01 | Wie Pizza mein Leben bestimmt.

┊┊City And Colour - The Girl┊┊

"Pizza, die du bist im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Mein Wille geschehe, sodass ich dich in meinem Magen sehe. Amen." Einen kurzen Moment schmachte ich das Stück Pizza in meiner Hand an, dann beiße ich herzhaft und voller Vorfreude hinein. Ich genieße den absolut leckeren Geschmack des Käses und der würzigen Tomatensoße auf meiner Zunge und schließe mehr als selig die Augen. Ein leises Seufzen verlässt meinen Mund. Hach, Pizza. Du verletzt mich niemals. Du machst mich einfach nur glücklich.

"Ach, Hannah. Ich verstehe nicht, wie man Pizza so sehr lieben kann." Eine leise, angenehme Stimme reißt mich aus meinen Träumen und ich schrecke hoch - und falle fast vom Stuhl. Gerade noch kann ich verhindern, dass mein Pizzastück auf den Boden fällt.  Beruhige dich. Niemand möchte dir deine Pizza klauen - oder dich entführen. Alles gut, Han.

Meine beste Freundin Ida schielt kurz auf mein Stück Pizza und den Käse, der sich in Fäden davon löst und streicht sich ihre blonden Haare aus dem Gesicht. Ihre blauen Augen funkeln und ich weiß, dass sie alles versucht, um nicht in lautes Lachen auszubrechen.

"Pizza befriedigt mich einfach. Und ich schenke ihr all meine Liebe. Aus vollem Herzen."

Ida lacht ihr zauberhaftes Lachen. "Wenigstens etwas, dem du deine Liebe schenkst."

"Männer haben meine Liebe nicht verdient." Ich grinse und stopfe mir den Rest der Pizza in den Mund. Ich kann kaum kauen, weil das Stück so groß war, doch das ist mir egal. Wir grinsen uns an und ich möchte in dem Moment nirgendwo lieber sein als hier, mit meiner besten Freundin.

Früher war ich anders. Früher habe ich jedem Typen mein Herz geschenkt, der nett zu mir war. Ich habe ihnen vertraut. Und ich habe darauf gehofft, dass Beziehungen für immer halten. Aber irgendwann habe ich eingesehen, dass Beziehungen eben nicht für immer halten. Sie zerbrechen immer. Und ich hatte genug. Und ganz ehrlich? Ich sehe es nicht ein, irgendeinem dahergelaufenen Typen mein Herz zu schenken, der es nicht einmal zu schätzen weiß. Ich habe genug von dem Scheiß der sich 'Liebe' nennt.

Deswegen bekommen nur Pizzen mein Herz. Und Ida. Wir sind Freundinnen seit dem Tag im Kindergarten, als Tim Gertenschlot mich von der Schmetterlings- und Elefantenschaukel schubste und ich mir die Knie aufschlug. Ida hat Tim in den Sand geschubst, ihm Sand ins Gesicht geworfen und ihn angeschrien. Ich grinse, als ich daran denke und schiebe Ida den Pizza-Teller hin.

"Iss, mein Schatz." Ich betrachte kurz meine Hände und stelle fest, wie klein sie eigentlich sind. Und ehe ich meinen Mund stoppen kann, fallen auch schon die Worte aus meinem Mund. "Boah, Ida. Ich stehe so auf Männerhände. Ich kann mir nicht helfen. Meine sind so klein und niedlich. Aber Männerhände sind einfach wunderschön."

Ida kaut auf dem Stück Pizza und sieht mich irritiert an. "Wie kommst du jetzt auf Männerhände? Ich dachte, du liebst keine Männer - und nichts, was dazu gehört." Sie schmunzelt kurz.

"Was denn? Auch wenn keiner der Männer meine Liebe verdient hat, schöne Hände haben sie allemal. Und andere Dinge sind auch ganz ... praktisch" Ich ziehe die Nase kraus und grinse.

Ida nickt und lacht ob meiner Ergänzung. "Ja. Am besten sind dann auch noch die Adern an den  Händen und Armen."

Sie putzt sich ihre Hände an der Serviette ab und flicht ihre Haare zu einem Zopf. Schon immer habe ich sie etwas um ihre blonden Haare und ihre blauen Augen beneidet. Neben ihr komme ich mir mit meinen braunen Augen, gepaart mit den braunen Haaren absolut langweilig vor. Die Farbkombination verdanke ich meinem Papa. Während meine Mutter grün-braune Augen hat, habe ich dunkle braune Augen. Aber meine Haare, meine Haare, die mag ich dann doch irgendwie. Zwischendurch hatte ich eine Phase, in der ich sie mir unbedingt blond färben wollte. Doch zum Glück habe ich es nicht getan. Bestimmt wäre das eine Katastrophe geworden.

Ida bemerkt mein Starren und legt ihren Kopf schief.

"Was ist?" Sie nimmt sich ein weiteres Stück Pizza und zieht die Augenbrauen hoch.

"Wie geht es eigentlich mit Max voran?", frage ich sie, um von meinen Gedanken abzulenken.

Sie seufzt und rollt mit den Augen. "Frag nicht."

Abwartend sehe ich sie an und schnappe mir das letzte Stück Pizza.

"Wieso?"

Ida lacht. "Ich habe gesagt, du sollst nicht fragen. Und was tust du?"

Wenn Ida lacht, habe ich das Gefühl, dass es wie Glockenläuten klingt, während sich mein Lachen wie ein sterbendes Nilpferd anhört. Wenn du weiterhin so viel Pizza isst, bist du auch bald ein Nilpferd, Han.

"Ich finde, du solltest ihn endlich direkt ansprechen und ihn nach einem Date fragen. Von selbst kommt Max nicht aus'm Tee, Herzchen. Er ist vielleicht klug was den Unterrichtsstoff angeht, aber in Bezug auf dich ist er einfach blind und blöd. Wie alle Kerle."

Sie funkelt mich wütend an. "Er ist nicht wie die anderen."

Ich seufze und nicke beschwichtigend mit dem Kopf.

"Aber sicher, mein Schatz."

Stunden später sitzen wir gerade an unseren Englisch-Hausaufgaben, als meine Mama nach Hause kommt, meine kleine Schwester Nelli im Gepäck, die freudestrahlend auf uns zugelaufen kommt.

"Hanni! Ich durfte heute in der Schule an die Tafel und ich habe alles richtig gemacht."

Ich drücke ihr einen Kuss auf die Stirn und wuschel ihr durch die Haare.

"Sehr gut, meine Kleine. Ich bin stolz auf dich!"

Nelli grinst und offenbart einige Zahnlücken.

"Was macht ihr da?", fragt sie neugierig und versucht, mein Gekritzel zu entziffern.

"Wir machen Hausaufgaben", antworte ich ihr und schreibe die hoffentlich richtige Lösung unter die Aufgabe.

"Braucht ihr Hilfe? Ich liebe Englisch!" Ihre herzerwärmende Kinderstimme füllt den Raum und lässt ihn sofort etwas heller scheinen.

Ich lache und kneife ihr in die Wange.

"Hannah, ich fahre noch kurz einkaufen. Hast du ein Auge auf Nelli?"

"Natürlich, Mama. Bringst du mir vielleicht noch TK-Pizza mit?"

Mama rollt mit den Augen. "Wie kannst du nur so viel Pizza essen? Hast du da nicht irgendwann mal genug davon?"

Ida lacht und ich muss grinsen. "Niemals! Pizza ist meine große Liebe!"

"Und Mamas große Liebe ist Papa", mit diesen Worten verzieht sich Nelli in ihr Zimmer.

Kurz sticht es in meinem Herzen, aber ich kann verhindern, dass sich der Riss in meiner Mauer vergrößert. Große Liebe. Das ist ein verdammt großes Wort für etwas, das es nicht gibt. Es ist nur ein Hollywood-Klischee, das erfunden wurde, um uns etwas vorzugaukeln.

Ida neben mir seufzt. "Ich wünsche mir, dass ich später auch so eine Beziehung habe wie deine Eltern. Ich verstehe einfach nicht, wie du nicht an die Liebe glauben kannst, wenn du das Paradebeispiel davon bei dir im Haus hast." Ihre Hände spielen mit dem Bleistift, mit dem sie die Aufgaben vorher gelöst hat. Ich beobachte sie, wie sie nervös auf ihren Lippen kaut und schließlich ihren Blick hebt, als ich zu sprechen beginne.

"Ich habe die Hoffnung einfach aufgegeben, Idalein. Die wahre Liebe gibt es nicht. Und Männer brechen einem einfach nur das Herz. Sie sind zu nichts anderem zu gebrauchen, als sich vielleicht ein bisschen Spaß zu holen und sie dann wieder in den Wind zu schießen."

Zugegeben, früher habe ich mir immer gewünscht, so eine Beziehung zu haben wie meine Eltern. Sie sind auch nach 20 Jahren Beziehung noch immer wie frisch verliebt. Papa sagt immer, er habe seine beste Freundin geheiratet. Und genau das wollte ich auch immer. Den Mann heiraten, der mir gleichzeitig mein bester Freund ist.

Aber im Laufe der Zeit habe ich einfach festgestellt, dass Beziehungen immer auseinanderbrechen. Absolut immer. Ausnahmslos. Auch wenn ich mir wünsche, dass es nicht so ist. Und, so unter uns gesagt, sie macht mir wahnsinnig Angst, die Vorstellung, ich müsste mich wieder jemandem öffnen und jemanden an mich heran lassen; jemandem vertrauen. Ich habe keine Lust, erneut verletzt zu werden.

Offen gesagt, natürlich hat man so seine Bedürfnisse und ich bin kein Kind von Traurigkeit. Natürlich habe ich keine ständig wechselnde Partner. Aber ich lege die Regeln fest. Nur Geschlechtsverkehr. Nicht mehr. Nicht einmal kuscheln. Und ich übernachte nie bei einem Mann. Niemals. Und sobald ein Typ anhänglich wird, beende ich die Liaison. Ende aus, Mickey Maus.

Ida und ich sitzen vor meinem Fernseher und sehen uns "Wrong Turn" an. Einen Film, den ich ungfähr schon zehn Mal gesehen habe, der aber niemals langweilig wird. Ich liebe Horrorfilme und alles, was mich gruseln lässt. Sie versteckt sich hinter einem Kissen, weil sie Angst hat und ich lache leise.

"Das ist nicht witzig, Hannah! Das ist einfach nur unheimlich. Warum können wir nicht etwas anderes sehen? 'Mit dir an meiner Seite' zum Beispiel?"

"Ich hasse Schnulzen, das weißt du. Und wir haben das letzte Mal schon einen Film deiner Wahl gesehen. Unsere Vereinbarung war, dass wir uns abwechseln." Ich schiebe meine Unterlippe vor und weiß, dass ich in dem Moment einfach absolut bescheuert aussehe.

Ida sieht vorsichtig hinter dem Kissen hervor starrt mich an.

"Du brauchst echt einen Typen, der dich von den Socken haut."

Ich lache.

"Ich glaube, der muss erst noch gebacken werden, meine Liebe."

Sie legt ihren Kopf schief und lächelt mich einfach nur an.

Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, dass sie aus dem Horror-Film entsprungen ist, mich anspringt und gleich tötet.

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