15 | Shoppingwahnsinn.

┊┊Fritz & Paul Kalkbrenner - Sky and Sand┊┊


Das Gefühl, als der grausame Tag endlich vorbei ist, ist kaum zu beschreiben. Es gleicht dieser Art von Gefühl, wenn man aufwacht und denkt, man muss aufstehen, aber merkt, dass man noch vier Stunden schlafen kann.

Ida hat seit der Pause ein Dauergrinsen im Gesicht, das mich glücklich macht. Ich hoffe, die beiden wagen jetzt dann endlich mal den nächsten Schritt. Sie streicht sich ihre blonden Haare aus dem Gesicht, spielt mit einer Strähne und sucht die Umgebung ab.

"Suchst du Max?", frage ich grinsend und weiche ihrer Hand aus, die nach mir schlägt. "Ey, keine Gewalt, Bienchen!"

"Du brauchst das heute scheinbar, Mrs. Dein-Penis-Ist-So-Klein!" Sie streckt mir die Zunge raus und duckt sich lachend, als ich nun mit meiner Hand nach ihr schlage, um ihr einen Klaps auf den Arm zu geben.

"Keine Gewalt in der Schule, meine Damen!" Felix steht neben uns und wirft einen Blick über die Schulter, bevor seine Augen uns taxieren. "Hannah, hast du am Samstag nochmal Zeit wegen des Projekts? Wir müssen es ja bald vorstellen und es wäre gut, wenn wir uns samstags noch einmal deswegen treffen." Er dreht sich um, denn Nils ruft in dem Moment nach ihm.

"Ja, klar. Soll ich dann wieder zu dir kommen?" Ich tippe auf meinem Handy herum, um den Termin in meinen Kalender einzutragen. Leider bin ich absolut vergesslich und muss mir sogar so etwas notieren. Du wirst alt, Hannah.

"Wenn du magst, das wäre super."

Bevor ich etwas sagen kann, kommt Nils angedackelt. Er erinnert mich immer mehr an einen Nacktmull. Wobei das auch irgendwie eine Beleidigung für den Nacktmull ist.

"Hey Chicas. Na, alles fit im Schritt?" Er beißt sich auf die Unterlippe und mustert uns von oben bis unten.

"Jetzt wo du da bist garantiert nicht mehr", entgegne ich und drehe mich weg.

"Hannah, du weißt, dass ich deinen hübschen Hintern nur zu gerne betrachte, aber dein Gesicht und deine Brüste sind auch nicht zu verachten. Wobei ich sie auch gerne ohne all diese Klamotten sehen will."

"Du wirst niemals meine Brüste sehen." Ich zwinkere und schnappe mir Idas Hand.

"Glaubst du", meint er drohend und er grinst dreckig. Träum schön weiter, Würstchen.

"Nils, waren deine Eltern Diebe?", erkundige ich mich.

Ein Grinsen macht sich auf seinem Gesicht breit. "Warum? Weil ich so schön bin wie ein Stern?"

Ich kann gerade noch einen Kotzreiz unterbinden. "Nein. Du siehst so mitgenommen aus." Ida und Felix brechen in schallendes Gelächter aus und ich ziehe meine Freundin mit mir, ehe Nils etwas entgegnen kann.

"Manchmal beneide ich dich um deine Schlagfertigkeit, Han." Ida kichert noch immer.

"Glaub mir, Idaleinchen. Manchmal lebt man damit verdammt gefährlich. Und mein Mund ist leider wirklich immer schneller als mein Gehirn."

Wir laufen zum Bus und machen uns auf den Weg in das hiesige Einkaufszentrum. Ida braucht neue Kleidung für den Fall, dass Max sie endlich um ein Date bittet. Sie hat angeblich überhaupt nichts anzuziehen. Gut, aber das Problem haben irgendwie alle Frauen, oder? Ich nehme mich da selbst auch nicht aus. Grinsend werfe ich einen Blick aus dem Busfenster. Ida und ich haben uns zusammen auf eine kleine Bank im Bus gequetscht, da er zu dieser Uhrzeit immer sehr gefüllt ist. Aber alles ist besser als der Stinkibus von letztens. Und obwohl meine Gedanken im Moment nicht mehr dort sein sollten, muss ich an die Bemerkung von Nils denken. Ich frage mich, was er gemeint hat, als er Daniel erwähnt hat. Gehört Daniel etwa zu seiner Clique? Ich muss ihn das unbedingt fragen, wenn wir uns das nächste Mal sehen. Sehen sollten. Eigentlich will ich ihn ja nicht mehr sehen. 

Das Einkaufszentrum hat alles, was man begehrt und für jeden Notfall den richtigen Laden. Seufzend betrachte ich die Menschenmasse und schlucke. Seit dem Amoklauf in München verbinde ich mit Einkaufszentren nichts Gutes mehr. Aber Ida zuliebe stelle ich mich meiner Angst. Man muss sich manchmal seiner Angst stellen, auch wenn sie einen schockfrostet und gefangen hält. Aber nur wenn man sich ihr stellt, kann man einen Schritt weitergehen und daran wachsen.

Die jungen Menschen drängeln sich durch die Türen, als gäbe es kein Morgen mehr, als wäre morgen alles bereits ausverkauft. Ida steuert zielstrebig auf einen Laden zu und greift nach einigen Teilen, die sie mit Argusaugen mustert. Sie stopft alles wieder zurück und sieht mich grimmig an.

"Ich werde nichts finden, was Max gefällt." Schmollend schiebt sie die Unterlippe vor.

"Schwachsinn, meine Liebe. Wichtig ist, dass es dir gefällt. Und wenn es dir gefällt, dann strahlst du das auch aus. Und das ist das, was Max gefällt. Du gefällst Max, Ida. Du könntest auch einen Kartoffelsack tragen und Max würde gefallen was er sieht. Zweifel nicht so an dir, mein Herz. Du bist wunderschön."

"Naja. Ich möchte ihn einfach von mir überzeugen, weißt du? Und ich will, dass alles perfekt ist." Ida sieht mich vorsichtig an.

"Aber wenn du so bist wie du bist, dann ist doch alles perfekt. Ida, ich sehe, wie er dich ansieht und ich merke, wie sehr er dich mag. So scharfäugig du manchmal bist - so blind bist du, wenn es um dich selbst geht."

"Meinst du, er mag mich wirklich?"

"Ja, verdammt. Er ist einfach nur schüchtern. Und jetzt frag ihn endlich, ob ihr einen Kaffee trinken gehen wollt. Man soll sein Leben nicht ständig mit Warten verbringen. Du willst ein Date? Dann frag ihn. Los!" Meine Stimme duldet keinen Widerspruch. Also holt Ida ihr Handy aus der Tasche und tippt darauf herum. Sie ist nervös, das sehe ich am Zittern ihrer Finger.

Ich war auch so. Früher. Voller Hoffnung auf Liebe. Inzwischen bin ich vermutlich nur noch bitter. Die Liebe ist mir bis jetzt verwehrt geblieben und ich habe das Gefühl, dass es nicht für jeden ein Happy End in Sachen Liebe gibt. Manche haben das Glück und treffen ihren Seelenverwandten, ihre Große Liebe - manchen bleibt das Glück verwehrt. Und ich denke, das ist okay. Ich muss mir die Liebe irgendwie anders holen. Durch Freundschaften, durch meine Eltern.

Natürlich hinterlässt es eine Kerbe in meinem Herzen, wenn ich meiner besten Freundin dabei zusehen darf, wie sie ihr Glück findet. Aber ganz ehrlich? Lieber ist sie glücklich und hat ein erfülltes, goldenes Herz als dass sie unglücklich ist. Und wenn ich dafür auf meine Große Liebe verzichten muss, dann ist es mir das wert. Für die Menschen, die ich liebe würde ich alles tun. Für meine Eltern, für Ida, für Nelli. Einfach alles. Und um die Menschen zu schützen, die ich liebe, würde ich über Leichen gehen. Ausnahmslos.

"Okay, ich hab die Nachricht abgeschickt. Verdammt, Hannah. Warum hast du mich dazu gezwungen? Er denkt jetzt bestimmt, ich bin dumm oder so." Verzweifelt versteckt sie sich hinter ihren Händen.

"Hör auf, ständig für andere zu denken. Wenn er es dumm findet, dann soll er es dir sagen. Komm, jetzt suchen wir nach einem hübschen Outfit für dich." Ich ziehe sie durch die Klamottenreihen und versuche, nicht allzu sehr über die Sache mit der Liebe nachzudenken.

Es ist nur einfach so: Ich sage immer, felsenfest überzeugt, dass es die Liebe nicht gibt; dass alles irgendwann endet; dass nichts für die Ewigkeit ist und man bei der Liebe immer verletzt wird - oder jemanden verletzen muss; dass Liebe ein Haufen Müll ist und es schwachsinnig ist, darauf zu hoffen und zu warten, dass der Eine kommt. Aber ein klitzekleiner Funken in mir wünscht sich Liebe. In Hülle und Fülle. Verrückte Liebe. Liebe, die glücklich macht und einen bescheuerte Dinge tun lässt. Dieser kleine Teil in mir wünscht sich eine Familie. Das Problem ist nur, dass ich zu bitter bin; zu kalt, als dass ich jemanden näher an mich heranlasse als nötig ist. Ich habe Angst davor, verletzt zu werden. Die Frage ist nur, ob es nicht auch der Schmerz ist, der einen lebendig macht?

"Wie findest du das, Han?" Ida streckt eine weiße Bluse in die Höhe, die mit schwarzen Streifen an den Ärmeln, am Kragen und an den Knöpfen versehen ist. Sie ist schön.

"Probier sie an, so kann ich das nicht beurteilen." Ich fuchtel in die Richtung der Umkleidekabinen und sehe sie durchdringend an.

"Ja, Chef." Ida verschwindet hinter dem Vorhang, vor dem ich gespannt warte. "Ich hab's gleich."

"Kein Stress. Wir haben ja Zeit, Idaleinchen." Ich werfe einen kurzen Blick auf mein Handy und mein Herz macht einen kurzen Sprung. Dummes Herz. Hör auf zu springen. Es ist nur Daniel, verdammt. Er ist nicht anders als die anderen. Er ist mit Sicherheit genauso ein Idiot wie alle anderen. Männer sind dumm und scheiße. Und ... doof. Okay? Hör auf, dich bei ihm ein bisschen wohl zu fühlen. Das ist Schwachsinn.

Daniel hat mir geschrieben.

Daniel: Hey, Han Solo. Wie steht's?

Hannah: Alles gut. Und selbst, Mr.?

Ehe ich weiter auf das Display starren kann, hat Ida den Vorhang aufgerissen und ihn mir dabei total ins Gesicht geschleudert. Schmerzerfüllt jaule ich auf und halte mir die Wange.

"Oh. Upsi. Sorry, Hannah. Geht's wieder?"

Mit vorgeschobener Unterlippe nicke ich und betrachte sie. Sie sieht bezaubernd aus. Die Bluse steht ihr hervorragend. Und das sage ich ihr auch. Ida kann nicht verhindern, dass sie rot anläuft und in dem Moment ist der harte Schlag ins Gesicht wieder vergessen.

"Findest du? Danke. Meinst du, dazu sieht eine schwarze Skinny Jeans gut aus?" Sie überlegt und legt den Kopf schief. "In Kombination mit der Jeans sollte er mir nicht widerstehen können."

"Da ist ja dein Selbstbewusstsein wieder. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, kleines Früchtchen." Ich streife den Vorhang glatt. "Ja, eine schwarze Skinny Jeans würde dazu sicherlich gut aussehen. Hast du so eine oder brauchst du die noch?"

"So eine habe ich noch. Komm, wir suchen jetzt etwas für dich und dein Date mit Daniel."

"Ich habe kein Date mit Daniel", entgegne ich.

"Ja, noch nicht. Frag ihn." Ida sieht mich durchdringend an. So ein Mistikackahaufen, sie schlägt mich mit meinen eigenen Waffen. Und nichts ist schlimmer, als wenn deine eigenen Methoden gegen dich verwendet werden.

"Ich ... ich habe seine Handynummer nicht." Schnell stopfe ich mein Handy in die Tasche und sehe sie unschuldig an.

"Klar. Und du hast auch grad deiner Tante Rosenkohl geschrieben und deswegen so verzaubert geguckt?"

"Ich habe nicht verzaubert geguckt!", raunze ich.

Ida bricht in Lachen aus und hält mich fest. "Hannah. Soll man lügen?" Streng sieht sie mich an.

"Nein", sage ich leise.

"Hast du seine Nummer?", erkundigt sie sich.

Ich nicke nur stumm. Wie ein Fisch. Blubb. Blubb.

"Gut, dann frag ihn." Ida tippt mit ihrem Fuß auf den Boden und macht mich wahnsinnig.

"Ich kann nicht, Ida. Ich habe Hausarrest. Das weißt du doch."

"Frag ihn trotzdem", beharrt sie und ich kann nicht verhindern, dass ich mit den Augen rolle.

"Gut. Wenn du dann endlich aufhörst, mich zu nerven."

Sie setzt ihr Engelsgrinsen auf und verschränkt die Arme. "Los. Wir haben nicht ewig Zeit."

Als ich ein Blick auf mein Handy werfe, sehe ich, dass Daniel noch einmal geschrieben hat.

Daniel: Ja, alles gut. Klingt das dumm, wenn ich sage, dass ich dich gerne mal wieder sehen würde? Bald. Möglichst bald?

Mein Herz macht einen Sprung.

Hannah: Nein, gar nicht. Aber ich habe Hausarrest. :(

Daniel: Das macht nichts. Den können wir umgehen. ;)

Und ich verfluche mich dafür, dass mein Herz kurz einen Schlag aussetzt. Verdammt, Hannah. Sei gefühlskalt. Sei so kalt wie eine eiskalte, gefrorene Tiefkühlpizza. Schalte dein Herz aus. Niemand braucht das. Niemand will dein Herz. Niemand.

Und während ich nach außen hin grinsend mein Handy vor Idas Nase halte, baue ich zeitgleich die dicke Mauer um mein Herz erneut auf und verstärke sie zusätzlich mit Stahlbalken. Man weiß ja nie.

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