Der See der tausend Sterne

POV Nurel:

Ich laufe immer weiter geradeaus und schaue nicht einmal hinter mich. Meine Füße tragen mich immer weiter in den Wald, den ich als meine Heimat bezeichne, hinein. Auch wenn das Verhältnis zu meiner Familie, mit Außnahme von Andoron, nicht all zu gut ist, liebe ich diesen Wald. Früher habe ich mich hier oft versteckt, wenn mir der Alltag zu viel wurde. Später habe ich dann von und durch in gelernt. Ich lernte zu klettern, zu balancieren und schnell Hindernisse zu überwinden. Auch die Verwendung von Kräutern und Heilpflanzen lernte ich hier. Die Zeit alleine im Wald war schon immer meine liebste gewesen und auch heute ist er wieder für mich da.

Ohne es zu bemerken, gelange ich an einen kleinen See, zusehr bin ich in Gedanken versunken. Erst ein platschen lässt mich aufschrecken. Ich bin mit dem linken Fuß in das Wasser getreten. Fluchend gehe ich einige Schritte zurück und lasse mich an dem Stamm eines großen Baumes auf den Boden fallen. Ich ziehe die Beine an meinen Körper und vergrabe das Gesicht in meinen Händen.

Wieso macht Mutter so etwas?  Mein ganzes Leben lang, vor allem dann, wenn ich sie gebraucht habe, hat sie mich alleine gelassen. Nie war sie für mich da gewesen, hat mich nie in den Schlaf gesungen oder mich in den Arm genommen, wenn ich traurig war. Und jetzt? Jetzt, nach all diesen Jahren, die ich nur durch Andoron überstanden habe, jetzt meint sie, mich beschützen zu müssen! Vor meiner Zukunft, die mir schon seid meiner Geburt vorherbestimmt ist!

Wütend lasse ich das Wasser des Sees Wellen schlagen, doch höre damit sofort wieder auf, als mir bewusst wird, dass ich nicht weiß, ob ich wirklich alleine bin. Ich schaue mich um. Niemand zu sehen. Nochmal Glück gehabt. Seufzend lege ich den Kopf in den Nacken und schaue zu den Baumkronen hinauf. Zwischen den Blätter lässt sich das Rot des Abendhimmels erahnen. Was diese Zukunft wohl bringen mag?

Noch lange sitze ich hier und es wird dunkler und dunkler, doch durch meine Elbenaugen sehe ich noch genug, um auch später noch zu wissen, wie ich zurück komme. Plötzlich raschelt es im Gebüsch neben mir und ich spühre die Präsenz meines Bruders. "Hier bist du. Ich hab dich schon überall gesucht. Du kannst doch nicht einfach so wegrennen!", weißt Andoron mich zurecht, doch ich ich sehe das Grinsen in seinem Gesicht. "Doch, kann ich, Brüderchen. Das weißt du auch. Du kannst dich jetzt entweder zu mir setzen oder wieder verschwinden." - "Schon gut, ich setz mich schon.", meint er beschwichtigend.

Zusammen sitzen wir nun an den Baum gelehnt und schweigen. Nach einiger Zeit wird mir das zu ungemütlich, ich stehe auf und laufe zum See. Auch Andoron gesellt sich zu mir. "Als du gegangen bist, meinte Mutter, ich solle auf dich aufpassen. Sie sagte auch, dass sie dich liebe, auch wenn sie dir das nie gezeigt hat.", durchbricht er die Stille. "Wenn sie das wirklich täte, dann hätte sie mir das schon früher sagen sollen. Jetzt ist es zu spät.", erwiedere ich und schaue in den See. Viele kleine Sterne funkeln dort, ein Abbild dessen, was sich über unseren Köpfen abspielt. "Es ist nie zu spät, Nurel. Für manche Sachen bestimmt, aber nicht dafür. Versuche es wenigstens zu akzeptieren. Sie liebt dich, weil du ihre Tochter bist. Sie hat uns unter ihren Herzen getragen, bis wir geboren wurden. Ich denke, auch wenn du es abstreitest, besteht eine Verbindung zwischen euch.", wiederspricht mein Bruder mir.

Leider, hatte er recht, so ungern ich es zugeben will. Wäre sie mir vollkommen egal, würde mich der Gedanke an ihre Kälte mir gegenüber nicht so schmerzen. Doch diesen Schmerz habe ich all die vielen Jahre ihn die hinterste Ecke meiner Seele vergraben und darauf gehofft, ihn zu vergessen.

Wir schweigen beide und schauen auf den See. Das glitzer der Sterne beruhigt und tröstet mich etwas und auch die Gegenwart meines Bruders tut mir gut.

Seufzend lege ich meinen Kopf in den Nacken und blicke hinauf zum Himmel. Zunächst starre ich nur in die Dunkelheit, doch dann realisiere ich etwas ungewöhnliches:

Es ist kein einziger Stern zu sehen. Die Äste der Bäume versperren mir die Sicht und auch dazwische kann ich keinen der kleinen Lichtpunkte erkennen. Verwirrt stupse ich meinen Bruder an. "Was ist das?", frage ich ihn. "Was meinst du?", erwiedert er irritiert. "Die Sterne. Es sind keine zu sehen und doch spiegeln sie sich in diesem See.", antworte ich auf seine Frage.

Ich knie mich hin. Das Wasser des Sees scheint eigentlich ganz normal zu sein und doch zeigt er mir etwas, das überhaupt nicht sein kann. "Fass es nicht an!", warnt mich mein Bruder, doch da ist es schon zu spät. Als ich das Wasser berühre, durchfährt ein Kribbeln meinen Körper. Ich spühre noch wie Andoron mich an der Schulter packt, um mich wegzuziehen, da hat mich schon ein gewaltiger Sog erfasst und in den See gezogen. Mir entweicht noch ein spitzer Schrei bevor alles um mich herum schwarz wird.

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