29 | Felix.
┊┊Angus & Julia Stone - From The Stalls┊┊
Ich stehe vor Felix' Haus und betrachte den Garten, der das halbe Gebäude umgibt. Eine Schaukel bewegt sich leise im Wind, die losen Blätter auf dem Boden werden durch den inzwischen eher braunen und leicht matschigen Garten geweht. Es riecht nach Regen und nassen Jacken. Adrian steht mit einer kleinen Schaufel bewaffnet vor mir und starrt gedankenverloren in den Himmel. Seine kleinen Hände umschließen die Schaufel fest, als hinge das Leben der Menschen davon ab.
"Danke, dass du mir hilfst. Felix ist ein Doofkopf. Er hat versprochen, dass wir heute zusammen eine Burg bauen." Wütend stapft er auf. Seine Schuhe erzeugen ein schmatzendes Geräusch im Matsch.
"Kein Problem, Adrian. Ich helfe dir gerne. Aber weißt du denn wann Felix auftaucht?" Energisch versuche ich, ein Loch in den festen Boden zu graben. Aber ich bin viel zu schwach dafür.
"Nein. Das weiß ich nicht. Warum machst du kein Loch?" Adrian sieht mich schmollend an.
"Ich bin zu schwach, Ritter Adrian. Vielleicht wäre es besser, wenn das doch Felix macht."
"Du hast zu wenig Spinat gegessen", entgegnet jemand leise hinter uns. Ich drehe mich um und es ist Felix. Doch irgendetwas an ihm irritiert mich.
"Hey, wo warst du?" Ich gehe einige Schritt auf ihn zu um den Abstand zu schließen und da sehe ich es. Felix' Augen sind rot. Als hätte er gekifft. Oder geweint. Ich tippe auf Ersteres. Meine Finger frieren in der eisigen Kälte, also stopfe ich sie in die Jackentasche. Der Wind hat an Stärke gewonnen und lässt meine Haare in der Luft tanzen.
"Felix, wir wollten schon mal anfangen. Weil du warst ja nicht da." Adrian schnappt sich die Schaufel, die ich an die Schaukel gelehnt habe und drückt sie Felix in die Hand. Dieser hält meinem Blick nur kurz stand ehe er die Augen niederschlägt. Hat er doch geweint? Aber warum sollte er weinen?
"Können wir das auf morgen verschieben? Ich muss mit Hannah noch was für die Schule machen." Felix wuschelt Adrian durch die Haare.
Adrian schlägt Felix' Hand weg und sieht zwischen uns hin und her. Schließlich nickt er. "Ja, Schule geht ja vor."
Er rennt ins Haus und lässt Felix und mich alleine im Garten zurück. Felix weicht meinem Blick aus und stellt die beiden Schaufeln an die Häuserwand. Bevor er das Haus betreten kann, ziehe ich ihn am Jackenärmel zurück.
"Was hast du?" Ich kralle mich regelrecht in seinen Ärmel weil er sich loszureißen versucht.
Doch Felix schüttelt nur den Kopf. "Lass mich, Hannah. Lass uns bitte endlich dieses Projekt endgültig abschließen."
Seufzend lasse ich ihn los und starre ihm verwirrt hinterher als er das Haus betritt. Ich schlüpfe aus meinen Stiefeln, schließe die Tür und folge ihm in sein Zimmer.
Er sitzt bereits an seinem Schreibtisch und starrt auf das viele Papier das vor ihm liegt. Seine Hände spielen mit dem Kugelschreiber und lassen die Miene raus- und reinspringen. Genervt halte ich seine Hand fest und nehme ihm den Kugelschreiber weg. Seine Hand ist rau und an den Knöcheln aufgeschürft. Als hätte er sich mit jemandem geschlagen. Felix reißt seine Hand aus meinem Griff.
"Was ist passiert? Was hast du, Felix? Irgendwas hast du doch." Ich lasse mich auf dem Stuhl neben ihm fallen und sehe ihn an. Abwartend.
Felix sieht mich lediglich kurz an und schnappt sich kurz darauf wieder den Kugelschreiber. "Fangen wir an."
"Nein, zuerst sagst du mir, was dein Problem ist, verdammt!" Ich werde lauter, weil mich sein Verhalten richtig nervt.
"Es geht dich einen Scheißdreck an. Okay? Wir sind keine Freunde, Hannah."
Ich beiße mir auf die Unterlippe und nicke. Bringen wir das hier hinter uns. Es hat keinen Sinn für ihn da sein zu wollen.
Wir brauchen weitere drei Stunden um das Projekt so abzuschließen wie wir es für gut halten. Felix übernimmt das Schreiben am PC während ich die ein oder andere Sache in der PowerPoint-Präsentation ausbessere. Er antwortet auf all meine Fragen einsilbrig und man merkt, dass er nicht richtig bei der Sache ist. Immer wieder erwische ich ihn dabei wie er gedankenverloren aus dem Fenster starrt.
"Es heißt 'Johannes Kepler' nicht 'Keller', Felix." Mein Finger tippt auf den Bildschirm seines Laptops und hinterlässt dabei kleine Farbflecken.
"Drück doch noch fester auf und mach meinen Bildschirm kaputt", fährt er mich an.
Wütend springe ich auf, mein Herz schlägt schnell in meiner Brust. Mir reicht es. Verloren fahre ich mir durch die Haare. "Ich weiß nicht was dein verdammtes Problem ist, Felix. Aber es reicht. Lass deine beschissene Laune an jemand anderem aus!"
Fahrig sammle ich meine Sachen zusammen. Ich klappe meinen Laptop zu und versuche ihn, so schnell wie möglich, in meinen Rucksack zu stopfen. Dabei stoße ich Felix' Federmäppchen um und alle Stifte verteilen sich auf dem Boden. Ein paar davon kullern unter den Schreibtisch. Unerreichbar für alle Zeit.
"Sorry. Wir sind noch nicht fertig, Hannah."
Meine Augenbraue schießt in die Höhe. Fassungslos sehe ich ihn an. Er sitzt seelenruhig auf seinem Stuhl und tippt auf seiner Tastatur herum, als wäre nichts gewesen. Als hätte er mich nicht die ganze Zeit superdumm von der Seite angemotzt.
"Deine Ambivalenz kotzt mich an, Felix. Ehrlich."
Ein freudloses Grinsen huscht über seine Lippen als er mich kurz ansieht und sich schließlich wieder auf den Bildschirm konzentriert. Ergeben lasse ich mich wieder neben ihm fallen. Besser wir machen das jetzt fertig als dass wir uns nochmals treffen müssen. Es ist vorteilhafter, wir machen das heute fertig. Dann habe ich es hinter mir.
Ein leises Klopfen an der Tür unterbricht uns. Es ist Beatrice, Felix' Mama. Ihr Blick ist neugierig und abwartend. "Ist alles gut bei euch beiden? Braucht ihr vielleicht etwas zu Trinken? Habt ihr Hunger?"
Da ist sie wieder, die beste Frage der Welt. Mein Bauch rumort. Perfektes Timing. Beatrice lacht.
"Felix komm doch kurz mit runter und hilf mir beim Hochtragen."
Er beendet die Kritzelei die er auf seinem Block malt und wirft seinen Kugelschreiber auf den Schreibtisch. Als die beiden das Zimmer verlassen haben, nutze ich die Gelegenheit und reiße das Fenster auf um etwas Frischluft hereinzulassen. Es ist noch windiger als heute Nachmittag und die Temperaturen sind eindeutig gesunken. Der Regen prasselt auf den Boden und klingt bei geschlossenen Augen wie Applaus. Es riecht nach feuchter Erde und nach nasser Straße. Ich lausche gebannt dem Regen und lasse den Wind mit meinen Haaren spielen. Bald wird es dunkel werden und ich möchte mit Ida später noch tanzen gehen. Mein Handy vibriert und es ist eine Nachricht von meiner besten Freundin.
Ida: Guck dir das Video an. Wie kitschig und romantisch es ist.
Hannah: Ja, wie du. :D Aber gut, ich gucke es mir an.
Ida: Du wirst es nicht bereuen. ♥
Ich drücke auf den Play-Button. Das Video zeigt die Vorbereitung eines Mannes für einen Heiratsantrag. Für einen anderen Mann. Die Liebe füreinander ist so überwältigend, dass ich nichts tun kann außer auf das Video zu starren. Wie schön Liebe doch sein kann. Ich seufze.
"Hannah?" Felix steht in der Tür und balanciert das Tablett mit einer Hand während er in der anderen einen Brotkorb trägt. Ich lege mein Handy auf den Schreibtisch, bin mit eiligen Schritten bei ihm und nehme ihm das Tablett ab, welches ich auf den Schreibtisch stelle. Felix stellt den Brotkorb neben das Tablett und bleibt dann irritiert stehen. Ach, richtig. Er kann Homosexuelle ja nicht leiden. Schnell versuche ich, den Bildschirm auszumachen aber zu spät. Die beiden Männer in dem Film küssen sich. Felix schluckt und rückt den Brotkorb mit zittrigen Händen zurecht.
"Guck es dir einfach nicht an. Okay?" Ich schiebe mein Handy in die Tasche und schenke mir etwas Saft ein.
Er schüttelt den Kopf. "Dass die heiraten dürfen. Das darf es doch gar nicht geben. Wie kann man nur so ekelhaft und wider die Natur sein?!" Er wirft die Hände in die Luft und dreht mir den Rücken zu.
Und in diesem Moment explodiere ich. All die Wut, die sich in meiner Brust den ganzen Tag über angesammelt hat, packe ich in die Worte, die ich ihm jetzt vor die Füße speie.
"Du bist abartig. Es ist nichts Ekelhaftes daran. Liebe ist Liebe. Weißt du, Felix. Irgendwann hast du auch endlich mal die Möglichkeit, dich zu outen."
Felix erstarrt in seiner Bewegung und dreht sich wie in Zeitlupe um. Seine Wangenmuskeln zucken und er sieht in dem Moment so wütend aus, dass ich Angst habe. Seine Atmung geht schnell. Er strahlt eine Aggression aus, die es mir verständlich macht, warum er mit Nils befreundet ist. Im Endeffekt ist er genauso ein Affe wie Nils. Nur subtiler und somit gefährlicher. "Was? Was hast du da gerade gesagt?" Er kommt gefährlich langsam auf mich zu. Ich weiche zurück und knalle gegen die Wand.
Warum lande ich eigentlich immer an der Wand?
"Was hast du gesagt, Hannah?" Seine Stimme ist schneidend. Er schluckt.
"Du kannst dich auch bald outen und es dir endlich eingestehen." Mein Mund ist schneller als mein Hirn. Wie immer. Meine Stimme zittert.
Und dann verschwindet die Wut in seinem Blick und seine Augen füllen sich mit Tränen. Was zur-?
Felix lässt mir keine Gelegenheit, die Tränen zu verarbeiten und umarmt mich. Völlig perplex stehe ich da. Soll ich ihn auch umarmen? Verarscht er mich gerade? Ich drücke ihn von mir weg und suche seinen Blick. Seine Augen füllen sich immer und immer wieder mit Tränen. So gut kann doch niemand schauspielern, oder?
Ich ziehe Felix zu seiner Couch und halte ihn dort in meinem Arm. Er zittert und schluchzt und ich streiche ihm perplex über den Rücken.
"Es ist alles gut, Felix. Alles ist gut. Ich bin hier." Leise versuche ich ihn zu beruhigen. Er krallt sich in mein Shirt und drückt mich dadurch nur noch fester an sich. Sanft aber bestimmt schiebe ich ihn von mir und sehe ihn an. Felix schnieft und zieht die Nase hoch. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet.
"Felix, sieh mich an."
Aber er schüttelt den Kopf. "Bitte", füge ich hinzu. Felix seufzt und hebt schließlich endlich den Kopf. Sein Blick ist intensiv und in seinen Augen spiegeln sich so viele Emotionen, dass ich vollkommen überwältigt davon bin.
"Was ist dein Geheimnis, Felix?" Meine Stimme ist leise und ruhig.
Er schlägt die Augen nieder und schluckt. Felix holt tief Luft und sieht mich dann wieder an. "Ich habe mich in einen Mann verliebt."
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