Von Monstern und Menschen

Als Alison Parker am Morgen des 8. Mai 1945 im behüteten Hollywood, dem Vorort von Los Angeles, auf die Welt kam, da war ihr Leben perfekt. Der Krieg, der die Erde so erschüttert hatte, hörte an diesem Tag auf, genau, als Alice auf die Welt kam. Und genau, wie Alice zu diesem Moment ihren ersten Atemzug tat, fing auch die Welt an, sich in eine andere zu verwandeln. Die Welt sollte neu strukturiert werden. Westen und Osten hatten viel neuere Bedeutungen, aber auch alte konservative Weltbilder waren ein fester Bestandteil der „neuen Welt". Einer Welt, die doch wesentlich besser sein sollte, als die alte.

Alisons Vater war Schwerverbrecher. Natürlich war er das nicht in der Öffentlichkeit. Hauptberuflich verdiente er im Krieg seine Millionen, um diese dann in illegale Geschäfte zu investieren. Er war Chef einer bekannten Medienbranche, saß in Gremien und und veränderte die Welt maßgeblich. Ihre Mutter arbeitete als gelegenheits-hausmutter, die des Öfteren die Aufgabe inne hatte, Mitarbeiter ihres Gattens zu entlassen, sie zu neutralisieren um ihren Lebensstandard erhalten zu können.

Die Parkers waren eine kriminelle Familie, eine Familie, die so viel Böses tat und dann doch vom Schicksal gesegnet wurde, als seien sie Samariter, die auf dem langen Weg des Durstes ihre letzte Flasche einem Kamel gaben. Tatsächlich gaben die Parkers vieles auf dem Weg zu ihrer steilen Karriere nach oben. Das Neutralisieren von Gegnern, die ihnen im Weg standen ging Hand in Hand mit der Schauspielerei, die beide verübten, um an ein schönes Leben zu kommen.

Alison Parker war ihr einziges Kind, ein Unfall, den keiner von beiden wollte. Aber wie wäre es angekommen in der Welt, wenn sie ihr Kind abgegeben hätten - sie wären viel zu sehr in die freie Presse gekommen und vielleicht wäre viel mehr aufgedeckt worden. Normalerweise sorgten sich die Eltern von Alison niemals um die Zukunft, sie lag ja in ihrer Hand. Geld regiert die Welt in den Vereinigten Staaten in den 50er Jahren. Während Frauen in die Fußstapfen Marilyn Monroes und Brigit Bardots traten, sie ihre Petticoatkleider in den Schränken verstauten und die Männer nach Mafia Bossen lechzten, wuchs die 15-jährige Alison Parker im beschützten Hollywood auf. Sie verlebte Leben in Gewissheit von Glamour, Geld, Reichtum und Berühmtheit. Wie oft wurde sie mit der schwarzen Limousine vor die Schule gefahren, von Bodyguards begleitet, bevor sie das graue Schulgebäude betrat. Wie sehr sich die Schüler nach ihrer Aufmerksamkeit sehnten, nach ihrer Schönheit. Aber Alison hatte keine Lust auf Gespräche mit Menschen, die nicht die Probleme von Menschen verstanden, die zu viel Geld besaßen. Für was sollte sie nur ihr Geld ausgeben, warum bekam sie kein Okapi? Fragen über Fragen häuften sich und sie hatte keinen Ansatz eine dieser zu lösen. Wann würde sie endlich einen Mann finden, den sie lieben würde?

Und die Schule, auf die sie ging, war eine ganz besondere. Und Alison wusste es, sie wusste, dass sie zu etwas höherem berufen war, als nur Alison zu sein. Alison war mehr, als die Tochter eines Kriminellen und ihrer Mutter, die ihn so tatkräftig unterstützte. Auf der Schule war Alison zum Ersten mal in ihrem Leben nämlich mehr nur als ihr Geld, sie war wesentlich mehr, als das Leben den Menschen zeigte.

Alison war ein Monster. Ein Monster der späten1950 er Jahre, die genau das ausdrückte, was man vor der Welt versteckte. Sie war so schön - so bezaubernd - doch auch arrogant, aggressiv und mörderisch, die liebe Alison. Alison war ein Monster, wie alle anderen Kinder dieser Schule auch. Sie wurden von der Regierung versteckt, niemand hatte zu sehen, welche Schandtaten diese Monster doch zeigten. Und das, obwohl sie doch so ähnlich wie die ganzen Menschen aussahen.

Alison schritt mit ihrer pinken Stola, der schwarzen Sonnenbrille und ihren hochgesteckten braunen Haaren durch den gefliesten Flur. In ihrer rechten trug sie eine schwarze Handtasche von Chanel. Ihre Eltern schenkten ihr das Stück, als sie gerade frisch auf diese Schule kam und sich ihr Leben so schnell veränderte. Plötzlich durfte sie all ihr Böses zeigen und nicht mehr verstecken. Sie wusste, wie sie es einzusetzen hatte.

Hier wurden alle Monster ausgebildet, damit sie nicht in der Öffentlichkeit auffallen würden. Die Lehrer waren eigens beauftragte Staatsdiener, mit teilweise ganz besonderen Fähigkeiten.

Alison war eine Ikone auf ihrem Gebiet der angestammten Rachsucht, Verführung und Ausbeutung. Doch es gab noch so viel mehr Wesen, die nicht in diese Welt gehörten. Sie waren so verschieden. So geistig anders, schlau - die schlausten von allen versammelten sich unter ihnen. Sie kreierten Maschinen, von denen die normal sterblichen gar nichts verstanden und die nicht in ihre Welt gehörten. Nikolai war der beste unter ihnen. Er hatte die meisten Erfindungen, er war der beste in seinem Fach der Physik und Chemie dieser Welt.

Unter ihnen waren auch schrecklich dumme, die in der normalen Welt keinen Platz gefunden hätten. Sie wären ausgelacht worden, sie wären unglücklich gestorben. Sie waren nichts wert in einer Welt, die so schwer zu erreichen war. In einer Welt, die den Wert eines Menschen aus Geld, Schönheit und Glück verstand.

Es war eine Welt, die zwischen Perfektion und Normalität schwankte, wie nichts anderes auf dieser Welt. Menschen wollten Perfektion, während sie weiterhin normal blieben. So schufen sie Monster, die so anders waren, dass sie es nicht einmal verstanden.

Monster waren auf der Welt nicht gerne gesehen, sie waren ausgegrenzte, getötete, abgeschlachtete. Man hetzte über sie, weil sie anders aussahen. Weil sie viel zu schlau waren, weil sie zu dumm waren. Sie hetzten, weil die Geburten ihrer Sünden sie verkörperten. Arroganz, Verführung und kriminelle Handlungen verwebten sich in der Genetik, keiner konnte es aufhalten.

Menschen waren das Übel dieser Welt. Sie erschufen Monster, die sie nicht haben wollten. Sie teilten die Welt und erschraken, als die andere Hälfte auf sie zukam und sie mit ihrer Boshaftigkeit vereinnahm. Sie waren doch so unschuldig gewesen, die Menschen. Sie waren so, so unschuldig.

Ganz und gar nicht unschuldig war Luke. Er vergiftete das Footballteam seiner Highschool mit Rattengift, „dem besten Mittel bezüglich des Ausdruck ihrer Klasse", wie Luke später behauptete. Er tat es mit einer solchen Kaltherzigkeit, die die Welt noch nie zuvor gesehen hatte. Abgehärtet durch seine Mitschüler, die ihn der Unsportlichkeit bezichtigten und ihn nicht begehrenswert scheinen ließen, weil er Bücher las, statt Bälle zu treten. Er tat es aus purem Neid, er tat es, weil er sie nicht mehr reden hören konnte. Seine Stimmen im Kopf, die erst dann auftauchten, als die Kinder über ihn lachten, weil er so hässlich war. Er tat es im Gedanken die Welt gerechter zu machen. Nicht nur seine, sondern die gesamte. Er hatte etwas zu verändern. So schüttete er das feine weiße Pulver in die Thermoskannen seiner verpanzerten Mitschüler, stellte sich in die Ecke der Umkleidekabine und sah, wie sie ganz langsam, Körper für Körper, zu Boden gingen und elendig auf dem Boden ihrem Schöpfer gegenübertraten. Weißer Schaum quoll aus ihrem Mund.

Luke studierte die Chemie schon lange, und wusste, welche Stoffe so tödlich für Menschen waren, die täglich Sport trieben und von den Mädchen begehrt wurden. Nachdem auch der letzte seinen Atem aufgegeben hatte, trat er vor die Menge, sah sie an und ihm huschte ein kleines Lächeln von seinen Lippen.

Luke, der die gesamte Footballmannschaft tötete, nur um begehrt zu werden.

„Natürlich habe ich sie umgebracht", sagte Aisha, als man sie festnahm und verhörte. „Sie haben ganz schön lange gebraucht, um mich zu fassen", entgegnete sie spottend auf die Frage: „warum?".

Aisha lebte in Lexington, Tennessee. Sie war gerade zwölf geworden, als sie den Entschluss fasste, etwas in ihrem Leben zu verändern. Am Abend des zehnten Aprils schritt sie durch die Tür des 469 Lakeshore Drives. Erst öffnete sie ganz langsam die Tür, verschloss sie noch leiser und ging die hölzernen Stufen hinauf, die sich direkt vor ihrem Auge auftaten. Es war schon spät, das Haus war dunkel. Das Schloss zu einfach, um es nicht öffnen zu können. Und dann ging sie nach links, öffnete die erste Tür und erblickte die junge Hailey, die die „hässliche Missgeburt" als erste wegen ihrer „verkrüppelten Finger, wie die eines Geisteskranken" verspottete. Sie nahm sich das graue Klebeband, welches sie im Werkzeugkoffer ihres Vaters fand und klebte ihr den lächelnd Mund zu. Dann fesselte sie sie mit einem Seil die Händchen und Füsschen und während die junge Hailey sich vor Schmerzten krümmte, riss Aisha ihr mit aller Gelassenheit sämtliche Finger von Haileys Hand, ehe Aisha sie mit einem gekonnten Griff erdrosselte.

„Es gibt auf dieser Welt keinen Gott", sagte Zack, der in seinem Leben noch niemals in Verruf geraten war, als er in der Schule für Monster auf einem braunen Ledersofa saß. Er war es lediglich, über den man lachte, weil aus seiner Hüfte ein drittes, ein ganz kleines, Bein wuchs. „Womit hätte ich es verdient, dass man über mich spottet und lacht, wie über einen räudigen Köter? Was habe ich verbrochen, dass man so mit mir umgeht? Was muss ich nur getan haben, dass mir nie Liebe zu teil wird und ich nur sehen darf, wie es andere tun. Wie sie sich begatten, ehe sie sich küssen."

„Mon chérie, és íst bešser gelíept und verlören tsu àben, als níemals gelíept tsu àben. Werd' nisch so théàtrálisch.", sagte Hugo, der sich rauchend an die Wand lehnte und über die Worte seines Mitstreiters nur schmunzelte. Niemand kannte sich so gut in der Szene von Kunst und Kultur aus, wie er es tat. Über ihn lachte man, weil er sich den Männern mehr hinzugezogen fühlte, als den Frauen.

„Einen Brändi, Margarét", seufzte er.

„Tsu schadè, dass es níemanden gíbt, mit dem isch méine Líebe deilen kann", er rührte in seinem Glas Alkohol und verschwand in seiner Melancholie und von seinem grünen Sessel.

„Keine Sorge Zack", sagte Alison erhaben, „mit jemanden zu schlafen ist nicht das, was man sich immer wünscht. Wenn der Partner nicht gut ist, dann wirst du auch nicht befriedigt." Zack rollte mit den Augen und warf Alison ihr Feuerzeug rüber, da sie sich eine Zigarette anstecken wollte.

Alison hatte schon viele Männer begattet. Freiwillig und unfreiwillig. Sie war es, die benutzt wurde, sie war es, die benutzt hatte. Und die Strafe war für alle gleich.

Da ertönte ein Ruf von Connor, der bedeute, dass alle aufstanden, ihre Gläser beiseite packten, die Zigaretten ausdrückten - oder eben eine neue anzündeten und sich im Flur vor dem Eingangsbereich versammelten.

So sahen alle Kinder, alle Menschen, alle Männer, alle Frauen, alle undefinierbaren Monster aus wie eine Armee, eine Legion, die in die Welt hinaustreten würde. Es passierte einmal im Jahr. Einmal im Jahr zeigten sie sich der Welt, konnten so sein, wie sein wollten und mit ihrem Schrecken und Aussehen die Welt verändern. Es dürstete sie nach Rache, nach Vergeltung, nach dem endlichen Bösen, das man ihnen über die Jahre angetan hatte, ohne dass sie danach baten.

So gingen sie alle gemeinsam durch die schweren Eisentore. Mit ihrer Schönheit, ihrer Hässlichkeit, mit ihrer Dummheit, mit ihrer Intelligenz und setzten sich die Sonnenbrillen auf, ehe das grelle Licht die weiße Haut traf. Sie waren Monster in einer Welt der Menschen.

„Wir sind es nicht wert geliebt zu werden. Wir sind minderwertige Ware, die man im Sommerschlussverkauf anbietet und wofür man kein Rückgaberecht hat. Weder der Käufer noch die Ware kann sich jemals zurück geben und ein neues Schicksal erwählen. Wir werden niemals geliebt werden, wir werden nie unsere Herzen teilen können. Wir werden nie erfahren, was es heißt besonders zu sein, um dafür begehrt zu werden.

Wir wurden ausgegrenzt, weil wir anders waren. Weil wir „wir" sind. Wir sind ihr, nur anders. Wir lieben die Dinge, die wir tun. Wir lieben es, wie wir sind. Wir lieben es, dass wir anders sind. Aber wir müssen uns schützen. Wir müssen uns vor denen schützen, die uns erschaffen haben. Wir müssen uns bewahren, der Zukunft, wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind Menschen, in einer Welt voller Monster, die schreien und lachen, wenn sie uns sehen. Sie lachen, weil sie uns auslachen. Sie schreien, weil sie Angst davor haben. Sie haben Angst vor uns, sie haben Angst davor, so zu werden wie wir. Aber die Angst brauchen sie gar nicht haben. Jeder der lacht, jeder der spottet, jeder der schreit wird sein Schicksal bekommen. Wr werden nur einen kleinen Vorgeschmack geben. Denn wir sind mehr. Wir sind mehr als eine Arrogante, eine Verküppelte, ein Behinderter, ein Schwuler, ein Verrückter, ein Intelligenter. Wir sind so viel mehr und das wissen wir. Das Blut an unseren Händen ist euer, es ist euer Schicksal, unser, dass ihr so enden werdet, wie wir angefangen haben. Im Leid, im Fokus der Sünden, im Traum an einen Gott, an ein Leben nach dem Tod. Wir sind wie Engel, wir geleiten euch auf dem letzten Weg, den ihr in dieser Welt gehen werdet. Und wenn ihr Glück habt, dann überlebt ihr und schließt euch uns an. Wir sind die Monster, die ihr erschaffen habt. Wir kommen, wir sind da." 

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