14 | Die Tamponfrage.

┊┊Imagine Dragons - Demons┊┊


Der Wecker klingelt und holt mich aus meinen turbulenten Träumen. Wie soll es bitte möglich sein, dass ein Nilpferd einbeinig auf Rollschuhen einen Berg aus Pizza hinaufrollt? Das ist absolut unrealistisch. Bitte. Verschlafen fahre ich mir über das Gesicht und hadere mit mir. Ich will nicht aufstehen.

"Hannah, aufstehen!" Mama klopft an meine Tür und ich verstecke mich grummelnd unter meiner Bettdecke. Welcher Idiot hat sich einfallen lassen, dass die Schule schon so früh morgens beginnt? Warum braucht man eigentlich die Schule? Wofür? Betten braucht man doch viel dringender. Betten sind die wahren Schätze im Leben. 

Ich seufze und schlage die Bettdecke zurück, als ich höre, dass meine Mama weiterhin wie eine Wahnsinnige gegen die Tür klopft.

"Hannah, los! Oder bist du wieder abgehauen?", erkundigt sie sich. Ihre Stimme klingt dumpf hinter der Tür.

"Nein, bin ich nicht", grunze ich und öffne die Tür.

"Oh, guten Morgen, Schatz." Sie grinst mich an und verschwindet in unser Erdgeschoss. Wie kann man früh morgens schon so gut gelaunt sein? Ist das eine Krankheit? Muss ich mir Sorgen machen? Ist das vererbbar?

Gedankenverloren putze ich mir die Zähne und bemerke zu spät, dass mir die Zahnpasta aus dem Mund läuft und ich wie eine Frau mit Tollwut aussehe, der der weiße Schaum bereits aus dem Mund tritt. Können Nilpferde auch Tollwut haben?

Nach dem Duschen ziehe ich mir meine Jeans und das erste Oberteil an, das mir in die Finger fällt und setze mich an den Küchentisch. Meine Eltern und Nelli sind bereits außer Haus. Ich habe noch 20 Minuten bis mein Bus kommt und die nutze ich, um mir mein Frühstücksbrot zu schmieren. Damit ich nicht verhungere. Zur Sicherheit werfe ich noch einen Blick auf die Uhr, nur um zu sehen, dass ich nur noch einige Minuten habe, bis mein Bus kommt. Verdammt. Lauf, Nilpferdchen, lauf!

Hektisch schlüpfe ich in meine Schuhe und in meine Jacke, ohne einen Blick in den Spiegel zu werfen und stolpere über meine eigenen Füße. Ich kann mich aber gerade noch abfangen, ehe ich auf den Boden knalle. Leise grummelnd laufe zur Bushaltestelle und hole schnappend nach Luft. Verdammt. Verdammt. Verdammt. Ich muss aufpassen, dass ich nicht über meine eigenen Füße stolpere, so kopflos irre ich zur Haltestelle. Wir haben heute in der ersten Stunde Geschichte bei Herrn Wolfram und es wäre fatal, würde ich zu spät kommen. Vielleicht macht er dann Nilpferdhackfleisch aus mir. Schließlich komme ich schwer atmend an und sehe den Bus gerade um die Ecke biegen. Glück gehabt, kleines Nilpferd. Daniel wäre stolz auf uns! Verwirrt schüttle ich den Kopf. Warum denkst du jetzt an Daniel, verdammt? Als ich in den Bus einsteige, werfen mir einige Leute einen verwirrten Blick zu, den ich zu ignorieren versuche. Was ist? Sehe ich heute besonders toll aus? Fast muss ich ein Lachen unterdrücken.

Ida wartet vor der Schule auf mich und tippt wild auf ihrem Handy rum.

"Guten Morgen", grummle ich und warte, bis sie ihre Nachricht abgeschickt hat.

"Guten Morgen Hannahbanana. Wie geht es dir?", erkundigt sie sich und sieht mich erst an, als sie ihr Handy zurück in die Tasche gestopft hat. Ida war schon immer sehr kreativ was meine Spitznamen anging. Das ist einer der Gründe, warum ich sie so liebe.

"Guten Morgen. Mir geht es o - Was ist?" Fragend sehe ich sie an. Idas wunderschönes Lachen macht sich zwischen uns breit und lässt mich verwirrt stehen. "Was ist, Idalamida? Warum lachst du? Hab ich was im Gesicht?"

Sie hält sich den Bauch vor Lachen und ich werde immer nervöser. Ich brauche einen Spiegel.

"Dein - dein T-Shirt, Hannah. Hast du es dir nicht angeguckt, bevor du aus dem Haus gegangen bist? Das ist vielleicht gut für eine Disco - aber doch nicht für die Schule. Herrn Wolfram wird das sehr gefallen." Sie kichert und hat wenigstens den Anstand, ihr Kichern hinter der Hand zu verstecken.

In dunkler Vorahnung lasse ich meinen Blick an mir heruntergleiten und ersticke fast an dem Schock, der sich in mir breit macht. Mist.

Ich trage eins meiner T-Shirts, die ich mir gekauft habe, aber bei denen ich mich nicht traue, sie in der Öffentlichkeit anzuziehen. Auf dem Shirt steht 'Life is short and so is your penis'. Und damit stehe ich auf dem Schulhof. Damit muss ich mich Herrn Wolfram stellen - und meinen restlichen Lehrern, die ich an diesem Tag habe.

"Hübsches T-Shirt, Hannah", ruft Nils, der gerade an mir vorbeigeht. Felix grinst mich an und reckt die Daumen in die Höhe. Wunderbar. Einfach wunderbar. Das ist ein Montag wie er im Buche steht.

Die erste Stunde Geschichte vergeht im Schneckentempo und trägt nicht wirklich dazu bei, dass ich wach werde. Ich hätte jetzt gerne einen Kaffee. Intravenös.

"Hannah, kannst du uns die vier Besatzungsmächte nennen, die wir letzte Woche besprochen haben?", möchte unser Geschichtslehrer, Herr Wolfram, wissen und stellt sich vor meinen Tisch.

Ich schrecke hoch. Ach verdammt. Ich habe nicht gelernt. Herr Wolfram sieht mich abwartend an und tippt mit dem Fuß auf den Boden. Hilfesuchend schiele ich zu Ida.

"Vielleicht solltest du dich besser auf die Schule konzentrieren als auf die Größe der Geschlechtsteile deiner männlichen Mitmenschen." Herr Wolfram rückt seine Brille zurecht und wendet sich von mir ab. Ich laufe rot an und bin mir sicher, dass mein Rot dem der Tomaten gleicht. Wie peinlich. Eigentlich weiß man das.

"Sarah, vielleicht kannst du uns ja die  vier Besatzungsmächte nennen?"

"Natürlich Herr Wolfram. Frankreich, die USA, die Sowjetunion und Großbritannien."

"Sehr gut, Sarah. Wie ich sehe, konzentrierst du dich auf den Unterricht. So wie ich das erwarte." Nun steht er wieder vor mir und sieht mich ermahnend an. Ich versuche mich an einem unschuldigen Lächeln. Nilpferde lachen nicht unschuldig. Lachen Nilpferde denn überhaupt? Ich hätte jetzt gerne schon Schulschluss. 

"Gut, fahren wir fort." Als er sich umdreht, schließe ich meine Augen und schüttle den Kopf. Papa darf mich mit diesem T-Shirt nicht sehen. Auf keinen Fall.

Ida und ich stehen in der Pause auf dem Schulhof und beobachten die anderen Schüler um uns herum. Ich will nach Hause. Wenn man sich unwohl fühlt und weiß, dass man noch viele weitere Stunden an dem Ort verbringen muss, möchte man sich am liebsten einfach nur noch verkriechen. Ganz klein machen und verkriechen. Ich habe inzwischen meine Jacke zugezogen, sodass mir zumindest in der Pause niemand auf das T-Shirt schauen kann.

"Hey Hannah. Falls du auch gerne die größe meines Geschlechtsteils sehen möchtest, ich stelle mich gerne zur Verfügung", feixt Nils. Ich drehe mich um und blicke ihm starr in die Augen.

"Weißt du, Nils. Man erkennt die Größe des Mannes schon an seinen Händen. Und du hast Babyhände, von daher kann ich mir schon ausmalen, wie 'groß' dein Geschlechtsteil ist." Bei dem Wort 'groß' male ich Gänsefüßchen in die Luft und grinse ihn unverhohlen an.

"Du träumst doch davon, mein Geschlechtsteil zu sehen, Hannahlein." Ein süffisantes und ekliges Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus, als er meinen Körper mit Blicken taxiert.

"Ich glaube, du träumst eher davon, dass sich jemand überhaupt endlich mal dein Geschlechtsteil ansieht, du Wurst", entgegne ich und drehe mich um.

"Och, Hannah. Sei doch nicht so. Du wechselst doch gerne die Männer. Daniel hat mit Sicherheit kein Problem damit, dass du dich nun mir widmest."

Ich fahre herum. "Woher weißt du von Daniel?"

"Ach, sagen wir so: Er ist ein sehr guter und alter Freund von mir." Das Grinsen auf seinem Gesicht spricht Bände.

"Komm, lass gut sein, Alter." Felix zieht Nils mit sich und wirft mir einen entschuldigenden Blick zu, den ich nur mit einem Schulterzucken quittiere.

"Was für ein Idiot. Lass dich von dem nicht ärgern, Hannah." Ida stellt sich vor mich und hält mir ein Stück ihres Schokoriegels unter die Nase, das ich dankbar annehme. Was hat er damit gemeint? Daniel ist doch keiner dieser komischen Typen, mit denen Nils so abhängt. Oder hat Daniel mehr Dreck am Stecken, als ich dachte? Verdammt. Aber dann hätte ich Daniel doch mit Nils gesehen, oder? 

"Wo ist Max heute?", erkundige ich mich, um mich von dem Gedankensturm abzulenken, der sich gerade in meinem Kopf verfängt.

Ida grinst schüchtern. "Er holt sich noch etwas zu essen. Dann kommt er zu uns, meinte er."

"Aha. Ihr schreibt also?" Ich piekse sie in die Seite und sie quiekt wie ein kleines süßes Schweinchen. Sie ist so niedlich.

Wir schweigen und ich beobachte die Mitschüler. Der Pausenhof erinnert mich an einen Zoo. Und du bist das Nilpferd der Schule, Hannahbanana.

"Hey ihr zwei." Max steht hinter uns und beißt genüsslich in sein Brötchen. "Alles gut?" Sein Blick wandert zwischen Ida und mir hin und her und ich beiße mir auf die Lippen. Ich sollte die beiden alleine lassen, damit sie in Ruhe reden können.

"Ja, alles bestens. Ich muss dann mal los."

Ida runzelt die Stirn. "Wohin musst du denn?"

"Ich muss noch rein, wegen der Sache", beantworte ich ihre Frage und ziehe die Augenbrauen hoch. Sie wird den Wink mit dem Zaunpfahl doch hoffentlich verstehen?

"Welche Sache?" Verständnislos sieht sie mich an. Och, Ida.

"Na, die Sache. Du weißt schon." Ich reiße die Augen auf.

"Oooh. Ach die Sache. Du hast deine Tage bekommen. Brauchst du ein Tampon? Aber hattest du nicht erst letzte Woche deine Tage? Ist alles okay bei dir?"

Ich rolle mit den Augen. Meine Güte. Manchmal ist sie wirklich schwer von Begriff. Als hätte sich ihr Hirn in Luft aufgelöst. Aber kein Wunder, sie ist viel zu verliebt in Max, als dass sie irgendetwas anderes mitbekommt. Und da hätten wir wieder den Beweis, dass Liebe einfach blind und doof macht.

Entschuldigend sehe ich Max an, dessen dunkelbraunen Augen mich amüsiert anfunkeln. "Es ist alles super. Ich muss jetzt nur rein, Ida. Bis später ihr zwei."

Im Gegensatz zu meiner sonst so schlauen Freundin hat Max realisiert, warum ich die beiden alleine lassen möchte. Als ich mich umdrehe, sehe ich, wie Max etwas zu Ida sagt und sie somit zum Lachen bringt. Ihr engelsgleiches Lachen schallt über den Schulhof und mein Herz wird warm. Die beiden passen so gut zusammen. Wie nervös sie ist. Und sie sieht so glücklich aus. Es ist schön, meine beste Freundin glücklich zu sehen und zu sehen, wie ihre Gefühle erwidert werden.

Manchmal wüsste ich auch gerne, wie es sich anfühlt, wenn Gefühle erwidert werden. Naja, Hannah. Zumindest weißt du, wie es sich anfühlt, wenn du Pizza isst. Und das ist mit Sicherheit das Gleiche.

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