte fassen kann.
Felix steht drohend am Ende des Gangs, sein schönes Gesicht ist wutverzerrt und rot wie die Stifte hinter mir. Neben ihm steht Ida. Sie sieht immer wieder geschockt zwischen Nils und mir hin und her. Aber auch ihr Gesicht ziert eine Spur von Wut. Sie sehen aus wie Helden, wie sie da stehen. Das Licht hinter ihnen leuchtet ihnen auf den Rücken und gibt ihnen eine Art Heiligenschein. Mir fällt das Atmen schwer, ein Stein legt sich mir auf die Brust. Er drückt und drückt und ich sehe Sterne. Super, es scheint, als hätte ich eine Panikattacke. Genau jetzt. Wie wunderbar.
"Wir haben doch nur ein kleines bisschen Spaß, nicht wahr, Hannah?" Nils fährt mir mit seinem Finger über die Wange.
"Lass' sie endlich los, du bescheuertes beschissenes Arschloch!", schreit Ida und macht somit auch die Ladenbesitzer auf uns aufmerksam.
"Sie hat mich angemacht, ich kann absolut nichts dafür", versucht Nils sich zu verteidigen. Ich bin starr vor Angst und Schock und kann nur Ida anstarren, wie sie da neben Felix steht. Ihre Atmung geht schnell und ich könnte schwören, dass ich ihr Herz bis hier hin schlagen hören kann.
"Halt endlich die Fresse und verpiss dich! Lass Hannah endlich in Ruhe, verdammte Scheiße!" Felix steht mit wenigen Schritten bei uns und zerrt Nils weg. In meinem ganzen Leben habe ich Felix noch nie so wütend gesehen. Ida steht neben mir und jetzt wo Nils weg ist, habe ich keinen Halt mehr. Ich stolpere, weil meine Knie so zittern. Aber Ida fängt mich auf. Sie fängt mich auf, wie sie es immer tut.
"Komm mit, mein Herz. Wir fahren nach Hause."
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